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Benutzername: 
Magda
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 289 Bewertungen
Bewertung vom 01.04.2025
Luzie in den Wolken
Lucas, Charlotte

Luzie in den Wolken


gut

Ein unterhaltsamer Wohlfühlroman, der auf die Tränendrüse drückt.
„Liber Gott, mein Papa ist bei dir im Himmel – kanst du mir bitte einen neuen schikken? Von ganzem Herzen, deine Luzie in den Wolken“ schreibt die siebenjährige Luzie bei einem Ballonwettbewerb im Spielwarenladen. Gabriel findet die Postkarte, die an einem roten Ballon hängt.
Der über fünfhundert Seiten starke Roman ist aus der Sicht von Gabriel und Miriam geschrieben. Gabriel ist erfolgreicher Schriftsteller, seine Bücher haben ihm ein gutes Einkommen gesichert, doch jetzt hat er eine Schreibblockade. Er findet die Postkarte, die ihn auf die Idee zu einem neuen Buch bringt. Zunächst muss er aber die Absenderin der Postkarte finden.
Miriam ist seit dem Tod ihres Mannes fünf Jahre zuvor alleinerziehend. Vor einigen Monaten hat sie ein Geschäft für gebrauchte Kinderkleidung eröffnet, welches nicht besonders gut läuft. Deswegen möchte sie einen Raum, der zu dem Laden gehört, untervermieten und freut sich sehr, als Gabriel alias Buchhalter Ben Sommer den Raum anmietet.
Ben lässt sich einiges einfallen, um Luzies Leben zu verschönern und erobert bald nicht nur ihr Herz, sondern auch das von Miriam. Er hat eine phänomenale Idee, um den Umsatz zu steigern, und Miriam vor der Insolvenz zu retten. Doch wie sagt er ihr, dass er gar kein Buchhalter, sondern ein Bestsellerautor ist?
Miriams beste Freundin Rebecca hatte zunächst Bedenken und Vorbehalte gegenüber Miriams neuem Untermieter, doch Ben schafft es schnell, diese aus der Welt zu schaffen.
Es ist eine unterhaltsame Wohlfühllektüre, die Handlung war in meinen Augen jedoch unrealistisch. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum Miriam so lange gebraucht hatte, um zu merken, dass Ben nicht der ist, für den er sich ausgibt. Sie ist noch nicht mal dann misstrauisch geworden, als sie Bens Freunden begegnet ist, die ihn mit „Gabriel“ ansprachen. Gut gefallen hat mir die Geschichte rund um den Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“. Das Buch empfehle ich allen, die gern emotionale Liebesgeschichten lesen.

