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Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 152 Bewertungen
Bewertung vom 01.05.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


sehr gut

Lisas Leben ist von Einsamkeit, Zurückweisung und Resignation geprägt:
Die arbeitslosen Eltern bewältigen ihren eigenen Alltag nicht, vernachlässigen Kind, Wohnung und sich selbst und werden weder ihrer Rolle als Bezugsperson noch ihrer Fürsorgepflicht gerecht.
Zweiter Schauplatz ist ein Spielplatz, auf dem Jugendliche ihre Macht demonstrieren müssen, indem sie typisches juveniles Machogehabe an den Tag legen, um Lisa zu verängstigen, beleidigen und zu quälen.
Die dritte Station des Leidensweges ist die Schule - gemeine Mitschüler, ungerechte Lehrer, Abneigung, Ausgrenzung, Mobbing.
Stoisch versucht Lisa den Tag zu überstehen und unterschiedliche Bewältigungsstrategien wie Tagträume, Wunschdenken, eventuell sogar Hoffnung auf Veränderung anzuwenden.

Aus dieser Thematik sind gesellschaftskritische Coming-of-age-Romane wie „Shuggie Bain“, „Elmet“ oder auch Bergs eigener Roman „Brainfuck“ gestrickt. Hier aber begegnet uns ein Comic für Kinder und Jugendliche mit einer unglaublichen Wucht, unterstützt von den aussagekräftigen, intensiven, pointierten Zeichnungen Julius Thesings. Ein passendes Team ist hier am Werk, das in wenigen Strichen und Worten zeigt, wie schrecklich die Welt für jeden einzelnen sein kann, wie unglaublich wichtig es aber auch ist, die Hoffnung nicht aufzugeben und seine Ängste zu überwinden - auch wenn sich die überraschende Lösung in Form Walters, eines außerirdischen Freundes, der hilft, tröstet, stärkt und Augen öffnet, offenbart.

Ein besonderes, ungewöhnliches Kinderbuch, das sicherlich als Mut-Mach-Buch verstanden werden, das Groß und Klein beglücken und unterhalten kann und zeigt, von welcher Relevanz das eigene Handeln und das Vertrauen in die eigene Kraft ist.

Bewertung vom 30.04.2024
Tyger
Said, S. F.

Tyger


sehr gut

Eine Geschichte über Mut und Freundschaft, Treue und Kraft, Kunst und Literatur und das Hinauswachsen über sich selbst.
Das Gute zählt, der Glaube an Gerechtigkeit und die Möglichkeit, die Welt zu verändern, den Schwächeren zu helfen und sich für das Richtige einzusetzen.
Es geht auch um Selbstüberwindung, das Erkennen der eigenen Kraft und die Umsetzung seiner Ideen in die Realität.
Adam, ein Junge, der aus dem unterprivilegierten Sektor Londons stammt, begegnet durch Zufall einem magischen Wesen, einem riesigen Tyger, der seine Hilfe braucht, ein wunderbares, leuchtendes Geschöpf, das vom Erzfeind bedroht wird. Gemeinsam mit seiner neuen Freundin Zadie, einer Büchernärrin, versucht er, nicht nur Tyger zu retten, sondern im Kampf gegen das Böse geht es um den Erhalt der Welt, die Unterstützung der Armen und Hilflosen und die Überwindung der eigenen Angst. Adams Intuition und sein Herz führen ihn durch die Dunkelheit, helfen ihm bei wichtigen Entscheidungen und er nimmt die gefährliche Herausforderung an.
In poetischer und für Jugendliche geeigneter Sprache schafft es Said, seine Leserschaft in der Welt der Vorstellung und Magie zu entführen und die wunderbaren, eindringlichen Illustrationen unterstützen diesen Prozess.
Ein Buch, das mehr als ein Abenteuerroman ist, eine Lektüre, die von den wichtigen Dingen im Leben erzählt, die Mut macht, die das richtige Handeln und die Überwindung der Angst in den Mittelpunkt stellt.
Als Schullektüre ist dieser Roman durchaus geeignet, von prägnanter Kürze, vielfältige Diskussionsanlässe sind möglich, die z.T. lyrische Sprache kann analysiert werden und kreatives Arbeiten bietet sich an. Allerdings könnte das Mystische, Poetische z.T. auch Stirnrunzeln oder Ablehnung hervorrufen und Schüler, die mehr Action erwarten, werden zum Teil enttäuscht. Das positive Ende stimmt allerdings versöhnlich, es geht um das Wahre und Gute, die Verantwortung des Einzelnen, um Gleichheit, Akzeptanz, die Schönheit der Welt, gegen Diskriminierung, Rassismus und jegliche Form von Grenzen, Verstößen gegen die Menschenrechte. Die Message lautet: Die Schreckensherrschaft und Ungerechtigkeit können durch eigene Kraft überwunden werden, wenn du nur daran glaubst und den Mut zur Veränderung aufbringst.

