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lustaufbuch

Bewertungen

Insgesamt 179 Bewertungen
Bewertung vom 25.10.2024
Allianz der Heimatlosen
Strohmeyr, Armin

Allianz der Heimatlosen


ausgezeichnet

»[D]ie grausame Unmöglichkeit der hiesigen Situation frisst uns täglich ein bisschen Leben weg.«

Erika Mann, Klaus Mann und Annemarie Schwarzenbach. Ein Trio mit vielen Gemeinsamkeiten und doch waren sie so verschieden.
Als die drei im Herbst 1930 aufeinandertrafen, war Annemarie sofort von den beiden Geschwistern fasziniert und verliebte sich augenblicklich in Erika. In den nächsten Jahren folgten unendlich viele bewundernde Briefe, mit dem Wunsch nach Erikas Anerkennung.

Alle drei schrieben beruflich, strebten einer erfolgreichen Karriere entgegen und engagierten sich gemäß ihrer antifaschistischen Haltung. Während sich Erika zu einer gefragte Schriftstellerin, Kabarettistin und Vortragsrednerin entwickelte, Klaus Herausgeber mehrerer Zeitungen und selbstverständlich Schriftsteller wurde, überholte beide der Ruhm und Annemarie blieb zurück. Zwar veröffentlichte sie einige Werke, aber weder ein beruflicher, noch privater Erfolg mochte sich bei ihr einstellen. Ebenfalls entwickelten alle drei eine große Liebe zu immer stärkeren Drogen, doch keiner fiel diesen, gleichfalls dem Alkohol, so gravierend zum Opfer wie Annemarie.
Zeitlebens hatte sie eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, welche – selbst eine gleichgeschlechtliche Affäre unterhaltend – die Homosexualität, Emanzipation und das politische Engagement ihrer Tochter verabscheute und selbst eng mit der „Schweizer Front“ verbunden war, welche einen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland anstrebte.
Nach Annemaries frühen Tod, infolge eines Fahrradsturzes sowie schwerer Hirnschäden, sollte dieser Zwist – an Dreistigkeit kaum zu überbieten – jedoch seinen Höhepunkt erreichen. Gemäß ihrem Testament sollte ihr Nachlass, insbesondere die Briefe, Tagebücher und Manuskripte, ihrer Freundin Anita Forrer vermacht werden. Doch ihre Mutter Renée und Oma Clara Wille verbrennen zwei Kisten ihrer Korrespondenz, darunter die Briefe von Erika und Klaus Mann.

Was für eine turbulente Reise!

Bewertung vom 25.10.2024
Mein Weg als Deutscher und Jude
Wassermann, Jakob

Mein Weg als Deutscher und Jude


ausgezeichnet

»Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach und durch die Feindseligkeit, Fremdheit oder Ablehnung der christlichen Umwelt«

Wie verlief das Leben des Jakob Wassermann? Wie kam er überhaupt zum Schreiben? Und welche Rolle nahm dabei sein Judentum ein?

Dieses autobiografische Buch erzählt eindrücklich vom Aufwachsen des gebürtigen Fürther Schriftstellers Jakob Wassermann und seiner oftmals erfolglose Suche nach einer Rolle in der Gesellschaft – als Jude unter nichtjüdischen Menschen. Gleichfalls schildert er seine ersten Schreibversuche. Dem vorangegangen waren Geschichten, welche er seinem um fünf Jahre jüngeren Bruder, vor dem Schlafengehen, erzählte. Daraufhin verspürte er bald den Drang, diese Geschichten schriftlich festzuhalten und als er gar den Wunsch äußerte Schriftsteller zu werden, waren erwidernde Reaktionen nur verhöhnender Spott. Mit nur fünfzehn Jahren hatte er bereits seinen ersten Roman geschrieben und dessen Anfang erschien kurz darauf, gedruckt in einer Zeitung.
Eigentlich sollte er eine Karriere als Kaufmann unter der Obhut seines Onkels anstreben, doch dies widersprach seinen Vorstellungen. Auch ein anschließendes Studium sowie der Militärdienst, bescherten ihm keine rechte Freude.
Wassermann sah sich im Zwiespalt gefangen. Wollte er Deutscher sein oder Jude? Beides gleichermaßen schien ihm, der Gesellschaft geschuldet, nicht miteinander vereinbar.
Dieser Zerissenheit folgend, entstanden seine wohl bekanntesten Romane „Die Juden von Zirndorf“ und „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“.
Mit diesem Buch wollte er einen Weckruf entsenden, der auf selbst durchlebten Erfahrungen beruht und Ungerechtigkeiten anprangert.