Bewertung vom 01.04.2025
Wild wuchern
Köller, Katharina

Wild wuchern


ausgezeichnet

Schon das Cover entfaltet eine Sogwirkung, und auch der Inhalt hat mich vollständig eingesogen und überwältigt.
Es geht um die beiden gleichaltrigen Cousinen Marie und Johanna, von Marie in der Ich-Perspektive erzählt. Obwohl ihre Mütter Zwillingsschwestern sind, könnten die beiden Mädchen unterschiedlicher nicht sein, äußerlich wie innerlich. Marie vergleicht Johanna und sich mit Goldmarie und Pechmarie aus dem Märchen Frau Holle. Marie ist so, wie ihre Eltern es erwarten, sie hat einen Beruf und hat den Mann geheiratet, den ihr Vater gutgeheißen hatte. Johanna wiederum ist ein Naturkind, sie liebt Tiere und das Leben in der Natur, mit Menschen hat sie schlechte Erfahrungen gemacht.
Der Großvater der beiden Mädchen ist irgendwann in eine Hütte auf dem Berg gezogen und zum Almöhi geworden. Er war der einzige, der Johanna Marie vorzog, worüber sich Marie früher immer geärgert hatte, später hatte seine Abneigung einen guten Grund… „Er hat mit mir einfach nicht können, ganz egal, wie ich mich verhalten hab. Wenn ich Blumen gepflückt hab, hat er gesagt, ich soll sie lieber wachsen lassen. Wenn ich gesungen hab, hat er gesagt, ich soll lieber den Vögeln zuhören. Wenn ich herumgehüpft bin, hat er gesagt, ich soll das Gras nicht zertrampeln.“ (S. 120)
Johanna lebt seit ihrem vierzehnten Lebensjahr auf der Alm in der Hütte des Großvaters. Sie versorgt sich selbst und hat keinen Kontakt zu anderen Menschen. Eines Tages taucht Marie bei Johanna auf, sie hat eine durchwachte Nacht hinter sich und eine blutende Platzwunde an der Stirn. Johanna ist nicht begeistert, sieht jedoch ein, dass Marie ein Dach über dem Kopf braucht und ihr außerdem bei den täglichen Arbeiten helfen kann. Sie spannt sie beim Mähen, Holz hacken, Dach reparieren, der Herstellung von Käse und der Arbeit mit den Ziegen ein. Allmählich öffnen sich die beiden einander, und Marie erfährt, warum sich Johanna auf die Alm zurückgezogen hat.
Besonders atmosphärisch fand ich die Szene, als ein Gewitter auf dem Berg tobt, und Marie sich im Stall beim Ziegenbock Hubsi versteckt, vor dem sie eine mindestens genauso große Angst hat wie vor dem Gewitter.
Ich mochte das Buch sehr und konnte es kaum aus der Hand legen. Durch den bildhaften Schreibstil und die österreichischen Ausdrücke hat mich die Autorin auf die Tiroler Alm in die Einöde versetzt, viele Worte wie Latschen und Watschen kannte ich vorher gar nicht. Ich stimme Daniela Dröscher zu, die das Buch als ein „soghaftes Alpen-Kammerspiel“ bezeichnet, vergebe fünf Sterne und spreche eine Leseempfehlung für alle aus, die ein atmosphärisches Buch mit Sogwirkung lesen wollen.

Bewertung vom 25.03.2025
Die Magnolienkatzen
Morishita, Noriko

Die Magnolienkatzen


sehr gut

Die Magnolienkatzen von Noriko Morishita ist schon von der Optik und Haptik her wunderschön. Zusätzlich gibt es ein farblich perfekt abgestimmtes purpurfarbenes Lesebändchen. Das Buch wurde von Charlotte Scheurer aus dem Japanischen übersetzt.
Noriko ist im mittleren Alter, ledig und kinderlos und lebt mit ihrer Mutter in einem Haus mit Garten. Norikos verstorbener Vater hatte vor vielen Jahren einen Magnolienbaum im Garten gepflanzt, den er sehr geliebt hatte. Irgendwann drohten die Wurzeln, eine stützende Betonwand zu beschädigen und einen Erdrutsch zu verursachen und der Baum musste bis auf einen Stumpf gefällt werden. Auf und um den Baumstumpf herum wurden Hortensien und andere Blumen gepflanzt.
Eines Tages findet Noriko am Baumstumpf eine Straßenkatze mit fünf neugeborenen Katzenwelpen. Obwohl Norikos Familie nie Katzen hatte und sie zu Katzen keine Beziehung hatte, nehmen sie die Katzenmama mit ihren Jungen bei sich auf. Die Kätzchen entwickeln sich prächtig, und als sie acht Wochen alt sind, geben sie vier von ihnen schweren Herzens in sorgsam ausgesuchte liebevolle Familien ab. Den kleinen Kater Taro behalten sie. Das Leben von Noriko und ihrer Mutter dreht sich von nun an um Mimi und Taro.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen, es ist ein ruhiges Wohlfühlbuch mit wunderschönen Illustrationen vor jedem Kapitel. Auch ich habe eine Katze und stimme Noriko zu, dass das Zusammenleben mit Katzen, mit ihnen zu spielen, zu schmusen und sie zu beobachten guttut und Glücksgefühle hervorruft.
Die Autorin weist darauf hin, dass Wohnungskatzen bis zu zwanzig Jahre alt werden können, und wir bedenken müssen, dass wir uns irgendwann von einem Tier werden verabschieden müssen, was großen Schmerz verursachen wird.
Das Buch empfehle ich allen, die Katzen halten oder vorhaben, sich Katzen anzuschaffen, es ist das perfekte Geschenk für Katzenliebhaber*innen.

