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Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 726 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2022
Alles andere ist eine Lüge
Lo Chiatto, Michele

Alles andere ist eine Lüge


ausgezeichnet

Mafia – Wie rutscht man rein und wieder raus?

Nach der Lektüre hat mich erstaunt, dass dieser Roman im Selbstverlag erschienen ist und damit leider nicht unterstützt wird von der „Marketing-Maschinerie“ der großen Verlage! Deshalb falle ich gleich mit der Tür ins Haus: Es ist ein lesenswerter Roman!
Wer sich für Mafiastrukturen interessiert und wie handelnde Personen mit viel Gewalt und vor allem Macht ihre Entourage am Laufen halten, sollte dieses Buch lesen. Wie eine Schlange hat die Mafia die Bevölkerung in Neapel im Würgegriff. Es ist ein Roman wie schon erwähnt und kein Sachbuch, aber mir scheinen die zugrundeliegenden Verzahnungen und die ungeschriebenen Gesetzte so real, dass hier nicht von Fiktion die Rede sein kann.
Die Geschichte, die hier um Nino Alfieri erzählt wird, ist in der Tat ausgedacht und eine gute Rahmenhandlung. Nino wacht nach einem Mordanschlag auf ihn im Krankenhaus auf und weiß er muss weg sonst kriegen „sie“ ihn.
Er ist in Neapel und es passieren täglich viele unglaubliche Taten, da wird ein Mann auf der Straße mit einem Kopfschuss exekutiert, ein Hund wird von Schrotkugeln durchsiebt und ein Mann verblutet auf einer Straßenkreuzung. Was ist hier los?
Nino flüchtet nach dem Angriff auf ihn zu seiner Großtante, die auf einem entlegenen Bauernhof lebt, aber hier fühlt sich Nino wie ein Tiger im Käfig. Selbstmord oder aufdecken was hier geschieht? ‚Alles andere ist eine Lüge‘ ist ein spannendes Buch, dass harte Szene beinhaltet und eigentlich hofft man fortwährend, dass es so was im echten Leben nicht gibt, aber die Sorge wächst von Seite zu Seite, dass die Welt sehr viel schlechter ist als man ahnt.
Michele Lo Chiatto schreibt eingängig gut. Der Schreibstil gefällt mir. Spannend, aber doch reflektiert und die Charaktere sind gut gezeichnet.

Bewertung vom 12.09.2022
Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1
Storm, Andreas

Das neunte Gemälde / Lennard Lomberg Bd.1


ausgezeichnet

Kunsthistoriker auf der Spur von Beutekunst

Wir lernen Dr. Lennard Lomberg kennen, ein Mann der weiß was er geschafft hat und sich nach vielen Jahren in London nach einer Karriere im Auktionshaus Christie’s wieder nach Bonn begibt um dort als Kunstsachverständiger zu arbeiten. Sein Spezialgebiet: NS-Beutekunst, wir schreiben das Jahr 2016. Er hat auch eine Tochter Julie, die Anfang 20 ist und dabei ist ihre Karriere zu starten im investigativen Journalismus.
Lomberg bekommt einen Auftrag von einem gewissen Dupret ein vermisstes Gemälde – Das neunte Gemälde - wieder an die Besitzer zurück zu führen. Kurz darauf ist Dupret tot und Lomberg muss sich im Strudel der Geschehnisse zischen BKA-Untersuchungen der Chefermittlerin Röhm, dem zwielichten Detektiv Deveraux der auf der Spur des Gemäldes ist und seinem guten vertrauten Mentor sowie Freund Peter Barrington den Fakten stellen.
Die spannende Geschichte treibt uns nicht nur historisch in verschiedene Zeitebenen, denn die Geschichte nimmt zu Begin des 1. Weltkriegs seinen Lauf und spinnt die Fäden bis in die Gegenwart zu Lomberg. Auch treibt es uns durch Europa, von Bonn nach Paris und weiter nach Barcelona und zu vielen anderen Handlungsorten.
Andreas Strom hat die geschichtlichen Dimensionen aus meiner Sicht hervorragend mit den kulturellen Facetten verlinkt und das Schicksal einzelner spannend erzählt. Wer einen schnöden Krimi erwartet, bekommt mehr als er eventuell möchte. Ich fand es super!
Andreas Storm schreibt genau die Art von Spannungsliteratur die ich mag! Europäisch, historisch verankert und dazu noch spannend ohne in der Summe trivial zu werden. Besonders erfreulich an diesem Debüt ist, dass es ein Auftakt einer Krimireihe sein wird. Denn Storm ist bereits im Band 2 und dort spielt wohl der spanische Bürgerkrieg eine Rolle und er wird „Die Triada von Madrid“ heißen. Ich bin sehr sehr gespannt!
PS: Auch wenn es nichts mit dem eigentlichen Text zu tun hat, gefallen mir die Karten im Vorsatz sehr wie auch das Cover.

