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Juti
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HD

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Insgesamt 773 Bewertungen
Bewertung vom 09.12.2021
An das Wilde glauben
Martin, Nastassja

An das Wilde glauben


sehr gut

Der Kampf mit den Bären einer Frau

Dieses Büchlein fällt gleich mit der Tür ins Haus. Wir sind dabei wie eine Frau, Natassja Martin, in Kamschatka nach dem Kampf mit einem Bären, der ihr den Unterkiefer zertrümmert und ins Bein geschlagen hat, aber dank des Einsatzes eines Eispickels dann doch das Weite gesucht hat, verarztet und ins Krankenhaus kommt.

Wir erleben als zweiten Höhepunkt den Wettkampf der französischen Medizin mit der russischen. Erstere verliert, weil sich bei der Operation der französischen Platte in den Kiefer Keime mit einschleichen.
Doch dann, mit dem Kapitel Frühling lässt das Tempo schlagartig nach, die gerade genesene, obwohl vermutlich im Gesicht entstellt, wieder zurück nach Kamschatka reist, um das Ereignis des Kampfes in Träumen und in der Wirklichkeit philosophisch nachzuvollziehen.

Man soll es kaum glauben. Aber dieses 137 Seiten dünnes Büchlein ist 40 Seiten zu lang. 4 Sterne

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Bewertung vom 07.12.2021
Sommerfrauen, Winterfrauen
Kraus, Chris

Sommerfrauen, Winterfrauen


gut

Alle lieben Tante Paula

Was ist das denn für ein Roman? Da will unsere Hauptfigur einen Film für seine Akademie in New York drehen. Er entscheidet sich zunächst für ein Film über Sex. Da er aber nicht pornographisch werden will, wählt er das Liebesspiel mit Ohrläppchen. Irgendwie hat er zwischendurch noch die Idee von einem Film über einen unbekannten Schriftsteller.

Dann aber trifft er Tante Paula, die als Jüdin aus Riga die Nazi-Zeit überlebt hat, weil der SS-Sturmführer in sie verliebt war. Ihres Lebensgeschichte wird der Filminhalt unseres Protagonisten, der eigentlich keinen „Nazischeiß“ (S.19) behandeln wollte.

Bleibt noch der Titel zu klären. Außer im Vorwort ist mir nicht klar, wo die Worte „Sommerfrau“ oder „Winterfrau“ erstmals genannt werden. Die Erklarkärung folgt aber erst auf S.179: „Eine Sommerfrau braucht Anbetung, männliche Hege und Pflege, eine Gartenschere, weil sie wie eine wilde Hecke wächst und geschnitten werden will, nach ihren Vorstellungen, aber gedüngt mit den Exkrementen des Mannes (oder zumindest sein Geld).“ Und auf S.180: „Die Winterfrau hingegen ist autark. […] Verantwortungsvoll und groß ist sie im Schmieden von kleinen Plänen. Eine Gartenschere braucht sie nicht, warum auch, auf ihr liegt immer Schnee. […] Männer sind Teil der feindlichen Natur. Ebenso Frauen. Die Winterfrau kann alleine leben, die Sommerfrau niemals.“

Wirklich überzeugend waren die Verhöre von Tante Paula, ebenso seine Gedanken über Ohrläppchensex. Dem gegenüber stehen leider unendlich langatmige Dialoge, vor allem im Bekanntenkreis unseres Helden, so dass mich leider nur für 3 Sterne entschieden habe.

Bewertung vom 03.12.2021
Wir Klimawandler
Kolbert, Elizabeth

Wir Klimawandler


ausgezeichnet

technologische Lösungen

Hauptthese des Buches ist, dass wir bereits im Erdzeitalter des Anthropozäns leben.

