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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 16.11.2020
Keine Panik, ist nur Technik
Ait Si Abbou, Kenza

Keine Panik, ist nur Technik


ausgezeichnet

Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile mit technischen Geräten gut umgehen kann und viele als „digital natives“ bezeichnet werden können, ist sicher ebenso vielen nicht wirklich klar, was dahintersteckt und wie die Geräte überhaupt funktionieren. Was ist denn die „Künstliche Intelligenz“, die unseren Alltag erleichtern soll, vielen aber auch Angst macht?
Dieser Frage geht Kenza Ait Si Abbou in ihrem Buch „Keine Panik, ist nur Technik“ auf den Grund und erklärt verständlich und anschaulich, was sich hinter Algorithmen, Apps und Cookies verbirgt, wie „smart“ smarte Geräte tatsächlich sind und wie wichtig es für die Nutzer ist, zu wissen, was Künstliche Intelligenz ist und kann und wo die Gefahren dabei liegen. Denn Künstliche Intelligenz ist ein großer Teil unseres Lebens und spielt in unserem Alltag eine sehr große Rolle. Ob Smartphone, Smartwatch, Sprachassistenten oder ein Kühlschrank, der vermeintlich selbst mitdenkt.
Wie wichtig es daher ist, sich damit auszukennen und die Chancen und Grenzen zu erkennen, zeigt die Autorin an unzähligen Beispielen. Sie schreibt flüssig und unterhaltsam, immer kurzweilig und manchmal auch mit reichlich Witz. Bei allen Erklärungen und Versuchen, das Wissen populärwissenschaftlich für den interessierten Laien (denn das Thema ist nicht nur etwas für Nerds) zu vermitteln, verlässt sie aber nie den Boden der Professionalität. Sie lässt kein wichtiges Thema aus, nicht einmal das lästige Thema „CAPTCHAS“ und „reCAPTCHAS“.
Für mich war das Buch eine echte Bereicherung und ich habe sehr viel Neues erfahren und einiges dazugelernt. Daher von mir 5 Sterne und für jeden, der mal hinter die „Fassade“ der Künstlichen Intelligenz schauen möchte, eine echte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 12.11.2020
Solange wir zusammen sind
Pyron, Bobbie

Solange wir zusammen sind


ausgezeichnet

„Solange wir zusammen sind“ von Bobbie Pyron ist zwar ein Kinderbuch, aber es ist eigentlich noch viel mehr. So genau möchte ich auf die Geschichte selbst gar nicht eingehen. Da könnte ich darüber schreiben, dass Jewel obdachlos ist und mit ihrem Hund Baby auf der Straße lebt. Und dass sie, als sie wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus muss, von Baby getrennt wird. Piper und ihre Familie haben durch Schicksalsschläge ihr Zuhause verloren und suchen ein neues. Die Wege von Jewel und Piper kreuzen sich und Piper setzt alles daran, Jewel und Baby wieder zusammenzubringen und ihnen einen Weg zurück ins Leben zu ermöglichen. Und natürlich könnte ich darüber schreiben, was Piper und ihre Familie in der Obdachlosenunterkunft erleben und etwas über Oberflächlichkeit und Scham erzählen. Das würde dem Buch aber nicht gerecht werden, denn das ist nur der oberflächliche Teil der Geschichte, darunter ist noch sehr vieles verborgen.

Denn das Buch ist auch eine einfach geschriebene, leicht zu lesende Geschichte über Freundschaft, Vertrauen, Schicksal, Hoffnung und Zusammenhalt. Und dass man vieles schaffen kann, wenn man daran glaubt und es versucht. Natürlich ist die Geschichte kitschig und teilweise voller Klischees. Aber das Buch ist einfach nur wunderschön und mit der Message „Zusammen können wir alles erreichen.“, irgendwie genau das, was ich (und sicher nicht nur ich) in der momentanen schwierigen Situation brauche. Das Buch zeigt, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein, sondern dass Glück oft auch aus kleinen Dingen entstehen kann.
Ein Hoffnungsschimmer und eine rührende Geschichte, die ans Herz geht mir die Tränen der Rührung in die Augen trieb. Von mir ganz klare 5 Sterne und keine Lese-Empfehlung, sondern eine Aufforderung.