Mittlerweile muss man leider sagen, dass Wassermann, obwohl er einer der größten Erzähler seiner Zeit war, eher zu den vergessenen Autoren gehört. Liest man seine Werke oder allein dieses Buch, ist diese Tatsache nicht nachvollziehbar, denn er schreibt einfach großartig!

Bewertung vom 25.10.2024
Ein tadelloses Glück
Breloer, Heinrich

Ein tadelloses Glück


ausgezeichnet

»Katia, manchmal denke ich, glücklich zu sein, das kommt für mich gar nicht infrage.«

Als Thomas Mann die acht Jahre jüngere Katia, Tochter des angesehenen Mathematikprofessors und Millionärs Alfred Pringsheim, zum ersten Mal sah, wusste er es bereits: diese oder keine! Doch Katias Interesse an den stürmischen Liebesbekundungen des aufstrebenden Schriftstellers hielt sich in Grenzen und selbstbewusst wie sie war, sagte sie ihm das, ganz ohne Umschweife. Und doch gab sie ihm, nach langem Zögern, ihr Ja als Ehefrau und lebenslange Unterstützung. Ohne sie wäre Thomas Mann nicht der geworden, als den wir ihn heute kennen.
Heinrich Breloer, der sich seit über vierzig Jahren mit den „Manns“ beschäftigt, schildert das Auf und Ab dieser Werbungsphase und versucht hinter die Fassade zu blicken. Dabei nähert er sich den portraitierten Figuren mit viel Fachwissen, lässt Tagebucheinträge und Briefe einfließen und ergänzt, um der Anschaulichkeit willen, fiktive Dialoge.

Dieses Buch definiert das Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, welches nicht nur Thomas, sondern auch Heinrich, grandios inszenierte. So widmet sich der Autor ferner autobiografisch beeinflussten Werken, u.a. dem Roman „Königliche Hoheit“, welcher eben diese ersten Begegnungen bis zur Hochzeit literarisiert.

Bezogen auf Breloers Fernseh-Dreiteiler „Die Manns“, der sich mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, bildet dieses Buch eine passende Ergänzung. Schließlich beschäftigt es sich primär mit der Brautwerbungsphase, Thomas‘ ersten literarischen Erfolgen und den Umgang mit seinen homoerotischen Neigungen.
Dabei ermöglichen Breloers genaue, in die Tiefe gehenden Beschreibungen ein einzigartiges Portrait des späteren Nobelpreisträgers und dessen Frau Katia. Zusätzlich zeichnen diese das Leben zur damaligen Zeit, besonders die gesellschaftlichen Rollenverteilung von Mann und Frau, charakteristisch nach.

Breloers Buch läutet auf äußerst gelungene Weise den Auftakt einer Vielzahl an Neuerscheinungen zu Thomas Manns 150. Geburtstag im kommenden Jahr ein.

Bewertung vom 23.10.2024
Im Schnellzug nach Haifa
Tergit, Gabriele

Im Schnellzug nach Haifa


ausgezeichnet

»In Palästina sind Unruhen, und die Welt zittert vor dem Untergang«

Nachdem bereits Tergits Ehemann Heinz, der Einladung seines Bruders folgend, nach Palästina geflohen war, zog nun auch sie selbst im November 1933 nach. Skeptisch trat sie diesem Land gegenüber und doch dauert es nicht lange, bis ihre Faszination sämtliche Zweifel ablöste. Aus dieser Begeisterung entstanden die in diesem Buch versammelten meist relativ kurzen Reportagen über jüdisches Leben in Palästina sowie aufgezeichnete Gespräche und kleinere, haarscharf beobachte Portraits. Tergit beleuchtet einzelne Schicksale, die sich schließlich zu einem Gesamtbild fügen, welches wiederum deutlich macht, wie vielfältig das Leben vor der Staatsgründung war und wie dieses sich abspielte. Hierbei erhalten die lesenden einzigartige Einblick in das Alltagsleben, Rituale, wie z.B. dem traditionellen Pessach-Fest oder der Arbeitsbewältigung, wie sie vor knapp neunzig Jahren üblich war.
Was sie schildert, ist eine Gesellschaft im Aufbruch, der ein hartes Schicksal bevorsteht, welches sich zu dieser Zeit bereits teils erahnen lässt.

