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Buchkomet

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 01.08.2025
Joanna
Seifert, Hans-Haiko

Joanna


ausgezeichnet

Polen 1980, Veränderungen liegen in der Luft und mittendrin Georg. Er ist von Ostdeutschland nicht etwa wie alle anderen Richtung Westen geflohen, sondern macht sich auf nach Osten, nach Warschau. Raus aus der DDR-Tristesse, raus aus dem belehrenden Einheitsbrei. Was ihn dort erwartet, konnte er nicht wissen, Sprachbarrieren, ein heißer Sommer, politische Aufbruchsstimmung, Nudeln mit Erdbeersoße, Eric Clapton aus dem Kassettenrekorder und Joanna.

Hans-Haiko Seifert erzählt in 67 kurzen Episoden, jede wie eine kleine Momentaufnahme. Jede könnte unabhängig gelesen werden. Gemeinsam ergeben sie das große Ganze. Manchmal fühlt sich das an wie Tagebuch, manchmal wie ein Film. Anfangs war ich etwas überfordert, viele Namen, neue Szenen, fremde Begriffe. Aber je weiter ich gelesen habe, desto mehr hat es mich fasziniert.

Georg stolpert eher durchs Leben, versteht anfangs vieles nicht und genau das macht ihn so sympathisch. Seine Unsicherheit, seine anfängliche Naivität wirken echt. Und als er der Cellistin Joanna begegnet, beginnt für ihn eine Suche nach ihr, nach sich selbst, nach Bedeutung.

Die Liebe zwischen Georg und Joanna ist zart, fast flüchtig. Kein übertriebener Kitsch. Nur ein Kuss auf die Wange und dann ist sie weg und Georg auf der Suche nach ihr.

Was mich überzeugt hat, war das Zusammenspiel aus historischer Kulisse und persönlichen Momenten. Warschau 1980 war sicherlich kein einfacher Ort, aber Seifert zeigt die Stadt liebevoll, nah an den Menschen, mitten im politischen Aufruhr. Die kleinen Details machen das Buch stark: die Musik, die Sprache, das Alltagsleben.

Stilistisch schreibt Seifert ruhig, manchmal fast lakonisch, mit einem feinen Gespür für Zwischentöne. Er beschreibt nicht überbordend, sondern setzt gezielt Akzente. Diese zurückhaltende, beinahe unaufgeregte Erzählweise passt perfekt zum Ton des Romans, sie lässt Raum für Interpretation, für eigene Gedanken.

Joanna ist ein feinfühliger, kluger Roman über eine Zeit des Wandels. Eine Geschichte über Aufbruch, Missverständnisse, leise Nähe und über das Suchen nach einem Platz in der Welt. Leseempfehlung.

9/10

Bewertung vom 29.07.2025
Morbus Inertia
Fortein, Jennifer

Morbus Inertia


ausgezeichnet

Ich bin ja Fan von Dystopien, lese diese auch regelmäßig, aber selten hatte ich beim Lesen so oft das Gefühl: „Uff… das ist ja gar nicht mal so weit weg von unserer Realität.“ Und genau das macht dieses Buch so verdammt gut.

In Forteins Zukunftsgesellschaft zählt nur noch Effizienz. Wer nicht funktioniert, wer langsamer wird, emotional, erschöpft oder einfach nur menschlich ist, bekommt eine Diagnose: Morbus Inertia. Klingt wie ein bisschen Antriebslosigkeit, ist in Wahrheit aber ein gesellschaftlich akzeptiertes Todesurteil. Denn „Kranke“ kommen in sogenannte Optimierungskliniken, wo sie „behandelt“ werden. Heißt konkret: angepasst, kontrolliert, gebrochen, aussortiert.

Wir begleiten Caitlyn, die eigentlich alles richtig macht. Sie lebt effizient, arbeitet diszipliniert, ist angepasst. Und trotzdem landet sie in der Klinik. Von einem Moment auf den anderen wird sie zur Patientin, ohne zu wissen warum. Und ab da beginnt eine Geschichte, die mich komplett in ihren Bann gezogen hat.

Denn was als „Therapie“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein Kampf ums Überleben. Caitlyn merkt schnell, dass hier keine Hilfe auf sie wartet, sondern ein System, das Menschen aussortiert, die nicht mehr ins Leistungsprofil, vor allem der Großkonzerne, passen. Was das mit ihr macht, wie sie sich verändert, wie sie beginnt zu hinterfragen und zu kämpfen, das ist so spannend und glaubwürdig erzählt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.

