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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 437 Bewertungen
Bewertung vom 12.03.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


gut

DIE FLETCHERS VON LONG ISLAND
Taffy Brodesser-Akner

Der Fabrikbesitzer Carl Fletcher wird in den 1980er-Jahren direkt vor seiner Haustür entführt. Nachdem seine Familie ein hohes Lösegeld zahlt, lassen ihn die Entführer nach einer Woche frei.
Doch Carl erholt sich nie wieder vollständig von den körperlichen und seelischen Qualen. Seine beiden Söhne sind zum Zeitpunkt der Entführung noch Kinder, seine Tochter wurde noch nicht einmal geboren - und doch hinterlässt das Verbrechen auch bei ihnen Spuren. Sie wachsen mit einem Vater auf, der zwar physisch anwesend ist, aber innerlich oft unerreichbar bleibt.

Als Erwachsene schlagen sich die drei Geschwister mehr schlecht als recht durchs Leben. Trotz ihres privilegierten Aufwachsens gelingt es keinem, wirklich Fuß zu fassen. Die erfolgreiche Styropor-Fabrik der Familie will keiner übernehmen - obwohl ihr jüdischer Großvater Zelig Fletcher, der 1940 vor den Nationalsozialisten in die USA floh, das Unternehmen mit Fleiß, Mut und einer geheimen Formel, die ihm ein verstorbener Mann vermachte, aufgebaut hat.

Taffy Brodesser-Akner erzählt die bewegende Geschichte einer wohlhabenden Familie aus Long Island mit all ihren Sorgen und Nöten. Inspiriert wurde sie dabei von der Entführung Jack Teichs im Jahr 1974.
Der Roman ist oft bunt erzählt, und es gab Momente, in denen ich regelrecht an den Seiten klebte. Dennoch konnte mich das Buch nicht durchgehend fesseln. Mein Leseerlebnis war ein ständiges Auf und Ab - mehr als einmal war ich kurz davor, es zur Seite zu legen. Nicht alle Figuren waren mir sympathisch, manche blieben blass. Ob es an den langen Kapiteln lag oder am detailverliebten, oft wechselnden Schreibstil, kann ich nicht genau sagen.

Insgesamt war es für mich nur ein mittelmäßiges Buch.
3/5

Bewertung vom 27.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


sehr gut

VON HIER AUS WEITER
Susann Pásztor

Nach 30 Jahren Ehe steht Marlene plötzlich alleine da. Ihr Mann Rolf hat sich nach der Diagnose eines Hirntumors das Leben genommen.
Marlene fühlt sich verlassen und im Stich gelassen. Statt tiefer Trauer empfindet sie vor allem Wut. Ihr Telefon klingelt unaufhörlich - ihre Freundinnen und Rolfs Söhne möchten mit ihr sprechen und sich um sie kümmern. Doch Marlene ignoriert die Anrufe und betäubt ihre Gefühle mit Valium.
Mahlzeiten und Körperpflege verlieren für sie an Bedeutung. Erst als nach drei Wochen ohne Dusche kein Wasser mehr aus der Leitung kommt, beschließt sie, einen Klempner zu rufen. Zu ihrer Überraschung steht ihr ehemaliger Grundschüler Jack vor ihr.
Jack erkennt sofort, in welcher Verfassung sie ist, und übernimmt kurzerhand die Kontrolle. Als schließlich auch Ida, die Hausärztin, auf den Plan tritt, kommt Marlenes Leben langsam wieder in Bewegung.
Was all das mit einem Brief, einer ausgemusterten Freundin und einem Roadtrip zu tun hat, solltet ihr am besten selbst lesen.

Susann Pásztor hat ein sehr authentisches Buch über Trauerbewältigung geschrieben. Besonders die erste Hälfte hat mir gut gefallen. Marlenes Gefühle, ihre Trauer und Wut wurden eindrucksvoll vermittelt. In der zweiten Hälfte gefiel mir vor allem die Darstellung, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein, und wie sehr Ablenkung nach einem Verlust helfen kann. Auch wenn mir Marlenes kühle Art nicht immer sympathisch war, konnte ich mich gut in sie hineinversetzen.
Was mir weniger gefiel, war der starke Fokus auf das viele Essen in der zweiten Hälfte - ich hatte fast das Gefühl, dass der Autorin die Ideen für den Roadtrip ausgingen und die Handlung aufgefüllt werden musste.

Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen.
3½/5

Bewertung vom 27.02.2025
Wie du mich ansiehst
Lohmann, Eva

Wie du mich ansiehst


ausgezeichnet

WIE DU MICH ANSIEHST
Eva Lohmann

Die 40-jährige Johanna fühlt sich unsichtbar - oder besser gesagt: übersehen. Schon lange hat kein Mann mehr einen Blick auf sie geworfen. Nicht, dass sie Bestätigung bräuchte, schließlich ist sie glücklich mit Hendrik verheiratet. Doch einmal wieder dieses gewisse Funkeln in fremden Augen zu sehen, das wäre schön.
Als ihre Angestellte sie auf die Zornesfalte zwischen ihren Augen aufmerksam macht, wird Johanna nachdenklich. War die schon immer da? Vielleicht hat sie sie von ihrem kürzlich verstorbenen Vater Karl geerbt? Doch warum grämt sie sich überhaupt? Ihr Leben läuft doch gut - ihr Blumenladen floriert, die neue Angestellte Ruby bringt frischen Wind in den Laden und mit ihrer 15-jährigen Tochter Rosa versteht sie sich prächtig. Woher also kommt diese Falte?
Kurzerhand vereinbart Johanna einen Termin in einer Ästhetik-Praxis für eine kleine Botox-Behandlung. Das Ergebnis ist fantastisch - die Falte ist verschwunden! Doch warum scheint sie die Einzige zu sein, die das bemerkt? Weder Hendrik noch ihre Tochter nehmen die Veränderung wahr. Vielleicht braucht es eine weitere Behandlung …

„Wie du mich ansiehst“ ist die Geschichte einer modernen Frau, die sich zwischen Familie, Beruf und eigenen Bedürfnissen wiederfinden muss. Johanna, eine selbstständige Floristin, jongliert zwischen Alltagspflichten und Selbstzweifeln, während ihr Mann Hendrik als Marinekapitän meist abwesend ist. Sie will ihrer Tochter gute Werte mitgeben, erkennt jedoch, dass es manchmal notwendig ist, Regeln neu zu definieren.

Der Roman thematisiert Trauerbewältigung, das Älterwerden, die Herausforderungen von Mutterschaft und Ehe sowie den Balanceakt zwischen Beruf und Familie.

Eva Lohmanns leichter, flüssiger Schreibstil ließ mich durch die Seiten fliegen, und ich konnte intensiv mit Johanna mitfühlen.
Unbedingt lesen!
4½/5

Bewertung vom 26.02.2025
Bis die Sonne scheint
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


sehr gut

BIS DIE SONNE SCHEINT
Christian Schünemann
1983:
Daniel Hormann fühlt sich ungerecht behandelt: Seine Konfirmation steht bevor, doch ein passender Anzug fehlt ihm noch - dabei hatte er sich längst einen ausgesucht. Das festliche Essen im teuren Restaurant wurde gestrichen, die Gästeliste von seiner Mutter drastisch gekürzt, und er ahnt bereits, dass auch seine erhofften Konfirmationsgeschenke schrumpfen werden.
Bei seinen drei älteren Geschwistern spielte Geld damals keine Rolle. Man gab großzügig aus, denn Vaters Architekturbüro florierte und die Bauwirtschaft boomte. Doch nun scheint sich Vaters neueste Geschäftsidee - der Verkauf von Wasserfiltern - nicht auszuzahlen.
Vorübergehend müssen sie daher von dem Strickgeld leben, das die Mutter für jeden selbstgestrickten Pullover vom kleinen Wollladen erhält. Aber das ist natürlich nur eine Übergangsphase - eine Zwangsversteigerung des schönen Bungalows am Waldrand, so beteuert der Vater, werde es nicht geben.

Wer jedoch glaubt, dass die Familie nun sparsam lebt, irrt sich. Delikatessen werden im Feinkostladen angeschrieben, gemütliche Restaurantbesuche mit Rumpsteak stehen weiterhin auf dem Programm, und um den Anblick der ungeöffneten Rechnungen zu vermeiden, reist man kurzerhand an die Côte d’Azur.

Christiane Schünemann erzählt hier die Geschichte seiner Familie. Besonders gefallen haben mir die vielen kleinen Rückblicke auf die Großeltern.
Der Schreibstil ist leicht und flüssig - man fliegt nur so durch die kurzen Kapitel. Mehrmals hatte ich das Gefühl, an eigene Kindheitserinnerungen erinnert zu werden. Vielleicht liegt es daran, dass der Autor nur ein Jahr älter ist als ich.

