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nessabo

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 26.02.2025
Super einsam
Weil, Anton

Super einsam


gut

Hatte bis zur Hälfte echtes Potenzial, danach war es mir zu wild

Bis etwa zur Hälfte dieses Buches dachte ich, dass ich ihm mindestens vier Sterne geben würde. Leider hat mich die Handlung in der zweiten Hälfte dann aber doch ziemlich verloren.

Der erste Teil des Buches hat meine Erwartungen noch recht gut erfüllt. Ich habe erwartet, dass es ein Roman ist über meine Generation und die Probleme, welche Menschen dieser Generation umtreiben. Von Fragen zur eigenen Identität und Sexualität über die Trauer aufgrund einer zerbrochenen Beziehung bis hin zu einem Gefühl allgemeiner Einsamkeit in einem Leben in der Großstadt, ergänzt um eine gesellschaftspolitische Kritik rund um Wohnraumknappheit, Leistungszwang und Kapitalismus. Die kurzen Kapitel lassen sich überwiegend gut lesen und einige von ihnen haben mich emotional wirklich packen können.

Anton Weil hat einen ganz bestimmten Ton, der schwer zu greifen ist, mich zu Beginn aber für sich eingenommen hat. Ich fand mich vor allem in der ersten Hälfte auf eine rauschhafte Art in Vitos Kopf wieder. Die Geschichte überzeugt mit einem angenehmen Alltagshumor und einer gewissen Situationskomik - ob in den Gespräche in der Eckkneipe, in welcher man der Besitzerin das eigene Herz ausschüttet oder bei frustrierenden Fahrten mit der Deutschen Bahn, die von absurden Verspätungen geprägt sind.

Doch spätestens ab der Hälfte war mir Vitos Abdriften in seine Träume/Fantasien einfach zu wild. Es geht in diesem zweiten Teil der Geschichte vor allem darum, der eigenen Einsamkeit zu entfliehen, was hier konkret über die Verbindung zur verstorbenen Mutter passieren soll. Auch sucht Vito Verbundenheit zu fremden Menschen, mit denen er Sex hat oder sich vorstellt zu haben, doch wenig überraschend füllt das seine Leere nicht. Gerne hätte ich Vito noch länger bei dieser Suche begleitet, doch dafür war es mir vor allem zum Ende hin zu fragmentarisch und wenig emotional greifbar.

Ich kann persönlich auch einfach gar nichts anfangen mit Alkoholrausch, heftigem Trinken und Drogenkonsum allgemein. Das hat mich in seiner Intensität ziemlich gestört und auch mit Vito als zunehmend unzuverlässigem Erzähler konnte ich irgendwann wenig anfangen. Die Verwirrung der Geschichte ist sicherlich so beabsichtigt, doch mit meinen Erwartungen an das Buch und auch mit meinen Erfahrungen aus der ersten Hälfte war ich angesichts der sehr wilden, abgedrifteten Handlung dann einfach lost und konnte mich selbst nicht mehr mit der Geschichte identifizieren.

So bleibt es für mich leider nur ein durchschnittliches Leseerlebnis. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die sich gerne von Geschichten mitreißen lassen und auch kein Problem damit haben, dass Realität und Fantasie sehr stark miteinander verschwimmen, hier eine gute Lektüre finden. Die „wilde Irrfahrt durch die Psyche einer ganzen Generation“, die auf dem Cover versprochen wird, habe ich dann vor allem in der zweiten Hälfte leider nicht mehr wahrgenommen, obwohl meine Hoffnungen dahingehend nach dem ersten Teil durchaus hoch waren. Ich bleibe also etwas ernüchtert zurück und gebe diesem Buch drei Sterne.

Bewertung vom 18.02.2025
Es geht mir gut
Anthony, Jessica

Es geht mir gut


weniger gut

Große Hoffnungen, die leider nicht annähernd erfüllt wurden

Fast immer habe ich mit dem Kein&Aber Verlag gute Lesestunden, dieses Mal wollte es aber irgendwie nicht sein. Vielschichtige, ambivalente Beziehungsporträts sind eigentlich genau mein Ding und deshalb habe ich auch große Hoffnungen in dieses Buch gesteckt. Und beim Lesen der überwiegend guten Rezensionen frage ich mich auch ehrlich, was genau nicht gepasst hat.