Jennifer Fortein schreibt dabei ohne großes Drama, aber mit klarem Stil und genau das macht die Geschichte so stark. Kein Bombast, sondern eine erschreckend plausible Zukunft, in der Menschlichkeit der Effizienz geopfert wird.

Für mich war das ein echtes Highlight. Smart, beklemmend, top geschrieben und nach meinem Geschmack, leider viel zu nah an unserer eigenen Gegenwart. Leseempfehlung!

9/10

Bewertung vom 27.07.2025
Reset
Grandl, Peter

Reset


ausgezeichnet

Stell dir vor, du telefonierst mit deiner Oma. Sie klingt besorgt, sagt dir, ihr gehts nicht gut. Du spürst ihre Stimme, ihre Emotion. Und dann fragst du dich plötzlich: War das überhaupt sie? Genau hier setzt Reset von Peter Grandl an, ein Thriller, der mich echt gepackt hat.

Die Geschichte spielt 2024, gefühlt könnten die Ereignisse aber auch in naher Zukunft passieren. Weltweite Fake News, Deepfakes, digitale Täuschungen auf einem Level, bei dem keiner mehr weiß, was echt ist. Regierungen werden in (vermeintliche) Kriege gezogen, basierend auf manipulierten Informationen. Vertrauen? Gibt’s nicht mehr. Und mittendrin ein Ermittler, der eigentlich nur seine Schwester sucht und dabei durch ein Europa reist, das kurz vor dem totalen digitalen Zusammenbruch steht.

Ich war beim Lesen gleichzeitig fasziniert und beunruhigt. Grandl zeigt nämlich ziemlich eindrücklich, wie gefährlich unsere Abhängigkeit von Medien, Technik und Informationen geworden ist. Wie leicht wir manipulierbar sind, wenn alles täuschend echt aussieht und trotzdem falsch ist. Deepfakes sind in dieser Story keine Spielerei mehr, sondern ein Instrument der Zerstörung. Und ehrlich: So weit weg ist das alles nicht mehr. Künstliche Intelligenz, manipulierte Videos, synthetische Stimmen, das gibt es auch jetzt schon. Reset denkt das nur zu Ende.

Das Buch liest sich schnell, ist spannend, manchmal komplex, weil viele Figuren auftauchen, aber wenn man dranbleibt, wird man mit einer wirklich starken Geschichte belohnt. Es ist keine typische Dystopie, sondern ein realitätsnahes „Was wäre wenn?“. Und genau das macht’s so intensiv.

Für mich war’s das erste Buch von Peter Grandl, aber definitiv nicht das letzte. Ich liebe Bücher, die einen nach dem letzten Kapitel noch beschäftigen und Reset ist genau so eins. Keine Wohlfühllektüre, aber absolut lesenswert. Gerade jetzt.

9/10

Bewertung vom 25.07.2025
Die Wächter der Krone
Rebers, Fabrice

Die Wächter der Krone


ausgezeichnet

Hand aufs Herz: Habt ihr auch schon mal ein Buch gnadenlos unterschätzt? Obwohl ich Teil seines Bloggerteams bin (shame on me), hab ich das Buch erst jetzt, kurz nach Release gelesen. Und ich sag’s wie’s ist: Ich hab’s komplett unterschätzt. Was Fabrice hier abliefert, ist für mich ein absolutes Highlight.

Die Geschichte hatte mich ab Seite 1. Kein lahmes Vorgeplänkel, kein langes Blabla, direkt rein ins Geschehen. Max, ein charmanter, leicht nerdiger Professor, stolpert auf einem Antikmarkt über eine alte Schatulle. Darin: geheime Briefe von Richard III., die alles verändern könnten, was wir über die englische Geschichte zu wissen glauben. Klingt spannend? Ist es auch. Und zwar durchgehend.

Ich habe schon lange kein Buch mehr so schnell durchgelesen wie dieses. In unter 24 Stunden, 400 Seiten. Ging nicht anders. Der Schreibstil ist genau auf den Punkt: schnörkellos, klar, packend. Die Story, ein Mix aus historischem Roman, Thriller und politischer Intrige, irgendwo zwischen Dan Brown und Dan Jones. Und das meine ich völlig ernst. Fabrice schafft es wirklich, die Spannung eines Brown mit dem historischen Tiefgang eines Jones zu verbinden.

Besonders gefeiert hab ich Max und Rob. So ein cooles Paar. Robs trockener Humor hat mich mehrfach schmunzeln lassen. Und endlich mal eine queere Beziehung, die einfach da ist. Kein großes Thema draus gemacht. Es ist einfach normal. Und das fühlt sich so gut an.