Bewertung vom 30.04.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Was für ein Roman - schockierend, schrecklich, bewegend, todtraurig, Leid und Zerstörung als übergeordnetes Motiv.
Man leidet mit den beiden unterschiedlichen Figuren Philipp und Faina, hat immer wieder Hoffnung, dass sie es doch schaffen, dass sie ihr Leben aus eigener Kraft oder auch mit Hilfe von Freunden in den Griff bekommen, dass sie den äußeren Umständen trotzen, dass sie ihre Intelligenz, Freundlichkeit, Liebe, Schönheit nutzen, um für sich und andere zu sorgen und ihres eigenen Glückes Schmied werden.
Aber was für eine Welt ist das, in der alle Sehnsüchte und Hoffnungen zerbrechen? Wer trägt die Verantwortung für jegliches Scheitern? Wer ist Täter, wer Opfer?
Wunderbar einfühlsam führt uns die Autorin Lana Lux in ihrem dritten Roman „Geordnete Verhältnisse“ in die Geschichte der beiden Außenseiter ein. Hervorragend gelingt ihr die Charakterisierung, Handlungen, Motive, Ängste, Bedürfnisse, Gefühle und Gedanken werden in ihrer Widersprüchlichkeit genau analysiert und in den Figuren zum Leben erweckt. Beide werden unvoreingenommen dargestellt und man entwickelt schon zu Beginn für beide Seiten Sympathie und Verständnis, was sich im Laufe des Romans allerdings verschiebt.
Der introvertierte Philipp wird vom Kind bis zum jungen Erwachsenen genauso wie sein Pedant, die junge Ukrainerin Faina, begleitet. Eine ganz besondere Freundschaft verbindet die beiden. Sie schaffen es nicht, in einer Liebesbeziehung glücklich zu werden und es besteht Hoffnung, dass ein alternativer Lebensentwurf Zufriedenheit und Glück zu bringen vermag - eine tiefe Freundschaft als funktionierendes Band einer modernen Familie. Allerdings wird auch dieses fragile Konstrukt von menschlichen Leidenschaften und Gefühlen wie Eifersucht, Besitzdenken, Freiheitsstreben, Liebe und Hass geprägt und derjenige, den man zu lieben glaubt, wird zum größten Feind.
Dieser Roman lässt den Puls rasen, erschüttert, baut einen Sog auf und hinterlässt Betroffenheit. Eine toxische Beziehung steht im Mittelpunkt und der Leser fragt sich, wann der Ausweg möglich gewesen wäre. Einen Gewinner kann es nicht geben und selbst Unbeteiligte und völlig Unschuldige werden zum Oper, zum Spielball des Unglücks.
Eine klare Leseempfehlung für einen starken Roman - aber nichts für schwache Nerven.