Bewertung vom 10.11.2020
Schuld - Emma Sköld und der tote Junge / Emma Sköld Bd.4
Sarenbrant, Sofie

Schuld - Emma Sköld und der tote Junge / Emma Sköld Bd.4


sehr gut

Es könnte für Emma Sköld alles so schön sein. Ihr Lebensgefährte und Kollege Nyhlén, der auch der Vater ihrer Tochter Ines ist, macht ihr einen Heiratsantrag. Beruflich läuft es für die Kommissarin auch ziemlich gut. Aber dennoch läuft es in ihrem Leben gerade nicht ganz rund. So lehnt sie Nyhléns Antrag ab und konzentriert sich ganz auf den aktuellen Fall: ein 16jähriger Junge ist tot. Ist er der Kollateralschaden eines aus dem Ruder gelaufenen Einbruchs? Gefunden wird der Junge von der polnischen Putzfrau, was dem Buch ein weiteres Thema beschert: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Und dann gibt es weitere Opfer.
„Emma Sköld und der tote Junge“ ist Teil einer Serie aus der Feder von Sofie Sarenbrant (der vierte in deutscher Übersetzung, im Original gibt es noch mehr), war aber mein erstes Buch von ihr. Allerdings kann man es problemlos ohne jegliche Vorkenntnisse lesen, ich hatte zumindest keinerlei Verständnisprobleme. Thematisch fand ich das Buch klug konstruiert, da es neben dem eigentlichen „Krimi-Thema“ auch noch Themen wie Rassismus, Homophobie und toxische Maskulinität aufgreift und auch die sozialen Medien, samt der Gefahren, die sie mit sich bringen, werden nicht ausgespart. Haupt- und Nebenschauplätze wechseln sich ab, außerdem tauchen anonyme Tagebucheinträge auf, die der Leser lange Zeit überhaupt nicht zuordnen kann.
Emmas Privatleben gibt dem Leser wohlverdiente Verschnaufpausen, sorgte für mich aber manchmal auf für ein paar Längen, sodass mich die Geschichte nur phasenweise so richtig packen konnte. Allerdings muss ich sagen, dass diese Abschnitte dann enorm spannend sind und rasant und fesselnd erzählt werden. Der Schreibstil ist flüssig, die Sprache leicht und alltagsnah. An einer Stelle werden zwei Personen verwechselt, das ist zwar ein ärgerlicher Fehler, aber nicht weiter tragisch. Insgesamt ist es für mich ein solider Krimi mit überraschendem Schluss und bekommt daher von mir solide 4 Sterne und eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 09.11.2020
Wenn du mich heute wieder fragen würdest
Keane, Mary Beth

Wenn du mich heute wieder fragen würdest


ausgezeichnet

„Wenn du mich heute wieder fragen würdest“ von Mary Beth Keane ist ein Roman, der mich etwas ratlos zurücklässt, denn er passte für mich von Anfang an in kein Genre so richtig. Es ist kein Familienroman, obwohl er von den beiden Familien Gleeson und Stanhope handelt. Es ist kein Polizeiroman und ganz sicher kein Krimi, obwohl Francis Gleeson und Brian Stanhope Polizeibeamte sind. Ich würde sagen, dass es am ehesten eine Mischung aus Drama, Coming-of-Age-Roman und Psychogramm ist, dazu die Geschichte von Liebe und Freundschaft.
Das Buch beginnt in den 1970er-Jahren und erzählt die Geschichten der beiden Familien, die nicht nur dadurch miteinander verwoben ist, dass Brian und Francis Kollegen und später Nachbarn sind. Spätestens, als sich Peter, der Stanhope-Spross und Kate, die jüngste Tochter der Familie Gleeson ineinander verlieben. Dieser Umstand setzt eine Dynamik zwischen den beiden Familien in Gang, die Dinge auslöst, die sie für immer prägen wird.
Das Buch ist berührend und fesselnd, ohne wirklich aufregend oder spannend zu sein. Am Anfang hatte ich Probleme, in das Buch hineinzufinden, da scheinbar nicht wirklich was passiert. Aber tatsächlich passiert ständig etwas, man muss es nur finden. Die Autorin hat in ihrem Roman sehr viele Themen wie psychische Probleme, Verlust, Schuld und Alkoholismus verarbeitet. Die latente Spannung und vieles, was zwischen den Zeilen zu finden ist (also zumindest für mich), machte es für mich nach ein paar Dutzend Seiten sehr schwer, das Buch aus der Hand zu legen, da ich viel zu neugierig war, wie es denn weitergeht.
Die Sprache ist einfach und flüssig, die Charaktere bis ins Detail gut ausgearbeitet und hervorragend beschrieben. Den von der Autorin geschilderten Umgang mit psychischen Erkrankungen und vor allem auch mit Alkoholismus fand ich sehr realistisch (wenn auch nicht wirklich akzeptabel), auch in meiner Familie wurde Bier nicht als Alkohol und Alkoholismus nicht als Krankheit angesehen.
Leider hat das Buch ein paar Längen und nicht nur einmal habe ich mich gefragt, wo das alles hinführen wird. Der Schluss macht die Geschichte allerdings zu einer runden Sache und eigentlich sollte ich es mit dem Wissen vom Schluss, direkt noch einmal lesen. Für mich ein gewöhnungsbedürftiges, aber unterhaltsames und nachdenklich machendes Buch, aus dem ich einiges mitnehmen konnte. Übers Schicksal und das, was wir daraus machen, über Familienzusammenhalt und über das, was uns zu dem macht, wer wir sind. Daher von mir solide 5 Sterne.