Historisch ist das Buch übrigens extrem gut umgesetzt. Ich liebe die Zeit der Plantagenets, habe selbst etliche Bücher und Dokus dazu verschlungen (überwiegend von Dan Jones), kein Wunder also, dass ich mich hier bestens aufgehoben gefühlt habe.

Machen wir es kurz: Wer Dan Browns Thrill mag- lesen. Wer Dan Jones historische Tiefe mag- lesen. Wer beide kennt und mag- muss ich weiter machen? Ein echtes Highlight, ich freue mich extrem auf den zweiten Band.

10/10

Bewertung vom 20.07.2025
Tree-Drop
Herrigel, Nik

Tree-Drop


ausgezeichnet

Was würdest du machen, wenn jeden Tag zur gleichen Zeit für eine Stunde alles Digitale ausfällt? Kein Insta, kein Chat, kein Online-Shopping, kein „kurz mal was googeln“. Stattdessen: ein grauer Baum auf jedem Bildschirm der Welt. Stillstand. Jeden Tag.

In einer Zukunft, die unserer verdammt ähnlich ist, läuft alles über smarte Assistenten, perfekte KI-Betreuung und digitale Alter Egos. Der Mensch muss eigentlich kaum noch selbst denken oder fühlen, bis plötzlich nichts mehr geht. Und dieser eine Baum fängt langsam an, sich zu verändern. Was das bedeutet? Keiner weiß es so genau. Die Protagonist*innen erleben es auf komplett unterschiedliche Weise.

„Tree-Drop“ ist keine typische SciFi, es geht um uns. Jetzt. Heute. Unseren Alltag zwischen Dauerberieselung, Scrollen, Ablenken, Optimieren. Was bleibt eigentlich übrig, wenn wir das alles mal ausknipsen? Wer sind wir, wenn wir nicht dauernd auf einen Bildschirm glotzen?

Der Roman trifft durchaus einen Nerv. Nicht moralisch, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern ehrlich, nachdenklich, manchmal auch sehr ruhig. Klar, nicht jede Figur ist gleich sympathisch, und ein bisschen mehr technisches Worldbuilding hätte ich mir als SciFi-Fan dann doch gewünscht. Aber unterm Strich bleibt: Tree-Drop regt richtig zum Nachdenken an. Nicht über die Zukunft, sondern über das Jetzt. Vielleicht ist es gar keine Dystopie. Vielleicht ist es ein realistischer Vorschlag für uns, wieder mehr im Hier und Jetzt zu leben.

Definitiv lesen, wenn du dich schon mal ertappt hast, wie du das Handy entsperrst und dann gar nicht weißt, warum.

9/10

Bewertung vom 18.07.2025
Not Quite Dead Yet
Jackson, Holly

Not Quite Dead Yet


schlecht

Ich hatte wirklich gehofft, dass Not quite dead yet von Holly Jackson ein spannender Pageturner wird. Die Grundidee klang ja auch ziemlich vielversprechend: Jet, Tochter aus reichem Hause, wird an Halloween in ihrem eigenen Haus überfallen, erleidet eine schwere Kopfverletzung – und bekommt dann auch noch die Diagnose, dass sie in spätestens sieben Tagen an einem Aneurysma sterben wird. Statt sich geschlagen zu geben, beschließt sie, den eigenen „Mord“ aufzuklären. Klingt nach Nervenkitzel, Countdown-Spannung und einem emotionalen Ritt, oder? Tja. Leider war’s das dann auch schon mit den positiven Aspekten.

Denn was Holly Jackson daraus macht, ist eine völlig überzogene, stellenweise unfreiwillig komische Geschichte mit einer Hauptfigur, die einem mehr auf die Nerven geht, als dass man mit ihr mitfiebert. Jet ist überheblich, besserwisserisch und unfassbar unsympathisch – und das, obwohl sie dem Tod ins Auge blickt. Keine echte Verletzlichkeit, keine Entwicklung, nur Dauersarkasmus und ein Ego, das größer ist als das Haus, in dem sie lebt. Ich habe wirklich versucht, eine Verbindung zu ihr aufzubauen, aber ich war irgendwann einfach nur noch genervt.

Was die Logik betrifft, sagen wir’s so: Die ist, im Gegensatz zu Jet, einfach in der Klinik geblieben. Jet spaziert wenige Tage nach dem Überfall aus dem Krankenhaus, trägt einen Bauhammer durch die Gegend, verfolgt Leute, als wäre sie Jason Bourne und das alles mit einem angeblich tauben Arm und einem tödlichen Aneurysma im Kopf. Ernsthaft? Hinzu kommt eine Auflösung, die komplett unspektakulär ist, Nebenfiguren, die kaum Tiefe haben oder klischeehaft nerven (hallo, überdramatische Mutter), und handwerkliche Fehler, die einfach kaum zu übersehen sind. Kann man sich schenken.

