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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 04.12.2020
I'm every woman
Strömquist, Liv

I'm every woman


ausgezeichnet

Die Schwedin Liv Strömquist ist studierte Politikwissenschaftlerin, und davon profitiert diese feministische Graphic Novel definitiv.

Strömquist kritisiert patriarchale Strukturen und entlarvt prominente Männer - von Edward Munch über Karl Marx bis hin zu Elvis Presley - als miese Lover, die die Frauen an ihrer Seite ausbeuteten und unterdrückten. Sie skizziert die Liebesbeziehung zwischen Yoko Ono und John Lennon und hält der Gesellschaft spiegelbildlich vor, wie Yoko Ono stigmatisiert wurde, als sie nicht der Rolle von "Mrs. Lennon" entsprach.

Die Geschichten bewegen sich innerhalb eines sehr großen zeitlichen Rahmens, es gibt Referenzen zu vorchristlichen Göttinnen wie auch zur zeitgeschichtlichen Popkultur (u.a. die Simpsons und Barbapapa-Comics). LeserInnen sollten nicht nur ein Interesse für feministische Themen mitbringen, sondern sich auch an expliziten Darstellungen nicht stören - bei Strömquist entspringen die Sprechblasen schon mal der Vulva statt des Mundes der gezeichneten Frauen.

Mein persönliches Highlight ist das (sicher nicht ganz ernst zu nehmende) Kapitel mit der Überschrift "Kinder sind rechtskonservativ". Diese steile These wird unter anderem belegt mit "Kinder sind Kernfamilienfans", "Kinder favorisieren Hausfrauen" oder "Kinder lieben gegenständliche Kunst".

Überhaupt hatte ich auf vielen Seiten das Gefühl, die Autorin zwinkert mir zu, wie bereits auf dem Titelbild. Für mich eine zeitgemäße, frische Form des Feminismus, gerne mehr davon!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.11.2020
What light there is
Burnside, John

What light there is


gut

"What light there is" ist mein erster Kontakt zum umfangreichen Werk des vielfach ausgezeichneten schottischen Romanciers und Lyrikers John Burnside. Und wahrscheinlich war dies mein Fehler.

Nicht etwa, weil der Roman - oder ist es doch eher ein Memoir? - schlecht wäre, nein, sicher nicht. Aber ich hatte immer wieder das Gefühl, ich hätte manches besser einordnen können, wenn ich mehr von Burnside gekannt und über ihn gewusst hätte. Doch nicht nur was den Autor und sein Werk angeht stieß ich auf viele Wissenslücken meinerseits. Auch seinen Bildungskanon betreffend kam ich mir unzulänglich vor, zu viele seiner Referenzen und Zitate aus Film, Literatur und Kunst musste ich mühevoll recherchieren: Sei es Nathan Coleys Textskulptur "Heaven is a place where nothing ever happens" im britischen Folkestone, sei es der Film "Brigadoon", die Spielerposition des Outfielders im Cricket, die alte britische Ballade "Barbara Allen" oder das osteuropäische Arthouse-Kino der 1960er Jahre - ich kam mir bei der Lektüre manchmal vor wie ein in eine Universitätsvorlesung katapultierter Grundschüler: schlichtweg überfordert.

Nun lasse ich mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen, und schließlich meinte schon Voltaire "Lesen stärkt die Seele". Letzlich wurde mein Durchhaltevermögen auch belohnt. Und zwar einerseits von Passagen in wunderbarer Sprache, gerade dort, wo Burnside in Kindheitserinnerungen schwelgt und die Schönheit der Natur beschreibt. Hier findet sich geradezu eine Verschmelzung von Nature Writing und biografischen Rückblicken. Andererseits haben mich die Betrachtungen zur Ars moriendi, der Kunst des Sterbens, überrascht. Ich weiß nicht genau wie, aber Burnside hat es geschafft, über ein so bedeutungsschweres Thema wie das Sterben mit einer überraschenden Leichtigkeit zu schreiben. Auch wenn ich nicht jede seiner Ansichten teile, wert sich damit zu beschäftigen sind sie allemal.