Bewertung vom 09.11.2020
Ich glaube, ich hatte es schon
Mittermeier, Michael

Ich glaube, ich hatte es schon


ausgezeichnet

„Ich glaube, ich hatte es schon” ist der Titel von Michael Mittermeiers neuestem Buch. Für mich eine Reise in die Vergangenheit, lese ich ihn doch schon seit „Zapped“. Und auch mit diesem Werk trifft er wie gewohnt den Nagel auf den Kopf. Ob Corona-Leugner, Lockdown samt „Verwahrlosung“ („Man war ja halb Mensch, halb Jogginghose“), Hygiene-Demos („War das jetzt für oder gegen Hygiene?“), Homeschooling und die Tatsache, dass man sehr viel Zeit mit der Familie verbrachte, beziehungsweise verbringen musste – kein Thema bleibt außen vor und bei mir blieb kein Auge trocken.
Aber natürlich wäre Mittermeier nicht Mittermeier, gäbe es zwischen den ganzen (manchmal auch nicht mehr ganz taufrischen) Witzen und Wortspielen auch ernste Zwischentöne. Auftritte waren ja auch für ihn lange nicht möglich und wie es mit den Kunst- und Kulturschaffenden in Deutschland, ja weltweit weitergehen wird, ist immer noch unklar. Auftritte in (größtenteils improvisierten) Autokinos waren für ihn spaßig und was Neues, aber nicht die Lösung.
Alles in Allem war das Buch spaßig zu lesen, traf Zeitgeist und den richtigen Ton, die Sprache ist eine gelungene Mischung aus flapsig, wohlformuliert, bayerisch und ernst. Er spricht Themen an, in denen sich die meisten seiner Leser wiederfinden werden. Ich habe mich auf den (leider sehr wenigen) Seiten hervorragend unterhalten gefühlt und vergebe 5 Sterne.

Bewertung vom 05.11.2020
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind
Foer, Esther Safran

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind


ausgezeichnet

Esther Safran Foer, die als Zweijährige 1949 mit ihren Eltern Deutschland verließ, wurde und wird nicht müde, ihre Wurzeln zu suchen, die in der Nazizeit verloren gingen. Die Familie war (und ist bis heute) jüdischen Glaubens und wurde während des Holocaust fast völlig ausgelöscht. So führt ihre Suche sie seit vielen Jahren (teilweise zusammen mit ihrem Sohn Frank) rund um den Globus, um ihre Herkunft und die ihrer Eltern zu ergründen. In „Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind“ schreibt sie sowohl über das Hier und Jetzt, aber auch über die Vergangenheit, denn das eine ist ohne das andere nicht möglich.
So nimmt sie den Leser mit auf eine Art packende Schnitzeljagd, die sie überall dorthin führt, wo Menschen aus dem ehemaligen ukrainischen Schtetl Trochenbrod (Schtetl ist die jiddische Bezeichnung für Siedlungen mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil), beziehungsweise deren Nachkommen, heute leben. Trochenbrod selbst existiert nicht mehr, es wurde zerstört. Gegen viele Widrigkeiten sucht sie akribisch on- und offline und wird, manchmal zu ihrer eigenen Überraschung, fündig. Erschwert wird ihre Suche vor allem auch dadurch, dass Orte und Menschen früher anders hießen oder genannt wurden. Die Suche der Autorin ist manchmal ein Rennen gegen die Zeit. Zeitzeugen gibt es so gut wie keine mehr, falls doch, muss sie sie schnell aufsuchen, um noch mit ihnen reden zu können. Aber vor allem die Tatsache, dass aus der Generation der Zeitzeugen fast niemand mehr lebt und etwas erzählen kann, macht Bücher dieser Art zu wichtigen Dokumenten für die Nachwelt, denn alle sollen erfahren, wer die Opfer waren und dass die Erinnerungen an sie weiterleben.
Anfangs fand ich das Buch eher anstrengend, was aber nicht an dem schweren Thema liegt, sondern an dem eher schwierigen Schreibstil, den komplizierten Sätzen, den vielen unbekannten Ausdrücken und den unglaublich vielen Personen, wobei auch der Stammbaum im Buch nicht unbedingt hilfreich ist. Aber nach und nach packte mich die Erzählung dann doch und das Buch zog mich in seinen Bann. Vor allem Esther Safran Foers Suche nach ihrer ermordeten Halbschwester aus der ersten Ehe ihres Vaters und das damit verbundene „Familiengeheimnis“ machte die Geschichte fast spannend.
Alles in allem fand ich das Buch packend und nach einer gewissen Gewöhnung flüssig zu lesen. Einzig die Tatsache, dass die Autorin sehr stolz auf ihre Familie ist und die Erfolge ihrer Söhne für meinen Geschmack vielleicht ein bisschen zu oft erwähnt, bremste manchmal meinen Lesefluss. Aber für ein wichtiges und gutes Buch von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 02.11.2020
Ada
Berkel, Christian