Bewertung vom 25.03.2025
Die Liebe der Mascha Kaléko
Roth, Charlotte

Die Liebe der Mascha Kaléko


sehr gut

Die Liebe von Mascha Kaléko von Charlotte Roth ist der dritte Teil ihrer Reihe über die größten Liebesgeschichten des 20. Jahrhunderts.
Das Buch fängt mit Kalékos Gedicht „Bleibtreu heißt die Straße“ an und die Autorin erklärt ihre Verbundenheit mit der Dichterin: Beide haben ihre Jugend in der Bleibtreustraße in Berlin-Charlottenburg verbracht. „Ihr Heimweh hieß Savignyplatz. Wenn sie davon schrieb, kam es mir vor, als meinte sie meines mit.“ (S. 11)
Golda Malka Engel wird 1907 als das erste Kind einer jüdischen Familie in Galizien geboren. Ihre Eltern verlassen Galizien und ziehen zuerst nach Frankfurt und anschließend nach Berlin, wo sie sich endgültig niederlassen. Malka nennt sich schon bald Mascha. Sie hat zwei Schwestern und einen kleinen Bruder, besonders zu der jüngsten Schwester, die Puttel genannt wird, hat sie ein inniges Verhältnis.
Der Journalist und Hebräisch-Lehrer Saul Kaléko verliebt sich in die neun Jahre jüngere Mascha. Die beiden heiraten im Juli 1928. Mit Saul verband sie Freundschaft und Zuneigung, doch erst als Mascha den Komponisten Chemjo Vinaver kennenlernt, erfährt sie, was Liebe ist.
Mascha wird schnell berühmt, ihre Gedichte werden mit großem Erfolg im Rowohlt-Verlag veröffentlicht. Schon bald nach der Machtergreifung der Nazis wird auch der Name Kaléko auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt. Unter Pseudonym schreibt Mascha von nun an Werbetexte. Saul drängt auf eine Ausreise nach Palästina, wo auch Maschas Eltern bereits leben, doch Mascha will ihr geliebtes Berlin nicht verlassen. Als sie von Chemjo schwanger wird, möchte Saul das Kind als seines aufziehen, doch Mascha besteht auf einer Scheidung. Im Dezember 1936 wird ihr Sohn Evjatar geboren, in einem Land, in dem Juden unerwünscht sind. Auch Chemjo ist Jude und darf seinen Beruf nicht länger ausüben. Schweren Herzens wandert das frisch verheiratete Ehepaar mit ihrem Sohn nach Amerika aus.
Leider konnte mich die Liebesgeschichte nicht berühren. Ich habe nicht viel Neues über die politischen Verhältnisse in den 1930er Jahren erfahren, was wohl daran liegt, dass ich bereits viele Bücher gelesen habe, die in der NS-Zeit spielen. Ich hätte gern mehr über die Dichterin Mascha Kaléko erfahren, ihre Liebesgeschichte interessierte mich weniger, vielleicht war es einfach das falsche Buch für mich. Wer mehr über die Geschichte der Dichtung der Mascha Kaléko erfahren möchte, wird von dem Buch wahrscheinlich enttäuscht sein. Ich empfehle das Buch insbesondere denjenigen, die gern Liebesromane lesen.