Das Buch ist - trotz seiner oft poetischen, zarten Ausdrucksweise - keine leichte Kost. Weder sollte man es am Stück, noch zur Entspannung lesen, nein, es fordert volle Konzentration und am besten ein Gegenüber, mit dem man das Gelesene diskutieren kann. Der Autor mischt Autobiografisches mit zahlreichen Zitaten, er philosophiert und reflektiert, es war für mich kein wirklicher Erzählstrang erkennbar, sondern er lässt seine Gedanken schweifen und auch mal springen.

Fazit: Anstrengende und dennoch lohnenswerte Lektüre, meines Erachtens aber nicht unbedingt als Einstieg in Burnsides Welt geeignet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2020
Rosenstich
Wiebe, Anastasia

Rosenstich


gut

Der Plot, den Sportmanagementstudentin Anastasia Wiebe für ihr Erstlingswerk entwickelt hat, hat durchaus Potenzial für einen spannenden Psychothriller: Studentin Lejla zieht aus ihrer Heimat Israel nach Berlin und hofft damit unter anderem, den Fängen ihres psychopathischen Exfreundes zu entkommen - ein Trugschluss, wie sich schon bald herausstellt.

Der gestörte Verflossene ist mit Abstand die stärkste Figur des Romans, hier ist Wiebe ein überzeugendes Psychogramm gelungen. Auch die zahlreichen lustvollen Sexszenen sind durchaus ansprechend, sofern man sich an expliziter Sprache nicht stört. Protagonistin Lejla ist durchaus glaubhaft, eine junge, moderne Frau, Abenteuern nicht abgeneigt, obwohl sie unter der Bedrohung ihres Ex-Freundes leidet. Hingegen wirkt Student Fabi, der neue Mann an ihrer Seite, wie aus einem Groschenroman entliehen: blendend aussehend, im Bett eine Granate und überdies Sproß aus reichem Hause. Der Mr. Right in jeglicher Hinsicht also - sorry, aber das ist mir dann doch eine Spur zu übertrieben.

Mein größter Kritikpunkt gilt aber der Sprache. Dass sich die Autorin immer wieder in der langatmigen Aufzählung unwichtiger Details verliert, die die Geschichte nicht voranbringen, damit könnte ich noch leben. Dass hier ein Text veröffentlicht wurde, der vor Rechtschreib- , Grammatik- oder auch Bedeutungsfehlern nur so wimmelt, ist für mich persönlich leider sehr störend. Sicher, als Selfpublisher ohne Rückendeckung eines Verlags kann man sich nicht unbedingt ein professionelles Korrektorat leisten. Aber ein qualifizierter Testleser, z.B. ein Germanistikstudierender, sollte meines Erachtens schon drin sein.

Denn so wurde das Potenzial dieser Geschichte leider nur zum Teil ausgeschöpft, und ich kann nur für diejenigen Leser eine Empfehlung geben, die über sprachliche Mängel zugunsten einer guten, spanndenden Story großzügig hinwegsehen.

Ein kleines Highlight sei nicht unerwähnt: Die literarischen Zitate, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind, sind sehr gut ausgewählt.

Bewertung vom 20.11.2020
Zufällig vegan - International
Dymek, Marta

Zufällig vegan - International


ausgezeichnet

Mein Küchenregal ist nicht gerade arm an Koch- und Backbüchern, doch diese Rezeptsammlung der polnischen Köchin und Foodbloggerin Marta Dymek zählt ab sofort zu meinen liebsten.

Wie der Titel schon sagt handelt es sich bei den Gerichten um internationale Rezepte, die "zufällig" vegan sind, einfach weil sie von vornherein ohne tierische Produkte auskommen. Wer also kein Fan von Fleischersatz ist oder gar aus gesundheitlichen Gründen auf Soja verzichten muss, findet hier eine Vielzahl an äußerst schmackhaften Gerichten.

