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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 776 Bewertungen
Bewertung vom 10.05.2018
Einsteins Ideen - Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln
Hoffmann, Banesh

Einsteins Ideen - Das Relativitätsprinzip und seine historischen Wurzeln


sehr gut

Der Physiker Banesh Hoffmann war in den 1930er Jahren wissenschaftlicher Assistent bei Albert Einstein. Zusammen mit Einstein und Infeld entwickelte er die Einstein-Infeld-Hoffmann-Bewegungsgleichung, eine Differentialgleichung, die relativistische Effekte berücksichtigt. Damit ist er ein Zeitzeuge aus dem unmittelbaren Umfeld von Einstein und kompetent, "Einsteins Ideen" zu Raum und Zeit vorzustellen. Es ist kein Fachbuch, aber erklärungsmächtiger als rein populärwissenschaftliche Darstellungen.

Warum spüren wir in einem ruhig dahingleitenden Flugzeug nichts von der hohen Geschwindigkeit? Eine lineare gleichförmige Bewegung ist kräftefrei. Die Gesetze der Physik gelten gleichermaßen in Inertialsystemen. Von diesen Einsichten war Aristoteles noch weit entfernt. Hoffmann stellt ausführlich die Geschichte des Relativitätsprinzips vor, zeigt Widersprüche in den bisherigen Vorstellungen bzw. Theorien auf und erläutert, wie Einstein diese beseitigt hat.

Newtons Vorstellungen vom absoluten Raum und der absoluten Zeit waren nicht haltbar. Viele Wissenschaftler haben Vorarbeiten zur Speziellen Relativitätstheorie geleistet. Die Lorentz-Transformation zur Beschreibung von Phänomenen in verschiedenen Bezugssystemen war bekannt. Sie diente dazu, Lösungen der Gleichungen der Elektrodynamik aufeinander abzubilden. Ein Äther als Übertragungsmedium elektromagnetischer Wellen wurde nicht gefunden.

Einstein durchschlug den Knoten, indem er zwei einfache Prinzipien vorschlug, auf die sich seine Theorie stützte. Sein (umfassendes) Relativitätsprinzip i.V.m. einer von der Bewegung der Lichtquelle unabhängigen Lichtgeschwindigkeit führte zu einer wissenschaftlichen Revolution. Es sind die Folgerungen aus dieser Theorie, die die bisherigen Vorstellungen von Raum und Zeit zum Einsturz brachten. Raum und Zeit sind keine absoluten Größen und Gleichzeitigkeit ist relativ.

"Die Gesetze der Physik müssen so beschaffen sein, dass sie in bezug auf beliebig bewegte Bezugssysteme gelten." (161) Einstein macht deutlich, welche Anforderungen er an eine allgemeine Relativitätstheorie stellt. Hoffmann erläutert das Äquivalenzprinzip und macht einen Ausflug in die Tensorrechnung. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist höchst anspruchsvoll und die Leser müssen sich mit einem kleinen Einblick begnügen. Einziger Kritikpunkt: Die Themenübergänge hätten flüssiger (folgerichtiger) sein können.

Bewertung vom 05.05.2018
Albert Einstein
Wickert, Johannes

Albert Einstein


ausgezeichnet

Albert Einstein relativierte Raum und Zeit. Er entdeckte, dass die reale Welt nicht mit der Ordnung unserer Denkstrukturen übereinstimmt. Darin liegt die zentrale Bedeutung der Relativitätstheorie und aus diesem Grund wird sie zurecht als kopernikanische Tat angesehen. Was ist das für eine Theorie? Wer ist der Mensch hinter dieser Theorie?

Johannes Wickert beschreibt die Lebensgeschichte von Einstein, seine unkonventionelle Art, seine kindliche Neugier, die er bis ins Alter bewahrt hat und seinen Weg vom durchschnittlichen Schüler bis zum weltbekannten Wissenschaftler, der sich auch mit ethischen, philosophischen und politischen Fragen beschäftigt hat.