Ich denke, zum einen stößt mich irgendwie das Flair der 1950er ab. Meine Abneigung ist schwer zu greifen und ich meine das auch nicht abwertend dieser Zeit gegenüber, aber irgendetwas hindert mich an einem echten Hineinfallen in die Geschichte. Dabei muss aber klar gesagt werden, dass das eine individuelle Präferenz ist und das Setting hier meiner Einschätzung nach wirklich sehr präzise gezeichnet wurde. Die Erzählweise wirkte auf mich fast wie eine Art Kammerspiel, obwohl natürlich viel mit Rückblenden und auch verschiedenen Orten gespielt wird. Das ist nie wirklich klar gekennzeichnet und erfordert beim Lesen ein gutes Maß an Konzentration, um zwischen den verschiedenen Zeitebenen und Erzählperspektiven nicht verloren zu gehen.

Vor allem auf Figurenebene hat es einfach nicht geklappt mit mir, Kathleen und Virgil. Beide fand ich irgendwie grundlegend unsympathisch und - für mich viel gravierender - emotional wenig greifbar. Die Autorin schreibt einerseits extrem nah an den Figuren und ich fand die Gedanken beider durchaus spannend. Doch trotzdem blieb ich die meiste Zeit lang emotional distanziert. Virgils Verzweiflung besonders am Ende war dagegen eindrücklich beschrieben, aber da war ich in meinem Urteil wahrscheinlich schon zu gefestigt. Im Gegensatz zu ihm hatte Kathleen eindeutig die spannendere Geschichte und phasenweise bin ich ihren Erinnerungen an die frühere Liebe sowie ihrer Tennis-Karriere gern gefolgt. Doch auch an dieser Stelle fehlten mir so oft die Emotionen. Ist sie wütend, verzweifelt oder motiviert, etwas zu verändern? Ich kann es einfach nicht sagen und obwohl die Geschichte als Rebellion angekündigt wurde, war sie für mich vor allem von Lethargie geprägt. Das einzig Rebellierende war für mich Kathleens Ignoranz gegenüber dem Gaffen der Nachbar*innen und dem Insistieren ihres Mannes, während sie im Pool verweilt. Weitere zukünftige Rebellion innerhalb ihrer Ehe wird am Ende zwar angedeutet, aber meiner Meinung nach erneut recht leidenschaftslos transportiert.

Ich bleibe wirklich aufrichtig traurig zurück, denn ich hätte die Geschichte gern gemocht. Vielleicht ist genau die lethargische, frustrierte Stimmung das, was das Buch erreichen möchte. Und einige Gedankengänge lassen sich frustrierenderweise recht genau auf die Gegenwart übertragen (Schönheitsideale, Mutterschaft, Geschlechterrollen). Doch ingesamt konnte ich einfach zu wenig mitnehmen.

Bewertung vom 18.02.2025
Wenn wir lächeln
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


gut

Ein Wutrausch in Buchform, von dem ich mir mehr Tiefe gewünscht hätte

Ich habe große Hoffnungen in das Debüt von Mascha Unterlehberg gesetzt, weil ich Geschichten über wütende Frauen sehr gern lese. Mir persönlich ist es dann aber wichtig, dass ich emotional auch darüber hinaus von den Figuren mitgenommen werden. Nicht zwangsläufig muss für mich die Wut am Ende verpuffen, ich kann ihre Anwesenheit auch nach der Lektüre noch gut aushalten. Aber hier hat es für mich auf Figurenebene nicht ganz gepasst.

Doch erst einmal zum Positiven: Der Roman hat mich durch seine innovative Schreibweise und die kurzen Kapitel schnell in sich aufgenommen. Der Schreibstil ist bissig, rau, getrieben und kommt ohne direkte Rede aus. Das ist zwar üblicherweise nicht ganz meins, hier konnte ich aber ingesamt gut damit leben. Jara erzählt fragmentarisch, aber auch irgendwie rauschhaft, was meiner Meinung nach sehr gut zur Wut beider Protagonistinnen passt. Gleichzeitig verschwimmen auf Erzählebene Realität, Erinnerung und Fiktion immer wieder miteinander. Das fand ich gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht. Nicht immer wird klar, was genau nun Realität und was Fantasie ist. Rein literarisch erfordert der Roman also auf jeden Fall Einiges an Konzentration beim Lesen, obwohl er paradoxerweise geradezu zum schnellen Lesen verleitet.

