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Juma

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Insgesamt 173 Bewertungen
Bewertung vom 10.03.2025
Geheimnisvolles La Rochelle / La Rochelle Bd.3 (eBook, ePUB)
Vinet, Jean-Claude

Geheimnisvolles La Rochelle / La Rochelle Bd.3 (eBook, ePUB)


gut

Mord und Cognac

La Rochelle bildet den Hintergrund zu einem undurchsichtigen Kriminalfall, der Commissaire Chevalier von der dortigen Polizei und seine Kollegen ganz schön ins Schwitzen bringt, nicht nur wegen der warmen Außentemperaturen. Zuerst muss er jedoch einen gesellschaftlichen Termin absolvieren, bei dem er auch mit einer Dame zusammentrifft, die sich als äußerst arrogant und unbeliebt herausstellt. Die Austernverkostung verläuft mit etwas Verstimmung, denn jene Solène Flamant benimmt sich recht unkonventionell. Dann verschwindet sie, von ihrem Bruder George chauffiert, zu einem wichtigen Termin in La Rochelle.
Auf einer Jacht im Hafen von La Rochelle wird am nächsten Morgen eine Leiche entdeckt: Solène Flamant. Sie ist als Zwillingsschwester von George Drapin Miterbin einer renommierten Cognac-Dynastie, nicht mehr ganz jung, aber für gewisse Stunden auch noch nicht zu alt. Nach einem Rendezvous an Bord wurde sie erschossen. Kaum habe die Ermittlungen begonnen, gibt es eine zweite Leiche in einem anderen Ort, rund anderthalb Stunden von La Rochelle entfernt. Mit Sylvestre Gougeon ist wieder ein Mitglied einer Cognac-Dynastie zu Tode gekommen, dieses Mal von der direkten Konkurrenz der Drapins. Die Tatwaffe erweist sich als dieselbe. Noch tappt die Polizei im Dunklen. Wollten sich hier die Gegenspieler gegenseitig aus dem Wege räumen oder wer ist der unbekannte Täter, der es auf beide abgesehen hat? Als Leser hat man eine große Auswahl an Tatverdächtigen, die mehrfach in den Fokus der Ermittlungen geraten, es gibt ein spannendes Hin- und Her, das erst ganz am Ende des Buches aufgeklärt werden kann. Mehr verrate ich dazu nicht.
Chevaliers Privatleben rückt zeitweise verstärkt in den Vordergrund, einerseits, weil seine Frau Sandrine jeden Moment ein zweites Kind erwartet, andererseits, weil er bei den Ermittlungen seine ehemalige Geliebte Danielle wiedertrifft. Beides wirft ihn fast aus der Bahn, aber es gelingt ihm, die Ermittlungen in die richtige Richtung zu manövrieren und auch seine Frau und die Ex-Freundin nicht allzu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen. Mir scheinen solche privaten Exkurse manchmal etwas überflüssig, das ist nicht nur bei diesem Krimi so, das trifft auf viele andere auch zu.
Die Geschichte und die Protagonisten tragen das eine oder andere Klischee, aber Land und Leute werden gut beschrieben, alles in allem eine abwechslungsreiche Unterhaltung. Dass man ganz nebenbei noch einige Details zur Cognac-Herstellung erfährt, ist auch nicht schlecht, führt aber zu einigen Längen. Die vielen, für deutsche Augen und Ohren ungewöhnlichen Namen der Personen und Orte brachten mich ab und an ins Grübeln, aber auch das ist ja Gewöhnungssache.
Der Showdown ist das eigentliche Highlight des Krimis und wirklich gut und spannend beschrieben. Man sollte auf keinen Fall die letzten Seiten zuerst lesen!
Fazit: Ein Krimi für zwischendurch, der auch ein bisschen zum Fernweh beiträgt. Frankreichliebhabern und solchen, die es werden wollen, kann ich ihn empfehlen.