Einstein selbst und seine Wegbegleiter kommen zu Wort. Die Relativitätstheorien werden hinsichtlich ihrer Prinzipien soweit beschrieben, dass die Leser einen Eindruck davon bekommen, worum es geht. Das Buch ist verständlich, macht neugierig und wirkt abgerundet. Es handelt sich um eine lesenswerte Monografie.

Bewertung vom 01.05.2018
Eine kurze Geschichte der Zeit
Hawking, Stephen

Eine kurze Geschichte der Zeit


ausgezeichnet

„Eine kurze Geschichte der Zeit“ ist das erste populärwissenschaftliche Buch von Stephen Hawking. Damit erhalten die Leser nicht nur einen kompetenten Überblick über Theorien der Kosmologie, sondern auch Einblick in das Denken des Autors.

Hawking reflektiert historische Vorstellungen über den Kosmos, stellt wichtige naturwissenschaftliche Theorien vor, erläutert, was eine wissenschaftliche Theorie ausmacht und zeigt deren Grenzen auf.

Die Darstellung der historischen Entwicklung erfolgt in kompakter Form. Hawking würdigt Newtons Gesetze, stellt Maxwells Elektromagnetismus vor und zeigt auf, wie die Versuche zum Nachweis eines Äthers Widersprüche in den bisherigen Theorien offenbaren.

Den Knoten durchschlug Einstein mit seiner speziellen Relativitätstheorie. Eine der Folgerungen ist die Äquivalenz von Masse und Energie. Durch Einbeziehung der Gravitation entstand die allgemeine Relativitätstheorie.

Die Vorstellungen von Raum und Zeit als dynamische Größen beeinflussen die Auffassung vom Universum. Hawking erläutert die Entdeckung von Hubble, dass sich das Universum ausdehnt und beschreibt die Entdeckung der Mikrowellenhintergrundstrahlung.

Die wahrscheinlichste Erklärung für die beschriebenen Phänomene bietet die Urknalltheorie. Hawking und Penrose kommen zu dem Ergebnis, dass es eine Urknall-Singularität gegeben haben muss.

Für das weitere Verständnis ist ein Perspektivwechsel erforderlich vom Makrokosmos hin zum Mikrokosmos, der von der Quantenmechanik dominiert wird. Hawking erläutert Heisenbergs Unschärferelation.

Die Ausführungen zu Elementarteilchen und Naturkräften wirken trocken, sind jedoch für das Verständnis der Arbeiten von Hawking, die Beziehungen zwischen Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie zu untersuchen, zwingend erforderlich.

Sind Schwarze Löcher wirklich schwarz? Hawking, der sich viele Jahre mit diesem Thema beschäftigt hat, erläutert deren Eigenschaften. Sein wissenschaftlicher Beitrag besteht in dem Nachweis, dass Schwarze Löcher Teilchen emittieren.

Diese Erkenntnis beruht auf der Einbeziehung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik in die Analyse der Eigenschaften Schwarzer Löcher. Die Quantenmechanik könnte laut Hawking dazu beitragen, Singularitäten zu beseitigen.

Hawking beschreibt Theorien für den Ursprung des Universums. Er, der die Vorstellung von Singularitäten, an denen die Naturgesetze ihre Gültigkeit verlieren, geprägt hat, verzichtet nun auf sie und postuliert eine „Keine-Grenze-These“.

Die Theorien der Kosmologie sind unanschaulich. Das liegt an dem komplexen Stoff, der sich kaum für eine populärwissenschaftliche Aufarbeitung eignet, und nicht an Hawkings Erklärungsversuchen.

Hawking stellt Forschungen vor zur Vereinheitlichung der Physik. Was hätte die Kenntnis einer einheitlichen Theorie für Folgen? Wir sind Lichtjahre entfernt von einer mathematischen Beschreibung menschlichen Verhaltens. Eine Weltformel wäre nur der Beginn zu weiteren Forschungen.