Bewertung vom 09.09.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


sehr gut

Willkommen auf der Champollion!

Ich habe vorher nichts von Cay Rademacher gelesen, daher kann ich nichts im Vergleich zu seinen anderen Büchern sagen, aber mir scheint, dass er in anderen Kriminalfällen eine andere Schreibart hatte und eventuell Leser seiner anderen Krimis nicht voll auf ihre Kosten kommen.
Wir gehen hier zum Ende der 1920er Jahre gemeinsam mit einer interessanten Gruppe an Personen an Board der Champollion in Marseille. Die Reiseroute führt über den Port Said, den Suezkanal, nach Jemen und Oman. Dazu gibt es auf dem Vorsatz eine tolle Illustration, so etwas gefällt mir sehr!
Auf diese phantastische Reise begeben sich die Hamburger Kaufmannsfamilie Rosterg, Mutter, Vater inklusive verheirateter Tochter Dora mit Ehemann Theodor Jung, ein Fotoreporter der Berliner Illustrierten. Dann sind außerdem an Board der 1. Klasse neben den Rostergs noch eine Berliner Nachttänzerin, ein amerikanischer Ingenieur und eine englische Lady. Alle könnten von Interesse sein, wenn irgendwann Dora verschwunden ist.
So weit so tragisch, aber der Einzige der überhaupt davon überzeugt zu sein scheint, dass sie jemals an Board war ist ihr Ehemann! Nun beginnt für ihn nicht nur die Tortour sie zu finden sondern auch seine Wahrnehmung und alle anderen zu überzeugen, dass er Recht hat.
Ein psychologisches Spiel in Mitten einer tollen Szenerie! Mich hat das Buch überzeugt, weil ich gerne leichte Krimis in spannendem Setting lese, auch bin ich großer Agatha Christie Fan und ich würde behaupten, dass ist Cay Rademacher auch! Wer also „Mord auf dem Nil“ oder „Mord im Orientexpress“ kennt und liebt, wird hier bestens unterhalten. Nicht nur das 20er Jahre Setting ist herrlich gut beschrieben, auch die langsame Herangehensweise wie dieser Fall gelöst wird. Nicht actiongeladen, sondern gemächlich.
Auch sollte man sich für diese Schiffsreise interessieren, ist sie zwar Setting, aber nicht nur! Denn die Beschreibungen dieser Passage nimmt zu Recht einen großen Teil dieses Buches ein.

Bewertung vom 08.09.2022
Begleiten statt verbieten
Lutz, Leonie;Osthoff, Anika

Begleiten statt verbieten


ausgezeichnet

Entwicklungsziel: Medienkompetente Familien!