Liest man die Texte gründlich, hört man immer wieder Tergits unterdrückte Wut und Verzweiflung über ihre unausweichliche Flucht. Gleichfalls ist die Unterdrückung aufgrund der jüdischen Religion in den Texten präsent, während diese auch offen Absurditäten der Religion(en), einhergehende Zwänge und Vorurteile aufzeigen und kritisch kommentieren.

„Im Schnellzug nach Haifa“ ist ein einzigartiges Zeitzeugnis, das glücklicherweise neu aufgelegt wurde und besonders in der jetzigen Zeit lesenswert ist. Tergits teils ironische Texte, bereiten selbst bei dieser Thematik eine gewisse Freude. Empfehlenswert ist es, die Texte einzeln und mit zeitlichem Abstand zu lesen. Abrundend bietet das Nachwort der Herausgeberin und Tergit-Expertin Nicole Henneberg eine gelungene Ergänzung und ordnet die Texte in das Werk von Gabriele Tergit ein.

Bewertung vom 20.10.2024
Die Mandarins von Paris
Beauvoir, Simone de

Die Mandarins von Paris


ausgezeichnet

»Die Wahrheit sagen: Bisher hatte das nie ernsthafte Probleme aufgeworfen.«

Wir befinden uns im Paris der Nachkriegszeit. Eigentlich ein Grund aufzuatmen. Eigentlich. Henri Perron, Herausgeber der Zeitung Espoir, welche unabhängig von politischen Ansichten berichtet und dafür von unterschiedlichen Lagern geschätzt wird, muss sich nun entscheiden: Bleibt er seiner Linie treu oder hilft er der linken Gruppierung der SRL, die sich vom Kommunismus abgrenzt, zu Ansehen? Ins Leben gerufen wurde diese u.a. durch seinen Freund Robert Dubreuilh, der Henris Zeitung gerne zum politischen Sprachrohr der SRL ausbauen würde.
Wäre da nicht noch seine Frau Paule, die ihn eher krankhaft verehrt, als liebt.

Ein zweiter Handlungsstrang widmet sich Anne, Roberts Frau, der ihre Suche nach sich selbst und einem unabhängigen, selbstbestimmten Leben begleitet. Gleichermaßen wird auch das Leben, besonders das sich in Affären verlierende Liebesleben, der gemeinsamen Tochter Nadine beschrieben.

Die zwei Erzählperspektiven bieten teils subjektive, überschneidende Einblicke derselben Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln und veranschaulichen die Uneindeutigkeit gewisser Ansichten.
Darüber hinaus ist es nicht ausschließlich ein höchst politischer Roman, der sich den französischen Intellektuellen – Mandarins genannt – der Nachkriegszeit sowie den Kriegsverbrechen widmet, sondern ist auch stets gesellschaftskritisch angelegt. Rollenbilder geraten ins Wanken, partnerschaftliche Abhängigkeiten sowie die Rolle der Frau werden hinterfragt und nicht zuletzt überdecken moralische Fragen diese tausend Seiten.

Ein Roman, der, trotz seiner siebzig Jahre, besonders mit Augenmerk auf die Zerspaltung der Linken, höchst aktuell ist.
Die gute Lesbarkeit, welche keinesfalls trocken ist, verdanken wir in erster Linie der großartigen Autorin sowie den beiden Übersetzerinnen Claudia Marquardt und Amelie Thoma.
Wer sich für Politik und umfangreiche, gut geschriebene Klassiker interessiert, für den wird das Buch sicherlich ebenfalls eine Bereicherung mit Lesegenuss sein!