Das Buch ist 30 Jahre alt und die Entwicklung schreitet voran. Gravitationswellen und der Nachweis des Higgs-Bosons sind aktuelle Forschungsthemen. Die Suche nach der Urkraft des Universums geht weiter.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.04.2018
Gemeinsam bist du mehr
Lynen, Patrick

Gemeinsam bist du mehr


sehr gut

„Love is the answer“ [1]

Das Buch ist eine Hommage auf Liebe, Vertrauen, Mut und Ehrlichkeit. Es dient dazu, sich selbst und zwischenmenschliche Beziehungen besser zu verstehen. Vom Aufbau und Inhalt erinnert es mich an die Klassiker von Andrew Matthews [2] und [3].

Autor Patrick Lynen gliedert sein Buch in viele kleine Kapitel, die mit zahlreichen Grafiken aufgelockert werden. Die Erkenntnisse beruhen auf Evolution, Psychologie, Soziologie und Erfahrungswerten. Es ist ein aufmunterndes Buch.

Ob Bücher dieser Art auch geeignet sind, Menschen zu verändern, ist letztlich umstritten. Vermutlich funktioniert das nur kurzfristig oder in geringem Umfang und auch nur dann, wenn Menschen – unabhängig von einem Ratgeber – sich wirklich verändern wollen.

„Alle Veränderung resultiert aus Leid“ erkannte Goethe. Leid dient in diesem Sinne als Katalysator für Veränderung. Manchmal reicht es auch aus, lediglich die Perspektive zu verändern (s. Watzlawick [4]).

Wirtschaft und Politik bieten Anlass, der Welt kritisch gegenüber zu stehen. Ein Buch über Vertrauen kann im eigenen Umfeld hilfreich sein, darf aber nicht blind machen gegenüber realen Gefahren, sonst führt der Gang „ohne Latschen in die Dusche“ (146) zu Fußpilz.

[1] John Lennon: Imagine
[2] Andrew Matthews: So geht’s Dir gut
[3] Andrew Matthews: So machst Du Dir Freunde
[4] Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2018
Bibbi Bokkens magische Bibliothek
Gaarder, Jostein;Hagerup, Klaus

Bibbi Bokkens magische Bibliothek


gut

Berit Bøyum aus Fjærland und ihr Vetter Nils Bøyum Torgersen aus dem 350 km entfernt liegendem Oslo schreiben ein Briefbuch, welches sie sich abwechselnd gegenseitig zuschicken und ergänzen. Das ist für Buchfreunde eine geniale Idee, wenngleich der Gedankenaustausch heute – also 25 Jahre nach Erscheinen der Originalausgabe – digital erfolgen würde. Aber auch aus digitalen Daten lässt sich ein Buch drucken.

Sowohl Nils als auch Berit begegnen unabhängig voneinander der gleichen seltsamen Frau, die sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Flatbrehütte getroffen haben. Sie beteiligt sich sogar im Buchladen, wo Nils sie trifft, an den Kosten des Briefbuches. Berit verfolgt sie, ausgehend von einer Fähre, bis zu einem gelben Haus, in dem seit kurzem Bibbi Bokkens wohnt. Ein verlorener Brief birgt erste Hinweise.

Damit beginnt eine gefährliche Abenteuerreise, in die neben Berit und Nils insbesondere Bibbi Bokken und der unheimliche Smiley verwickelt sind. Für magische Momente sorgen eine unterirdische Bibliothek und auch Bücher, die erst künftig erscheinen. Es sind einige Informationen über Literatur an sich enthalten. Da es sich um ein Kinderbuch handelt, halten sich diese Informationen in Grenzen.