2/10

Bewertung vom 17.07.2025
Resonanz (eBook, ePUB)
Rockwell, Ryan

Resonanz (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ryan Rockwells Resonanz hat mich richtig gepackt. Der Roman startet mit einer spannenden Prämisse: Ein Sonnensturm trifft den Mond, zwei Astronauten der Artemis-5-Mission sterben, der Kontakt bricht ab – und das Ganze scheint nicht einfach nur ein Zufallsprodukt der Natur zu sein. Auf der Erde beginnt ein Rennen gegen die Zeit, denn weitere Stürme stehen bevor. Und sie werden immer stärker. Wenn das so weitergeht, war’s das mit dem Leben, wie wir es kennen.

Klingt nach klassischem Katastrophen-Szenario, oder? Ist es aber nicht. Resonanz geht einen anderen Weg. Statt Hektik und Daueraction gibt’s hier Spannung und viel Wissenschaft. Der Mondgeologe Max Altman und die Heliophysikerin Natalie Holmes entdecken eine Magnetfeldanomalie im Regolith – und was sich zuerst wie ein Messfehler anfühlt, wird bald zu einem Hinweis auf etwas Unfassbares.

Rockwell kombiniert harte Science-Fiction mit dem Thema Erstkontakt – aber ganz anders, als man es gewohnt ist. Keine Aliens, die mit den dicken Wummen vor unserer Haustür stehen, sondern eine stille, beunruhigende Erkenntnis, die sich langsam aufbaut. Ich liebe es, wenn ein Buch Fragen offenlässt, und genau das passiert hier: Kein Erklärzwang, keine übertriebene Auflösung. Vieles bleibt vage und gerade deshalb bleibt es im Kopf, weil man es weiterspinnt.

Dazu kommen viele schöne Details: Popkultur-Referenzen für SciFi-Nerds, ein angenehm zugänglicher Schreibstil, sympathische Figuren (auch wenn nicht jede so tief ist, wie sie sein könnte), und ein Ende, das nicht alles auflöst, aber trotzdem zufriedenstellt. Resonanz hat Bock gemacht. Wer auf gut gemachte SciFi steht, bei der man mitdenken kann, wird hier absolut auf seine Kosten kommen.

9/10

Bewertung vom 15.07.2025
Haus der langen Schatten
Ibsen, Ambrose

Haus der langen Schatten


sehr gut

Haus der langen Schatten von Ambrose Ibsen ist genau das Richtige für alle, die auf Spukhäuser mit Atmosphäre stehen – aber ein bisschen Geduld mitbringen.

Die Story: Kevin Taylor, Handwerker mit YouTube-Kanal, will ein altes, verlassenes Haus in 30 Tagen renovieren. Fixer Upper lässt grüßen. Kamera läuft, alles wie immer, bis sich Schatten bewegen, irgendwelche Stimmen zu hören sind und eine Leiche im Keller liegt. Ab da wird’s richtig ungemütlich.

Der Grusel zieht langsam an, wird aber von Kapitel zu Kapitel dichter, intensiver, besser. Wenn’s dann läuft, will man das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Die Auflösung ist stimmig, das Finale stark, der Stil schön schnörkellos und die kurzen Kapitel machen’s angenehm zu lesen.

Aber – und das ist ein wirklich dickes Aber – der Anfang zieht sich. Lange. Zu lange. Man kriegt viel Alltagsgeplänkel, Handwerker-Content und wenig Spannung. Wer hier durchhält, wird belohnt, aber es braucht Ausdauer. Kevin selbst ist dabei nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte – Typ „Ich hör was im Keller, ich geh da mal allein runter“ – aber das kennt man ja aus unzähligen Horrorfilmen. Kann man mögen, muss man aber nicht, ich finde, das Konzept nutzt sich so allmählich ab.

Insgesamt: Kein Genre-Meilenstein, aber ein solider, stimmungsvoller Gruselroman, der stark beginnt – wenn man denn bereit ist, sich durch die ersten belanglosen Kapitel zu kämpfen. Für Fans von Hill House oder Paranormal Activity ein schöner nächtlicher Lesetrip mit Schauer-Garantie.