Ada


ausgezeichnet

Ada ist schon Mitte 40, als sie sich wegen ihrer Schlafstörungen 1989 therapeutische Hilfe sucht. Zusammen mit ihrem Therapeuten taucht sie tief in ihr Leben ein, sucht Wurzeln und findet Antworten. So könnte man Christian Berkels neuen Roman „Ada“ sehr kurz zusammenfassen, was der Geschichte natürlich aber nicht gerecht würde. Denn in Berkels zweitem Buch nach „Der Apfelbaum“ steckt noch unglaublich viel mehr.
Ada wurde 1945, kurz vor Kriegsende geboren. Sie war zwar ein Kind der Liebe, aber ungewollt, da sich ihre Mutter Sala sich selbst nicht als Mutter vorstellen konnte. Dazu war Ada eine schwierige Geburt, sie musste mit der Zange geholt werden und dazu hatte sie einen in der Gebärmutter verstorbenen Zwilling, einen sogenannten Fetus papyraceus. Als Ada zwei Jahre alt war, zog ihre Mutter mit ihr nach Argentinien, da sie für sich als Halbjüdin in Deutschland keine Zukunft sah, als Ada knapp neun Jahre alt war, kehrten sie zurück. Schon in Argentinien hatte Ada das Gefühl, nicht dazu zu passen, was nach der Rückkehr nach Deutschland und dem danach folgenden Kulturschock noch viel schlimmer wurde. Bis in ihr Erwachsenenleben sucht Ada beständig ihre Wurzeln und ihre Identität und nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage, wer denn eigentlich ihr Vater ist.
Vor fast zwei Jahren habe ich Christian Berkels autobiografischen Roman „Der Apfelbaum“ gelesen, jetzt hat er mit „Ada“ einen fiktiv-autobiografischen zweiten Teil nachgelegt. Sprachlich ist dieses Buch meiner Meinung nach ebenso gelungen wie der Vorgänger. Berkels Stil ist für mich aufgrund seiner gekonnten Wortwahl, seiner ausgefeilten Satzkonstruktionen und nicht zuletzt wegen seiner gelungenen Mischung aus Poesie, Nüchternheit und Bildgewalt enorm ansprechend, zumal Witz und Augenzwinkern an den richtigen Stellen nicht zu kurz kommen. Das Tempo ist zum Teil sehr hoch, weshalb es sich empfiehlt, die Geschichte langsam und gründlich zu lesen, damit erspart man sich das Zurückblättern, wenn man plötzlich den Faden verloren hat.
Inhaltlich ist das Buch mehr als eine melancholische, manchmal erschreckend düstere Identitätssuche. Es ist auch mehr als eine (fiktive) Biografie. Der Roman zeigt vielmehr kaleidoskopartig Facetten wie Erziehung und Psychologie, Politik und Zeitgeschichte, dazu Elemente aus Coming-of-Age-Romanen samt Drogenerfahrungen, Abnabelung von der Familie und Selbstfindung und die Probleme, die das Schweigen der Kriegsgeneration für die nachfolgenden Generationen mit sich brachte. Ada sitzt zwischen allen möglichen Stühlen. Nicht argentinisch, nicht deutsch, nicht jüdisch, nicht christlich, von der Mutter eher prüde erzogen – sie weiß nicht wer sie ist, was sie ist und wo sie dazugehört. In vielem ist sie (wie diejenigen, die „Der Apfelbaum“ gelesen haben, sicher bemerkt haben) ihrer Mutter ähnlicher, als sie ahnt. Hätten ihre Eltern einige Themen besprochen, statt sie „totzuschweigen“, hätte sich vermutlich einiges für Ada anders entwickelt, nicht zuletzt sie selbst.
Berkel schreibt als Mann aus Sichtweise einer Frau, was ihm selbst bei Themen wie Menstruation, Abtreibung und Fehlgeburt hervorragend gelingt. Sein alter Ego im Buch ist wohl Sputnik, Adas eher anonymbleibende kleine Bruder. Der wurde, genauso wie der Autor, 1957 geboren. Allerdings hat Berkel keine große Schwester, wohl aber einen großen Bruder. Dadurch ist „Ada“ sowohl biografisch als auch fiktiv, eine gekonnte Mischung aus tatsächlicher Familiengeschichte, Zeitgeschichte und Fiktion.
Für mich bleibt es allerdings etwas hinter „Der Apfelbaum“ zurück, was es aber nicht zu einem schlechten Buch macht. Mir sind nur manche Abschnitte zu langatmig, andere aber zu kurz beschrieben. Da gewichtet der Autor anders, als ich es mir gewünscht hätte. Aber trotzdem freue ich mich jetzt schon auf den dritten Teil, der wohl schon in Arbeit ist und vergebe aufgrund der hervorragenden Sprache und der zum Großteil ebenso hervorragend erzählten Geschichte und als Dank für einige Stunden Lesegenuss 5 St