Bewertung vom 13.10.2024
Knife
Rushdie, Salman

Knife


ausgezeichnet

»Was den Rest anging - mir mein altes Leben zurückzuholen -, so wusste ich, das würde noch warten müssen.«

Für Salman Rushdie dauerte der Moment eine halbe Ewigkeit, doch es vergingen lediglich Sekunden. Wenige Augenblicke, nach denen nichts mehr war, wie zuvor:
Es sollte eine friedliche Diskussion über die Gewährleistung von Sicherheit für Autoren werden und endete in einem brutalen Angriff. An diesem Tag, dem 12. August 2022, waren sichtlich nicht genügend Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden.
Der Schriftsteller sah den 24-jährigen Angreifer vom Publikum schnurstracks auf die Bühne, auf ihn zurennen und 27 Sekunden sowie etwa 15 Stiche später wusste er nicht einmal, ob er überleben würde.
Der Schock dieser blanken Gewalt saß tief, bei allen Anwesenden. Achtzehn Tage verbrachte Rushdie auf der Intensivstation, um die schlimmsten Verletzungen im gröbsten auszukurieren und sich seines Zustandes bewusst zu werden.
Doch für Rushdie kam dieser Angriff nicht gänzlich unerwartet, viel eher überraschend. Er offenbart, dass er schon davor öfters von verschiedensten Attacken gegen ihn geträumt hat.

Was macht dieses Attentat mit einem?
Wird es danach jemals wieder so sein wie zuvor?
Kann es das überhaupt oder lebt man nun in ständiger Angst, dass sich dies wiederholen und der Mordversuch beim nächsten Mal gelingen könnte?
Warum wählte er den intimen Angriff mit dem Messer, anstelle einer Schusswaffe?

Diesen und noch weiteren Fragen widmet sich der Autor auf eine persönliche, über das Ereignis sowie sein Leben reflektierende Weise, stets den Blick der Zukunft zugewandt. Neben Schilderungen der Zeit vor und insbesondere nach diesem Tag, lässt Rushdie die Lesenden am Prozess seiner Genesung teilnehmen. Auch fiktive Gespräche mit dem Attentäter, das Kennenlernen mit seiner Frau Eliza und das erneute Aufsuchen der Chautauqua Institution, dem Ort des Geschehens, werden geschildert.
Rushdie erzählt eine der gravierendsten Szenen aus seinem Leben, teils als bewegendes autobiografisches Erlebnis und teils als distanzierter Entfernung.

Bewertung vom 06.10.2024
Arnes Nachlaß
Lenz, Siegfried

Arnes Nachlaß


ausgezeichnet

»Nehmt ihn wie einen Bruder auf und stellt ihm keine Fragen, irgendwann wird er schon von selbst sprechen wollen.«

Eines Abends – ein langer Monat des Wartens war verstrichen –, beginnt Hans, von seinen Eltern dazu aufgefordert, dass es nun doch mal Zeit sei, den Nachlass von Arne, mit dem er in letzter Zeit sein Zimmer teilte, zusammenzupacken. Diese Aufgabe fällt ihm nicht leicht, ganz im Gegenteil. Immer wieder verharrt er bei bestimmten Gegenständen, welche Auslöser sind, um in Erinnerung zu schwelgen – an eine Zeit der Gemeinsamkeit.
Dies zum Anlass nehmend erzählt Hans rückblickend und etappenweise dessen Geschichte:
Ein trauriges Schicksal umgibt den zwölfjährigen Arne Hellmer, welcher als Einziger gerettet werden konnte. So kam es, dass Hans‘ Vater Harald den Sohn seines Jugendfreundes aufnahm.

In einer etwas altmodischen, vom Autor gewohnten und von dessen Lesern geliebten, wunderschönen Sprache wird Arnes Geschichte – eine Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit – erzählt.
Um sich den Roman besser erschließen zu können, wird dieser vierzehnte Band der Hamburger Ausgabe um einen umfangreichen Kommentar von Maren Ermisch ergänzt. Im Zuge dessen werden nicht nur unbekannte Wörter im Stellenkommentar erschlossen, sondern neben unterschiedlichen Formen der Rezeption auch Referenzen zu weiteren Werken von Lenz und darüberhinaus anderen Autoren analysiert. Dadurch zeigen sich bspw. Ähnlichkeiten zu Thomas Manns „Tonio Kröger“, schließlich werden beide Protagonisten vom Bedürfnis nach Anerkennung geleitet.
Besonders interessant ist die von Ermisch chronologisch geschilderte Entstehung von „Arnes Nachlaß“, anhand der ersten zwei Fassungen, welche, neben drei gestrichenen Kapiteln, ebenfalls im Buch abgedruckt sind.