Bewertung vom 23.03.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

Halbinsel von Kristine Bilkau ist der erste Roman, den ich von der Autorin gelesen habe. Er ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, und es würde mich sehr freuen, wenn die Autorin den Preis bekommt. Es ist das Porträt einer früh verwitweten Mutter, die nach dem Zusammenbruch ihrer 25jährigen Tochter Resonanz über die vergangenen Jahre zieht.
Annett, 49, lebt auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. Sie ist Bibliothekarin und hat ihre Tochter Linn allein großgezogen. Trotz Geldmangel hat sie sich immer bemüht, Linn alle Wünsche zu erfüllen, und ihr ein Studium mit Auslandsaufenthalten in Rumänien und Schweden ermöglicht. Linn hatte dort im Rahmen ihres Umweltmanagementstudiums an Aufforstungsprojekten teilgenommen. Nach dem Studium hat sie einen gut bezahlten Job bei einem renommierten Unternehmen in Berlin bekommen.
Eines Morgens bekommt Annett die Mitteilung, dass Linn bei einem Vortrag zusammengebrochen ist. Sie fährt sofort ins Krankenhaus, wo die beiden vereinbaren, dass Linn zu Hause an der Nordsee wieder zu Kräften kommen soll.
Annett versteht nicht, was mit Linn passiert ist, die doch immer alles richtiggemacht hatte und nie aus der Reihe getanzt ist. Sie forscht nach, was genau an dem Tag, an dem Linn zusammengebrochen ist, passiert ist und zieht Resonanz über die vergangenen fünfundzwanzig Jahre. Sie denkt noch oft an den Tag, an dem Johan nicht vom Laufen zurückgekehrt war und ab dem ihr die alleinige Verantwortung für die fünfjährige Tochter zufiel.
Mutter und Tochter führen tiefsinnige Gespräche über die Vergangenheit. Sie machen Wattwanderungen und werden schier von der Kraft der Natur überwältigt, als ein Pferd im Watt verschwindet. „Ich sehe ihn ständig vor mir, nachts auf dieser Sandbank. Ich kann dir nicht sagen, wie traurig mich dieses Bild macht. Als würde er vor uns, vor dieser Welt davonlaufen.“ (S. 190)
Linn erzählt ihrer Mutter von den Umweltprojekten, die sie betreut hatte und von ihren Zweifeln, ob die „Wohltätigen“ wirklich wohltätig sind. Dann ist da noch der Regressanspruch des Hotels, in dem Linn bei ihrem Zusammenbruch ein wertvolles Gemälde beschädigt haben soll.
Auf relativ wenigen Seiten spricht die Autorin sehr viele Themen an. Der Schreibstil gefällt mir unheimlich gut, das Wattenmeer ist wundervoll beschrieben, doch besonders ergriffen war ich von Annetts Gefühlen ihrer Tochter gegenüber: „Alle diese Jahre, diese gesamte Zeit schien mir so überschaubar, so verschwindend schnell vergangen, als stünde ich an einer Bahnschranke und ein Zug rast vorbei, da kommt er, da ist er, da fährt er, und dann höre ich nur noch sein Rauschen aus der Ferne wie ein Echo. Schwanger werden, ein Kind zur Welt bringen, den Partner verlieren, das Kind großziehen, es davongehen sehen, diese Jahre: hier, das sind sie gewesen, und hier, das sind die Fehler, die du gemacht hat.“ (S. 198)
Den Roman empfehle ich vor allem Müttern, denn wer von uns fragt sich nicht, ob man bei der Erziehung alles richtiggemacht hat: „Der Blick auf das Kind – was davon ist Projektion der eigenen Ängste, der eigenen unerfüllten Wünsche, der im eigenen Leben nicht erreichten Ziele und Ideale?“

Bewertung vom 22.03.2025
Wenn die Tage länger werden
Stern, Anne

Wenn die Tage länger werden


ausgezeichnet

Ich liebe die Bücher von Anne Stern und habe auch Wenn die Tage länger werden sehr gern gelesen. Es geht um zwei Frauenleben, ihr Leben in der Gegenwart und die Erlebnisse ihrer Familien in der Vergangenheit.
Lisa ist Lehrerin und alleinerziehende Mutter des sechsjährigen Paul. Ihr stehen drei Wochen ohne ihren Sohn bevor, da dieser mit seinem Vater Janusz in dessen Heimat Polen nach Sopot an die Ostsee fährt. Sie kann sich ein Leben ohne ihr Kind kaum noch vorstellen und hat Angst vor dem Alleinsein.
Als Kind wurde Lisa von ihrer Mutter Barbara gezwungen, Geige zu spielen. Barbara hatte große Hoffnungen darin gesetzt, dass aus Lisa eine berühmte Violinistin wird. Bis heute bedauert sie zutiefst, dass Lisa das Geigenspielen aufgegeben hat und „nur“ Lehrerin geworden ist.
Lisa beschließt, die von ihr jahrelang vernachlässigte Geige restaurieren zu lassen und fährt zum Geigenbauer Hans Alleinstein. Der Achtzigjährige lebt mit Tochter Ute auf einem Schwarzwaldhof mit einer großen Streuobstwiese. Er findet heraus, dass die Geige sehr alt ist, und Lisas Neugier für die Geschichte der Geige wird geweckt. Ursprünglich gehörte das Instrument Barbaras Vater Helmut. Bald wandelt Lisa auf den Spuren der Geige, die sie zu der alten Frau Cohn führen, deren Familie in den 1920er und 1930er Jahren ein Antiquitätengeschäft besaß.
Lisa freundet sich mit Ute Alleinstein an, die die Auswirkungen ihrer Krankheit unter einem Kopftuch verbirgt. Auch Paul fühlt sich bald sehr wohl auf dem Bauernhof, wo er mit Hofhund Bella und den Kaninchen spielt.
Obwohl das Buch kein historischer Roman ist, enthält er doch einige historische Elemente. Es geht um Raubkunst und das Einverleiben jüdischen Eigentums in der NS-Zeit. Es geht um Kriegskinder- und Kriegsenkeltraumata - Barbaras Vater wurde als Naziverbrecher verurteilt und Utes Vater musste als Kind seine Heimat Ostpreußen verlassen.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, die Autorin hat mich auf eine blühende Obstwiese entführt, auf der ich mit Ute und Lisa leckeren Kirschkuchen genossen habe. Ich fand es spannend, was Lisa über die Vergangenheit ihrer Familie herausgefunden hatte und freute mich darüber, dass sich Vater und Sohn angenähert haben und Lisa eine neue Liebe gefunden hatte. Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist und bleibt schwierig, was vor allem an Barbara liegt, die den frühen Verlust ihres Mannes und die kalte Atmosphäre in ihrem Elternhaus nie verwunden hatte. Sehr gern vergebe ich fünf Sterne und spreche eine Leseempfehlung für diesen berührenden Roman aus.