Das Buch besteht im Wesentlichen aus Briefen. Die Rahmenhandlung ist eine Detektivgeschichte. Diese ist spannend, kreativ und lehrreich, manchmal auch belehrend. Sowohl Gaarder als auch Hagerup haben Erfahrungen mit Kinderbüchern. Im Vergleich zu "Sofies Welt" oder "Maya oder Das Wunder des Lebens" ist "Bibbi Bokkens magische Bibliothek" ein echtes Kinderbuch.

Bewertung vom 05.04.2018
Ein treuer Freund
Gaarder, Jostein

Ein treuer Freund


sehr gut

„Und warum bin ich [Jakop] dermaßen besessen von sprachlichen Verwandtschaftsbeziehungen? … Ich habe keine andere Großfamilie, mit der ich mich auseinandersetzen könnte, als die indogermanische Sprachfamilie.“ (183) In dieser Aussage kommen Situation, Interessen und Eigenarten von Protagonist Jakop prägnant zum Ausdruck. Seine Leidenschaft für sprachliche Strukturen und Beziehungen überträgt er wie selbstverständlich auch auf menschliche Verwandtschaftverhältnisse.

Jakop ist einsam und hat ein seltsames Hobby. Er sucht Unterhaltung ausgerechnet auf Beerdigungen. Mit diesem Roman beweist Jostein Gaarder, dass er ein höchst kreativer Autor ist. Gaarder hat – wie sein Protagonist Jakop - ein leidenschaftliches Interesse an Sprache und Etymologie. In einem Interview bezeichnet er Jakop als verdrehtes Alter Ego von ihm selbst. Auch wenn Jakops Eigenarten - manchmal humorvoll, manchmal peinlich - überzeichnet wirken, erfahren die Leser ein wenig über den Autor selbst und sein Verhältnis zur Einsamkeit.

Gaarder schreibt nicht nur Romane, sondern klärt Leser über verschiedene Themen auf. Manchmal ist es Kritik am Literaturbetrieb wie in „Der Geschichtenverkäufer“, manchmal ist es Aufklärung über Philosophie (Sofies Welt) oder über Evolution (Maya oder Das Wunder des Lebens). Dabei erweist er sich als feinfühliger Autor, der auch über sensible Themen schreibt (Das Orangenmädchen). In „Ein treuer Freund“ geht es m.E. nicht nur um Philosophie, sondern auch um Psychologie. Das Phänomen Pelle ist nicht anders zu erklären.

Bewertung vom 04.04.2018
Pfeif drauf!
Brinkmann, Svend

Pfeif drauf!


sehr gut

Stoizismus beschreibt eine (nicht nur) praktische Philosophie, die ihren Ursprung im alten Griechenland (Zenon aus Kition) hat und von den Römern (Seneca, Epiktet, Aurelius) adaptiert wurde. Sie propagiert ein tugendhaftes Leben in Übereinstimmung mit der Natur und der Vernunft. „Ideen sind Werkzeuge, die Menschen entwickelt haben, um Probleme des Daseins zu lösen.“ (151) Svend Brinkmann greift bestimmte Aspekte des Stoizismus auf, um damit auf Herausforderungen der Neuzeit zu reagieren.

Prägend für die Neuzeit sind lebenslanges Lernen, ständig wechselnde Trends, permanente Weiterentwicklung, zunehmende Dynamik im Arbeitsumfeld, ständige Optimierung von Arbeitsprozessen, positives Denken, Zeitknappheit, Flexibilität und daraus resultierend auch eine Zunahme von Burn-Out-Syndromen. Der Mensch hat Probleme, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Entwicklung wird zum Selbstzweck, ohne dass noch der Sinn hinterfragt wird.

Parallel zu dieser Entwicklung wird der Markt mit Selbsthilfebüchern überschwemmt, die den Lesern suggerieren, die Probleme könnten gemeistert werden. Aus diesem Grund hat Autor Brinkmann ein Anti-Selbsthilfebuch geschrieben, in dem die gängigen Weisheiten und Ratschläge auf den Kopf gestellt werden. Er greift dazu auf die Philosophie des Stoizismus zurück, in deren Fokus Selbstbeherrschung, innerer Frieden, Pflichtgefühl und Besinnung auf die Endlichkeit des Lebens stehen.