Fazit:
Ein buntes Potpourri aus Familienerzählungen der 70er- und 80er-Jahre - wunderbar gelungen! Daher spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus.
4/5

Bewertung vom 26.02.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Endlich ein neues Buch von Takis Würger!
Nachdem ich all seine bisherigen Werke verschlungen und geliebt habe, konnte ich es kaum erwarten, in sein neuestes Buch einzutauchen.

FÜR POLINA
Takis Würger

Polina und Hannes kennen sich seit ihrer Kindheit. Sie wachsen fast wie Geschwister auf, da ihre Mütter, die sich im Krankenhaus kennenlernten, eine tiefe Freundschaft verbindet. Ein Geheimnis teilen die Mütter: Beide verschweigen, wer die Väter ihrer Kinder sind.
Während Polina voller Neugier und Tatendrang ist, ist Hannes eher der stille, in sich gekehrte Junge. Sein außergewöhnliches musikalisches Talent wird erst spät entdeckt.
Schon früh spürt Hannes, dass seine Gefühle für Polina mehr als nur Freundschaft sind. Doch weil Worte nicht seine Stärke sind, komponiert er eine Melodie für Polina - ein Werk, in das er all seine Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht legt.

Ein tragischer Unfall reißt die beiden auseinander und unglückliche Umstände führen schließlich zu einem vollständigen Kontaktabbruch. Doch was wird aus Polina und Hannes? Werden sie ihren Weg zueinander wiederfinden? Gibt es ein Happy End? Diese Fragen müsst ihr selbst herausfinden.

Eine zarte, bittersüße Liebesgeschichte!
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, ob die beiden wieder zueinanderfinden. Takis Würger erzählt von Liebe und Freundschaft, von Abschieden und Neuanfängen, von verpassten Chancen - und berührt damit tief.

Große Leseempfehlung von mir.
5/5

Bewertung vom 24.02.2025
Charly Broms Dilemma
Linder, Lukas

Charly Broms Dilemma


ausgezeichnet

CHARLY BROMS DILEMMA
Lukas Linder

Charly Broms Leben gerät völlig aus den Fugen, als er einen Anruf erhält. Eigentlich hatte er seit jenem schlimmen Tag jahrelang auf diesen Anruf gewartet - doch als er ausblieb, entspannte er sich allmählich und versuchte, seine Schuld zu verdrängen.
Doch so richtig gelang ihm das nie. Es war ihm nicht möglich, sich voll und ganz auf sein eigenes Leben zu konzentrieren. Ja, er mochte seinen Beruf als Kriminalromanautor und mit seiner Frau und seinem Sohn war sein Leben in Ordnung. Doch er achtete stets darauf, keine allzu tiefen Gefühle für sie zuzulassen.

Jetzt aber, nach diesem einen Anruf, der ihn schlagartig in seine Jugend und zur verdrängten Schuld zurückkatapultiert, gibt es kein Zurück mehr. Er muss sich endlich der Vergangenheit stellen.
Also macht er sich auf den Weg zu seiner Mutter, die seit dem Tod seines Vaters mit der Großmutter unter einem Dach lebt.
Ein herzlicher Empfang bleibt jedoch aus, denn Mutter und Großmutter sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Wie es weitergeht? Das kann ich euch nicht erzählen - sonst verrate ich zu viel. Findet es doch einfach selbst heraus …

Eine skurrile, fesselnde Geschichte! Mit feinem, trockenem Humor erleben wir Charly Broms Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
Ich fühlte mich bestens unterhalten und habe das Buch in einem Rutsch verschlungen.
Klare Leseempfehlung:
4½/5

Bewertung vom 20.02.2025
Im Schnee
Goerz, Tommie

Im Schnee


ausgezeichnet

IM SCHNEE
Tommie Goerz

Der Schorsch ist tot - die Totenglocke hat für ihn geläutet.
Jahrelang haben sie sich begleitet - der Schorsch, der eigentlich Georg hieß - doch so nannte ihn keiner - und der Max. Im selben Dorf aufgewachsen, gemeinsam die Schulbank gedrückt - sogar auf dieselbe Frau hatten sie ein Auge geworfen. Doch sie entschied sich für Schorsch, und Max blieb allein.

Eigentlich hätte es ein schöner Wintertag werden können, mit glitzerndem Schnee und klarer Luft. Doch ausgerechnet heute holte der Tod den Schorsch.