Bewertung vom 06.03.2025
Bis ans Meer
Patzschke, Peggy

Bis ans Meer


ausgezeichnet

Wie Träume überleben können

Oder sollte ich lieber als Titel „Wie Menschen überleben können“ wählen? Beides würde zu diesem hinreißenden Roman gut passen. Ich kannte die Autorin Peggy Patzschke bis zu diesem Buch nicht, obwohl ich viele Reportagen und Dokus im MDR und bei 3Sat gesehen habe, war ihr Gesicht mir unbekannt. Sie könnte meine Tochter sein, ist nur zwei Jahre älter als meine Älteste, ich könnte ihrer Mutter begegnet sein, als ich Anfang der 1970er in Leipzig Buchhändler lernte. Alles fiktiv. Aber es interessiert mich schon, woher Autoren kommen, was sie zu solch tiefgreifenden und die eigene Familie betreffenden Büchern bewegt. Über Eltern, Großeltern, Verwandte zu schreiben, auch über Verstorbene, Gefallene, Vermisste, das erfordert schon eine Menge Mut und auch Durchhaltevermögen, so jedenfalls meine eigene Erfahrung. Und so ein Buch schreibt sich nicht über Nacht. Ich bewundere die Autorin, die nicht nur Fakten recherchiert und aufgeschrieben hat, sondern darum einen ganzen, bewegenden und sehr gut lesbaren Familienroman entstehen und auch ihre eigene Geschichte mit einfließen ließ. Peggy Patzschke hat es jedenfalls geschafft, den „Reißverschluss der Seelen“ zu öffnen.
Ich habe zuerst nur das Hörbuch gehört und bin dann immer wieder zwischen Buch und Hörbuch hin- und hergewechselt, die letzten Kapitel habe ich nur gelesen. Beides hat mich absolut gefesselt. Egal, ob es ihre Großmutter Frieda, ihre Mutter Erika, der Großvater Karl oder Freunde und Verwandte sind, alle Romanfiguren werden von Peggy Patzschke mit liebevoller Zuneigung und Respekt gezeichnet. Wie die Großmutter mit ihrer damals noch kleinen Tochter auf die Flucht aus dem schlesischen Brieg gehen muss, wie sie tatsächlich noch einmal ins eigene Haus zurückkehren können, was die sowjetische Besatzung und die neue polnische Bevölkerung ihnen auch antun, sie kämpfen sich durch. Dass nicht jeder Sowjetsoldat ein Vergewaltiger oder herzlos und schlecht war, beruhigt ein wenig. Besonders, wenn man, wie ich, aus der eigenen Familie auch schreckliche Erlebnisse erfahren hat. Dieses harte Leben nach der Kapitulation Nazideutschlands und der Verlust der Heimat sind fürchterliche Dinge, mich haben die Erzählungen auch in diesem Buch wieder sehr bewegt und mir viele nachdenkliche und traurige Stunden beschert.
Wer die deutsche Geschichte kennt, über Flucht und Vertreibung sehr viel weiß, den wird dann auch nicht verwundern, dass Großmutter Frieda und die Kinder noch ein zweites Mal ihr Zuhause verlieren und vertrieben werden. In Ostdeutschland werden sie als zuerst unbeliebte und verabscheute „Umsiedler“ dann doch ein neues und dauerhaftes Zuhause finden. Die Sehnsucht nach Brieg wird ihnen bleiben. Und die alles verzehrende Liebe zu Ehemann und Vater Karl, den sie nach dem Krieg schmerzlich vermissen.
Mehr zum Inhalt will ich nicht verraten, dieser Roman birgt für den Leser aber noch jede Menge an Überraschendem, an Traurigkeit und trotzdem auch Glück. Also hier kein Spoiler!
Diese Familiengeschichte birgt aber auch das, was heute als das „Kriegsenkeltrauma“ beschrieben wird. Es gibt unterdessen zahlreiche Romane, Biografien, Sachbücher zu diesem Thema. Peggy Patzschke erlebt(e) es am eigenen Leib, wie die Traumata von Großmutter und Mutter in ihr selbst wieder auferstehen. Misstrauen und Angst, mangelndes Selbstbewusstsein oder zu viel davon, es treibt sie um, die Erkenntnis um die Ursachen ist überaus schmerzlich. Sie gibt einiges davon in ihren Heute-Kapiteln und im wundervollen Epilog preis. Sehr offen und mutig.
Ich kann vieles in diesem Roman mit meiner eigenen Familiengeschichte vergleichen, obwohl die Ausgangspunkte sehr unterschiedlich sind, finde ich viele Schnittlinien. Ob es der Gedanke der Autorin ist, mit Mutter und Großmutter bis ans Meer zu reisen oder ob ich mit meinem Mann und meiner Mutter in ihre jetzt polnische Heimatstadt gefahren bin, wir haben langgehegte Wünsche erfüllt.
Fazit: Ein spannender und emotional bewegender Familienroman, die Geschichte der Autorin Peggy Patzschke lässt keine Wünsche offen. Das Hörbuch ist durch die Sprecherin Jana Kozewa wie ein Film in meinem Kopf abgelaufen. Mein Lieblingszitat dieses Buches ist „Ja, man hängt sehr am Leben, egal wie erbärmlich es ist.“
Buch und Hörbuch bekommen von mir volle 5 Sterne.