Bewertung vom 01.04.2024
Kanak Kids
Dimitrova, Anna

Kanak Kids


ausgezeichnet

Auf der Suche nach Zugehörigkeit, Heimat, Freundschaft, Familie, Liebe & sich selbst
Die 16-jährige Dessi bewegt sich in zwei unterschiedlichen Welten und verwandelt sich jeweils in die, die in dieser Welt Akzeptanz und Anerkennung erfährt. Einerseits lebt sie mit ihrer bulgarischen Familie und ist mit ihrer Osteuropa-Clique als Dessi unterwegs, zum anderen geht sie als Daisy auf das schicke Gymnasium, wo sie blauäugig und mit blonder Perücke tagtäglich als erfolgreiche Schülerin auftaucht.
Einen Teil ihrer selbst lässt sie bei dieser Metamorphose jeweils zurück, er wird unterdrückt, da sie Zurückweisung oder sogar Ausschluss aus der Gemeinschaft fürchtet. Aber kann man seinen Freunden, seiner Familie tagtäglich etwas vorspielen? Hält man es auf Dauer aus, immer nur mit einem Teil präsent zu sein, den anderen Teil aber zu verstecken? Kann man mit diesem halben / geteilten Leben glücklich sein?
Die junge, energiegeladene Dessi geht sehr kreativ mit dieser Transformation um. Der Leser fühlt mit ihr und kann ihre Ängste und Befürchtungen verstehen, weiß aber, dass es keine Lösung auf Dauer sein kann.
Die Situation spitzt sich zu, die partielle Verleugnung der Realität nimmt dramatische Ausmaße an und nur noch ein Deus ex machina kann helfen. Aber wem kommt diese Rolle zu?
„Kanak Kids“ von Anna Dimitrova ist ein wunderbar leichter, unterhaltsamer und humorvoller Roman mit Tiefgang und ernsthafter Problematik, bei dem mir die Heldin schnell ans Herz gewachsen ist und ich voller Bewunderung staune, wie sie ihr Leben und ihre Freundschaften im Griff hat bzw. wieder in den Griff bekommt. Ein Akt der Befreiung steht am Ende, der einen Strudel auslöst und neue Wege und einen Neuanfang nicht nur für Dessi / Daisy ermöglicht.
Ein Jugendroman, der als Schullektüre durchaus geeignet ist und zu wichtigen Diskussionen über Themen wie Coming of Age, Sexualität, Coming out, kulturelle Identität anregen und außerdem noch Freude an Literatur vermitteln kann.

Bewertung vom 29.03.2024
Wer ist schon normal? / Willkommen bei den Grauses Bd.1
Bohlmann, Sabine

Wer ist schon normal? / Willkommen bei den Grauses Bd.1


ausgezeichnet

Originelle, wunderbar verrückte Geschichte mit einer positiven Message
Es geht um Freundschaft, Akzeptanz und Toleranz, um das bunte Miteinander jenseits festgefahrener Erwartungen oder Vorurteilen.
Die neuen, seltsamen Nachbarn haben es Ottilie angetan und beflügeln ihre Fantasie und nach dem allmählichen Kennenlernen entwickelt sich eine echte Freundschaft, bei der man einander unterstützt und für den anderen auch in schwierigen Situationen einsteht. Wenn man will, kann man nämlich alles schaffen! Gemeinsam sind wir stark!
Ottilie hilft der ungewöhnlichen Familie Grause auf dem Weg zur Normalität, denn das gefürchtete Institut will den verrückten Opa abschieben, da er sich nicht „normal“ benimmt. Aber dann bekommt der Schrat eine 2. Chance für 13 Tage, in denen er beweisen muss, dass er in der normalen Welt bestehen kann!
Opa wird geputzt, gewaschen, ordentlich angezogen und er soll lächeln, lieb zu seinen Enkeln sein und zusätzlich bekommt er neue Aufgaben: Geschichten erzählen, sauber machen, Süßigkeiten verteilen – ob diese Anstrengungen genügen?
Dieses Kinderbuch bringt auch Erwachsene zum Schmunzeln und Lachen durch die ungewöhnlichen Sprachschöpfungen und überraschenden Wendungen. Freundlich-schräge Illustrationen runden die Lektüre perfekt ab – ein tolles Geschenk für Kinder mit Fantasie, die gerne in fremde Welten abtauchen und skurrile, nette Gestalten kennenlernen möchten.