Bewertung vom 19.03.2025
Schlehengrund
Caspari, Anna-Maria

Schlehengrund


ausgezeichnet

Schlehengrund ist der letzte Band der Eifel-Trilogie von Anna-Maria Caspari. Die Vorgängerbände Ginsterhöhe und Perlenbach habe ich auch gelesen. Die Trilogie stellt ein interessantes Zeitdokument über das Schicksal einer Familie in der Eifel im Zeitraum von hundert Jahren, zwischen 1865 und 1970, dar. Über die Tagebucheinträge eines Lehrers erfahren wir, was währenddessen in der Welt passiert.
Das Dorf Wollseifen ist 1946 zum Sperrgebiet geworden, da das Land um das Dorf einschließlich der Urfttalsperre zuerst von den Briten und später den Belgiern als Truppenübungsplatz genutzt wird.
1950: Albert Lintermann und seine Familie finden eine neue Heimat in dem Eifeldorf Embken. Alberts Sohn Karl kehrt erst viele Jahre nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft zurück. Seine Frau Johanna hatte sich in seiner Abwesenheit mit Hilfe ihrer Schwiegereltern um Haus und Hof und Sohn Rolf gekümmert. Karl fällt es schwer, ins Leben auf dem Hof zurückzufinden. Er ist traditionsbewusst, während Johanna für neue Anbaumethoden und das Konzept der biologisch-dynamischen Landwirtschaft ohne Kunstdünger, Unkrautvernichter und mit viel Handarbeit plädiert. Die Eheleute sind sich in den Jahren, in denen sie getrennt waren, fremd geworden. Auch Rolf findet keinen Zugang zu seinem traumatisierten Vater.
Rolf freundet sich mit dem neu zugezogenen Arztsohn Horst an. Horst erzählt ihm von der nationalsozialistischen Gesinnung seines Vaters, der ihn bei geringsten Vergehen verprügelt. Mit Hilfe des Lehrers schafft er es, sein Elternhaus zu verlassen. Er geht zunächst nach Heidelberg und später zu seinem Bruder nach Berlin. Ende der 1960er Jahre besucht Rolf seinen Kindheitsfreund und staunt über sein Leben, das so anders als sein eigenes ist. „Eine dumpfe Ahnung stieg in ihm auf, wie sehr sich das Leben, das Horst in Berlin führte, von dem in der rheinischen Provinz unterschied. Bonn mochte die Hauptstadt sein, aber Berlin war trotz der Teilung die lebendigere Stadt. Hier befand sich alles im Aufbruch, das Leben war härter und schneller, und so auch die Menschen, die hier lebten.“
1963 fahren viele Familien nach Köln, der ersten Station auf der viertägigen Deutschlandreise der Kennedys. Gespannt werden die Prozesse gegen zweiundzwanzig Mitglieder der Lagermannschaft von Auschwitz verfolgt. „Dass die Prozesse achtzehn Jahre nach Kriegsende geführt werden, stößt nicht bei allen auf Verständnis – viele Deutsche möchten mit der Vergangenheit lieber nichts mehr zu tun haben.“
Ereignisse wie die Mondlandung, die Beerdigung Adenauers, Kennedys Rede in Berlin und diverse Unterhaltungsshows werden im Fernsehen übertragen, zuerst in schwarz-weiß und ab 1967 in Farbe.
Mir hat der Abschlussband der Trilogie genauso gut gefallen wie die beiden Vorgängerbände. Ich habe Albert und Leni, Johanna und Rolf genau wie die anderen ehemaligen Wollseifener ins Herz geschlossen. Im Nachwort erfahren wir, dass die Handlung an reale Schicksale angelehnt ist, von denen die Autorin in Gesprächen mit einer ehemaligen Bewohnerin von Wollseifen erfahren hat. Gerne empfehle ich die Trilogie an alle weiter, die historische Romane mögen und/oder eine Beziehung zur Eifel haben.