Die zwei Mädchen im Fokus sind sehr verschieden und reiben sich darüber auch wiederholt aneinander, teilen jedoch eine tiefe Wut - primär eine Wut auf misogyne Strukturen und Männer, die sich nehmen, was sie wollen. Die Beziehung der beiden bewegt sich immer wieder hin und her zwischen Gemeinschaft (teilweise durchaus einer gefährlichen) und Auseinanderdriften aufgrund ihrer Unterschiede und gegenseitiger Missverständnisse.

Warum konnte mich der Roman aber nun doch nicht so begeistern, wie ich es erwartet habe? Zum einen hatte ich ein Problem mit Jaras Gewaltfantasien, in denen sie sich zwischendrin immer wieder verliert. Ob nachvollziehbar oder nicht, an der Stelle bin ich einfach eher sensibel. Und zum anderen konnte ich weder Jara noch Anto so richtig emotional greifen. Ihre Wut habe ich gespürt und sie hat mich auch in ihren Bann gezogen, so weh tat diese Realität beim Lesen. Abgesehen davon gab es für mich aber nicht so richtig viel und auch die Beziehung der beiden habe ich bis zum Ende nicht wirklich verstanden. Es blieben mir dann schlussendlich doch zu viele Leerstellen.

Ich sehe in der Autorin aber großes Potenzial und wäre auch für ihre Folgeromane offen. Ihr Debüt verstehe ich eher als eine Facette des Aufwachsens als weiblich sozialisierter Mensch. Wer Lust hat auf ein stark von Wut getriebenes Buch mit hohem Tempo und offen ist für literarische Innovation, wird hier auf jeden Fall fündig. Damit ich persönlich mich nachhaltiger an ihn erinnere, hätte der Text auf Figurenebene noch facettenreicher und konkreter sein müssen.

3,5 ⭐️

Bewertung vom 10.02.2025
Die Reise / Dirty Diana Bd.2
Besser, Jen;Feste, Shana

Die Reise / Dirty Diana Bd.2


gut

Abgesehen vom Spice bleibt im zweiten Teil nicht mehr viel übrig

Ich fand den ersten Teil der Trilogie durchaus gut, wenn auch auf Spice-Ebene etwas repetitiv und natürlich auch klischeebehaftet. Ich hatte also schon Interesse an Dianas weiterer Reise, bin aber nach der Fortsetzung deutlich ernüchtert.

Was auf jeden Fall bleibt ist der Spice. Ich würde sogar sagen, das dieser noch einmal intensiver war, doch das ist auch mein erster Kritikpunkt. Wie schon im ersten Buch wird der S_x im weiteren Verlauf unglaublich repetitiv, wirkt irgendwann einfach banal und ein wenig so, als solle er davon ablenken, dass die Handlung ziemlich stumpf ist. Ebenso kritisiere ich wieder, dass die 6ualität ziemlich einseitig dargestellt wird (es geht schon primär um P3netration) und mir persönlich auch zu plakativ einfach war, Verhütung spielt bspw. gar keine Rolle.

Mein Hauptkritikpunkt aber: Aus der Grundlage hätte wirklich viel gemacht werden können über weibliches Begehren und das Leben einer Protagonistin Ü40. Mir hat auch Oliver im ersten Buch richtig gut gefallen, weil er ziemlich vielschichtig war. Die Parts zwischen ihm und Diana mochte ich in der Fortsetzung auch noch am meisten, weil sie emotional wenigstens mal ein bisschen abwechslungsreich waren. Irgendwie dreht sich der Konflikt zwischen den beiden für meinen Geschmack auch ein wenig zu lang im Kreis, aber das hätte ich als Spannungsmoment noch akzeptieren können.

Doch viel mehr geht es um Jasper, der eine so unglaublich flache Figur ist, dass es mich wirklich gelangweilt hat. Scheinbar nicht in der Lage, längerfristig ernste Beziehungen einzugehen, aber gleichzeitig sehr demanding, wenn er dann doch mal in der Nähe ist. Und abgesehen davon, dass er Künstler ist, extrem gut bestückt und natürlich absolut besessen von Diana, habe ich auch im zweiten Teil rein gar nichts über ihn erfahren.

