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MrsAmy

Bewertungen

Insgesamt 23 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2023
All dies könnte anders sein
Thankam Mathews, Sarah

All dies könnte anders sein


ausgezeichnet

Sneha – eine junge Frau, frisch vom Studium beginnt ihren ersten richtigen Job als Vertragsarbeiterin im Changemanagement in Milwaukee. Sie kann sich glücklich schätzen, den in Amerika herrscht Rezension und sie konnte nicht nur einen guten Job ergattern, sondern sie bekommt auch die Miete ihrer Wohnung bezahlt und verdient soviel Geld, dass sie sogar etwas zur Seite legen und einen Teil zu ihrer Familie nach Indien schicken kann. Sneha liebt ihre neue Freiheit und zum ersten Mal stürzt sich die junge Frau ins Dating, verliebt sich Hals über Kopf in die Tänzerin Marina und zieht mit ihren Freundin Tig und Thom bis spät in der Nacht um die Häuser. Doch was nach einer unbeschwerten Zeit klingt, ist es nicht immer. Snehas Familie in Indien weiß nicht, dass sie Frauen liebt, sie würden Sneha am liebsten in der Sicherheit einer arrangieren Ehe wissen. Sneha liebt ihre Eltern, aber sie hadert mit den Traditionen und damit, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. Und auch das Leben in Milwaukee stellt Sneha und ihre Freunde vor immer wieder neue Herausforderungen.

„All dies könnte anders sein“ ist der Debütroman von Sarah Thankam Mathews. Mathews nimmt uns mit in die USA der Obama-Zeit und mitten hinein in das Leben von Sneha, das ungeschminkt, echt und voller größerer und kleinerer Herausforderungen ist. Es ist ein Alltagsroman, ein Roman über Selbstfindung und über verschiedenen Geschlechterrollen und die tiefe Kraft von Freundschaft. Vor allem Sneha muss sich und ihre Rolle erst selbst finden, darauf verweist auch die Tatsache, dass man den vollen Vornamen der Protagonisten erst knapp auf Seite 200 erfährt, nämlich, als sie zu einer 14-tägigen Reise zu ihren Eltern nach Indien aufbricht. Davor liest man maximal die Abkürzung S. Geschrieben ist der Roman als Ich-Erzählung in kleinen Kapitel und insgesamt vier verschiedenen Teilen, die einem einen tiefen Einblick in Snehas Innenleben geben. Mitunter gewöhnungsbedürftig ist die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen, da die verschiedenen Sätze in Gesprächen nicht immer eindeutig den beteiligten Personen zugeordnet werden konnten. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich um Absicht handelt, denn natürlich gibt es immer wieder Romane ohne besondere Kennzeichnung der wörtlichen Rede, in denen aber eine Zuordnung dennoch problemlos möglich ist. Ansonsten handelt es sich um ein schlagfertiges und sehr lesenswertes Debüt einer jungen Autorin!

Bewertung vom 03.10.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


ausgezeichnet

Lars ist 49 Jahre alt und hat sein bisheriges Leben im Grunde vor sich hergeschoben. Natürlich unbeabsichtigt. Irgendwie kam immer was dazwischen, das Sofa zum Beispiel. Nun ist der 31. Dezember und Lars liegt – natürlich auf dem Sofa – in seinem Haus. Noch schnell eine rauchen, dann endlich anfangen … also mit allem. Schließlich sieht er heute seine Frau Johanna wieder, die ihm auch schon eine Nachricht geschickt hat, doch bitte noch die Geschenke für die Kinder einzupacken und einen Nudelsalat vorzubereiten. Lars macht sich also eine Liste was er alles an diesem 31. Dezember noch zu erledigen hat. Natürlich auch sein Lebenswerk schreiben, er ist schließlich Autor und es muss das beste Buch der Welt werden.