Bewertung vom 05.03.2025
KUNTH Unterwegs in Bayern
KUNTH Verlag

KUNTH Unterwegs in Bayern


sehr gut

Ein wirklich großes Reisebuch

Bei den Vorbereitungen der nächsten Reise nach Bayern wird mir dieses Buch gute Dienste leisten. Es heißt im Untertitel nicht umsonst Das große Reisebuch! Da ich bereits einige Male in Bayern war, wenn auch immer nur kurz, habe ich zuerst mir bekannte Ort angesehen. So bekam ich ein Gefühl dafür, was den Autoren und Gestaltern besonders am Herzen liegt.
Als erstes Beispiel möchte ich hier Nürnberg herausgreifen, es liegt in der Region Nordbayern/Mittelfranken. Nach einer kleinen Einführung und versehen mit einem Stadtplanausschnitt kann man sich den kurzen und präzisen Erklärungen der Sehenswürdigkeiten widmen. Die kleinen Nummern helfen, schnell im Stadtplan den Standort zu finden. Anstatt die abschließende Doppelseite „Stadt der Reichsparteitage“ zu nennen, wäre „Stadt der Erinnerungskultur“ aus meiner Sicht zeitgemäßer.
Mit besonderer Freude habe ich den Teil Südbayern, mit München, gelesen und auch angeschaut. So viele wunderschöne Sehenswürdigkeiten, Naturwunder und Ausflugsziele hat wohl kaum eine Landschaft auf so kleinem Raum vereint. Es ist nicht übertrieben, München scheint wirklich die nördlichste Stadt Italiens zu sein. Man weiß kaum, wofür man sich entscheiden soll, natürlich muss man in den Englischen Garten gehen, und jede Kirche empfängt den Besucher mit Glanz und Übersinnlichem. Gerade hier im Münchener Abschnitt hätte ich mir ein Foto vom Inneren z. B. von St. Peter als Doppelseite gewünscht. Auf dem kleinen Foto auf S. 271 verschwinden die fantastischen Details leider völlig. Mein Liebling in München ist das Lenbachhaus, nicht nur, weil es ein so „pompöses Stadtschlösschen“ ist, sondern auch, weil sich dort meine Lieblingsmaler Münter und Kandinsky mit den Blauen Reitern ein Stelldichein geben. Mit der Doppelseite des wunderschönen Schlosses Nymphenburg endet dann schon fast der Reigen der Städte und Ziele.
Ohne einen einzigen Schritt vor die Tür bin ich stundenlang in Bayern unterwegs gewesen. Insgesamt hat mir dieser Ausflug wunderbar gefallen, ob Rothenburg oder Regensburg, ob Chiemsee oder Kochelsee, ob Obersalzberg oder Dachau, alles ist erwähnt. Mit besonderer Hingabe wurden wohl die Fotos rund ums „Schwäbische Meer“ ausgesucht, einfach zum Verlieben.
Zum Abschluss werden noch fünf verschiedene Routen präsentiert, die gut und gerne Jahresurlaube füllen könnten. Wer nicht so viel Zeit hat, kann sie natürlich auch teilen oder einfach etwas auslassen. Wobei die Entscheidung auch schwerfallen könnte. Gute Ideen werden jedenfalls auf jeder Seite präsentiert.
Auf Anschriften, Öffnungszeiten, Hotels, Internetadressen etc. wurde zu Gunsten der Fülle an Zielen verständlicherweise verzichtet. Einerseits ändert sich vieles schneller, als dass eine Nachauflage es berichtigen könnte. Andererseits ist jeder heute mit dem Internet schnell an der richtigen Stelle und findet gewünschte Auskünfte. Ein bisschen Arbeit muss man sich als Reisender eben dann doch machen, wenn man seinen Urlaub genau planen will. Ein hilfreicher Begleiter bei der Vorbereitung ist das Buch auf jeden Fall. Zum Mitnehmen ist es vielleicht für Leute mit Caravan oder SUV geeignet. Ich ziehe dann doch einen kleinen Reiseführer oder mein iPhone für die Handtasche vor.
Einige (auch kritische) Worte zur Gestaltung: Der Bundsteg ist recht eng bemessen, so dass bereits beim Inhaltsverzeichnis auf der linken Seite die Seitenzahlen kaum vollständig lesbar sind. Apropos Inhaltsverzeichnis: etwas ausführlicher hätte ich es mir gewünscht. München ist als einzige Stadt verzeichnet. Zu jeder Landschaft drei, vier Städte oder besondere Ziele würden es dem Nichtbayern (ich bin aus Norddeutschland, Geografieunterricht liegt weit zurück) etwas leichter machen bei der Orientierung auf den ersten Seiten.
Dank Fadenheftung lässt es sich gut aufklappen, ohne Seiten zu verlieren. Für ein fortlaufendes Lesen ist der Fließtext recht klein, die Überschriften und Vorspanntexte sind angenehm lesbar. Die doppelseitigen Ansichten von besonderen Ausflugszielen und Sehenswürdigkeiten lassen das Auge immer mal ausruhen. Die „Mehr entdecken“-Doppelseiten fallen durch ihre wuchtige Gestaltung etwas aus dem Rahmen. Ganz am Ende benötigt man für das Register dann doch noch eine Lupe oder zumindest eine starke Lesebrille. Dagegen ist die Ortslegende für den Reiseatlas ein wahrer Augenschmaus.
Der Einband ist biegsam, dadurch wird das Buch auch etwas leichter. Auf der Rückseite ist der Titel sehr ansprechend. Auf der Titelseite ist „Unterwegs in“ sehr schlecht lesbar, durch den halbtransparenten Druck verliert der Titel insgesamt die Aufmerksamkeit, die er eigentlich erreichen will. Das untere Foto mag bayerntypisch sein, lockt mich aber nicht so sehr.
Fazit: ein allumfassender Reiseratgeber für Bayern, kurze, präzise und angenehm zu lesende Texte, eine Fülle an Fotos, einige Stadtpläne, Routenpläne und ein Reiseatlas lassen kaum Wünsche offen. Ich glaube, nichts wurde vergessen in diesem Reisebuch! Beste Vorbereitung auf einen Urlaub – egal ob kurz oder lang.

