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Top-Rezensenten Übersicht

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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 473 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


ausgezeichnet

Wahnsinn!
Matt Haig kennt sich aus mit der Psyche der Menschen! Und dies auch, wenn es um die tiefen, dunklen Winkel der Seele geht. Selten hat mir jemand mit einem Roman - der Geschichte des fürsorglich-besorgten Vaters Terence Cave, der nach einigen familiären Schicksalsschlägen seine 15-jährige Tochter Bryony vor den Gefahren der Welt bewahren will - ein Phänomen wie die 'wahnhafte Besessenheit' derart nahe gebracht, derart einfühlbar beschrieben. Die Geschichte ist eine Tragödie (in dem Bemühen um das Gute und Richtige das genaue Gegenteil bewirken) rund um die Themen Verlust, Schuld und Angst. Jeder Verlust ist auch eine Form der Gewalt, die einem das Leben antut; nur leider kann man es dem Leben nie zurückzahlen, was es einem angetan hat, man kann sich nicht am Leben rächen! Und so ist man - sofern die Bearbeitung des Verlustes nicht gelungen ist - in einer Ambivalenz zwischen Depression und Aggression gefangen. Und bei dem fürsorglichen Mr. Cave neigt es sich zur Aggression hin. In einem unvergleichlich subtilen Spannungsbogen erzählt Matt Haig von der schuldgetriebenen Fürsorglichkeit des Vaters Terence Cave, der versucht, alles beim Alten zu belassen, das Vergangene zu reparieren - dafür steht als deutliches Symbol der Job eines Antquitätenhändlers. Tochter Bryony aber ist dabei, zunehmend ihr eigenes Leben zu entdecken, wozu auch das Interesse für das andere Geschlecht zählt. Je mehr Terence versucht, seine Tochter zu beschützen, zu kontrollieren, desto mehr entzieht sie sich ihm. Terence ist irgendwann nicht mehr er selbst - es kommt zu zwischenzeitlichen Depersonalisationserlebnissen. Die unverarbeiteten traumatischen Verluste (Suizid der Mutter, Tod der Ehefrau bei einem Einbruch, tödlicher Unfall seines Sohnes, des Zwillingsbruders von Bryony) sind die Basis für eine zunehmende Angst und Panik, ausgelöst durch den gefühlten Verlust an Kontrolle über seine Tochter; und schlägt schließlich um in eine der Angstabwehr dienende Gewalt. "Das ist unsere Tragödie, stimmts? Wir alle wollen die Welt nach unseren Vorstellungen formen. Wir wollen, dass alles so gesehen wird, wie wir es sehen. Wir wünschen uns die Kontrolle darüber, was oder wer geliebt wird, und haben doch nicht einmal die Kontrolle über unseren eigenen Verstand." Die Geschichte hat die Form eines Berichts, in dem Terence Cave seiner Tochter Bryony seine Sicht der Ereignisse erzählt, versucht, sein Handeln verstehbar zu machen - bis zum bitteren Ende. Fantastischer Roman. Wahnsinn! Nur: Wer auch immer das Buchcover gestaltet haben mag, hat den Roman entweder nicht gelesen, oder nicht verstanden, so lieblich wie es gestaltet ist - in der Geschichte geht es nämlich um weit mehr als um einen 'goldenen Käfig' der zu einem Gefängnis wird.