Bewertung vom 29.10.2020
Berlin - Anfänge einer Großstadt (eBook, ePUB)
Ostwald, Hans

Berlin - Anfänge einer Großstadt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Hans Ostwalds Berlin-Chronik aus den Jahren 1904 bis 1908 bestand ursprünglich aus 50 Bänden, die nicht nur von ihm selbst, sondern von namhaften Journalisten verfasst wurden. Thomas Böhm hat mit seinem Buch „Berlin-Anfänge einer Großstadt“ eine Art Zusammenfassung dieser Chroniken herausgegeben, eine eingedampfte Version, sozusagen eine Essenz des Ganzen.
Da Buch beinhaltet detailreiche Beschreibungen des Berlins zwischen Jahrhundertwende und den „Wilden Zwanzigerjahren“ und diese Beschreibungen lassen nichts aus. Randgruppen der Gesellschaft, Homosexuelle, Bordelle, Verbrechen und die Wohnungsnot sind nur wenige Beispiele der Themen, die, teils sogar bebildert, ihren Platz in dem Buch finden. Und manche der Themen sind heute genauso aktuell wie damals, wie etwa die Kriminalität, bezahlbarer Wohnraum und Wohnungsnot. Zwar sind die Zustände heute nicht ganz so drastisch, damals wohnten in manchen Wohnungen bis zu zehn Personen, aber Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen.
Ostwalds Ziel war es, „Das Wesen der Großstadt Berlin im Kontrast zu anderen Großstädten herauszuarbeiten“, viele seiner Beschreibungen waren aber alles andere als werbewirksam, manche wirken sicher sogar eher abschreckend. Ich kenne Berlin nur aus den Erzählungen meiner Großeltern (Jahrgang 1902 und 1913), diese stammten aber aus den Nachkriegsjahren. Zeitzeugen der Jahre, aus denen Ostwalds Chroniken stammen, gibt es nicht mehr, daher sind authentische Berichte nur noch nachzulesen. Das macht dieses Buch nicht nur interessant, sondern auch wichtig. Noch dazu fand ich es trotz des Alters der Texte sehr gut und flüssig zu lesen, teils erschreckend, manchmal aber launig – immer aber informativ. Für alle, die sich für Berlin im Allgemeinen und für die Stadtgeschichte kurz nach der Jahrhundertwende im Besonderen interessieren, ist dieses Buch ein echtes Muss. Das „Sahnehäubchen“ für mich waren neben den tollen Texten aber die zahlreichen Bilder, die das Buch gekonnt abrunden. Für den Ausflug nach Berlin – geografisch und historisch, von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 29.10.2020
Der steinerne Engel
Laurence, Margaret