Diese These wird zu Beginn des Buches mit dem Chicago-River untermauert, der im 19. Jahrhundert vom Menschen aus dem Michigansee ins Flusssystem des Mississippi umgeleitet. Damals war der Grund, dass das schmutzige Flusswasser nicht den Michigansee belasten sollte, weil Chicago aus ihm sein Trinkwasser bezieht. Heute ist das Wasser so sauber, dass chinesische Karpfen, die in Seen des Mittleren Westens einst ausgesetzt und heute eine Plage sind, mit elektrischen Flusssperren vom Wandern in die großen Seen abgehalten werden müssen, weil sie dort eine ökologische Katastrophe anrichten würden.

Dies erinnerte mich wie das 5. Kapitel über die Agakröte in Australien, die einst zur Schneckenbekämpfung ausgesetzt wurde und jetzt mit ihrem Gift die heimischen Wildtiere tötet, die sie fressen an das Buch „Die neuen Wilden“ von Fred Pearce, das ich vor fünf Jahren gerne gelesen habe. Die Kröten sollen durch Gentechnik ungiftig gemacht werden.

Über den umgekehrten Fall – die Rettung von Arten – geht es im 3. Kapitel mit dem Wüstenkärpfling, einem nur wenige Zentimeter großen Fisch, der nur in einer Höhle in Kalifornien lebt und zu dessen Rettung mit Millionenaufwand eine fast identische zweite Höhle gebaut wurde, die aber nicht ganz so gut funktioniert wie die Naturhöhle.
Im nächsten Kapitel geht es um die Rettung von Korallen durch Züchtung der resistentesten Arten.

Bevor wir zum letzten titelgebenden Teil des Buches kommen, muss ich noch erwähnen, dass im 2. Kapitel der Landverlust im Mississippi-Delta in Louisiana thematisiert wird. Weil der Fluss eingedeicht ist, kann er keine Sedimente mehr ablagern, was zur Folge hat, dass das Land einschließlich der Stadt New Orleans immer weiter sinkt. Die Folge ist, dass immer mehr Wasser abgepumpt werden muss, wodurch das Land immer weiter sinkt.

Die letzten drei Kapitel des Buches beschäftigen sich mit den Maßnahmen gegen den Klimawandel. Kapitel 6 beschreibt ein Verfahren CO2 unter die Erde zu bringen, wo es bei der Reaktion mit Basalt in nur 2 Jahren zu Stein wird. Kapitel 7 will aufgrund der Erkenntnis, dass die Gase von Vulkanausbrüchen das Klima kurzfristig abkühlen können mit menschlicher Hilfe durch Aerosole die Sonneneinstrahlung vermindern. Dies ist hochriskant, weil man die nicht gewollten Nebenwirkungen nicht kennt. Das letzte Kapitel zeigt anhand von Eisbohrkernen aus Grönland, dass ein stabiles Klima wie in den letzten 11.000 Jahren erdgeschichtlich die absolute Ausnahme ist.

Viel Neues, so dass manche sprachliche Plattheit verziehen ist. 5 Sterne

Bewertung vom 29.11.2021
Das Land der Anderen
Slimani, Leïla

Das Land der Anderen


weniger gut

marokkanische Ehefrauenwelt

Dies war das dritte Buch von Slimani, das ich gelesen habe, und es war mit Abstand das schlechteste. Nach wie vor gefällt mir die Sprache der Autorin und das nichtlineare Erzählen, aber diesmal fehlt dem Roman die Handlung und damit die Spannung.

Die Hauptfigur ist die Elsässerin Mathilde, die ihren späteren Mann Amine während des Weltkriegs in Frankreich kennenlernt und mit ihm aufs Land nach Marokko geht, wo die Handlung einsetzt. Der Autorin gelingt es die Stimmung dort sehr gut wiederzugeben, doch fragte ich mich oft, warum ich weiterlesen soll.

Hinzu kommt, dass multiperspektivisch erzählt wird und mich das Leben von Selma langweilte. Gegen Ende wusste ich schlicht nicht mehr, wer mit wem wie in Beziehung steht. Daher nur 2 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.11.2021
Das Ereignis
Ernaux, Annie

Das Ereignis


ausgezeichnet

kurzes, prägnantes Abtreibungsbuch

Die Bücher von Ernaux sind schnell gelesen. Dieses aber hinterlässt mich nachdenklich. Die Autorin schreibt von ihrer Erfahrung in den 60er Jahren in Frankreich eine Abtreibung vorzunehmen, als das noch illegal war. Schwierig war es für sie überhaupt eine „Engelmacherin“ zu finden. Auch mit den Details der Prozedur verschont sie uns nicht.