Meine Tochter kam diese Woche in die weiterführende Schule und durch den neuen Schulweg, der auch eine Ubahnfahrt beinhaltet, hat das gute Kind nun auch ein Smartphone. Ich schreibe bewusst nicht Handy, denn wenn es „nur“ ein Telefon wäre, hätte ich nicht so viele bedenken! Davon mal abgesehen gibt es im Haushalt mehrere Tablets, Spielekonsolen, Laptops und natürlich den smarten Fernseher – alles mit dem Wlan verbunden! Das ich da angesichts der Fülle an Toren zur Welt kleine Sorgenfalten bekomme, ist doch verständlich, oder?
Daher habe ich mir „Begleiten statt verbieten“ durchgelesen um mich besser zu rüsten! Dieses Buch hat mich ein wenig aufatmen lassen. Es ist sehr pragmatisch geschrieben, mit vielen Tipps gespickt und macht konkrete Handlungsräume auf. Es wird zwar auch einiges erklärt, aber das hält sich in den Grenzen des notwenigen.
Aufgeteilt ist das Buch in zwei große Blöcke, die dann wiederum runtergebrochen werden. Der erste große Block beleuchtet die „Zukunftskompetenz – warum es ohne sie nicht geht“ und geht auf die notwenigen digitalen Kompetenzen ein, die unser aller Kinder noch dringender brauchen werden als wir es bisher taten. Hier wird dann ganz konkret auf Bedienen und Anwenden eingegangen, die kompetente Recherche, Kompetenz Problemlösen und Handeln und vieles mehr. Im Text sind immer wieder Sätze grün hervorgehoben um deren Bedeutung hervorzuheben, daher ist auch ein blättern und suchen nach Stichworten kein Problem.
Der zweite große Block beschäftigt sich damit wie „Kinder sich in der digitalen Welt sicher bewegen“. Dieser Teil lag mir besonders am Herzen und geht auf das cyber mobbing ein, wie das Suchtverhalten bei Gamern und wie man soziale Medien dosieren sollte und dann wird natürlich der Titel noch in den Fokus gestellt: Begleiten statt verbieten. Immer nah dran bleiben und zeigen lassen was das Kind dort im Netz macht und besprechen.
Vor allem fand ich die letzten Teile mit Tipps zu Webseiten und Apps hilfreich sowie die Anregungen zu den digitalen Familienregeln.
Aus meiner Sicht haben Leonie Lutz und Anika Osthoff hier einen kompakten und zugleich umfangriechen Ratgeber zusammen geschrieben, der leicht konsumierbar ist und Erziehungsberechtigten hilft sich zu orientieren!

Bewertung vom 08.09.2022
Isidor
Kupferberg, Shelly

Isidor


sehr gut

Schmal, aber gehaltvoll

Mir hat dieser schmale Band eines jüdischen Lebens in Form von Dr. Israel Geller, auch genannt Isidor, vorzüglich gefallen. Seine Großnichte, Shelly Kupferberg, hat sich der Geschichte ihres Großonkels angenommen und sein spannendes wie trauriges Leben in diese Biographie gegossen. Er war ein Mann der sich hochgekämpft hat, von Galizien nach Wien, von unten nach oben. Ein hart arbeitender Mann, der aber auch ein Genießer des schönen Lebens war. Bis die Nazis ihm brutal mit ihrem Judenhass den Boden unten den Füßen entzog.
Dieses Buch ist der Debütroman von Shelly Kupferberg und ist eine sehr persönliche Arbeit. Ob das zu diesem großartigen Schreibstil geführt hat? Sie schreibt mitreißend, gut und hat mich voll überzeugt. Auch wenn dieses Porträt nur knapp 240 Seiten umfasst, zeigt es uns Charaktere mit Ecken und Kanten und zeichnet sie lebhaft.
Das zusätzliche Interview mir Shelly Kupferberg am Ende des Buches über ihre Recherche und Herangehensweise war auch hochinteressant, um die Hintergründe zu verstehen um das Entstehen des Buches. Ach und natürlich ist der Stammbaum ganz am Ende auch hilfreich – ich habe ihn leider erst recht spät entdeckt.
Ein jüdisches Leben – eine Innenansicht, bedrückend und so wichtig diese Erinnerung zu bewahren.

Bewertung vom 08.09.2022
Bei Regen in einem Teich schwimmen
Saunders, George

Bei Regen in einem Teich schwimmen


ausgezeichnet

Wann will man weiterlesen und wann fühlt man sich als Leser ernst genommen?