Bewertung vom 17.03.2025
Vor hundert Sommern
Fuchs, Katharina

Vor hundert Sommern


ausgezeichnet

Ich liebe die Bücher von Katharina Fuchs und habe alle gelesen. Auch ihren neuen historischen Roman Vor hundert Sommern habe ich mit großer Begeisterung verschlungen. Sie bleibt ihrem Stil treu, und auch ihr neuer Roman spielt auf zwei Zeitebenen, und wieder diente eine reale Person als Vorlage, diesmal ihre Großtante Clara. Die Kapitel sind mit den Monaten, Jahreszahlen und Namen der Personen überschrieben, von denen sie handeln. Das Buch habe ich teils gelesen und teils gehört, wie immer wunderbar eingelesen von Tanja Fornaro.
Anja ist Bibliothekarin an der Hochschulbibliothek in Hamburg. Sie hat zwei erwachsene Töchter, Lena studiert an der Kunsthochschule in Berlin, Anabel ist Influencerin. Anjas 94jährige Mutter Elisabeth ist vor einigen Monaten nach einem Schlaganfall in ein Pflegeheim gezogen, Anja kümmert sich um die Auflösung der Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Ursprünglich hatte die Wohnung Tante Clara gehört. Im Keller findet sie einen Koffer voller Utensilien für die Fellpflege von Hunden und Katzen und erfährt, dass Clara in den 1920er und 1930er Jahren einen Hundesalon in Berlin-Charlottenburg betrieben hatte. Anja und Lena bitten Elisabeth, von Clara zu erzählen, deren Name in der Familie fast nie erwähnt wurde.
Lena findet einen Hund, der ausgesetzt wurde und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Von nun an begleitet Finn sie auf Schritt und Tritt, sogar in die Vorlesung. Nachdem sie in der Schule wegen ihrer Figur gemobbt wurde, leidet sie an einer Sozialphobie, und es fällt ihr schwer, auf Menschen zuzugehen oder Freundschaften zu schließen. Für ihre Eltern ist sie das Sorgenkind.
Anja bekommt ein Jobangebot in Bremen, das sie auf der Karriereleiter um einige Stufen höher bringen würde. Einerseits reizt sie die Aufgabe, andererseits wird sie gerade von ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern gebraucht.
Nach und nach erzählt Elisabeth von Claras Leben in Berlin in den Jahren 1924-1933. Bevor Clara ihren späteren Ehemann Willy kennengelernt hatte, hatte der Exilrusse Aleksei ihr Herz erobert. Eine Liebe, die keine Zukunft hatte. Aleksei war Kommunist und agierte nach der Machtergreifung der Nazis im Untergrund.
Es dauert lange, bis Lena und Anja von dem Familiengeheimnis erfahren, das Elisabeth ihr Leben lang gehütet hatte. Ein Geheimnis, das mit Judenverfolgung und Antisemitismus zu tun hat, die nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 in Deutschland wieder aufgeflammt sind.
Ich fand das Buch großartig, es behandelt viele spannende Themen von damals und heute. Ich konnte mich gut mit Anja identifizieren, da wir im ähnlichen Alter sind und auch meine Tochter am Anfang ihres Studiums steht. Als Besitzerin eines Havanesers, der Stammkunde in einem Hundesalon ist, habe ich die Passagen über Claras Grooming-Tätigkeit und Lenas liebevollen Umgang mit ihrem Hund mit besonders großem Interesse gelesen. Die von Lena erfundene elektrische Bürste mit Massagefunktion würde ich mir gern zulegen.
Ich vergebe fünf von fünf Sternen und empfehle das Buch gern an alle weiter, die gern historische, Frauen- und/oder Familienromane lesen.