Der steinerne Engel


ausgezeichnet

Hagar Shipley, die Hauptfigur von Margaret Laurences Roman „Der steinerne Engel“ ist 90 Jahre alt, lebt seit fast 20 Jahren mit ihrem Sohn Marvin und der Schwiegertochter Doris in ihrem eigenen Haus in der (fiktiven aber durchaus realistischen) kanadischen Provinz. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Die Enkelkinder sind aus dem Haus, ihr Sohn ist schon Mitte 60 und, obwohl Hagar es nicht so sieht – sie selbst wird auch nicht jünger. Zu den Zipperlein, die das Alter so mit sich bringt (sie ist nachts inkontinent, zunehmend vergesslich und nicht mehr so sicher auf den Füßen), kommt, dass auch ihr Sohn und die Schwiegertochter nicht mehr so belastbar sind, wie sie es einmal waren. Die Lösung für sie ist: Hagar soll in ein Seniorenheim ziehen. Doch die widerborstige Dame sieht das selbstverständlich anders.
Hagar nimmt den Leser in ihrem inneren Monolog mit auf eine Reise durch 90 Jahre Leben. So besteht dieses Buch aus zwei Handlungssträngen: der Vergangenheit und dem Jetzt und Hier. Beginnend mit der Zeit um ihre Einschulung, erfährt der Leser durch ihre Gedanken sehr viel über sie: ihre mutterlose Kindheit und Jugend (ihre Mutter starb bei ihrer Geburt) mit einem strengen Vater, der als Geschäftsmann erfolgreich war und ihr zwar eine höhere Bildung zuteilwerden ließ, sie dann aber davon abhielt Lehrerin zu werden. Daher stürzte sie sich mehr aus Rache in eine unglückliche Ehe, aus der zwei Söhne hervorgingen.
Das Buch ist nicht nur die Geschichte von Hagar als unbequeme, sture und dickköpfige Frau. Es ist unter anderem auch eine Geschichte über Emanzipation und Generationenkonflikt und den klischeehaften Kampf zwischen Schwiegermutter und –tochter. Und eine Geschichte übers Älter- und Altwerden, den Verlust von Selbstständigkeit und Körperfunktionen. Eine lustige, traurige, manchmal spannende, in der Hauptsache aber nachdenklichmachende Geschichte, die einen packt, fesselt und lange nicht mehr loslässt. Denn, so schwierig der Inhalt manchmal zu verdauen ist, die Sprache ist einfach und alltagsnah, der Textfluss gefällig und gut zu lesen. Für mich ist das Buch eine runde Sache und eine klare Lese-Empfehlung. 5 Sterne.

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Bewertung vom 26.10.2020
Verschollen in Palma
Kallentoft, Mons

Verschollen in Palma


schlecht

Emme, die 16jährige Tochter von Tim und Rebecka ist auf einer Partyreise nach Mallorca verschwunden. Tim gibt seinen Beruf, seine Ehe und sein Leben in Schweden auf und macht sich auf der Insel auf die Suche. Zum Zeitpunkt, an dem die Geschichte des Buchs „Verschollen in Palma“ von Mons Kallentoft spielt, ist Emme seit drei Jahren vermisst – ihr Vater schwankt gedanklich und gefühlsmäßig seither zwischen „sie ist tot“ und „ich muss sie finden“ hin und her. So ist das Buch eine Mischung aus einem Krimi und einem Psychogramm, denn neben ein bisschen Spannung bekommt der Leser einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt verwaister Eltern.
Das Buch hätte wirklich gut, unterhaltsam und spannend werden können. Wurde es aber für mich leider nicht. Vielmehr las es sich für mich zäh, abgehackt und über große Strecken langweilig und schlicht unrund. Die Sprache fand ich gewöhnungsbedürftig, die Übersetzung manchmal holprig (kaum ein Leser weiß vermutlich, dass eine „Peitschenhiebverletzung“ ein Schleudertrauma ist) und insgesamt fand ich den Stil einfach nur anstrengend und nicht wirklich ansprechend.
Potenzial hätte die Geschichte sehr viel gehabt, so aber habe ich mich über viele Seiten durchgehangelt, nicht einmal die Charaktere konnten mich begeistern, sie fand ich teilweise blass und oberflächlich beschrieben oder schlicht unsympathisch. Die wohl geplante Serie um die Hauptfigur Tim Blanck werde ich wohl nicht lesen. Für die gute, wenn auch nicht neue, Idee und die enttäuschend schwache Umsetzung von mir 1 Stern.