Beinahe wäre mir dieses gute Buch durch die Lappen gegangen und dann sah ich es doch an vielen Stellen auftauchen, sei es bei Bloggerinnen, bei redaktionellen Literaturkritiker(innen) oder auch einfach nur bei Bekannten. Zum Glück, denn sonst wäre mir ein Lesevergnügen entgangen mit den Abhandlungen des texanischen Literaturprofessors George Saunders „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ über seine liebsten russischen Meistergeschichten des 19. Jahrhunderts. Ich habe das Buch in der Tat verkannt und dachte es wäre mehr ein Buch für Schreibende als für Lesende! Aber nein, ein Buch (wie so oft) für alle! Es ist eine Schule des Lebens, nicht nur des Schreibens!
Er selbst, Georg Saunders, ist ein begnadetere Kurzgeschichtenschreiber und lehrt seit 1997 an der Uni Syracuse creative writing und dieses Buch ist im Grunde die Essaysammlung aus all den Jahren der Lehre nun als zusammengetragen.
Es sind in der Summe 7 russische Erzählungen. Erst liest man die jeweilige Geschichte und dann geht es in die Analyse von Saunders. Aber keine Angst, kein staubtrockener wissenschaftlicher Text. Er nähert sich literarisch. Macht Interpretationsangebote und bindet die Leserschaft in seine Gedankenwelt ein. Er hat viel Gutes aufzuzeigen, wenn er die Konstruktionen auseinander nimmt, aber er scheut auch Kritik an den großen Meistern nicht. Im Grunde steht immer die Frage im Raum: Wie gut funktioniert eine Geschichte?
Fazit: Dieses Buch bietet nicht nur unverhofft 7 gute Kurzgeschichten der russischen Meister sondern grandioserweise auch gleich die Interpretationen von Saunders en detail mit. Sprachlich auf allen Seiten ein Genuss!

Bewertung vom 07.09.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Aufgearbeitete ukrainische Familiengeschichte

Fast schon grotesk, dass sich die Enkelin eines Flüchtlings aus der Ukraine, die es in die USA schaffte, nun einen Roman schreibt und ihrer Familiengeschichte auf den Grund geht und der Roman fertig ist kurz bevor der Krieg ausbrach und nun im Grunde brandaktuell ist und uns die Vergangenheit der Ukraine im UdSSR Kontext näherbringt. Erin Litteken begann sogar zu schreiben noch bevor der Konflikt auf der Krim entflammte 2014.
Der Roman hat zwei Erzählstränge und verbindet sich dann. Der erste spielt 2004 und wir lernen Cassie kennen, die mit ihrer Tochter in Illinois lebt und kürzlich ihren Mann bei einem Autounfall verlor. Ihre Großmutter Bobby emigrierte aus der Ukraine in die USA und begann dort ein neues Leben. Da Cassie nicht so recht auf die Beine kommt nach ihrem tragischen Verlust schlägt ihre Mutter vor, dass sie bei Bobby einzieht, dort nach dem Rechten sieht und ihre Großmutter unterstützt, die so langsam alt wird und selbst von sich sagt bald zu sterben. Eine Win-Win-Situation.
Der zweite Handlungsstrang beginnt 1929 in der Ukraine und erzählt die Lebensgeschichte von Katja. Es beginnt idyllisch auf dem Bauernhof ihrer Eltern bis Stalins Idee der Kolchosen und der Verstaatlichung mit aller erdenklichen Macht durchgedrückt wird, viele ihr Leben lassen und das Leben einfach nur noch unbarmherzig ist. Dieser Teil hat mich besonders erschüttert und zeigt eindrücklich wie die Verstaatlichung und Stalins harte Hand damals führte. Kein Entkommen und viel Elend.
Mich hat der Roman aus zwei Gründen überzeugt. Er ist super leicht zu lesen und man taucht richtig schnell ein in die Geschichte. Erin Litteken hat hier einen guten Ton gefunden und auch beiden Strängen einen eigenen Ton gegeben. Auch die Übersetzung ist gelungen durch Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt. Der zweite ist noch offensichtlicher, denn es bringt einem Nahe wie das Verhältnis der ukrainischen Bevölkerung zur UdSSR entstanden ist und wie das ukrainische Volk schon damals enorm unter der harten Hand der UdSSR und Stalin litt. Der Strang in 2004 lockert den heftigen Teil zu Beginn der 30er Jahre in der Ukraine auf und es passt es super gut zusammen.
In der Summe ein gutes Buch, dass auch noch historisch bereichert.