7/10

Bewertung vom 13.07.2025
Berlin Südwärts
Fiorillo, Andrea

Berlin Südwärts


sehr gut

Was, wenn plötzlich alles zusammenbricht? In Berlin Südwärts von Andrea Fiorillo versinkt Berlin im Mai 2027 in Dunkelheit. Ein Blackout legt die Stadt lahm, doch schnell wird klar: Das ist kein technischer Defekt, sondern der Beginn eines globalen Krieges. Kommunikation bricht ab, Orientierung schwindet, das Leben, wie wir es kennen, existiert nicht mehr.

Inmitten dieses Zusammenbruchs begleiten wir Lukas, Marie und Matthias – drei junge Menschen, die sich zu Fuß auf den Weg nach Süden machen, Richtung Italien, in der Hoffnung auf Sicherheit und ein Überleben. Was sie unterwegs erwartet: zerstörte Städte, brennende Landstriche – aber auch Menschlichkeit, Vertrauen, Nähe.

Fiorillo erzählt keine typische Endzeit-Story. Hier geht es nicht um Helden oder Gewaltorgien, sondern um das, was uns im Kern ausmacht, wenn alles andere wegfällt. Besonders berührend: die leise, zärtliche Dreiecksbeziehung zwischen den drei Figuren, in der queere Identität und emotionale Offenheit ganz selbstverständlich mitschwingen.

Gerade in einer Zeit, in der sich die weltpolitische Lage täglich zuspitzt – Ukrainekrieg, Iran-Israel-Konflikt, Spannungen rund um Taiwan – liest sich dieser Roman wie ein Mahnmal mit literarischem Tiefgang. Die Katastrophe, die Fiorillo beschreibt, fühlt sich nicht futuristisch, sondern unangenehm möglich an. Und genau deshalb trifft das Buch so sehr. Es ist keine dystopische Spekulation, sondern ein erschütternd realistisches „Was wäre, wenn?“ – verbunden mit der Frage: Was bleibt von uns, wenn alles fällt?

Der Schreibstil überzeugt mit Klarheit und Poesie, auch wenn einzelne Szenen ein bisschen aus der Tonalität rutschen. Aber für ein Debüt ist das bemerkenswert rund. Wer keine Lust auf plattes Endzeit-Geballer hat, sondern nach echtem Tiefgang sucht, kann bedenkenlos zugreifen. Und beim Lesen hoffen, dass es Fiktion bleibt.

9/10

Bewertung vom 08.07.2025
Luzifers Burnout
Flach, Alex

Luzifers Burnout


ausgezeichnet

Luzifer hat die Schnauze voll – nicht von der Menschheit, sondern vom eigenen Job. In Luzifers Burnout von Alex Flach schmeißt der Teufel höchstpersönlich hin, weil er merkt: Die Menschen kriegen das mit dem Bösesein auch ganz gut ohne ihn hin. Sabbatical statt Seelenqual.

Was klingt wie ein Satire-Slapstick mit Teufelshörnchen, entpuppt sich als cleverer Roman über Burnout, Machtspiele und moralische Grauzonen. Luzifer, müde vom Menschheitswahnsinn, stolpert durch eine Welt, die so durchgedreht ist, dass selbst er sich fragt, ob er überhaupt noch gebraucht wird. Statt Apokalypse gibt’s Chili bei Lillith und existenzielle Sinnfragen.

Flach rechnet mit allem ab, was uns lieb und scheinheilig ist: Gott als CEO mit PR-Strategie, der Himmel als Konzern mit Imagepflege, die Hölle als überraschend sympathische Behörde mit Herz. Und mittendrin ein Luzifer, der mehr Menschlichkeit zeigt als so mancher Heilige. Hier ist nichts schwarz oder weiß, gut oder böse – alles ist Grauzone, und das verdammt unterhaltsam.

Der Humor? Trocken, bissig, nie drüber. Die Gesellschaftskritik? Punktgenau, aber unaufdringlich. Die Fragen? Groß: Was bedeutet Moral, wenn keiner mehr nach ihr lebt? Wer zieht die Fäden im Hintergrund, und warum folgen wir ihnen blind?

Flach schreibt mit Tempo, Stil und Hirn. Zwischen höllischer Burnout-Beratung und göttlicher Imagekontrolle schleichen sich echte Emotionen ein – und man ertappt sich dabei, wie man mit Luzifer mitfühlt. Der Teufel ist hier nicht der Feind, sondern der Einzige, der noch kapitulieren kann.

Fazit: Eine höllisch gute Gesellschaftssatire mit Tiefgang, Witz und der ernst gemeinten Frage, ob der Himmel wirklich die bessere Adresse ist. Wer glaubt, Gut und Böse wären klar verteilt, sollte dieses Buch lesen. Ich wechsel dann mal die Seiten … Just saying.

9/10