Die Rezepte sind ganz praktisch nach Mahlzeiten sortiert, die Rubriken lauten: Frühstück - kleiner Hunger - Suppen - großer Hunger - Nachtisch und Getränke, außerdem gibt es noch eine Sammlung von Grundrezepten. Bis auf Letztere wird jedes Gericht auf einer Doppelseite vorgestellt, ein ganzseitiges Foto macht Appetit und benötigte Zutaten und Zubereitung sind übersichtlich und gut verständlich dargestellt. Die Vielfalt der 100 Rezepte ist wirklich beeindruckend, und das Buch punktet auch damit, dass es weitgehend ohne exotische Grundzutaten auskommt, sondern überwiegend regionales Gemüse und Obst verwendet wird. Den besonderen Pepp erhalten die Gerichte durch Gewürze und - für unseren Gaumen - oft ungewöhnliche Aromakombinationen: Pürierte Tomaten im Kuchen ...? Ich war ehrlich gesagt zunächst skeptisch, aber das Ergebnis überzeugt auf ganzer Linie!

Ebenfalls etwas gewöhnungsbedürftig finde ich die Mengenangaben. Dymek verwendet statt der üblichen Gewichtsangaben meist Volumina. Mehl in Tassen oder im Messbecher abzumessen statt es zu wiegen ist für mich etwas umständlich, aber natürlich dennoch praktikabel. Schade auch, dass es weder Angaben zur Zubereitungsdauer noch ein Stichwortverzeichnis der Gerichte gibt. So muss man schon mal etwas blättern, wenn man ein liebgewonnenes Rezept (und davon gab es bei mir sehr schnell viele) wiederfinden möchte.

Trotz dieser kleinen Kritikpunkte empfehle ich dieses Koch- und Backbuch voller Überzeugung. Ob vietnamesische Reispfannkuchen, Curry mit Kichererbsen, Auberginen auf japanische Art oder Kartoffeln aus Bombay, alles war schnell und einfach zubereitet und hat wirklich hervorragend geschmeckt. Ich lebe nicht vegan, aber mit diesen vielfältigen Rezepten vermisst man Tierisches auf dem Teller nicht. Und mit nur knapp 17 € kann das Buch auch noch preislich sehen lassen!

Bewertung vom 12.11.2020
Die vergessene Heimat
Zinßmeister, Deana

Die vergessene Heimat


gut

Deana Zinsßmeister hat es als Autorin historischer Romane zu einiger Bekannheit und Beliebtheit gebracht, zu Recht wie ich finde: Ihre Plots sind bis ins Detail akribisch recherchiert, und ich schätze auch den sprachlichen Duktus ihrer bisherigen Werke.

Mit "Die vergessene Heimat" hat Zinßmeister ihr bewährtes Genre verlassen. Dieser Roman ist stark autobiografisch, sie verarbeitet darin die Fluchtgeschichte ihrer Eltern aus der damaligen DDR sowie die Demenzerkrankung ihres Vaters gut 50 Jahre danach. Die Krankheit ist es auch, die die Flucht in der Familie - nach dem jahrzehntelang kaum davon gesprochen wurde - wieder zum Thema werden lässt, denn der Vater der Autorin spricht in seiner Verwirrung immer wieder von dieser Zeit. Zinßmeister erzählt auf diesen zwei zeitlichen Ebenen, die sich in kurzen Kapiteln rasch abwechseln. Für meinen Geschmack waren diese Perspektivwechsel etwas zu rasch, die Kapitel sind meist nur wenige Seiten lang, und kaum hatte ich mich in einer Szenerie zurecht gefunden, folgte schon der nächste Zeitsprung. Dafür kommt jedoch definitiv keine Langeweile auf, der Roman hat einen durchweg hohen Spannungsbogen.

Die Flucht ist sehr detailliert beschrieben, man fiebert förmlich mit, obwohl man ja durch den Klappentext bereits vom glücklichen Ausgang weiß. Besonders gefällt mir, dass Zinßmeister nicht - wie so viele andere Geschichten mit dieser Thematik - aufhört zu erzählen, sobald ihre Protagonisten in der Bundesrepublik angekommen sind, sondern auch vom nicht gerade einfachen Neubeginn der Flüchtlinge berichtet: vom Alltag im Auffanglager, der Angst, als Spion zu gelten oder auch noch im Westen nicht sicher vor dem Zugriff der Stasi zu sein.