Ich habe noch nie ein vergleichbares Buch, wie Nele Pollatschek neuen Roman „Kleine Probleme“ gelesen. Als Leser begleiten wir Lars durch diesen einen Tag und erleben doch sein ganzes Leben. Lars verliert sich gerne in seinen Gedanken, schweift ab, versucht sich zu motivieren, driftet erneut ins Selbstmitleid ab, steht wieder auf, fällt wieder hin. Aber irgendwie wurschtelt er sich doch durch und so wird man als Leser von Lars Euphorie und Lethargie auf eine Berg- und Talfahrt der Emotionen geschickt. Es gibt so viele wunderbare Zitate in diesem Buch, in denen wahres steckt und die hier so gut auf den Punkt gebracht werden, wie etwa „Wenn es hart auf hart kommt, kann man alles schaffen, aber meistens kommt es weich auf weich, und da bleibt man besser liegen.“ Ich habe mich mit diesem Roman köstlich amüsiert, wobei er mitunter auch seine Längen hatte. Aber die gehen schnell vorbei und schon ist man wieder mitten drin, in Lars abstruses Gedankengängen und erwischt sich dabei, wie man ihn selbst bei seinem sehr ambitionierten Tagesplan anfeuert.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Wenn Daniel Kehlmann einen neuen Roman veröffentlicht, dann ist man nicht nur neugierig, sondern hat auch hohe Erwartungen an den wohl derzeit bedeutendsten Autor Deutschlands. „Lichtspiel“ – so der Titel des Romans, entführt den Leser in das Leben von G. W. Papst – einem Genie der deutschen Kinogeschichte. Papst war in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts einer der berühmtesten Regisseure und wir können nun seine Lebensgeschichte, vor allem im Brennglas der Zeit des Nationalsozialismus hautnah miterleben. Was dabei Realität und was Fiktion ist, entzieht sich der eigenen Erkenntnis, jedoch, geht es zwar einerseits um das Leben und Wirken von Papst, andererseits aber auch um die Verhandlung, wie sich Kunst und Menschen in einer Zeit verändern und behaupten, in der nichts mehr sicher ist.

Während in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gelingt es Papst mit Frau und Sohn ins ferne Hollywood zu flüchten. Doch dort ist er nicht mehr das Kinogenie, sondern ein Unbekannter, der verfilmen muss, was ihm die Geldgeber vorsetzten. Sein erster amerikanischer Kinofilm „A modern hero“ wird dann auch, wie von Papst vorausgesehen, ein totaler Reinfall. Kurzentschlossen fährt er mit seiner Familie zurück nach Frankreich, hat er doch von dort ein Angebot bekommen, endlich wieder einen Film nach seinen Vorstellungen zu machen. Doch dann erreicht ihm ein dringlicher Brief seiner Mutter, sie brauche seine Hilfe. So reist Papst nach Österreich, die nun die Ostmark ist und findet sich schon bald in den Fängen des Nationalsozialismus wieder. Der Minister will Papst unbedingt und er duldet keinen Widerspruch. Papst könne alles verfilmen, er bekäme alle Schauspieler und Geld spiele gleich gar keine Rolle. Papst denkt, er kann dem Werben widerstehen, er stehe über den Dingen, doch schon beginnt er im Sumpf zu versinken.

„Lichtspiel“ erzählt aus verschiedenen Perspektiven von Papsts Leben und Wirken in den 1930er bis 1940er Jahren. Manchmal wird die Geschichte direkt aus der Perspektive von Papst erzählt, dann wieder aus der Sicht seiner Frau, seines Sohnes, von Menschen, die ihn nur lose kennen. Damit entsteht ein vielschichtiges Kaleidoskop, das auch die (schreckliche) Besonderheit der damaligen Zeit hautnah erlebbar macht. Es ist manchmal das subtile, manchmal das grobe, welches einen innehalten und nachdenken lässt. Der Roman lässt sich wunderbar lesen und hat mich tief in die damalige Zeit eintauchen lassen. Einmal begonnen, konnte ich das Buch nur noch schwerlich aus der Hand legen. Kurzum: ein wahres Meisterwerk, das als Nebenerscheinung Lust macht, sich mit den historischen Persönlichkeiten der Kinogeschichte als auch sich mit der Kinogeschichte selbst auseinanderzusetzen.