Eine der Hauptthesen lautet, dass Nörgelei, Kritik, Melancholie und Pessimismus in der heutigen Zeit ihre Berechtigung haben und einen Gegenpol zur beschleunigten Kultur bilden. In Analogie zu herkömmlichen Ratgebern gibt Brinkmann eine 7-Schritte-Anleitung, in der er etablierte Denkgewohnheiten auf den Kopf stellt. Dazu gehören eine Relativierung des Bauchgefühls, ein Zulassen des Negativen, ein Bekenntnis zum Nein-Sagen, eine Kontrolle der Gefühle und ein Verzicht auf Coaching, um Beispiele zu nennen.

Brinkmann empfiehlt statt Ratgeber Romane zu lesen. Romane vermitteln die Komplexität des Lebens und scheuen nicht vor negativen Entwicklungen zurück. Krisen und Missgeschicke führen nicht zwangsläufig zu einer positiven Entwicklung, sondern sind manchmal einfach nur Krisen und Missgeschicke. Auch wenn es paradox klingt: Romane bilden eine größere Palette an Lebenswirklichkeit ab. Paradox ist aber auch ein Ratgeber, den man erst gelesen haben muss, um der Empfehlung nachkommen zu können, Ratgeber abzulehnen. Fazit: Pfeif drauf! ...

Bewertung vom 31.03.2018
Ayla und der Clan des Bären / Ayla Bd.1
Auel, Jean M.

Ayla und der Clan des Bären / Ayla Bd.1


gut

Der Neandertaler (Homo neanderthalensis) ist vor ca. 30.000 Jahren ausgestorben. Durchgesetzt hat sich der moderne Mensch (Homo sapiens). Er ist der einzige Überlebende der Gattung Homo. Archäologische Funde weisen daraufhin, dass Neandertaler und unser Vorfahr bis vor 30.000 Jahren gleichzeitig auf der Erde gelebt haben. Untersuchungen des Genoms lassen vermuten, dass es Verbindungen zwischen Neandertaler und modernem Menschen gab. Von einem solchen Zusammentreffen handelt der Roman.

Jean M. Auel dreht die Uhr um 30.000 Jahre zurück und beschreibt das Leben einer Neandertaler-Sippe. Auf der Suche nach einer neuen Höhle entdeckt Iza, Medizinfrau eines Neandertaler-Clans, ein kleines verletztes Mädchen eines Stammes der anderen Art. Die kleine Ayla hat aufgrund einer Naturkatastrophe ihre Sippe verloren und streift allein durch die Gegend. Ein Höhlenlöwe hat sie verletzt. Der Clan nimmt das Mädchen auf und macht es mit den Regeln des Clans vertraut. Die körperlichen Unterschiede zwischen Neandertaler und modernem Menschen führen zu dauerhaften Konflikten.

Es sind diese Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Gattungen, die den Roman zeitlos machen. Die Geschichte von Ayla, die z.B. das Jagen erlernt, ist aber auch eine Befreiungsgeschichte der Frau. In diesem Sinne werden moderne gesellschaftliche Themen auf die Steinzeit projiziert. Es ist aber mehr als der Kampf der Geschlechter. Es liegen Veränderungen in der Luft. „Der Hass gegen Ayla war der Hass des Alten auf das Neue, des Vergehenden auf das Kommende.“ (208) Es ist der Mog-ur, der Zauberer des Clans, der Ahnungen über die Zukunft hat.

