Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
GeSchwaetz

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


ausgezeichnet

Wunderbar einfühlsam erzählt
Der kranke und körperlich sehr geschwächte Gustav Mahler sitzt allein an Deck des Schiffes, das ihn, seine Frau Alma und seine Tochter Anna von New York in seine Heimat, nach Österreich bringt. Umsorgt wird er von einem extra für ihn abgestellten Schiffsjungen, der auch als Übermittler von Informationen zwischen Mahler und seiner Frau, die sich mit der Tochter unter Deck aufhält, fungiert. Diese Szene hat eine treffende Symbolik. Der Mann thront oben während Frau und Kind unsichtbar sind.
Gustav Mahler weiß, dass dies seine letzte Reise sein wird. Er erinnert sich an einige Erlebnisse und Ereignisse, z.B. an das Kennenlernen seiner Frau, an seine Arbeit als Dirigent, als Operndirektor, an die Ruhe in der Natur und daran, wie er den Vögeln im Garten und im Wald ihre Melodien ablauschte und sich von ihren Gesängen beim Komponieren inspirieren ließ.
Robert Seethaler widmet sich in diesem Buch wunderbar einfühlsam dem letzten Satz der großen Sinfonie dieses Lebens, des Menschen und Musikers Gustav Mahler, und erschafft damit ein kleines Memorial für die Leser, das ihnen eine Inspiration, eine Aufforderung, ein Anstoß sein kann, Mahlers Musik wieder zu hören oder sie für sich zu entdecken.

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.06.2020
Unter den Linden 6
Kaiser, Ann-Sophie

Unter den Linden 6


ausgezeichnet

Atmosphärisch dicht, lebendig und spannend erzählt.

Das Cover ist liebevoll gestaltet, aber ein wenig zu verspielt für meinen Geschmack. Die drei abgebildeten Frauen bringen etwas Farbe in die trüben Aussichten, die das Berlin ihrer Zeit für sie bereithielt. Im hinteren Einband findet man einen Auszug aus dem historischen Stadtplan Berlins rund um die die titelgebende Prachtstraße „Unter den Linden“.
Wir lernen drei unterschiedliche Frauen kennen, an deren Beispiel die Lebenssituationen in Preußen erzählt werden, die typisch für die damalige Zeit waren, in der Frauen nicht studieren, nicht politisch diskutieren, nichts ohne Zustimmung des Ehemannes tun und Lehrerinnen nicht verheiratet sein durften.
Dieser Roman ist eine Momentaufnahme in der Geschichte der Frauenbewegung und legt den Schwerpunkt des Erzählens auf die ersten Frauen, die an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität studieren dürfen. Die Autorin verknüpft ihre fiktionale Romanhandlung mit historischen Persönlichkeiten und Geschichten sehr glaubhaft.
Bei der lebendig geschilderten Atmosphäre des Berliner Gewimmels auf Bahnhöfen und Straßen, musste ich an Fallada denken, was ein gutes Omen für mich ist.
Die Autorin baut eine gute Spannung auf, mithilfe den Fragen, die sich ihre Figuren stellen, was deren Zukunft betrifft.
Ihr Erzählton wird jedoch nach und nach in manchen Passagen etwas zu märchenhaft und liebesschnulzig. Zu oft pochen Herzen und werden Küsse gestohlen. Zusammen mit all den vielen altbekannten und immer gleichen Metaphern und Formulierungen führte es dann bei mir zur Ermüdung.
Insgesamt ist es ein guter Unterhaltungsroman, der einem noch einmal klar macht, wie schwierig es für Frauen war und oft leider immer noch ist, ein unabhängiges und selbständiges Leben nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen führen zu können.
Das dem Buch vorangestellte Zitat von Hedwig Dohm: "Ob Frauen studieren dürfen? Ob Frauen studieren können? Ob Frauen studieren sollen? Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte jemand fragen: Darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? Soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen?", macht einem sehr deutlich, dass der Frauenbewegung wieder mehr Wertschätzung entgegen gebracht werden sollte, was unserer gesamten Gesellschaft sehr gut tun würde.
Gerne hätte ich noch mehr über Lise Meitner erfahren. So ist dieser Roman auch ein guter Anstoß, sich mit dem Thema der Frauen-und Menschenrechte und den Arbeitsmöglichkeiten in der Wissenschaft zu beschäftigen.
Insofern war es ein inspirierendes Leseerlebnis.

Bewertung vom 07.06.2020
Kostbare Tage
Haruf, Kent

Kostbare Tage


ausgezeichnet

Ergreifend und liebevoll erzählt.

Kent Haruf beschreibt seinen fiktiven Ort Holt in Colorado so liebevoll und genau, dass man das Gefühl hat, man stünde, wie einer seiner Figuren, auf der Mainstreet und schaue durch die Fenster der Häuser den Bewohnern bei deren Leben zu. Er schafft es mit seinen Worten uns Lesern Bilder in die Köpfe zu projizieren und diese auch noch zu kolorieren.
Er zeigt, wie eine Gemeinschaft, ein Zusammenleben unterschiedlicher Menschen funktionieren kann, wenn jeder bereit ist zu helfen und sich im Notfall auch um die Nachbarn zu kümmern, mit denen man sonst nichts zu tun hat. Die Polizei lässt man gerne außen vor, man regelt lieber alles selbst, solange es geht.
In der Kleinstadt Holt haben alle Leute ihre Probleme und Sorgen, da wird nichts verschwiegen und nichts beschönigt. Und gerade Harufs Liebe und große Empathie zu seinen Figuren macht auch diese Geschichte über die letzten kostbaren Tage seines Protagonisten so authentisch.
Wäre der Autor nicht 2014 gestorben, gäbe es vermutlich noch weitere Geschichten über die Menschen in Holt. Zumindest kann man sich gut vorstellen, dass einige Erzählstränge weitergeführt werden könnten und vielleicht sogar sollten.
Wer die Bücher von Kent Haruf immer noch nicht kennen sollte, dem möchte ich sie wärmsten empfehlen. Man hat eine schöne Zeit mit ihnen.