Auch Diana selbst bleibt mir nicht greifbar. Ich fühlte mich über weite Strecken hinweg einfach hingehalten und frage mich ernsthaft, ob das wirklich der Stoff für eine Trilogie ist. Ihr Projekt „Dirty Diana“ liegt eigentlich fast vollständig brach, wir erfahren nur, dass im Hintergrund immer mal daran gearbeitet wird. Aber Interviews mit Frauen zu ihren heimlichen Fantasien? Fehlanzeige. Und das ist im Kontrast zum ersten Teil doch sehr enttäuschend, fast so, als wäre dort schlicht schon alles verschossen worden.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich Teil 3 noch lesen möchte. Nichts gegen Spice und auch hier sorgt er natürlich für einen starken Reiz und gewissen Lesesog. Aber wenn ich die Lektüre sacken lasse, muss ich zugeben, dass mich die Handlung vor allem gelangweilt hat und fast alle Figuren blass bleiben. Diana soll wohl eigentlich eine Figur mit Herausforderungen sein, was angesichts ihrer ultraprivilegierten Lage und der oberflächlichen Besprechung tatsächlicher Probleme aber unglaubwürdig wirkt.

Wer hier keine großen Erwartungen in Bezug auf die Tiefe der Geschichte hat und viel Spice sucht, wird hoffentlich auch nicht so enttäuscht sein wie ich. Ich runde ggf. auf dafür, dass sich die Geschichte sehr schnell lesen lässt.

2,5 ⭐️ für Spice-Liebhaber*innen, sonst eher 2 ⭐️

Bewertung vom 07.02.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Wie sollen Worte die Schönheit dieser Geschichte beschreiben?

Ich verstehe wirklich nicht, was hier während der Lektüre mit mir passiert ist. Zu Beginn war ich kurz skeptisch, ob das sanfte Beobachten und die Ruhe der Erzählstimme mich würden mitreißen können. Und ich bin ganz ehrlich: Selten wurde ich so überrascht.

Denn Takis Würger muss zaubern können, anders kann ich es mir nicht erklären, dass sich knapp 300 Seiten angefühlt haben wie 30. Dabei war ich nicht in einem fast ungesunden Leserausch, wie ihn manche Fantasy bei mir hervorruft, sondern fühlte mich innerlich ganz ruhig, während ich die Figuren einfach nicht loslassen wollte.

Neben einem mir unbegreiflichen Talent für eine Sprache, die bannt ohne aufzuregen, hat Würger ein ebenso großes Feingefühl für seine Figuren. Alle, ausnahmslos alle Charaktere sind von ihm auf irgendeine Art mit Liebe gezeichnet. Nicht immer wirkt es im ersten Moment so, doch spätestens in Beziehung zu anderen zeigt sich ihre Sanftheit und Tiefe. Diese Wärme ist es schließlich, die der oft alltäglichen Handlung eine unglaubliche Fülle verleiht.

„Für Polina“ dreht sich um Zuneigung, menschlichen Zusammenhalt trotz aller Unterschiede und um Liebe in jeglicher Form. Außerdem geht es natürlich um die Bedeutung von Musik, die in den Hörenden selbst ihre tatsächliche und individuelle Wirkung entfaltet. Und das Geniale dabei ist, dass der Autor selbst genau das mit seinen Worten erwirkt. Denn trotz aller Klarheit steckt in der gewählten Sprache auch sehr viel Subtiles, das von den Lesenden selbst gefunden und interpretiert werden darf.

Ich bleibe im Unvermögen zurück, meine Begeisterung für dieses Buch in adäquate Worte zu packen. Es hat mich vollständig überzeugt und in eine warme Umarmung gehüllt. Auf zwei rassistische Bezeichnungen hätte ich im Text noch verzichten können, doch das ändert nichts daran, dass dieser leise und doch ausdrucksvolle Roman ein Highlight dieses Jahres ist.

Bewertung vom 07.02.2025
Service
Gilmartin, Sarah

Service


ausgezeichnet

Ein weiterer, äußerst lesenswerter #MeToo-Roman

Wer „Prima facie“ mochte, wird hier eine würdige Alternative finden, denn wenig überraschend ist es völlig egal, in welcher Branche oder in welchem Land sich ein 6ueller Übergriff ereignet - das Victim Blaming und die juristischen Hürden sind überall gleich.