Bewertung vom 24.03.2024
Zeit der Schuldigen
Thiele, Markus

Zeit der Schuldigen


ausgezeichnet

Spannend, kurzweilig, tolle Rückblenden und mosaikhaftes Kennenlernen der unterschiedlichen Figuren und Beziehungen - man muss mitdenken, macht sich seine eigenen Gedanken, schließt aus, vermutet, hofft, kombiniert und wird gefordert und man muss die Wirklichkeit des Romans sowie die Realität unseres Rechtssystems ertragen.

„Zeit der Gerechtigkeit“ des Göttinger Rechtsanwalts Markus Thiele liest sich rasant; erstmal Feuer gefangen, kann man das Werk kaum zur Seite legen. Aber nicht nur die rasante Entwicklung der Geschichte zeichnet diesen Roman aus, sondern auch die verschiedenen Ebenen, die Handlungsstränge, die sich erst im Laufe der Zeit aufeinander zubewegen und miteinander verbinden.
Im Zentrum stehen die Vergewaltigung und der Mord an einem jungen Mädchen, die Polizeiarbeit, die zur Aufklärung des Falles führen soll, Mangel an Beweisen zur Überführung des Täters, persönliche Betroffenheit, Selbstjustiz. Die Geschichte basiert auf einem realen Fall, der im Anhang des Romans dargestellt und erläutert wird.

Der Leser wird indirekt aufgefordert, Stellung zu beziehen, eigene Überlegungen anzustellen, auf alle Fälle mitzudenken. Diese bewusst offengelassenen Leerstellen – dass man nicht alles auf dem silbernen Tablett serviert bekommt, auch dass nicht alle Fragen beantwortet werden - sind reizvoll und bieten aktiven Lesegenuss bei diesem schwierigen, kaum zu ertragenden Thema.
Thieles Roman hat wieder einmal zum Nachdenken angeregt und ich glaube, dass er gerade auch für junge Menschen sehr geeignet ist, einen Eindruck von der Vielschichtigkeit von Wahrheit zu bekommen. Gerechtigkeit und Schuld, Bestrafung, Genugtuung und Rache sind nie eine bloße mathematische Aufgabe, bei der es nur richtig oder falsch, sondern ganz viele Grauzonen gibt - und das wurde mir bei diesem klugen, hintergründigen und intensiven Roman so deutlich, der die Erwartungshaltung des Lesers nicht befriedigt. Es ist nicht wie im Film: Wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende – aber ein Happy End wäre in diesem Fall nur verstörend und würde uns auch nicht befriedigen.

Bewertung vom 17.02.2024
Blutrot / Die Áróra-Reihe Bd.2
Sigurðardóttir, Lilja

Blutrot / Die Áróra-Reihe Bd.2


sehr gut

Der Krimi startet rasant mitten im Gewaltverbrechen: Gudrun, Ehefrau des vermögenden isländischen Unternehmers Flosi wurde gekidnappt und ein Verbrecherschreiben verlangt ein hohes Lösegeld. Wenn nicht gezahlt würde, müsse sie sterben. Flosi ist untröstlich, steht unter Schock, will alles für die sichere Rückkehr seiner geliebten Gudrun tun und verzichtet vorerst auf die Einschaltung der Polizei, um die Übergabe und den Austausch des Geldes gegen das Leben seiner Frau nicht zu gefährden. Stattdessen kontaktiert er seinen Vermögensverwalter in Schottland, um an die extrem hohe Summe zu kommen, die er bar in einer Tasche zur Verfügung stellen soll. Und in diesem Moment tritt Arora auf, die wir schon aus dem ersten Band „Höllenkalt“ von Lilja Sigurdardottir kennen und die sich um den Transport des Geldes über die Grenzen hinaus kümmern soll.
Die ungebundene, attraktive Privatdetektivin und Finanzermittlerin lebt zur Zeit aus persönlichen Gründen übergangsweise in Island, eigentliche Heimat ist London. Sie ist erfolgreich, unabhängig, selbstbewusst und etwas spröde, aber ihr Innerstes ist von den Erlebnissen im ersten Band noch erschüttert und beschädigt – denn sie hat noch eine weitere Mission zu erfüllen: Sie ist auf der Suche nach ihrer verschollenen Schwester Isafold.
Die Ereignisse überschlagen sich, sie ist mittendrin in der Gefahrenzone, geht Risiken ein und muss außerdem auch privat ihre Gefühle und Gedanken neu sortieren und bewerten.
Sigurdardottir schafft es durch ihren kurzen, prägnanten Schreibstil, den Leser in diese fremde, nordische Welt mitzunehmen. Immer wieder ergeben sich neue Wendungen, potentielle Verdächtige tauchen auf, private und geschäftliche Verstrickungen werden sichtbar und der Leser rätselt mit. Die kurzen Kapitel erzeugen Abwechslung und Schnelligkeit und bis zum Schluss steigt die Spannungskurve – ein gelungener zweiter Band der Arora-Trilogie, bei dem nicht alles abschließend geklärt bzw. aufgedeckt werden konnte. Der Leser darf sich nun auf spannende Unterhaltung in Band 3 freuen.