Sprachlich konnte mich dieser Roman leider nicht ganz überzeugen. Manche Dialoge wirkten seltsam hölzern, und ich hatte oft Schwierigkeiten, wer nun welche handelnde Person ist. Das liegt daran, dass die Familienmitglieder der Autorin (abgesehen von ihren Eltern und Geschwistern) namenlos bleiben. So heißt es oft "der jüngere Bruder", "die Schwägerin" etc., auch wenn diese Personen miteinander sprechen. Einerseits verständlich, es hat laut Zinßmeister damit zu tun, dass die meisten nicht mehr leben und sie daher einer Veröffentlichung nicht mehr zustimmen konnten. Andererseits hätte man ja einfach fiktionale Namen vergeben können, auch die Ich-Erzählerin heißt schließlich im Roman nicht Deana.

Bei der Geschichte über die Demenz des Vaters wurde für mich Potenzial verschenkt. Zwar erfährt man viel über diese Krankheit und darüber, welche Belastung es für die Angehörigen darstellen kann, körperlich wie psychisch. Aber ich hätte mir bei einem Thema von dieser Tragweite mehr Reflexion gewünscht. Die Töchter versuchen - fast nach dem Motto "koste es, was es wolle" - eine stationäre Unterbringung des Vaters so lange wie möglich zu verhindern, selbst als dies zu Lasten der Gesundheit der Mutter geht. Der Sohn hingegen, der etwas nüchterner mit der Situation umgeht, kommt für meine Begriffe zu schlecht weg. Und die innerfamiliären Konflikte, die die Pflege eines Demenzkranken unweigerlich mit sich bringen, wurden zu kurz abgehandelt, schade.

Dennoch - vor allem wegen der wirklich guten Darstellung der Flucht - ein lesenswerter Roman.

Bewertung vom 05.11.2020
Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima
Drewery, Kerry

Der letzte Papierkranich - Eine Geschichte aus Hiroshima


ausgezeichnet

Die Britin Kerry Drewery widmet sich mit diesem Roman gleich zwei Themen von immenser Bedeutungsschwere: Zum einen beschreibt sie die unfassbare Tragödie, die der Atombombenabwurf der Amerikaner Ende des zweiten Weltkriegs auf Hiroshima verursachte. Als Leser erlebt man den 6. August 1945 aus Sicht des 17jährigen Protagonisten , seines gleichaltrigen Freundes und dessen fünfjähriger Schwester. Drewery lässt die Distanz auf ein Minimum schrumpfen, man ist als Leser mittendrin. Was in Schwarz-Weiß-Reportagen über das japanische Trauma zwar erschüttert, doch zugleich ,zeitlich wie räumlich, weit entfernt wirkt, ist plötzlich nah, direkt erfahrbar. Ich habe mich inmitten der Szenerie gefühlt, auf einen anderen Kontinent und um 75 Jahre (zurück) versetzt.

Zudem behandelt die Geschichte, wie man ein Leben voller Schuld leben kann. Wie ein junger Mann in dem Glauben lebt, ein junges Mädchen nicht gerettet zu haben. Und wie er daran fast zerbricht.

Das Buch ist eine Ausnahmeerscheinung, in mehrfacher Hinsicht: Die sprachliche Virtuosität hat mich förmlich umgehauen. Anfang und Ende, beides Erzählstränge in der Gegenwart, sind in Versform gehalten und rahmen den mittleren Prosateil ein, der am Tag der Atomkatastrophe beginnt. Die verschiedenen Stile sind keineswegs ein Bruch, sondern greifen wunderbar ineinander. Neben Autorin Drewery gebührt auch Übersetzerin Meritxell Janina Piel besondere Anerkennung, denn Poesie zu übertragen ist eine besondere Herausforderung, die Piel hat großartig gemeistert hat. Und auch Illustratorin Natsko Seki hat diesen Roman zu etwas Einzigartigem werden lassen. Ihre farbigen Zeichnungen ergänzen und betonen den Text aufs Eindrucksvollste, wirklich sehr gelungen!

Die Erzählung greift - wie der Titel schon andeutet - die japanische Legende auf, nach der ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man 1.000 Papierkraniche nach der Faltkunst des Origami gefaltet hat. Und so ist als kleine Zugabe für den Leser eine Faltanleitung für einen Papierkranich als Anhang enthalten.