Manche Bücher von Lenz – dieser Roman zählt dazu – müssen langsam gelesen werden, um deren melancholische, emotionale und leise daherkommende Atmosphäre entfalten zu können.

Zuletzt bleibt mir nicht mehr, als den Worten des Lektors Helmut Wiemken beizupflichten:
„Ein Werk, das Zustimmung verdient; meine hat es.“

Bewertung vom 02.10.2024
Ein anderes Leben
Peters, Caroline

Ein anderes Leben


gut

Es ist die Beerdigung ihres Vaters, die Mutter ist bereits verstorben. Anders als ihre beiden älteren Schwestern, hat sie nun beide Elternteile verloren und steht alleine da. Über den ganzen Roman hinweg ist die Beerdigung des Vaters Bow als grundlegende Rahmenhandlung anzusehen.
Dieses Ereignis zum Anlass nehmend lässt die Protagonistin, zugleich die jüngste Tochter, ihr Leben von der Kindheit ausgehend Revue passieren und beleuchtet dabei besonders die stets ambivalente Beziehung zu ihrer Mutter. Diese hielt nicht viel von Konventionen und heiratete nacheinander ihre drei Studienfreunde, wobei ein jeweiliges Kind natürlich nicht fehlen durfte. Nur mit Bow, ihrem letzten Ehemann, blieb sie länger zusammen und übernahm mit ihm überwiegend die Erziehung ihrer drei Töchter. Doch als sich die Pubertät der Protagonistin ankündigt und diese sich gegen ihre Eltern auflehnt, möchte Hanna ihr Leben auf die bisherige Art nicht mehr so weiterführen – schon lange fühlt sie sich im Alltag gefangen. Sie zieht die Reißleine, sucht sich eine eigene Wohnung und kümmert sich in erster Linie um sich selbst. Hanna und ihre Tochter hatten es nicht leicht miteinander und doch liebten sie sich.

Sanft, als würden andererseits Beziehungsgeflechte zerbrechen, erzählt die Schauspielerin Caroline Peters in ihrem Debütroman von Menschen, die sich auf eine gewisse Art und Weise selbst verfehlen und zu spät die richtigen Fragen stellen.

Auch wenn dies alles einen emotionalen Roman verspricht, konnte er mich nicht überzeugen. Für mich blieben die Figuren, trotz ihrer Detailtreue, welchen man der Autorin, ebenso wie den klaren Stil lassen muss, oberflächlich und ließen mich nicht wirklich in die Geschichte eintauchen. Meines Erachtens will der Roman zu viel und wechselt teils zu stark zwischen unterschiedlichen Schwerpunkten.
Trotz allem kann man nicht sagen, dass das Buch nicht tief genug ging, eventuell war sogar das mein Problem damit. Es gab zu viele Details, insbesondere zu den drei Ehen, welchen in diesem Ausmaß nicht notwendig gewesen wären.

Bewertung vom 02.10.2024
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Stanisic, Sasa

Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne


ausgezeichnet

»Für manche ist das Glück bloß umständehalber spärlicher gesät.«

Wie soll man den Inhalt dieses mehr als vielfältigen Buchs zusammenfassen ohne zu viel zu verraten und den Inhalt regelrecht zu offenbaren? Es ist schwierig – fast unmöglich –, schließlich lässt dieser nicht eben wenig Spielraum und gibt nur das Konstrukt vor. Zudem blicken Lesende in vollkommen anders verlaufende Lebensläufe in verschiedensten Situationen.
Versuchen wir es mal so:
Der übergeordnete Handlungsstrang erzählt von vier Jugendlichen, die überlegen, wie es wäre, wenn man seine Zukunft für zehn Minuten „anprobieren“ und falls diese vielversprechend wirkt, sich in diese „einloggen“ könnte. Dabei begegnen uns im weiteren Verlauf unterschiedlichste Momentaufnahmen, die in zukünftiger Hinsicht wegweisend für die erwähnten Figuren sind oder deren eigene Vergangenheit reflektieren.
Stanišićs neues Buch, bestehend aus mehreren einzelnen Erzählungen, die einzeln stehen und sich zugleich zu einem Gesamtkunstwerk verweben, ist ein Spiel mit dem Zufall, Schicksal und vorgegeben Lebensläufen.
Würde man sein Leben ändern, wenn man bereits wüsste, was passieren könnte? Oder sogar Geld investieren, damit es eben diese, gewollte Richtung einschlägt und ein erfüllendes, glückliches Leben mit sich bringt?
Manche Abzweigungen im Leben scheinen irrelevant, andere alternativlos und einige markieren Weggabelungen, die erst im Nachhinein deutlicher sichtbar sind.

Meisterhaft beherrscht Stanišić das Spiel mit der Sprache, irritiert und bricht konventionelle Regeln, schlichtweg um es auszutesten – und es gelingt ihm! Seiner grandiosen Fabulierkunst ist es zu verdanken, dass mich dieses Buch auf amüsante Weise unterhalten und gleichermaßen nachdenklich gestimmt hat.
Nach der Lektüre stehen die lesenden vor der Wahl selbst zu beurteilen, ob diese Geschichten belangloser Natur sind oder schlichtweg großartige Literatur.

Bewertung vom 02.10.2024
Der Zauberberg, die ganze Geschichte
Ohler, Norman

Der Zauberberg, die ganze Geschichte


ausgezeichnet

»Die Geschichte hinter dem Zauberberg schreibe ich«, sagte ich nun. »Die ganze Geschichte.«

Der Erzähler dieses Buchs, selbst Autor, reist mit seiner Tochter Suki zum Skifahren nach Davos, um einige Tage mit zwei Freundinnen dieser sowie deren Mütter zu verbringen. Aus einem erholsamen Kurzurlaub wird eine Reise in die Vergangenheit und die Zukunft. Der Protagonist entschließt sich der Geschichte sowie der Wahrnehmung des Dorfes auf dem Grund zu gehen, stellt alsbald das Skifahren hintenan und nutzt die folgenden Tage vielmehr zur lokalen Recherche.
Zudem überschattet eine schwierige Beziehung die Gedanken des Protagonisten – er stellt sich eine Zukunft mit Emma vor, während sie doch nicht von ihrem Mann lassen kann.

Hört man Davos, hat man regelrecht die Sanatorien vor Augen, welche u.a. aufgrund der guten Bergluft damit warben Tuberkulose heilen zu können oder man denkt an Thomas Manns 1924, nach zwölfjähriger Arbeit, erschienenen Roman „Der Zauberberg“.
Doch Davos hat noch mehr zu bieten. Zusammen mit den Lesenden erkundet der Erzähler die Abwendung vom Sklavenhandel und der Entstehung des Kurorts, geht selbstverständlich auch auf Manns Roman ein und erwähnt Klabunds Erzählung „Die Krankheit“, welche einige Ähnlichkeiten zu diesem aufweist. Auch die Zeit des Nationalsozialismus lastet bedrückend auf Davos, besonders das Leben Wilhelm Gustloffs, welcher später von David Frankfurter erschossen und als Symbolfigur der Nazis inszeniert wurde.
Kritisch beäugt er zudem das jährlich tagende Weltwirtschaftsforum und die Auswirkungen des Klimawandels, mit besonderem Blick auf den Skitourismus.

Ohler zeichnet eine Geschichte des Zauberbergs, respektive des Ortes Davos, von dessen Ursprüngen und Entstehung als Kurort bis in die heutige Zeit. Eine wirklich faszinierende Abhandlung, mit fiktiven Elementen, die sich wunderschön – als würde man selbst dort sein – lesen lässt und nicht nur begeisterten „Zauberberg“-Lesern mehr Hintergrundwissen über den Ort des Geschehens liefert.