Während „Prima facie“ aber einen starken Fokus auf das Rechtssystem und den Wandel der Protagonistin von Verteidigerin zu Betroffener legte, setzt „Service“ die Komplexität der Tat anders um. So gibt es hier drei Erzählstimmen, die den zu Beginn nur zaghaft angedeuteten Vorfall vielschichtig betrachten.

Ich mag verschiedene Perspektiven sehr, weil sie, wenn gut geschrieben, ein komplexes Gesamtbild schaffen können. Das ist Sarah Gilmartin eindeutig geglückt! Kellnerin Hannah, die sehr jung im gehobenen Restaurant T anfängt, schildert zunächst eindrücklich die Atmosphäre in der Gastronomie. Wer dort schon einmal gearbeitet hat, wird das Geschriebe wohl körperlich fühlen, so authentisch ist es.

Daniel, der Beschuldigte, ist ein arrogantes Ekel und ich habe mich einfach kontinuierlich aufgeregt. Andere schreiben davon, dass sie sogar fast auf seine Sicht hereingefallen sind, das war bei mir gar nicht der Fall. Auch, wenn der Charakter eines Menschen nicht zwangsläufig auf sein Verhalten schließen lässt, war für mich hier von Anfang an alles klar. Seine Sicht, so gut sie auch in die Handlung passt, ist der Grund, warum ich einen halben Stern weniger vergebe als für „Prima facie“ - es hat mich einfach zu sehr aufgewühlt, ihn wiederholt in meinem Kopf zu haben.

Julie, seine Ehefrau, ist eine faszinierende Figur, die erst im Laufe der Geschichte Vergangenes neu einordnet und damit die für mich spannendste Entwicklung durchläuft. Sie ist die Figur, die zwischen den beiden anderen steht und deren Urteil wiederholt schwankt.

Ein großes Plus des Romans ist die Solidarität unter den Kellnerinnen und die war für mich auch das, was das Buch zum Schluss durchaus empowernd machte, ohne angesichts der bitteren Realität naiv zu sein. Eine Geschichte, die schmerzvoll und zum Schreien, aber eine klare Empfehlung ist!

4,5 ⭐️
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TW: Vergew@ltigung, 6uelle Übergriffe, Substanzmissbrauch

Bewertung vom 07.02.2025
Die bärtige Frau
Wilpert, Bettina

Die bärtige Frau


gut

Fragmentarisches Porträt einer ganz persönlichen Mutterschaft

Obwohl ich selbst kinderfrei und zufrieden damit bin, lese ich gern Romane über Mutter-/Elternschaft. Da ich außerdem die Arbeit der Autorin schätze, wollte ich nach den ersten beiden nun auch ihren dritten Roman lesen. Und auch, wenn ich mit ihm nicht ganz warm geworden bin, empfehle ich ihn!

Denn wenn Bettina Wilpert eines kann, dann ist es das Abbilden komplexer Realitäten. Wir begleiten Alex auf zwei sich abwechselnden Zeitebenen: Einerseits in der Gegenwart beim viertägigen Besuch bei ihrer Mutter, wofür sie zum ersten Mal ihre einjährige Tochter allein beim Vater lässt, und andererseits in den Rückblenden auf die Zeit vor bzw. kurz nach der Geburt.

Der Erzählstil ist dieses Mal in erlebter und nicht indirekter Rede verfasst, was mir das Lesen etwas leichter machte. Gleichzeitig forderte mich dann aber der fragmentarische Stil, in welchem sich Alex ihre Gedanken zu einer Fülle an Themen macht. Es geht um die grundlegende Frage, ob der eigene Kinderwunsch wirklich von innen kommt oder vielmehr eine Folge gesellschaftlicher Erwartungen ist (eine Frage, die sich wohl nie abschließend wird aufklären lassen). Es geht um Abhängigkeiten von Partner und Kind, um die Schwierigkeiten gleicher Aufgabenteilung zwischen den Elternteilen, sich verändernde Freund*innenschaften, Geschlechtsidentität und das Lösen von einer christlichen Sozialisierung. Und es geht ganz zentral immer wieder um Körper.

Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie gut Wilpert komplexe Zusammenhänge abzubilden vermag, ohne je in ein vereinfachtes Denken abzugleiten. Mehrfach hatte ich schon beim Lesen ein „Ja, aber ..“ im Kopf, nur um direkt im nächsten Satz genau das thematisiert zu sehen, was sich in meinen Überlegungen herumtrieb. Ich mag es unglaublich gern, gefordert zu werden und meine eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. Dafür ist der Roman wirklich perfekt geeignet.