Und so begleiten wir Max zur Totenwache. Die Männer dort erzählen Geschichten aus dem Dorf - über die, die gegangen sind, und die, die geblieben sind. Über alte Fehden, die selbst nach vierzig Jahren noch schwelen. Über die „Neuen“, die vor 30 Jahren hergezogen sind und noch immer „Neubürger“ genannt werden, aber nie wirklich dazugehören. Sie erinnern sich gemeinsam. Sie hielten zusammen und schwiegen, denn Geheimnisse blieben im Dorf, auch wenn jeder sie kannte.

Doch das Dorf verändert sich. Die Jungen verkaufen die Höfe, das Land. Und die Neuen? Sie wollen keine Bauern sein, keine Felder bestellen. Sie wollen spazieren gehen und das Leben genießen.

Was wird aus dem Dorf, wenn bald auch für sie die Totenglocke läutet?

Tommie Goerz hat ein leises, eindringliches Buch geschrieben - eine Momentaufnahme des Dorflebens, das zwischen Tradition und Veränderung schwankt. Ein Ort, an dem jeder jeden kennt, an dem man seit Generationen zusammenlebt und füreinander einsteht.

Gerne habe ich den Anekdoten und Erzählungen gelauscht. Die Stimme von Thorsten Loibl hat dazu beigetragen, dass ich mich fühlte, als säße ich selbst in einem kleinen Dorf, während es draußen stürmt und schneit.
4½/5

Bewertung vom 18.02.2025
Dienstmädchen für ein Jahr
Boo, Sigrid

Dienstmädchen für ein Jahr


sehr gut

DIENSTMÄDCHEN FÜR EIN JAHR
Sigrid Boo

Norwegen in den 1930er-Jahren:
Helga hat gerade ihr Abitur bestanden, doch ihr Traum von einem Aufenthalt in Frankreich wird von ihrem Vater, dem Direktor der großen Papierwerke, abrupt zunichtegemacht.
Stattdessen verbringt sie ihre Tage in gehobener Gesellschaft, feiert mit ihren wohlhabenden Freunden und genießt das Leben in Bars und Cafés. Bei einem dieser Treffen stellt sich eine provokante Frage: Ist das moderne Mädchen von heute noch zu etwas anderem fähig als zum Flirten und Tanzen? Kann es eine anständige Mahlzeit zubereiten?

Gekränkt in ihrer Ehre geht Helga eine folgenschwere Wette mit dem Mann ein, in den sie verliebt ist: Sie wird ein Jahr als Hausmädchen arbeiten - und wenn sie durchhält, erhält sie als Belohnung einen Brillantring.

Ihr Vater und ihre Tante sind entsetzt über ihre Entscheidung, doch schließlich lassen sie sie ziehen.

Schnell muss Helga feststellen, dass es ohne Zeugnisse und Referenzen schwierig ist, eine Anstellung zu finden. Doch dann erhält sie eine Stelle auf Gut Vinger - nicht als Gast, sondern als Dienstmädchen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sitzt sie nicht mit den Herrschaften am Tisch, sondern bedient sie. Sie teilt sich ein Zimmer mit der Köchin, schrubbt Böden und erledigt Arbeiten, die ihr bisher fremd waren.

Doch Helga wächst an ihren Aufgaben. Immer wieder wird sie auf die Probe gestellt - sei es durch eine verschwundene Brosche der Herrin oder durch ihre Gefühle für den attraktiven Chauffeur.

Sigrid Boo (*1898, †1954) war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Norwegens. Mit einem wunderbar distanzierten Erzählstil, der perfekt zur Zeit des Romans passt, schildert sie die Geschichte einer jungen Frau, die ihrer Epoche ein wenig voraus war.