Bewertung vom 04.03.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


ausgezeichnet

Fauve(s) – Raubtiere zwischen Liebe und Verrat, zwischen Gier und Verlust

Fauve, mit bürgerlichem Namen Philippe, ist von Anfang an dabei, er tritt erst später ins Rampenlicht, sein Spitzname ein Menetekel. Aber bis zu seinem Erscheinen lernt man unterschiedlichste Protagonisten kennen, das ist ein echtes Bühnenspektakel: Sophie und Arpad, so leben die Reichen und die Schönen, ehe man hinter die Kulissen schaut. Sie Anwältin, er Bänker, zwei Kinder, ein tolles Haus und stinkreiche Verwandte. Karine und Greg, sie wohnen „nur“ in der Kolonie, was so viel wie das mittelständische Armenviertel im Reichenviertel ist. Auch hier zwei Kinder, sie arbeitet in einer Boutique, er ist Polizist. Man kennt sich, man verkehrt (notgedrungen) miteinander, man nähert sich an. Jeder auf seine Weise. Karine bewundert Sophie, Greg verzehrt sich nach ihr. Arpad dazwischen, geplagt von Zweifeln. Und jeder hat seine Geheimnisse, wohl verwahrt und gehütet. Bis Fauve mit Macht auf den Plan tritt.
Über den Verlauf der Geschichte möchte ich hier so wenig wie möglich preisgeben, nur so viel, es erstaunte mich immer wieder, welche Feinheiten und Gemeinheiten Dickers Protagonisten in petto haben und wie leichtgläubig sie teilweise auch wieder sind. Dreh- und Angelpunkt ist ein geplanter Raubüberfall, minutiös geplant – für den 2. Juli 2022 – und beschrieben. Immer wenn man als Hörer denkt, jetzt, jetzt wird alles aufgelöst, geht es an anderer Stelle, zu anderer Zeit, mit neuen Enthüllungen weiter. Einfach perfekt! Es wurde mir jedenfalls keine Minute langweilig.
Der Aussage des Verlages „Ein schillerndes Ehepaar und ein raffinierter Juwelenraub: Dickers bestes Buch!“ stand ich anfangs doch etwas skeptisch gegenüber. Ist es wirklich Dickers bestes Buch? Oder ist es nicht vielmehr so, dass meistens seine Neuerscheinungen in Deutschland Vorschusslorbeeren bekommen, da sie bereits in Französisch und damit in mehreren Ländern erschienen und bewundert wurden? Der Name Joël Dicker jedenfalls zieht!
Und er hat es bei mir wieder geschafft, ich konnte nicht aufhören mit dem Hören, dieser Schriftsteller hat magnetisierende Eigenschaften. Seit ich 2013 „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gehört habe, auch damals schon las Torben Kessler diesen Roman mit perfekter Stimme und Einfühlungsvermögen, habe ich jedes Hörbuch von Dicker gehört. Seine Romane sind nie eine pure Abfolge von Ereignissen, die Zeiten verschwimmen, immer springt er vor und zurück, lässt kleine Wahrheiten und Enthüllungen aufpoppen, hat ein rasantes Tempo und doch dauert es auch hier über neun Stunden, bis die Auflösung aller Rätsel erfolgt. Einfach genial.
Dass die Übersetzung genial ist, muss ich noch hinzufügen. Auch das Cover erhält von mir die verdienten 5 Sterne, der Blick ins Glashaus wirkt so echt, wie die Beschreibung im Buch es tut: aufregend und blutdrucksteigernd.
Fazit: Fesselnd bis zum Schluss, toll geschrieben und wunderbar gelesen. Ganz große Empfehlung.