Bewertung vom 06.09.2022
Pinguine in der Sushi-Bar
Schindler, Anna

Pinguine in der Sushi-Bar


ausgezeichnet

Ein Zeitungsartikel gab den Anstoß zu diesem Bilderbuch…

Das Bilderbuch „Pinguine in der Sushi-Bar“ ist ein herrlich gelungenes Gesamtkunstwerk aus einem kleinen feinen Verlag: Edition Pastorplatz. Ich finde es immer großartig tolle Bücher aus kleineren Verlagen zu entdecken wie dies hier. Es ist geschrieben von Anna Schindler und illustriert von Katrin Dageför. Und die Idee kam ohne Witz durch eine Zeitungsrandnotiz, die auch im Buch abgedruckt ist!
Dieses Bilderbuch ab 5 Jahren überzeugt vor allem mit der kreativen Idee der Geschichte und der tollen bildlichen Umsetzung. Es geht um ein Pinguinpaar, dass Nachwuchs erwartet und glaubt in der Stadt wäre ein sicherer Ort als die raue Natur. Sie landen in einer Sushi-Bar, der leider das leuchtende S fehlt und nur „Ushi-Bar“ genannt wird. Die Pinguine hauen rein und haben aber leider kein Geld, es eskaliert und just in diesem Moment schlüpft das Pinguinbaby und es wendet sich natürlich alles zum Guten. Der langjährige Koch möchte in Rente gehen und überlässt den Pinguinen die Bar und es gibt noch mehr Nachwuchs und die Suhsi-Bar verändert sich.
Dies oberflächlich einfache Bilderbuch ist in der Tat vielschichtiger und komplexer als man erwarten würde. Aber keine Sorge, ich meine es hat viele Themen zu bieten, die auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Das Bilderbuch ist ab 5 Jahren, kann aber auch schon mit pfiffigen 3-4 jährigen erkundet werden, auch wenn sie die unterschwelligen Themen noch nicht greifen können, die sie aber mit den Jahren auch erfassen werden. Was sind diese Themen aus meiner Sicht? Abwanderung, Migration in städtische Regionen oder andere Länder mit der naiven Ansicht, dass das Leben dort einfacher ist. Ohne Moss ist nix los! Adoption und jeder kann sein wie er will und wo er sich geborgen fühlt. Außerdem und sehr wichtig: Mit Kreativität kann man viele Situationen lösen.
Uns hat das Bilderbuch überzeugt und meine Kinder, die schon in die Grundschule gehen, fanden es auch immer noch total niedlich und haben es sich sehr gerne vorlesen lassen. Wir haben natürlich mehr über die impliziten Themen gesprochen, was zu einem guten Austausch geführt hat.
Am Ende ist und bleibt es ein gelungenes nettes Bilderbuch!