An einer Stelle vergleicht sie ihr Leben mit den Flüchtlingen von Callais, die illegal ins Vereinigte Königreich wollen. Aber darf man alles erlauben, nur weil es Menschen gibt, denen die bestehenden Gesetze nicht passen?

Dieses Werk ist kein Buch für Abtreibungsgegner, die das Leben des Kindes schützen. Der Embryo wird nur „das Ding“ genannt.
Vor allem wegen der Kurzweile vergebe ich alle 5 Sterne. Ich finde einfach nichts zu meckern.

Bewertung vom 20.11.2021
Über Menschen
Zeh, Juli

Über Menschen


ausgezeichnet

Das beste Buch des Jahres

2021 habe ich nicht viele gute Bücher. Das neue Werk von Juli Zeh ist da eine würdige Ausnahme. Mich beeindruckt sie immer, in diesem Roman besonders, in welcher Geschwindigkeit sie die neue Corona-Welt in ihre Handlung einbaut.

Ähnlichkeiten mit „Unterleuten“ mag es geben, wieder ein Dorf in Brandenburg, in das eine Berlinerin geflohen ist und ein Haus gekauft hat. Doch in „Unterleuten“ gab es noch keine AfD, keine Nazis und natürlich kein Corona.

Zeh mag es ihre Figuren nicht schwarzweiß zu malen. Selbst den Dorfnazi Gote kann sie etwas Gutes abgewinnen. Gerade der erste Teil hat auch einen gewissen Sprachwitz. Auch inhaltlich hat mich die Tatsache amüsiert, dass die Dorfbewohner sich in der Küche von Doras neuen Hauses einen Kaffee kochen können, weil es früher mal der Dorfkindergarten war. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2021
Faserland
Kracht, Christian

Faserland


gut

Von Sylt nach Zürich

Dieses Buch kam wohl auf meinen Nachttisch, weil es anfangs als Vorgänger von „Eurotrash“ galt. Letzteres ist noch auf meiner to-do-Liste. Mir hat gefallen, dass der Autor von Sylt über Hamburg, Frankfurt auch nach Heidelberg reist. Er wollte einem Trendforscher in Karlsruhe aus dem Wege gehen. Der Autor hat auch tatsächlich die Partyszene erforscht, wenn ich auch den Eindruck hatte, dass er noch im alten Hauptbahnhof ankam, was aber zeitlich nicht passt.

In Heidelberg endet das Buch nicht, es folgt noch München, der Bodensee und Zürich. Seine Reise besteht hauptsächlich aus Party. Er hat Freunde vom Internat in Salem und vermutlich reiche Eltern, den von Beruf des Ich-Erzählers erfahren wir nichts.

Weil ich der Partys im Alkoholrausch überdrüssig wurde erhält das Buch nur 3 Sterne. Es ist schnell gelesen. Ich hoffe, dass „Eurotrash“ mehr verdient.

Bewertung vom 09.11.2021
Die Pest in London
Defoe, Daniel

Die Pest in London


sehr gut

Corona-Aktualität

Salman Rushdie hat mich im Fernsehen auf dieses bemerkenswerte Buch hingewiesen. Es regt die Leserin an, über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Pest 1665 und Corona 2020/21 nachzudenken.

Ein großer Unterschied ist, dass die Pest überwiegend im Hochsommer wütete, ein anderer, dass die Bewohner Londons die Stadt verlassen konnten, da die Pest nur eine Epidemie und keine Pandemie war. Wer rechtzeitig zur Familie aufs Land floh, bekam vom Unheil in London nicht viel mit. Wer sich aber zu spät zur Flucht entschloss, landete in den Nachbarorten vor verschlossenen Toren und konnte froh sein, wenn er mit Lebensmittel versorgt wurde. Defoe berichtet auch über eine Familie, die zu früh in die Stadt zurückkehrte und dann von der Seuche getötet wurde.