Bewertung vom 27.02.2025
Gesund mit Visite - Bluthochdruck
Visite

Gesund mit Visite - Bluthochdruck


ausgezeichnet

Kleiner, feiner Ratgeber

Der NDR mit seiner Visite-Sendung und den Ernährungs-Docs ist mir schon lange ein Begriff, auch von den gesunden Rezepten in Buchform habe ich schon profitiert (So einfach geht gesund essen), jetzt liegt mit dem Bluthochdruck-Buch etwas Neues auf meinem Tisch. Ein kleiner Ratgeber, überschaubar in Größe und Umfang, sehr ansprechend gestaltet. Besonders freue ich mich darüber, dass auch das Vorwort von Vera Cordes, die sonst Visite im TV moderiert, einen angenehmen Ton anschlägt und vor allem, dass ich gesiezt werde. Ratgeber-Autoren habe leider oftmals die Angewohnheit, ihre Leser von vornherein zu duzen, wenn man 70 ist, findet man das nicht unbedingt angemessen. Also dafür schon mal ein herzliches Danke an das Verlagsteam.
Zum Cover: es spricht an! Und jedes Zipfelchen Papier wurde genutzt. Die vordere Klappe gibt dem Leser einen kurzen Überblick, was ihn im Buch und mit dem erhöhten Blutdruck erwartet bzw. was vom Leser erwartet wird. Im Inneren erweist sich dieser Vorgeschmack als berechtigt. Gut lesbare Texte (Schriftgröße und Papier/Papierfarbe sind stimmig), die Grafiken übersichtlich und einprägsam. Fragen und Antworten sind komplex, verständlich und hilfreich. Sehr gut gefiel mir der Beitrag von Prof. Metzner.
Nach den ersten 50 Seiten beginnt ein ab wechslungsreicher Rezeptteil. Schön finde ich die Idee, die Rezepte für zwei Personen zu berechnen, das entspricht zumindest meinem Bedarf. Wobei ich noch nicht weiß, ob auch mein Gatte an allen Gerichten Freude haben wird. Aber dann könnte ich ja für mich auf „Vorrat“ etwas zubereiten und ihm was Herzhaftes kochen. Auf jeden Fall probiere ich einmal das Orientalische Hähnchen-Couscous. Das schmeckt mir schon beim Lesen!
Im dritten und letzten Teil beschäftigt sich der Ratgeber mit dem Bewegungskomplex. Ich schreibe bewusst nicht Sport, weil das für manchen Leser vielleicht abschreckend ist. Es geht einfach um ein paar Übungen, die fast jeder machen kann und die sich ohne Fitnessstudio umsetzen lassen. Dann geht es noch um die Seele und was jeder seiner eigenen Seele Gutes tun kann. Man muss nur dran denken und es nicht immer verschieben.
Zu guter Letzt die hintere Umschlagklappe mit einem besonderen Augenmerk auf dem Salzverbrauch, der (wie der Zuckerverbrauch) einen erheblichen Einfluss auf den Blutdruck hat. Gute Ratschläge, im Alltag gar nicht so leicht, sie immer zu berücksichtigen. Aber es ist schon gut, wenn man immer daran denkt, das wird den Salzverbrauch vielleicht fast selbstständig etwas verringern.
Fazit: Wer mit hohem Blutdruck konfrontiert ist, oder ihn vermeiden möchte, ist mit diesem Ratgeber bestens beraten. Mehr braucht man gar nicht. Von mir 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.02.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