Bewertung vom 21.01.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


sehr gut

Vergangenes Lebensgefühl...
Es ist gut, dass Gianfranco Calligarich's Roman "Der letzte Sommer in der Stadt" aus dem Jahr 1973 noch einmal neu aufgelegt worden ist, beschreibt er doch ein Lebensgefühl, welches in unserer strebsamen Welt der Arbeit nahezu völlig in Vergessenheit geraten ist. Das Ende vorwegnehmend: "Ich denke, alles strebt zum Meer. Zum Meer, das alles aufnimmt, all die Dinge, die nie geboren werden konnten, und die für immer gestorbenen. Ich denke an den Tag, an dem sich der Himmel auftun wird und sie, zum ersten Mal oder erneut, ihre Daseinsberechtigung erlangen." Leben mit Ambivalenzen: Ganz das Leben kosten, oder vergehen; das Nichtstun bei gleichzeitigem ständig Unterwegssein. Für ein Jahr in Rom, der Sommer, eine Liebe, die nicht funktionieren will, aber gleichzeitig ungeheuer präsent ist; der Tod eines Freundes; Rumhängen und Trinken bis zur Sucht; sich ständig auf den sonnigen Plazas und in Restaurants aufhaltend; täglich das volle Leben kostend, sich aber irgendwie auch im Kreise drehend; das Hier und Jetzt genießend, aber ohne eine richtige Zukunft auch verloren sein. Als Leser:in wird man in ein Stimmungsgemisch zwischen Sinnesfreuden, Melancholie und Verzweiflung hineingezogen: "Nie hatte ich so sehr gespürt, dass sie zu mir gehörte, wie in diesem Moment, als sie einem anderen gehörte. Dumm gelaufen. Ich wusste, was das hieß, nämlich dass sie nur zu mir gehören konnte, wenn sie einem anderen gehörte." Ein bisschen 'Taugenichts', ein wenig 'Die Gleichgültigen' von Alberto Moravia. Wer sich in die Geschichte hineinziehen lassen kann, wird ein wunderbares Leseerlebnis haben.

Bewertung vom 18.01.2022
Erschütterung
Everett, Percival

Erschütterung


sehr gut

Sehr beeindruckend!
Dem mir bislang unbekannten Autor Percival Everett ist mit "Erschütterung" ein beeindruckender Roman gelungen! Eine Einladung, nochmal neu über das (eigene) Leben und den Tod nachzudenken. Weil es am Ende ebend immer um Leben und Tod geht - das eine bedingt schließlich das andere. Hätte man nicht vorher den Klappentext gelesen, wüsste man zunächst nicht, in welche Richtung einen die Geschichte führen möchte. Auch sind die einzelnen Unterkapitel merkwürdig überschrieben: Zunächst mit paläontologischen Fach-Exkursen, dann mit Bildbeschreibungen aus dem Louvre, mit Zügen aus einem Schachspiel, mit dem "Ich packe in meinen Koffer"- Spiel... (was der Struktur der Geschichte aber am Ende einen Sinn gibt und das Lesen überhaupt nicht beeinträchtigt)... Da ist der Paläontologe und Universitätsprofessor Zach Wells mit seiner Frau Meg und seiner Tochter Sarah, der sich um Außenweltliches nicht mehr so recht kümmert, sich in seinem Leben 'eingerichtet' hat. Da ist der Alltag, mit dem er sich abgefunden zu haben scheint - auch die Avancen einer seiner Studentinnen nimmt er eher nur nebenbei wahr - Zack Wells wird dann aber 'erschüttert' durch die Diagnose einer neurologischen Erkrankung seiner 12-jährigen Tochter, die über eine rasch fortschreitende demenzielle Symptomatik zum Tode führen wird; zudem suizidiert sich in seinem beruflichen Umfeld eine Kollegin; und dann entdeckt Wells in einem über Ebay erstandenen Hemd auf einem eingenähten Zettel einen Hilferuf - offensichtlich (wie sich an späterer Stelle herausstellt) von einer zur Zwangsarbeit entführten Mexikanerin. Und die Suche und Befreiung dieser Frau wird ihm zur Mission. Gegen den Verlust, den Tod seiner Tochter kann Wells nicht ankämpfen - durch die Rettungsaktion aber wieder Kontrolle über das entglittene Leben zurückgewinnen. Am Ende ist die Geschichte zugleich ein wenig absurd und auch traurige Wirklichkeit... wie gesagt, es geht immer um Leben und Tod! Sehr beeindruckend!