Bewertung vom 12.08.2022
Liebe ist gewaltig
Schumacher, Claudia

Liebe ist gewaltig


ausgezeichnet

Immer draufgehauen in einer Hölle auf Erden

Häusliche Gewalt ist kein Einzelfall und schon gar kein Phänomen weniger Gebildeter und Betuchter, wie es viele gerne darstellen. Es gibt auch beim Bildungsbürgertum genauso Monster der Tyrannei, nur wissen sie wie eine Fassade zu wahren ist. Und genauso ergeht es Juli, die einen schlagenden Vater hat. Eigentlich eine Vorzeigefamilie im Stuttgarter Vorort mit großem Haus, er Anwalt in der Automobilbrache mit schlauen Kindern – klassisch schwäbisches Bildungsbürgertum. Aber die Gewalt die hinter verschlossenen Türen wütet ist roh und selbst die Mutter macht sich zur Mittäterin, wenn sie nicht eingreift und die Schläge und Tritte verharmlost. Die schwäbische Vorzeigefamilie bleibt unbefleckt und das Übel wütet im Geheimen.
Wir begegnen Juli in drei verschiedenen Zeitebenen. Zunächst 2007, als sie Klassebeste ist und der ganze Stolz der Familie. Aber wenn sie nicht die Nummer Eins ist, dann triggert das den Vater der seine ganze Wut an ihr auslässt. Juli erträgt und leidet. Mit den Jahren flüchtet sie sich in enorm brutale Videospiele und wünscht dem Vater den Tod oder zumindest das Jugendhaus auf den Hals.
Dann folgt ein Zeitabschnitt 2014 in dem sich Juli nun Jules nennt sich von der Familie unabhängig selbst finanziert als professionelle Gamerin und Mathe studiert. Sie spürt zum ersten Mal Liebe und lernt zu vergessen mit Sanyu, auch wenn die Vergangenheit sie immer wieder einholt und Jules nicht darüber sprechen kann. Zu guter Letzt springen wir mit ihr ins Jahr 2016 nach Zürich wo sie sich den Langweiler Thilo geangelt hat und nun Julia genannt wird, Geld ist vorhanden, ihre Promotion hängt sie an den Nagel und es droht ein verqueres Schicksal, denn Thilo versteht sich hervorragend mit ihrem Vater.
Die Autorin Claudia Schumacher hat hier ein mächtig starkes Debüt vorgelegt. Claudia Schumacher kommt aus der journalistischen Schiene und war bisher als Kolumnenschreiberin tätig, nun auch als Romancierin! Wirklich sprachlich sehr gelungen, wie dieser Wirbelsturm an psychologischem Terror hier zwischen den Buchdeckeln über uns schwappt. Sie macht es plastisch und greifbar, dass es einem schlecht wird. Weiterlesen möchte man trotzdem, weil sie immer wieder Köder setzt und minimal vorgreift. Da möchte ich immer gerne weiterlesen und erfahren was, warum und wieso. Auch ist Juli eine höchst spannende Figur, nicht nur als armes Kind porträtiert. Auch sie ist ambivalent und natürlich psychisch instabil. Auch die schnelle Erzählweise, die in den ersten beiden Teilen aus der Ich-Perspektive zu uns dringt und dann im dritten Teil die Wendung bekommt aus der 3. Person zu erzählen.
Fazit: Explosiv gut erzählt wird hier wie Wohlstandsverwahrlosung aussieht.

Bewertung vom 12.08.2022
Die Schattensammlerin - Dichter und Dämonen
Orgel, T. S.

Die Schattensammlerin - Dichter und Dämonen


ausgezeichnet

Haltet den Dieb!

Wir schreiben Februar das Jahr 1830 in Frankfurt am Main, die junge Frau Millicent Wohl arbeitet im ersten Naturkundeinstitut des Landes: Das Senckenberg Museum. Es ist unwirtlich draußen, aber das hält die Frankfurter Bürgerschicht nicht ab ausgelassen auf einem Maskenball im Museum zu feiern. Milli wird während dieser Feier Zeugin eines Schädelraubes, Schädel des berühmten Schillers! Der Direktor des Hauses schenkt dem Vorfall keine große Beachtung, also macht Milli sich auf den Täter zu suchen und bekommt Hilfe vom Geheimrat Goethe, der den Schädel zurück möchte.
Dies ist das Buch zum Hörspiel und nicht andersherum! „Die Schattensammlerin“ entstand zuerst als eine reine Hörspielproduktion und ist nun auch als Buch zu haben. Ich habe es zunächst nicht gewusst, da mein persönlicher Anreiz für diesen Roman darin lag, dass es im historischen Frankfurt spielt.
Geschrieben haben ihn die Brüder Tom und Stephan Orgel, daher die Abkürzung T.S. Orgel. Diese beiden sind wohl unter den Fantasy-Kennern ein Begriff, da ich sonst sehr wenig in diesem Genre lese, sind sie für mich ein unbeschriebenes Blatt. Dieses Buch wird als historischer Mystery-Krimi bezeichnet und trifft den Nagel auf den Kopf. Diese Geschichte hat für meinen Geschmack genau die richtige Menge an allem, sprich der historische Kontext ist gut getroffen und bildet die Grundlage. Es gibt Fantasyelemente, ohne dass es aus meiner Sicht zu viel ist und spannend ist es auch noch!
Hinzu kommt ein herrliches Figurenkabinett. Es sind die unterschiedlichsten Charaktere, die hier aufeinanderprallen. Wirklich sehr gelungen. Natürlich habe ich die anfänglich ruhigere, aber resoluter werdende Milli ins Herz geschlossen. Sie kämpft für ein anderes Rollenverständnis und das ist sympathisch. Dann gibt es Figuren, die ich nicht so recht einzuordnen wusste: Abaris und natürlich unseren hochverehrten Goethe.
Alles in allem eine runde Sache dieses Buch – obwohl Fantasy sonst nicht meines ist, kann ich es empfehlen!