„… AND MOVED MY HEART“

Dieser neue Roman von Takis Würger hat nicht nur, wie ich es im Titel zitiere, mein Herz bewegt, er ist mir tief eingedrungen in Herz und Seele und Verstand. Ich habe vor Jahren „Stella“ gelesen, seitdem sehr viel anderes, aber kein weiteres Buch von ihm. Das könnte sich nun auch rückwirkend ändern. Ich habe schon einige Rezensionen zu „Für Polina“ gelesen, die allermeisten Leser sind begeistert und berührt. Da stimme ich gern zu. Der Inhalt wurde jedoch schon oft genug beschrieben, das will ich also nicht wiederholen.
Was mich an diesem Roman besonders fasziniert hat, ist die Tatsache, dass ich ein recht unmusikalischer Mensch bin, aber bei diesem Buch von der ersten bis zur letzten Zeile immer das Gefühl hatte, ich hörte leise im Hintergrund Musik und lauschte „dem Rhythmus“ der Wörter von Polina und der Gedanken von Hannes. Dieses ungleiche Königskinderpaar ist ein literarisches Geschenk, man kann sich ihrer Geschichte hingeben, egal ob sie zusammen sind oder getrennt. Hannes, der zierliche und willensstarke junge Mann, wird zu jedermanns Überraschung ein MOVER, ein Möbelpacker mit ganz besonderen Fähigkeiten. Die versteckt er gut, auch seine Gedanken und Gefühle hält er unter Verschluss. So fällt es nicht nur Polina schwer, ihn zu erkennen und zu durchschauen.
Im Zusammenhang mit Erkennen und Durchschauen erfand Takis Würger eine der wunderschönsten Wortschöpfungen heutiger Zeit: die Schwerbegrifflichen. Davon gibt es wahrlich genug. Hannes gehört definitiv nicht in diese Kategorie, auch wenn er manchmal länger über etwas nachdenken muss, ehe er sich Klarheit im Kopf verschaffen kann. Bei ihm könnte man das eher Sezieren als Nachdenken nennen.
Die jahrelange Freundschaft zu seinem Arbeitskollegen Bosch ist etwas ganz Besonderes in diesem Roman. Ich habe diese Figur, den türkischen Möbelträger mit dem großen Herzen, in mein eigenes Herz geschlossen wie einen guten Freund.
Auch die anderen Protagonisten, die nach und nach auftauchen und bisweilen wieder verschwinden, beschreibt Takis Würger wahrhaftig und genau, egal wie groß oder klein ihre Rolle im Roman ausfällt. Niemand ist nur da, alle hinterlassen Spuren. Besonders Hannes‘ Mutter bleibt bis zum Ende des Romans immer im Gedächtnis, in seinem und in meinem auch. Dazu trägt auch die Figur des Heinrich Hildebrand bei, der tiefer in Hannes Seele schaut als alle anderen. Bisweilen geht auch Materielles verloren, bisweilen taucht es wieder auf. Jede Seite bringt eine andere Überraschung ans Licht.
Ein Zitat habe ich mir bis zum Ende aufgehoben: „Vielleicht ist Liebe nur ein anderes Wort für Hoffnung.“ Diese Erkenntnis behalte ich in Erinnerung. Und freue mich auf Neues und Altes von Takis Würger. Ich habe gelesen, dass er unter anderem in Cambridge Ideengeschichte studiert hat, das passt gut zu seiner überraschenden Leichtigkeit und Finesse in der Wahl jedes Wortes, in der Formulierung jeder Idee. Für mich ist dieses Buch dadurch ein literarisches Feuerwerk geworden, und ich fühlte mich wie ein Freischwimmer im Rhein bei Basel, der vom Fluss der Worte hinweggetragen wird und am Abendhimmel dem Feuerwerk mit Musik zusieht.
Fazit: Für mich schon jetzt das schönste Buch des Jahres, und unbedingt buchpreisverdächtig. Mehr als 5 Sterne sind ja leider nicht möglich.