Bewertung vom 14.01.2022
Der Herzgräber
Williams, Jen

Der Herzgräber


gut

Ein kleiner Pageturner!
Dass Jen Williams vor "Der Herzgräber" Romane geschrieben hat, die dem Genre Fantasy zuzuordnen sind, merkt man ihrem aktuellen Thriller an. Ein durchaus spannender, knapp vierhundert Seiten langer Pageturner, der sich recht gut liest. Auch die Story ist durchaus ansprechend: Die Mutter von Heather Evans stirbt durch Suizid; zwar hatte die Tochter ein nicht ganz so gutes Verhältnis zu ihrer Mutter, aber Beerdigung und Nachlass wollen gemanagt werden, weshalb Heather in ihren Heimatort zurückkehrt. Dabei stößt Heather auf einen Stapel alter Briefe, die ein sich noch in Sicherheitsverwahrung befindlicher Serienmörder ihrer Mutter geschrieben hat. Heather beschließt Nachforschungen anzustellen, was den Charakter dieser seltsamen Beziehung ihrer Mutter zu diesem Mörder betrifft, der seinerzeit als der 'Rote Wolf' durch die Presse gegangen ist. Und die Morde an Frauen haben auf genau diese Weise erneut begonnen, wie sie seinerzeit vom 'Roten Wolf' begangen worden sind. Auch will Heather mehr über sich selbst und ihre eigene Herkunft zu erfahren. Dabei stößt sie auf erschreckende Zusammenhänge und fühlt sich selbst auch bald verfolgt und bedroht. Nicht alles ist schlüssig und einigers wirkt arg konstruiert, was aber durch den bis zum Schluss spannenden Aufbau und die schrittweisen Enthüllungen voll ausgeglichen wird.

Bewertung vom 12.01.2022
Die Anomalie
Le Tellier, Hervé

Die Anomalie


sehr gut

Äußerst anregend...
Was kennzeichnet eigentlich gute 'Science Fiction'? Dass sie ohne Action und dergleichen auskommt, nicht allzu weit entfernt ist von der aktuellen Lebensrealität, dass sie die intellektuelle Auseinandersetzung sucht; wenn es einen Spannungsbogen gibt...und wenn dann auch noch die Qualität des Textes passt und den Namen 'Literatur' verdient... ja dann ist es gute Science Fiction. Und genau das ist Hervé Le Tellier mit 'Die Anomalie' gelungen. Was würden wir eigentlich denken, fühlen und tun, wenn es uns zweimal gäbe? Und ist ein identisches und verdoppeltes Geschöpf noch ein Geschöpf Gottes? Oder sind wir - und somit auch die Anomalie - die Simulation einer höheren Intelligenz? Und ist das jetzt der etwas andere Gottesbeweis? Ein äußerst anregendes gut gesprochenes Hörbuch, welches uns zum Nachdenken auffordert, nicht ohne ein Augenzwinkern.

Bewertung vom 09.01.2022
In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10
Neuhaus, Nele

In ewiger Freundschaft / Oliver von Bodenstein Bd.10


sehr gut

Sehr unterhaltsam!
Das war mein zweiter Krimi von Nele Neuhaus - und eigentlich bin ich auch kein Krimileser... aber gerne mal so 'für zwischendurch'. Und vielleicht hat mir "In ewiger Freundschaft" gerade deshalb so gut gefallen, handelt es sich doch nicht um irgendwelche Gewaltorgien - es gibt ja Krimiautoren, die glauben fest daran, nur dann wahrgenommen zu werden, wenn sie in punkto Grausamkeit noch einen oben drauf setzen. Und zudem spürt man beim Lesen von Nele Neuhaus' inzwischen zehntem Krimi ein gewisses Augenzwinkern der Autorin, ist die Handlung doch im Verlagswesen angesiedelt. Apropos Handlung: Ein recht komplexes Geschehen mit vielen Namen ist für die Lesenden eine gut zu bewältigende Herausforderung, weil Nele Neuhaus es schafft, so ganz nebenbei immer wieder kurze Zusammenfassungen des aktuellen Geschehens, den aktuellen Stand der Ermittlungen, in die Handlung einzubauen. Auch ist das Personenregister zu Beginn äußerst hilfreich. Im Zentrum der Handlung steht eine alte Verlegerfamilie, in der es nicht immer ganz koscher zugegangen ist und man auch vor Mord nicht zurückscheut. Andere Rezensent:innen merken an, dass es überflüssige Handlungsstänge gibt - nämlich die privaten Beziehungen einiger handelnder Personen... ich finde es gerade gut, weil es nämlich ein Leben neben der Ermittlungsarbeit gibt; und das bettet die Geschichte - anders als bei einigen anderen Krimiautoren (ich kenne ja nicht so viele) - wunderbar in den auch uns vertrauten Alltag ein. Einen kleinen Durchhänger gab es im dritten Drittel, wegen der vielen Befragungen der Verdächtigen und sonstiger Personen - dies wird aber durch ein kurzes und stimmiges Ende wieder ausgeglichen. Und dann ganz am Schluss noch der wunderbare Epilog - wie bei Asterix das große Wildschweinessen nach überstandenem Abenteuer... nur halt in der Literaturszene ;-) Wie gesagt: Sehr unterhaltsam!