Das Buch wird vielerorts dem Genre Jugendbuch zugeordnet, eine Systematisierung, die ich nicht teile. Meiner Meinung nach spricht die Geschichte (und auch die Form) alle Leser ab etwa 14 Jahren an. Drewery stellt damit die wichtigen Fragen, was wir aus der Geschichte gelernt haben, und ob wir Gefahr laufen, zu vergessen. Und völlig zu Recht stellt sie fest: "Falls Geschichten nur von denjenigen erzählt werden, die sie durchlebt haben, dann wird mit der Zeit alles aus unserer Erinnerung verschwinden." So ist es, und daher mein Aufruf: Kauft das Buch, lest es, verschenkt es, redet darüber!

Bewertung vom 05.11.2020
Brot von daheim
Rosenfellner, Monika

Brot von daheim


sehr gut

Dieses Brotbackbuch hat mein Interesse (neben der Tatsache, dass ich sehr gerne backe) vor allem wegen der Autorin geweckt. Monika Rosenfellner ist in dritter Generation Müllerin. Ich hatte mir von ihr als Fachfrau folglich viele Informationen zu Getreidesorten, deren Verarbeitung zu Mehl, den verschiedenen Mehlsorten und natürlich auch praktische Backtipps erhofft.

Und ich wurde diesbezüglich nicht enttäuscht, man merkt der umfangreichen Einführung an, dass Rosenfellner weiß, worüber sie schreibt. Leider hapert es ein wenig an der Übersichtlichkeit: Die Tabelle, in der die verschiedenen Mehltypen in Österreich, Deutschland und der Schweiz gegenübergestellt werden, ist mitten im Buch "versteckt". Sie wäre stattdessen auf dem Vorsatz wesentlich praktischer untergebracht. Denn in den Rezepten werden ausschließlich österreichische Angaben gemacht, so dass ich als deutsche Hobbybäckerin immer hin- und herblättern muss. Gleiches gilt für die (wirklich praktische!) Mix & Match-Übersicht, die erklärt, welche Mehle untereinander austauschbar sind.

Die Autorin erklärt gut verständlich und Schritt für Schritt die Herstellung von gleich sieben verschiedenen Sauerteigen. Daher verwundert es etwas, dass im Rezeptteil Sauerteigbrote mit gerade einmal zehn verschiedenen Broten vertreten sind; Hefe als Triebmittel ist hier deutlich überwiegend. Außerdem wird oft Trockensauerteig verwendet, und die "Umrechnung" für den Gebrauch von frischem Sauerteig ist lediglich bei einem Brot, dem klassischen Bauernbrot angegeben.

Die Rezepte selbst haben mich überzeugt, das Ergebnis war stets sehr lecker. Mengenangaben und Backzeiten sind übersichtlich dargestellt, die Zubereitung ist für absolute Anfänger wahrscheinlich nicht immer ganz klar. Dafür zeigt aber ein Symbol den Schwierigkeitsgrad an, und so kann man sich nach und nach an anspruchsvollere Rezepte wagen. Die Vielfalt ist beeindruckend, sie reicht von einfachen Broten für jeden Tag über Brote bei speziellen Ernährungsformen (glutenfrei) bis hin zu aufwändigeren Broten, wie dem zweifarbigen Knopfbrot oder dem Wanderbrot mit Kräutern.

Ein großer Pluspunkt ist die sehr hochwertige Ausstattung. Der edle Leinenrücken, moderne, ästhetische Fotos und zahlreiche, liebevolle Illustrationen machen das Buch zu einem optischen Genuss. Und als I-Tüpfelchen ist es - wie alle Erscheinungen des Löwenzahn-Verlags - auch noch Cradle-to-crade und klimapositiv produziert.

Ich habe anhand dieses Buchs das Brotbacken für mich entdeckt und kann anderen nur Mut machen, es auszuprobieren!

Bewertung vom 04.11.2020
Gans Ernst von Jimmy Kimmel
Kimmel, Jimmy

Gans Ernst von Jimmy Kimmel


sehr gut

Text und Illustrationen dieses Bilderbuchs stammen vom US-amerikanischen Comedian und Moderator Jimmy Kimmel. Es handelt sich um ein Vorlese- und Mitmachbuch für Kinder ab etwa drei Jahren.