Da es kaum eine äußere Handlung gibt, fiel es mir recht schwer, in einen guten Lesefluss zu kommen. Gleichzeitig fand ich es aber auch interessant, Alex’ Gedanken zu folgen. Besonders gefiel mir außerdem die schonungslose und hochpersönliche Schilderung einer Geburt. Insgesamt war mir der Roman trotzdem ein wenig überladen, sodass ich oft Lesepausen brauchte.

Ein persönliches Werk, das auch keinen Anspruch erhebt auf Generalisierung und ein Buch für alle, die Komplexität aushalten können und sich nicht vor einer fragmentarischen Erzählweise scheuen. Abschließend möchte ich noch ein Lob für die tolle Covergestaltung aussprechen, die von einem besonderen Detail geprägt ist! ✨

3,5 ⭐️

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TW: Geburt, Fehlgeburt, essgestörtes Verhalten, illegaler Substanzkonsum

Bewertung vom 07.02.2025
Xerox (MP3-Download)
Veldman, Fien

Xerox (MP3-Download)


gut

In seiner Banalität irgendwie ein faszinierend-anstrengendes Buch

Zum Hörbuch: Ein wirklich großartiges Hörbuch mit einer Sprecherin, die den trockenen Humor und die grundlegende Banalität des Inhalts perfekt umzusetzen vermag. Ich denke, als Hörbuch funktioniert dieser Roman auch wirklich noch besser, weil mensch sich dann im Dahinplätschern der Geschichte verlieren kann und weniger dazu neigt, Verständnisfragen zu stellen - denn darum geht es auch gar nicht. Das Hörbuch reißt meine Wertung wirklich noch einmal etwas nach oben.

Zum Buch selbst: „Xerox“ ist ein so skurriler Roman, dass meine Meinung zu ihm nicht leicht zu greifen ist. Es fiel mir eher schwer, in die Geschichte einzusteigen und bis zum Schluss konnte ich keine Beziehung zur namenlosen Protagonistin aufbauen. Ich denke, genau darum geht es aber auch und mit entsprechend gesetzten Erwartungen wäre mir das alles etwas leichter gefallen.

Fien Veldman hat einen so banalen, eigenartigen Roman geschrieben, dass es eigentlich schon wieder gut ist. Sie schafft es durch Stilmittel wie das völlige Auslassen von Figurennamen, die Unbedeutsamkeit und Austauschbarkeit der arbeitenden Menschen darzustellen. Der trockene Humor, welcher mir sehr gefallen hat, unterstreicht das zusätzlich.

Und doch war es für mich nicht unbedingt ein Match. Ich habe zu lange kämpfen müssen, um mich auf das Buch einzustellen und war oft verwirrt von den Rückblenden, der dargestellten Mensch-Drucker-Beziehung und später auch von der Drucker-Erzählperspektive. Als Mensch, der viel um Verständnis bemüht ist, geriet ich mit „Xerox“ stark an meine Grenzen. In der zweiten Hälfte hat es grundsätzlich besser geklappt, aber das Buch wird mir dadurch nicht sonderlich in Erinnerung bleiben.

Ich halte es für wirklich wichtig, dass mensch mit entsprechenden Vorstellungen in die Lektüre geht. Am besten ist es, die Geschichte einfach nur hinzunehmen, sie um sich herumfließen zu lassen und nichts zu hinterfragen. In dem Fall kann es eine kurzweilige Lektüre sein, die jedoch gleichzeitig gesellschaftskritische Fragen rund um Hustle Culture und Sinnhaftigkeit im Kapitalismus aufwirft. Menschen, die keine Beziehungsebene zu den Figuren brauchen und vielleicht sogar selbst einen öden Bürojob haben, werden hier sicher mehr Freude haben als ich.

2,5 ⭐️

Bewertung vom 30.01.2025
Das irrationale Vorkommnis der Liebe - Die deutsche Ausgabe von 'Love on the Brain'
Hazelwood, Ali

Das irrationale Vorkommnis der Liebe - Die deutsche Ausgabe von 'Love on the Brain'


sehr gut

Ein Hoch auf humorvolle und warmherzige Wissenschaftlerinnen!