Bewertung vom 04.01.2022
Berauscht vom Leben
Libaire, Jardine;Ward, Amanda Eyre

Berauscht vom Leben


sehr gut

Ein Mutmacherbuch!
Das Anliegen des Buches der beiden Autorinnen Jardine Libaire und Amanda Eyre Ward ist ziemlich genial; die Idee ist nämlich, mit eigenen Geschichten und vielen Ratschlägen den Nachweis zu erbringen, dass man sich auch am Leben selbst berauschen könne und der Alkohol hierzu gar nicht nötig sei - und was man, statt zu trinken, alles unternehmen könne. Klar, wer will schon 'nüchtern' sein, meint diese Zustandsbeschreibung eben nicht nur 'enthaltsam gegenüber Alkohol' sondern auch 'trist, sachlich, humorlos' - so die Autorinnen in der Einleitung. Und dass es im weiteren darum gehe, zwar "ohne Alkohol, aber nicht ohne Rock 'n' Roll, Intensität und Schönheit" auszukommen. Tolle Gedanken, die mich sehr neugierig auf das Folgende gemacht haben. Wie in einem Rausch berichten die beiden Autorinnen, was sie inzwischen alles unternehmen, um sich ohne Alkohol zu berauschen; das reicht von der Wiederentdeckung des Spielerischen im Leben, über Yoga und die Badewanne, den Aufbau des eigenen Selbstbewusstseins bis hin zu Kochrezepten und Tipps für schmackhafte, alkoholfreie Getränke. Und es ist durchaus glaubhaft, wenn die beiden sagen "... aber manchmal erscheint einem genau dasselbe Feuerwerk einfach leuchtender, wenn das Gehirn nicht betäubt ist." Bei all den aneinandergereihten Empfehlungen für mehr Lebensfreude (eine typische Perspektive der wohlsituierten Oberschicht...) hat sich mir allerdings ein wenig der Verdacht aufgedrängt, dass die Sucht nach Alkohol hier durch eine neue Sucht ersetzt worden ist, nämlich einer Sucht nach Aktion, nach dem Besonderen; weil das eigentlich schwer Aushaltbare nämlich die Banalitäten des Alltäglichen sind - deshalb droht die Suche nach dem Nicht-Alltäglichen zu einem neuen Zwang, zu einer neuen Sucht zu werden, der aber immerhin viel gesünder ist. Trotzdem: Ein Mutmacherbuch.

Bewertung vom 03.01.2022
Wo kommen wir denn da hin / Offline-Opa Bd.1
Habicht, Günter

Wo kommen wir denn da hin / Offline-Opa Bd.1


weniger gut

Humor ist halt Geschmacksache...
"Dessous-Party ist im Grunde wie Tupper, nur mit Schlüpfern." Hhm... ist das jetzt eher lustig oder eher peinlich? Das habe ich mich an ganz vielen Stellen gefragt. Die Form: Da spricht der Autor uns Lesende persönlich als die Person Günter Habicht ("Günter ohne 'h') an. Und Günter Habicht schwafelt dann endlos auf uns los; und zwischendrin immer mit der unsäglichen Formulierung "Das muss ich Sie jetzt mal sagen...". Und Günter liefert sich mit jedem 'humorigen Kalauer' selbst ein weiteres Stichwort für die nachfolgende 'Spaßgeschichte', das nächste Thema. Das ist vielleicht mit ein paar Promille im Blut ein durchaus erträgliches Leseerlebnis; nüchtern betrachtet fallen einem dann aber doch einige Peinlichkeiten ins Auge... Apropos 'Auge': Wie das Buchcover, so auch der Inhalt: Plakativ und grob gezeichnet. Günter, wie seine Frau auch, frisch in Rente, ist gefordert, seine Zeit neu zu gestalten. Was also tun? In allen möglichen Bereichen für Ordnung sorgen, von alten Kneipen und von 'früher' schwärmen, nix von der modernen Technik halten; einen Job auf einem Campingplatz übernehmen u.v.m. Eine Aneinanderreihung von klischeehaften Taten und Ereignissen - nur mäßig durch so etwas wie eine Story miteinander verknüpft. Wäre das 'Buch' eine Bühnenperformance, würde man sich nach ungefähr 12,5 Minuten (die ausreichen sollten, dem Komödianten zumindest eine Chance zu geben...) danach sehnen, dass sich auf der Bühne endlich eine Auswechslung ereignen würde.