Gemeinsam mit Corona ist der Zusammenbruch der Wirtschaft und die Schwierigkeit die Quarantäne der Bevölkerung sicherzustellen. Die – und das ist auch mit 2020 deckungsgleich – Politik sorgte neben dem reibungslosen Abtransport der Leichen, die nur nachts beerdigt oder besser in eine Grube geschmissen worden, für die Aufstellung von Wachmännern vor Häusern, in denen sich erkrankte Personen befanden. Doch konnte eine Familie die Erkrankung den Behörden erst so spät melden, dass der gesunde Teil – vermutlich nicht nur der - rechtzeitig fliehen konnte.

Das Buch enthält zahlreiche Statistiken mit Todeszahlen, die nur Londonkenner oder Historiker spannend finden. Mehr noch störte mich, dass das Buch ein einziger durchgehender Text ohne Kapitel ist. Deswegen kann ich dem berühmte Autor heute nur 4 Sterne schenken.

Bewertung vom 05.11.2021
Zandschower Klinken
Kunst, Thomas

Zandschower Klinken


ausgezeichnet

der Zonk!

In meiner Jugend gab es die Sendung „Geh auf Ganze“ mit Jörg Draeger – was ist eigentlich aus ihm geworden? In dieser Sendung konnten die Kandidaten aus drei Toren ihren Preis auswählen, der „Hauptgewinn“ war der Zonk, ein rotes Stofftier.

Der Deutsche Buchpreis hat es sich wohl zum Spaß gemacht, immer auch einen Zonk auf die Shortlist zu setzten. Letztes Jahr kam er „aus der Zuckerfabrik“. Dieses Jahr habe ich offenbar bei der Shortlist mit dem Zonk begonnen. Nach 80 Seiten habe ich das Buch weggeworfen und gelesen. Aber in umgekehrter Reihenfolge. Sein Taxi war weiß, die Berge sind hier wilder und unkontrollierter als in den Alpen. Und nicht nur die Helligkeit der ADAC-Karte nervt.

Dies waren beliebte Wiederholungen des Buches, etwa in gleichem Stil zusammengefügt. Der Autor sagte in einem Interview auf Arte, er liebe es den Leser zu nerven. Dafür muss er aber besser werden, denn so legt der Leser das Buch aus der Hand.

Schade für die vielen Neulinge, deren gute Manuskripte nicht verlegt werden, weil lieber abgefahrene Kunst präsentiert wird. 1 Sternchen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2021
Hard Land
Wells, Benedict

Hard Land


gut

Der erste Satz

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“ So beginnt diese Buch und im Grunde genommen ist es so gespoilert. Bei Wells letztem Buch schrieb ich, dass es mich an Rosemunde Pilcher erinnert, ohne das ich sie überhaupt kenne.

Aber nach dem ersten Satz ist alles vorhersehbar. Unser jugendlicher Held Sam verliebt sich in beim Schüleraushilfsjob im Kino in seine Kollegin Kirsten. Außer kleinen Problemchen geht alles gut, selbst die Aufgaben, mit denen seine Freundin ihn auf die Probe stellt. Nur die Mutter stirbt, aber das wissen wir bereits. Die Trauer fällt der Familie nicht leicht, aber später hält sie fester zusammen als vorher.

Der Neologismus „Euphancholie“ auf S.99 beschreibt wirklich gut die Stimmung des Buches, das nach Enard eine Wohltat zu lesen ist. Ob der Literaturteil mit dem fiktiven Werk „Hard Land“ wirklich gelungen ist, ist diskutierbar. Ich habe das Interview des Autors mit Denis Scheck gesehen und wünsche ihn, dass er in Zukunft anspruchsvollere Themen anpackt. Er kann es bestimmt. Die 3 Sterne von mir möge er als Hinweis verstehen, dass er noch mehr kann.