Bewertung vom 26.02.2025
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


ausgezeichnet

Aufmachen und zumachen – man sagt sich niemals alles

Beinahe zwei Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen von „Wir hätten uns alles gesagt“ fiel mir dieses Buch auf, ich nahm es und verschlag es in kaum drei Tagen. Es ist nicht dick, aber es ist inhaltsschwerer als mancher 1000-Seiten-Roman. Von Beginn an fesselten mich einige Details, Übereinstimmungen, Erinnerungen an meine eigene Kindheit und Jugend: Die Autorin und ich tragen den gleichen Vornamen, sie wuchs wie ich in Berlin auf – sie im Westen, ich im Osten – mit ihrer Oma im Haushalt, auch bei ihr gab es Pellkartoffeln, Quark und Leinöl, es nannte sich nur anders. Auch später gab es etwas, das mich nicht losließ, ihr Kind. Ihr Kind ist ein Junge, aber sie spricht von ihm immer, egal wie alt, von ihrem Kind. Mein erstes Kind war ein Mädchen, ich habe nie von ihr als Tochter gesprochen, immer war sie mein Kind. Mein Kind mochte das nicht, sie fand es anonym und befremdlich, für mich war „mein Kind“ schon da, als es noch nicht geboren war, und es blieb dabei, verbunden, als wäre die Nabelschnur noch dran. Wie das Kind von Judith Hermann diese Bezeichnung findet, das weiß ich nicht, es kommt nie zur Sprache.
Zur Sprache kommen die Eltern, die besondere Problematik des Vaters, der für Jahre in einer psychiatrischen Klinik lebt, die Problematik der Mutter, die immer alles aushält, am Ende werden beide trotzdem füreinander da sein. Das ist tröstlich. Zur Sprache kommt die Freundin Ada, die sich in den Gedanken und Gefühlen der Autorin einnistet wie ein Kuckuckskind. Die immer da ist, auch wenn jahrelange Funkstille herrscht, die Ruhe und Selbstvertrauen ausstrahlt, erdet. Und dann ist da Jon, der erst im dritten Teil auftaucht, aber als Partner zu sehen ist, der sich schwertut mit den Gedanken, Geheimnissen und den Worten, die an beiden haarscharf vorbeigehen, ohne beim anderen Gehör zu finden. Hier findet sich auch der Titel des Buches, aber da weiß man schon, dass man sich niemals alles sagen kann und will. Weder im Buch noch im echten Leben.
Daran sind auch die Träume schuld, sie verweben mit den Tatsachen, die Geschichten werden Träume, die Träume werden Wahrheit oder Lüge. Nichts ist wie es scheint. Und trotzdem wird die Autorin von einem Abend erzählen mit ihrem Vater, sie gehen ins Theater und danach suchen sie im Überangebot ein passendes Restaurant. Der so oft fremd und entrückt wirkende Vater wird ihr unvergesslich um Mitternacht zum Geburtstag gratulieren. Das ist etwas, was ich mit der Autorin nicht gemein habe, mein Vater schickte im besten Fall seinen Fahrer mit einem Geschenk, und das meist am falschen Tag. Bei mir hat die Geburtstagsszenerie ein ganzes Kinderleben an Erinnerungen heraufbeschworen.
Wir machen auf und wir machen zu, unser Leben passiert genau dazwischen. Hermann schreibt „Altwerden ist was für Helden. … Es ist eine absolute und bodenlose Zumutung.“ Ja, stimmt, nur bin ich 15 Jahre älter als sie und kann ihr nur raten, sich diesen Satz noch etwas aufzuheben. Ja, es gibt „immer mehrere Wahrheiten“, das Leben, die Träume, die Gedanken.
Selbst die Pandemie wurde mit dem Schreiben, Lesen, Denken und Erinnern einfacher, endlicher, löste sich auf in verpassten Gelegenheiten und angenehmer Einsamkeit. Rückblickend eine Farce, wenn auch tödlich, so doch nur sanfter Erinnerung wert.
Gerne hätte ich die Poetikvorlesungen von Judith Hermann gehört, um noch länger und intensiver in ihrer Gedankenwelt zu schweben. Obwohl das Buch nicht wenige traurige, ja tragische Momente hat, bringt es mich immer wieder auf neue Ebenen, die angenehm, ruhig, vollkommen sind. Man vertreibt den inneren Dibbuk und beginnt einfach wieder von vorn.
Fazit: Judith Hermanns Buch, ihre Bücher, zu lesen, das heißt, sich darauf einzulassen. Ich habe es getan und mich in ihrer Gegenwart sehr gut gefühlt.

Bewertung vom 18.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


gut

Sehr speziell

Es ist das erste Buch, das ich von Dmitrij Kapitelman gelesen habe. Das interessante Wirrwarr der Beziehungen, politischen Meinungen und russischen Einflüsse, die nicht nur seine Mutter sondern auch er und alle anderen ertragen müssen, ist schwer zu durchdringen. Kapitelmans Schreibstil ließ mich nicht eins werden mit diesem Roman, der ja auch ein Zeitzeugnis ist und sein will. Ich kenne das Leipzig von Anfang der 1970er Jahre, da lebten dort noch viele russische Soldaten in Kasernen, es gab das магазин, wir nannten es Russenladen. Ich ging dort nur wegen der schönen Bonbons hin, mehr konnte ich mir als Lehrling auch nicht leisten. So ähnlich wird es im Kapitelmanschen Spezialitätenladen auch sein.
Das tägliche Thema Ukrainekrieg macht es einem schwer, darüber mit Lächeln und Ironie zu reden bzw. zu lesen, schlimmer noch, russische und ukrainische Propaganda ertragen zu müssen, wenn man tausendsechshundert Kilometer entfernt ist von Bomben, Drohnen, Panzern und Mordmaschinerie. Für mich ist dieses Buch leider das falsche Buch zur falschen Zeit.