Unsere Vorfahren waren Jäger und Sammler. Wie das gesellschaftliche Leben in der Steinzeit wirklich geregelt war, kann nur auf Basis archäologischer Funde vermutet werden. Für ein Volk, das sich mittels Gebärdensprache und einfacher Laute verständigt, wirken die gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen recht differenziert. Die Autorin konstruiert kulturelle Besonderheiten (z.B. Zusammenkunft der Clans) und Probleme (z.B. Abfall und Unrat beseitigen), die modern wirken. In diesem unterhaltsamen Roman werden zeitlose menschliche Verhaltensweisen in einen archaischen Rahmen gepresst.

Bewertung vom 25.03.2018
Du hättest gehen sollen
Kehlmann, Daniel

Du hättest gehen sollen


weniger gut

Der Ich-Erzähler und Protagonist der Erzählung, ein Drehbuchautor, fährt Anfang Dezember für fünf Tage mit seiner Frau Susanna und seiner vierjährigen Tochter Esther zu einem einsamen Ferienhaus in den Bergen. Soweit die Fakten. Alles was darüber hinaus passiert ist – wie das Haus selbst – perspektivisch verzerrt bzw. entspringt den Wahnvorstellungen des Ich-Erzählers.

Die nicht-euklidische Geometrie hat es Kehlmann, nicht nur in „Die Vermessung der Welt“, sondern auch in diesem Buch angetan. So erhält der Protagonist vom Gemischtwarenhändler des Bergdorfes ein Geodreieck (31), mit dem er Dreiecke konstruiert, deren Winkelsumme nicht 180 Grad ergeben will (54). Ein Hinweis auf die verzerrte Wirklichkeit.

Seine Flucht mit Tochter Esther vom Ferienhaus in Richtung Dorf endet am Ferienhaus. (84) Es gelingt ihm nicht, seinen Wahnvorstellungen zu entfliehen, stattdessen steigert er sich weiter hinein. Kehlmann kehrt die Innenwelt nach außen, thematisiert Identitätsprobleme und Psychosen. Es geht um mehr als eine Schaffenskrise, um eine psychotische Abwärtsspirale.

So wie der Ich-Erzähler, werden auch die Leser zunehmend von der düsteren Erzählung verwirrt. Die Ebenen der Erzählung vermischen sich, aber die Protagonisten wirken farblos. Kehlmann experimentiert, aber die Geschichte überzeugt nicht. Zu den Themen Identität und Wahn gibt es ausgereifte Werke in der Literatur, z.B. von Leo Perutz, einem wahren Meister verschachtelter Erzählungen.

Bewertung vom 24.03.2018
Lehrerzimmer
Orths, Markus

Lehrerzimmer


sehr gut

Eine schwarze Satire auf den Schulbetrieb

Das Geheimnis des Schullebens, doziert Schuldrektor Höllinger, seien die vier Säulen, die er Angst, Jammer, Schein und Lüge nennt. Ist eine Schule vergleichbar mit einem absurden Theater? Markus Orths, einst selbst als Lehrer tätig, vermittelt in seiner Satire genau diesen Eindruck.

Wer die innere Kündigung noch nicht vollzogen hat, ist übertrieben bürokratisch, pedantisch, psychopathisch oder im Extremfall ein Revolutionär. Jeder scheint seine eigene Antwort auf den grotesken Schulbetrieb gefunden zu haben. In Big Brother-Manier werden Räume überwacht und Gespräche belauscht.

Auffallend ist neben der beißenden Komik die besondere Perspektive. Der Autor betrachtet das gesamte Schulsystem einschließlich aller Beteiligten aus dem Blickwinkel der Lehrer. Auch werden keine altbekannten Schülerstreiche aus dem Klamottenkeller wiederbelebt. Diese Besonderheiten verleihen dem Buch die notwendige Würze.

Markus Orths brachte in einem Interview zum Ausdruck, dass er nach diesem Buch nicht mehr als Lehrer arbeiten könne. Warum eigentlich nicht? Wer Mängel im System erkennt und satirisch aufbereiten kann, sollte diesem System erhalten bleiben. Für humorvolle Lehrer ist an jeder Schule Platz vorhanden.