Bewertung vom 03.01.2024
Zweistromland
zu Stolberg, Beliban

Zweistromland


sehr gut

Ein starker Beginn, ich bin gleich bei der Protagonistin und kann mich in sie hineinversetzen – Dilan, eine junge Juristin, in Deutschland aufgewachsen und Tochter kurdischer Eltern, fühlt sich zwischen den Welten, kurdisch, türkisch und deutsch und sie begibt sich auf die Suche nach der Geschichte ihrer Eltern. In ihrer Familie herrscht Schweigen und Zurückhaltung, sobald es um die Vergangenheit, die Zeit in der Türkei geht und neugierige Fragen werden mit Schweigen und Zurückweisung bestraft. Deshalb begibt sich die junge, schwangere Frau in der Türkei auf die Reise nach der Familienvergangenheit. Sie will herausbekommen, was die Eltern in ihrer Jugend und Vergangenheit erfahren haben, warum dieses Schweigen entstanden ist, sie ist auf der Suche nach dem verlorenen Bruder, dem Familiengeheimnis und auch der eigenen Identität.
In den verschiedenen Zeitebenen erkennt der Leser stückweise die einzelnen Steinchen des Mosaiks, ein Vexierbild, das es zu entschlüsseln gilt. Politik, die Militärdiktatur der Türkei in den 80-er Jahren, die Unterdrückung der Kurden, Gewalt und Machtmissbrauch – Themen, die sich durch den Roman ziehen.
Die Sprache ist poetisch und konkret zugleich, wir sind bei der jungen Frau, die auf der Suche nach ihrer Identität ist und bei dem Teenager, der sich ausprobieren möchte, Kräfte misst und dem Geheimnis um den mysteriösen Bruder auf die Spur kommen möchte. Wunderschöne Metaphern begleiten uns durch das „Zweistromland“ und originelle Wortschöpfungen geben dem Roman Poesie und Leichtigkeit. Wir begeben uns mit Dilan auf die Suche nach ihrer Herkunft, nach Identität und Zugehörigkeit, nach Heimat und Familie – Fragen, die jeden beschäftigen und zeitlos und aktuell immer ihre Berechtigung haben und von Beliban zu Stolberg zu einem gelungenen Debut verarbeitet werden.