Protagonist "Gans Ernst" soll durch Grimassen zum Lachen gebracht werden, und die kleinen und großen Leser können sich dabei auch gleich selbst durch einen in der Mitte des Buchs eingeklebten Folienspiegel begutachten.

Die Zeichnungen sind überwiegend einfach gehalten, ohne überflüssige Details und doch wirklich witzig. Gerade kleine Kinder haben riesigen Spaß daran, die ernste Gans durch Blödeleien in eine Giggelgans zu verwandeln.

Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich dennoch: Wieso hat Übersetzerin Ronja von Rönne den Ausdruck "Skip Leg Day" (in der Zeichnung einer Zeitung) nicht übersetzt? Ich denke nicht, dass dies allgemein verständlich ist, und so geht ein Witz verloren. (Dafür ist der "Integrative Kindergarten für Amsel, Drossel, Fink und Star" ein Gag für die älteren Leser.)

Außerdem finde ich die Angabe "Malbuch inklusive", mit der ein Aufkleber auf dem Titel wirbt, etwas irreführend. Denn es ist keineswegs ein Malbuch enthalten, sondern lediglich ein Link zum Download desselben. Und letztlich ist "Gans Ernst" mit 24,90 € auch "gans" schön teuer. Immerhin: Der Erlös wird an Kinderkrankenhäuser gespendet.

Bewertung vom 30.10.2020
Outlaw Ocean
Urbina, Ian

Outlaw Ocean


sehr gut

Eigentlich halte ich mich für halbwegs politisch interessiert und ganz gut über das Weltgeschehen informiert. Diese Selbsteinschätzung hat Ian Urbina mit dieser Reportage über kriminelle Machenschaften auf und in den Ozeanen gehörig verunsichert. Zu oft musste ich beim Lesen feststellen, dass ich von den beschriebenen Misständen noch nie gehört hatte oder zumindest deren wahres Ausmaß nicht kannte.

Urbina konnte als Reporter der New York Times über vier Jahre lang für diese Thematik recherchieren. Und dafür zolle ich gleich dreifach Respekt: Seinem Arbeitgeber, dass er diesen kostenintensiven Journalismus ermöglicht hat, dem Autor selbst, der sich selbstlos und mutig nicht nur in äußerst unbequeme, sondern auch immer wieder gefährliche Situationen begeben hat und auch seiner Familie, die auf den Ehemann und Vater verzichtet, damit dieser Unrecht ans Licht der Öffentlichkeit bringt.

Aber zurück zum Buch: Urbina zeigt anschaulich, wie schwierig oder fast unmöglich es die Weite des Meeres macht, Kriminelle zu verfolgen. Und überdies ist das internationale Seerecht teils widersprüchlich und weist etliche Gesetzeslücken auf, was im Schlechten wie im Guten genutzt werden kann: So zum Beispiel von "Women on Waves", die Abtreibungen an Bord von Schiffen durchführen, die in ausreichender Entfernung zur Küste von Ländern ankern, in denen Schwangerschaftsabbrüche illegal sind. Denn die Gerichtsbarkeit eines Landes endet 200 Seemeilen vor dessen Küste. Das Buch berichtet von Zwangsarbeit auf thailändischen Fischereiflotten; die erlittenen Grausamkeiten und Folgen für diese modernen Seesklaven sind unfassbar. Und noch unfassbarer, wie die Weltöffentlichkeit wegsieht. Der Nachthimmel ist genauer kartografiert als der Meeresboden, und ich hatte in der Tat oft das Gefühl, mehr Berichte über den Mars als über die Missstände auf unseren Meeren zu kennen.

Bei aller Tragik der Themen bleibt dennoch Raum für Humor, sei es, wenn Urbina den Dorschfang von Fischern, den intelligente Wale von den Leinen fressen, bevor sie in die Boote eingeholt werden, als "All-you-can-eat-Büfett" für die riesigen Meeressäuger bezeichnet. Oder auch im Kapitel über "Sealand", eine verlassene Flugabwehrplattform aus dem zweiten Weltkrieg, die 1966 durch einen skurrilen Briten eingenommen und zur Nation erklärt wurde.