Das ist mein zweites Buch der Autorin und ich hatte auch mit diesem eine wirklich gute Zeit. Ali Hazelwood scheint eindeutig ein Ding zu haben für sehr große Männer - das war mir persönlich ein wenig zu klischeehaft und "on the nose". Auf der anderen Seite gehören Klischees auch zu diesem Genre, damit kann ich also leben. 😅

Wirklich toll fand ich das Wissenschaftssetting, mein Ding sind nämlich ganz eindeutig smarte Frauen. Begeistert war ich zudem vom politischen Ton der Geschichte. Auch in eher seichtere Lektüre gehört für mich eine gewisse politische Relevanz und geschlechtsspezifische Diskriminierung im wissenschaftlichen Bereich ist nun einmal Realität. Ich mochte den weiblichen Zusammenhalt und die Ansätze von Revolutionswut richtig gern. Außerdem konnte ich mein Glück kaum fassen, als Veganismus bei beiden Protas eine Rolle spielte und sogar auch noch herauskam, dass es hierbei um mehr als eine Ernährungsform geht! Das bekommt von mir einen halben Bonusstern. ❤️

Auch der Humor war für meinen Geschmack ganz toll getroffen. Er ist cute, fein und warmherzig. Damit passt er perfekt zu meinem Bild der Protagonistin.

Was ich ziemlich störend fand, war die unglaubliche Begriffsstutzigkeit von Bee, die meiner Meinung nach so gar nicht zu ihrer Klugheit passt. Wie krass sie einfach sowohl in der Online-Kommunikation mit Shmac als auch in Bezug auf Levi auf dem Schlauch steht - I can't! 😩
Also klar, manche Menschen sind in sozialen Interaktionen weniger sensibel für bestimmte Signale, aber das wurde für ihren Charakter so zumindest nicht beschrieben. Und ihr ständiges "Nein, er hasst mich ja eigentlich", obwohl schon lange nichts mehr darauf hindeutete, ging mir zum Schluss wirklich auf die Nerven.

Ich fand davon abgesehen aber Vieles wirklich toll an dem Buch und für die Einbindung von Veganismus gibt es wie gesagt Bonus, daher 4,5 Sterne. 😊

Bewertung vom 27.01.2025
Death. Life. Repeat.
Finch, Louise

Death. Life. Repeat.


weniger gut

Toller Ansatz, aber was für eine schlechte Übersetzung!

Ich lese gerne hin und wieder Jugendliteratur bzw. Young/New Adult, habe also kein grundsätzliches Problem mit einer gewissen jungen Sprache sowie jugendlichen Protas. Aber bei diesem Buch hat mir der Erzählstil das Lesen doch sehr schwer gemacht und ich denke, dass das vor allem an der unglaublich schlechten Übersetzung lag.

Der Aufhänger dieser Geschichte ist innovativ und greift ein sensibles Thema auf. Nur deshalb und weil ich doch wissen wollte, wie die Zeitschleife am Ende aufgelöst wird, habe ich nicht abgebrochen. Die Übersetzung ist einfach so lieblos gemacht, dass Spencers Sätze über weite Strecken abgehackt und unzusammenhängend wirken, auch die Dialoge lesen sich oft völlig unharmonisch und eine emotionale Tiefe kann kaum erreicht werden. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass das im Original auch so geschrieben ist und das tut mir einfach nur leid für den Roman!

Denn sexualisierte Gewalt, Misogynie und bedingungsloser "Bro-Code" sind Themen, die unbedingt in Jugendbücher gehören und ich finde auch, dass sie hier in einer altersgerechten Form behandelt wurden. Dass hier auch Nietzsche aufgegriffen wird und Spencer darüber seine eigene Verantwortung hinterfragt bzw. entsprechend anerkennt, fand ich spannend gemacht. Auch toll, dass romantisches Begehren dann wiederum nicht das Schlüsselelement ist, sondern freundschaftlicher Zusammenhalt mehr zählt.

Aber ich habe mich einfach so durch den Text gequält. Völlig unnatürliche Formulierungen, etliche Rechtschreibfehler, fehlende Leerzeichen - das hat für mich jegliches akzeptables Maß überschritten und ich konnte dem Protagonisten durch die hölzerne Sprache kaum folgen. So schade, aber der Übersetzung kann ich daher nur 2 Sterne geben. Vielleicht ist das Original besser, aber das ist natürlich alles andere als zugänglich.