Bewertung vom 03.01.2022
Eifersucht
Nesbø, Jo

Eifersucht


sehr gut

Großes Lesevergnügen!!!
Ein Band mit 'Kriminalerzählungen' rund um das Thema 'Eifersucht'... Frei nach dem schönen Spruch "Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft" gelingen Jo Nesbo in seinem Erzählungsband subtile, ansprechende und wendungsreiche Geschichten... und Gott sei Dank verschont er uns mit Blutorgien. Diese ausgezeichneten Kurzgeschichten, von denen eine eine längere ist, sind weit mehr als nur 'Abfallprodukte', die es nicht zu einem kompletten Kriminalroman geschafft haben. Da ist der bestellte Mord, umrahmt von unerwartetem Verliebtsein und Hoffnung. Da ist der 'Eifersuchtsexperte' der Athener Polizei, der durch einen Eifersuchtsmord auf einer kleinen griechischen Insel mit seiner eigenen Vergangenheit, mit einer eigenen Schuld, konfrontiert wird. Wie wir ja wissen, sind ein großer Anteil an Morden Beziehungstaten; und der Autor lädt uns in spannend- unterhaltsamer Weise dazu ein, vertieft über das Phänomen Eifersucht nachzudenken. Wir haben nämlich die Wahl - den Schmerz, die Wut und Aggression der Eifersucht nach innen zu wenden und gewissermaßen mit einer Depression zu reagieren, oder es als einen mörderischen Akt auszuagieren (zumindest in der Fantasie - hoffentlich!!!). Nesbo erklärt, welch unterschiedliche Formen von Warteschlangen es gibt und dass es tödlich enden kann, sich vorzudrängeln. Spannend ist auch die mörderische Dynamik, die sich aus der Sucht des Schriftstellers nach Ruhm und der Sucht der Leserschaft nach einem ihrem Idol ergeben kann. Großes Lesevergnügen!!!

Bewertung vom 31.12.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Fantastisch!
Endlich mal wieder ein Buch, bei dem es richtiggehend schade war, dass es nach 367 Seiten ausgelesen war. Doch obwohl ausgelesen - ein Roman mit Nachhall. Aber auch im Leben hören Dinge auf, es gilt loszulassen, ohne dabei zu vergessen. Und das ist sinnbildlich dafür, wie es dem Protagonisten Kaspar in Bernhard Schlinks neuem Roman 'Die Enkelin' ergeht. Eine Geschichte voller Abbrüche und Wendungen - begeitet von den zentralen Frage 'Wie weitermachen? Wie neu beginnen?'. Nachdem Kaspars Frau Birgit sich suizidiert hat begegnet er in ihren für einen Roman gedachten Aufzeichnungen einem Geheimnis in ihrer Vergangenheit: Sie hatte eine Tochter, die sie ihm ein Lebenlang verheimlicht hatte, sich schuldig fühlend, die Tochter direkt nach der Geburt weggegeben zu haben, weil sie doch aus der DDR zu Kaspar in den Westen in ein anderes Leben flüchten wollte. Birgit hatte sich immer auf die Suche nach der Tochter begeben wollen, es war aber bei der Absicht geblieben; Kaspar übernimmt nun die Suche nach der Tochter. Dabei gerät Kaspar hinein in ein völkisch-nationalistisches Milieu. Er lernt dort seine 'Stief-Enkelin' Sigrun kennen - die Tochter seiner quasi Stieftochter und ist gefordert, sich mit einem rechten Gedankengut auseinanderzusetzen; und weil er eine große Zuneigung zur Enkelin verspürt, ist Kaspar bemüht, ohne eine Vorverurteilung die Auseinandersetzung zu suchen... und startet auch den Versuch Sigrun in eine andere Welt hinein zu retten. Dem Autor ist es gelungen, diesen Prozess mit viel Sensibilität zu beschreiben und er beschert uns Leser:innen einen emotional bewegenden und intellektuell herausfordernden Text. Unbedingte Leseempfehlung!!!