Bewertung vom 13.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Alle meinen es immer gut

Zufällig habe ich in den letzten Wochen zwei Hörbücher von Susann Pásztor gehört, die mir sehr gefielen, es waren „Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts“ und „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, dagegen ist der Titel des neuen Buchs ja schon fast minimalistisch zu nennen. Ganz im Gegensatz zum Inhalt, der sich mit den Grundfesten des Lebens beschäftigt. Susann Pásztor schreibt „Von hier aus weiter“ in der Ich-Form, sie ist Marlene, Ende 60, die Frau von Rolf, der sich mit einem Suizid aus ihrem dreißigjährigen Eheleben entfernt hat, bevor ein Hirntumor das tun konnte. Diese tragische Grundkonstellation ist der Ausgangspunkt für Marlenes neues Leben. Alle sind ihr zumindest äußerlich gewogen, sie aber springt mit ihren Gedanken zwischen Leben und Tod hin und her, die absurde Trauerfeier übersteht sie mit Hängen und Würgen. Ich war sehr gespannt, ob und wie sie sich von Trauer, Verlustangst und Valium befreit in diesem Buch.

Gänzlich unerwartet begegnet sie Jack, einem ehemaligen Schüler, und ehe sie sich‘s versieht, wohnt er vorübergehend bei ihr und bekocht sie und auch ihre Gäste auf wunderbare Weise. Hinter ihr Geheimnis kommt er aber nicht so schnell. Marlene erzählt ihm viel, aber niemals alles, so bleibt ihre Beziehung im Wagen. Als er von ihr wegen eines kleinen Notfalls zu Ida, ihrer befreundeten Ärztin und Nachfolgerin in der Praxis ihres Mannes, gebracht wird, verlieben sich die beiden vollkommen unterschiedlichen Menschen ineinander. Marlene beobachtet es staunend. Als dann ihre Freundin Wally aus Wien vermeldet, dass sie für Marlene einen Brief von Rolf hat und ihn nur persönlich übergeben darf, beginnt ein modernes Roadmovie seinen Lauf zu nehmen.

Der Schreibstil ist ganz wunderbar und wenn man selbst in dem Alter der Protagonistin ist, wird es noch interessanter. Susann Pásztor hat ein großes Talent, ihre Protagonisten auch noch die schwierigsten Themen auf leichte, liebevolle Art bewältigen zu lassen. Das Buch ist nicht besonders umfangreich, aber es lohnt sich jede Minute des Lesens. Ironie, eine Portion Spaß und psychologischer Tiefgang werden aufs Feinste gemischt. Gute Unterhaltung!

Fazit: Manchmal ist das Ende ein neuer Anfang. Sehr feinfühlig erzählt. Meine Lese- und später Hörempfehlung fürs Frühjahr 2025. Volle 5 Sterne.

Bewertung vom 13.02.2025
Die Allee
Anders, Florentine

Die Allee


ausgezeichnet

Zwischen den Mühlsteinen der „Unbegabten“

... Hermann Henselmann hat nicht nur im Buch tiefe Spuren hinterlassen, sein architektonisches Erbe geht weit über Berlin hinaus. Obwohl dieser Mann nicht gerade der Sympathieträger des Romans ist, erkenne ich in seinen Arbeiten, aber auch in unvollendeten Projekten eine große Entschlossenheit und Perfektion. So manche verworfene Idee würde noch heute Bestand haben und die Welt verschönern. Für mich war insbesondere der Strausberger Platz mit dem Haus des Kindes und dem Haus Berlin immer einer der schönsten Orte in Ostberlin, früher und auch jetzt noch. ...
(gekürzt)
... Und ich zolle auch Florentine Anders großen Respekt für ihre exakten, bestimmt langwierigen Recherchen. Diese werden gerade in der Familie nicht leicht gewesen sein. Wer sieht schon gern sich oder die Verwandten in kritischem Licht, benennt Fehler und Fehlentscheidungen; besonders wenn es um Vater und Mutter oder Geschwister geht, ist das oft sehr problematisch und schmerzhaft. Gerade deshalb bewundere ich das Ergebnis, den vorliegenden Roman, umso mehr. Mit den vielen Familienmitgliedern, ihrem prallen Leben und den rund 70 Jahren deutscher Geschichte, die in diesem Roman stecken, ist es der Autorin gelungen, weit unter 400 Druckseiten zu bleiben und das Buch nicht zu überfrachten. Ein echtes Lesevergnügen.

Fazit: Eine ergreifende Familiengeschichte, ein Berlin- und Architekturroman vom Feinsten. Von mir eine große Leseempfehlung und gern mehr als fünf Sterne.