Besonders gut gefällt mir, dass der Autor sehr kritisch hinterfragt und reflektiert. NGOs sind nicht per se "die Guten", auch deren Feindbilder und Methoden untersucht Urbina genau. Und zu guter Letzt zeigt er im Anhang auf, was der Einzelne tun kann, um den beschriebenen Missständen entgegen zu wirken.

Irritiert hat mich der etwas langatmige Stil - immerhin hat Urbina den renommierten Pulitzer-Preis gewonnen. Ein Blick ins englische Original zeigt schnell, dass die Übersetzung nicht sonderlich gelungen ist. Zu viele sprachliche Facetten gehen verloren. So wird etwa das Kapitel "Waste away" einfallslos mit "Die große Mülltonne" übersetzt. Ja, "Waste" ist "Müll", jedoch bedeutet "waste away" auch dahinsiechen, verkümmern oder verschwenden. Schade, von den gleich drei Übersetzerinnen hätte ich mir mehr sprachliches Feingefühl gewünscht.

Fazit: Eine beeindruckende Thematik, aus persönlicher Sicht erlebt und beschrieben und mit hinreichend Fakten belegt. Sprachlich leider einen Punkt Abzug; wer gut Englisch spricht ist sicher mit dem Original wesentlich besser bedient.

Bewertung vom 29.10.2020
Mumie auf Reisen
Krchovský, J. H.

Mumie auf Reisen


sehr gut

Lyrik - da dachte ich bislang in erster Linie an Fontane, Ringelnatz und Robert Gernhardt, nichts wirklich Außergewöhnliches. Und nun also ein Band mit dem skurrilen Titel "Mumie auf Reisen".

Autor ist der tschechische Dichter und Sänger J. H. Krchovský. Sein Pseudonym setzt sich aus den Initialen seines Klarnamens (Jiří Hásek) und dem polnischen Wort für "von Kirchhof" oder "von Friedhof" zusammen. Und ja, hier gilt "Nomen est Omen", einige der Werke spielen auf dem Friedhof oder haben zumindest morbide Bezüge.

Die vom Symbolismus beeinflussten Gedichte sind geprägt durch außergewöhnliche Reime und sehr präzise Versmaße, beides stellt an eine gute Übersetzung hohe Ansprüche. Diesen wird der zweisprachig aufgewachsene Ondřej Cikán jedoch überaus gerecht (soweit ich das - ohne das tschechische Original zu verstehen - überhaupt beurteilen kann).

Neben dem etwas längeren titelgebenden Epos sind in diesem Band noch viele Einzelgedichte Krchovskýs enthalten. Das Buch ist zweisprachig, tschechisches Original und deutsche Übersetzung stehen sich auf je einer Doppelseite gegenüber. Ergänzt werden die Gedichte durch schwarz-weiße Illustrationen von Karla Cikánová, die - sehr schemenhaft-abstrakt gehalten - die düstere Grundstimmung der Worte unterstützen.

Krchovskýs Lyrik wurde oft vertont, auch von ihm selbst und seiner Band Krch-OFF. Daher ist es besonders anerkennenswert, dass Cikán bei einigen Gedichten das Versmaß in der Übersetzung so exakt erhalten hat, dass diese nun auch auf Deutsch nachgesungen werden können.

Im Nachwort geht Cikán nicht nur ausführlich auf seine Art der Übersetzung ein, sondern nimmt anhand ausgewählter anderer Gedichte tschechischer Lyriker eine poetische Einordnung Krchovskýs vor. Dies ist einerseits sehr informativ und lehrreich, andererseits bin ich als Laie hier an meine Grenzen gelangt. Was ein siebenhebiger Jambus ist, konnte ich noch eruieren, was der Unterschied zwischen einer männlichen und einer weiblichen Kadenz ist, bleibt mir unklar. Hier wäre ein Anhang zu Fachbegriffen und verwendeten Versmaßen hilfreich.

Davon abgesehen ein sehr interessantes Buch voller ungewöhnlicher Gedichte. Meine Empfehlung für alle Lyrikfreunde, die keine Scheu vor Tabuthemen haben.