Ich habe das Buch mit großer Freude gelesen. Eine erfrischend andere Geschichte – deshalb spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus.
4/5

Bewertung vom 11.02.2025
Die erste halbe Stunde im Paradies
Adomeit, Janine

Die erste halbe Stunde im Paradies


ausgezeichnet

„Er ist einmal alles für mich gewesen - alles, worauf ich mich verlassen und woran ich glauben konnte. Für mich hat er die ganze Welt zusammengehalten. Und dann ist er aus ihr herausgefallen und auf einem fremden Planeten gelandet, während ich zurückgeblieben bin.“ (S.111)

DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES
Janine Adomeit

Vor 20 Jahren:
Anne und Kai sind Geschwister - eng verbunden, obwohl fast sieben Jahre Altersunterschied zwischen ihnen liegen und sie eigentlich nur Halbgeschwister sind. Gemeinsam kümmern sie sich um ihre chronisch kranke Mutter. Während die elfjährige Anne einkauft, kocht und wäscht, übernimmt der ältere Kai die offiziellen Wege und begleitet die Mutter zum Arzt. Anne soll im Hintergrund bleiben, denn die Angst ist groß, dass das Jugendamt sie entdeckt und aus der Familie reißt.
Doch die Situation spitzt sich immer weiter zu. Die Mutter wird zum Pflegefall, kann sich kaum noch allein bewegen, und die Last auf den Schultern der Kinder wächst ins Unerträgliche.

Heute:
Anne ist Pharmareferentin, alleinstehend, bewusst kinderlos und hat seit Langem keinen Kontakt mehr zu ihrem Bruder Kai. Beruflich könnte es nicht besser laufen: Sie arbeitet für das große US-Phamaunternehmen P&H im Bereich Schmerzmittel. Ihre Aufgabe ist es, das umstrittene Schmerzpflaster Fentanyl auf dem norddeutschen Markt einzuführen - möglichst ohne die stark abhängig machende Nebenwirkung zu erwähnen.

Gerade befindet sie sich auf einer großen Tagung des Unternehmens, wo sie einen Vortrag halten soll, als ihr Bruder anruft und sie bittet, ihn aus einer Drogenentzugsklinik auf Pellworm abzuholen.

Janine Adomeit zeichnet auf zwei Zeitebenen ein eindringliches Porträt zweier Geschwister, die viel zu früh Verantwortung übernehmen mussten - überfordert, ohne Kindheit, ohne Jugend.

Die Art und Weise, wie beide ihre Traumata auf ganz unterschiedliche Weise verarbeiten, hat mich tief bewegt. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich in die kühle Anne hineinzuversetzen, doch nach wenigen Kapiteln ließ mich das Buch nicht mehr los. Ich habe es in nur zwei Tagen verschlungen.

Eine klare Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 11.02.2025
Wenn wir lächeln
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


sehr gut

WENN WIR LÄCHELN
Mascha Unterlehberg

Mitten in der Nacht springt Anto von einer Brücke über die Ruhr. Jara steht hilflos daneben, unsicher, ob sie die Polizei oder den Notarzt rufen soll - vor allem nicht jetzt, nach dem, was sie gerade getan haben. Sie könnte sich genauso gut direkt für Sozialstunden melden. Doch sie beruhigt sich: Anto wird gleich wieder auftauchen. Bestimmt übertreibt sie nur …
Während Jara wartet, ziehen gemeinsame Erinnerungen an ihr vorbei. Ihr erstes Treffen auf dem Fußballplatz - damals war sie sich nicht sicher, ob sie mit Anto überhaupt befreundet sein wollte. Doch dann folgten heimliche Treffen in der Nacht, Zigaretten, Alkohol­exzesse, Mutproben auf Bahngleisen und Ladendiebstähle. Aus zwei Jugendlichen wurden beste Freundinnen, fast Schwestern.

Ihre Leben könnten dabei kaum unterschiedlicher sein: Jaras Mutter ist alleinerziehend, arbeitet hart und bemüht sich trotz allem, für ihre Tochter da zu sein. Antos Mutter hingegen reist ständig und verdient gut - doch das bedeutet, dass Anto meist auf sich allein gestellt ist.

Mit bildreicher Sprache zeichnet Mascha Unterlehberg das intensive Porträt einer Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen, die noch nicht wissen, wo sie im Leben stehen. Wut, Übermut und Überforderung prägen ihren Alltag. Der Rückblick auf die Nullerjahre hat mir besonders gefallen, und ich konnte mich mühelos in die beiden Protagonistinnen hineinversetzen.

Der Schreibstil ist einzigartig: eine rohe, ungeschönte Sprache, große Zeitsprünge, keine wörtliche Rede - all das verstärkt die Intensität der Geschichte, anstatt sie zu stören. Die kurzen Kapitel ließen mich nur so durch das Buch fliegen und der Plot hätte nicht besser sein können.

Fazit:
Ein schmerzhafter, mitreißender Roman über zwei Freundinnen, die inmitten des Chaos des Erwachsenwerdens ihren Weg suchen.
4/5