Bewertung vom 31.12.2023
Glitsch
Schwarz, Adam

Glitsch


sehr gut

Glit(s)ch: Ausrutschen - Ein Fehler, eine Lücke im Programm, wodurch etwas ermöglicht wird, was eigentlich nicht sein sollte, ein Fehler im Computerspiel! Das passt auf die Realität von Leon, dem Antihelden des Romans, der sich in einer fremden Welt wiederfindet, immer wieder Wege nicht gehen, sich im Spiel nicht bewegen kann – wie in einem Alptraum, bei dem der Träumer die Regeln nicht bestimmt und sie nicht unter Kontrolle hat.
Ausgangslage ist die Fahrt auf einem Kreuzschiff mit der Liebsten in der Nobel-Suite – ihre finanziellen Verhältnisse machen es möglich, denn Leon – der erfolglose Schriftseller - kann mit seinem kärglichen Einkommen nichts dazusteuern. Aber dann passiert das Unerwartete, die Trennung, das Verschwinden seiner Freundin Kathrin und er macht sich auf die Suche, die zu einer existenziellen Suche nach dem eigenen Ich ausufert.
Ein kafkaesk anmutendes Vexierspiel, eine Reise ins Ungewisse, alles spielt sich auf dem Schiff ab, das unergründlich, riesig und unüberschaubar eine Gegenwelt darstellt. Auf nichts ist Verlass, Regeln werden außer Kraft gesetzt. Leon wird mit seinem Selbst, seinen Problemen, Fragen, Erfahrungen, Bedürfnissen und Wünschen konfrontiert und es geht eher um die eigene Existenz als um die Liebesbeziehung zur Freundin. Jeder bleibt sich fremd, es geht um die Angst, sich und den Verstand zu verlieren.

Sprachlich eine Wucht! Adam Schwarz schafft es, den Leser in einen Sog zu ziehen, unkonventionelle Bilder betören, verstören und ein anregendes Lesevergnügen wird geboten - ich fühle mich bis zur Mitte großartig unterhalten, danach schippert das Boot leider etwas ziellos umher, deshalb einen Stern Abzug.

Bewertung vom 22.12.2023
Ausgelöscht
Prammer, Theresa

Ausgelöscht


sehr gut

Ein Thriller zum Miträtseln, atemberaubend, spannend geschrieben und der Leser versucht wie bei Agatha Christie den Fall zu lösen und die neuen Informationen immer wieder einzufügen. Es bleibt lange Zeit verwirrend und Fragen über Fragen entstehen: Wem können wir trauen? Wer ist unglaubwürdig? Wer ist the good and the bad guy? Wessen Erinnerungen sind „echt“, wessen wurden „manipuliert“? Diese erschreckende Erkenntnis lässt kein Licht im Dunklen zu, denn unter Umständen wissen sogar die Beteiligten nicht, was in der Vergangenheit wirklich passiert ist.
Am Anfang, also vor dem eigentlichen Beginn des Romans, steht ein großes Experiment, dass das Leben von Patienten mit PTB völlig auf den Kopf stellt: Aufgrund einer Behandlung und einer Neu-Programmierung soll das Trauma aufgelöst und die psychische Grundlage für eine gesunde, normale Entwicklung geschaffen werden. Mit gutem Willen und Forschergeist werden die ersten Patienten von ihren negativen Erlebnissen befreit, ein genialer Geniestreich gelingt und die Psychologen stürzen sich euphorisch in ihre Untersuchung – aber wie gestaltet sich die Zukunft der Probanden tatsächlich? Konnten die einschneidenden Erfahrungen, die Schuldgefühle, die tabuisierten Erinnerungen gelöscht werden und die Lebensbejahung und die Lebensqualität ab diesem „Reset“ wieder hergestellt werden? Was ist mit den ahnungslosen Opfern / Patienten passiert? Diese Fragen sind die Basis für die kriminalistischen Untersuchungen von Psychologen, Ärzten und Kommissaren, die Hand in Hand arbeiten. Wir lernen die Ermittler aus Österreich und Berlin kennen, den unberechenbaren Täter, dessen Handlungen alle überrascht, die Opfer, hübsche Frauen, die alle äußerliche Ähnlichkeiten aufweisen und die angeschlagene österreichische Psychologin, die diesen Fall lösen soll. Aber alleine ist das nicht zu schaffen und unter Zuhilfenahme alter Kontakte begibt sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit.
Die unterschiedlichen Perspektiven und Zeitebenen gilt es zu entwirren und gemeinsam mit der Psychologin den Fall zu lösen. Und Theresa Prammer schafft es mal wieder, den Leser auf eine atemberaubende Reise mitzunehmen, bei der man den Thriller nicht mehr zur Seite legen kann.