Bewertung vom 13.03.2025
Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


ausgezeichnet

Aufgrund des Titels oder des schlichten Covers hätte ich niemals zu dem Buch gegriffen. Ich freue mich, dass ich es doch gelesen habe, nachdem es von vielen empfohlen wurde, die meinen Lesegeschmack teilen, so auch von Christine Westermann und Mone Ameziane in ihrem Podcast „Zwei Seiten“.
Nina ist fast fünfzig und geschieden, die beiden erwachsenen Kinder sind aus dem Haus. Sie arbeitet für eine Filmproduktionsfirma. Als sie mitbekommt, dass junge Schauspielerinnen von einem bekannten Serienstar belästigt und missbraucht werden, setzt sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Zeynep vehement dafür ein, ihm das Handwerk zu legen.
Lena ist Ninas jüngere Schwester. Sie ist mit einem Anwalt verheiratet und nicht berufstätig. Ihr Leben lang fühlt sie sich der schönen Nina unterlegen. Sie tut alles, um in den Kreis der hippen Hausfrauen von Berlin-Grunewald aufgenommen zu werden.
Auf einer Party bei ihrem Ex-Mann und seiner neuen jungen Frau Lulu lernt Nina den 29jährigen David kennen. Bei beiden ist es Liebe auf den ersten Blick, doch Nina hadert mit dem Altersunterschied und zweifelt, ob eine Beziehung zukunftsträchtig ist.
Sehr berührend fand ich den Handlungsstrang um Karin, Ninas und Lenas Mutter. Karin ist früh verwitwet. Nach dem Tod ihres Mannes fühlte sie sich oft überfordert und führte einen ständigen Kampf als Mutter und berufstätige Frau. Nach einem Sturz versammelt sich die Familie an Karins Krankenbett, und es kommt endlich zu der längst fälligen Aussprache zwischen den drei Frauen.
Ich habe das Buch teils gelesen und teils gehört, wunderbar eingelesen von zwei großartigen Schauspielerinnen: Katja Riemann und Anna Maria Mühe.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen, es behandelt viele spannende und interessante Themen: Wechseljahre, Mutter-Tochter-Beziehungen, Freundschaft, Eheprobleme, MeToo, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und natürlich die Liebe. Ich konnte mich in beide Schwestern gut hineinversetzen und ihre Gedankengänge und ihre Probleme gut nachvollziehen. Sehr gern vergebe ich fünf von fünf Sternen und spreche eine Leseempfehlung für diesen spannenden Frauenroman aus.

Bewertung vom 13.03.2025
Das Leben fing im Sommer an
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


sehr gut

Das Leben fing im Sommer an ist ein autofiktionaler Roman des ehemaligen Fußballprofis und Fußballexperten Christoph Kramer. Das Cover mit einem Mann auf dem Zehn-Meter-Turm im Freibad mit lilafarbenem Hintergrund finde ich wunderschön.
Sicherlich möchten viele Fußballinteressierte, die Christoph Kramer kennen und mögen, das Buch lesen. Wie man jedoch bereits dem Klappentext entnehmen kann, geht es nur am Rande um Fußball, das Hauptthema des Buches ist die erste Liebe.
Die Handlung erstreckt sich über vier Tage im Jahr 2006, abgerundet durch den Tag des Abiturs und den Sommer 2014, in dem Kramer als deutscher Nationalspieler Weltmeister wurde.
Mit fünfzehn Jahren verliebt Chris sich in seine Mitschülerin Debbie. Obwohl er bereits in der U15-Jugend von Bayer 04 Leverkusen spielt, ist er bescheiden und eher unsicher, mit Mädchen hat er keine Erfahrungen. Wenn er nicht beim Training ist, verbringt er seine Freizeit mit seinen beiden besten Freunden Johnny und Salvo. Bereits einen Tag nach seinem ersten Date mit Debbie, sieht er sie in einer Umarmung mit einem anderen. Verzweifelt steigt er mit Johnny, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hatte, ins Auto und fährt von Solingen nach Düsseldorf. Unterwegs erleben sie wilde Abenteuer und Kramer lernt in jener Nacht auch seine spätere Ehefrau kennen.
Ich habe das Buch mit seinen knapp 250 Seiten an einem Tag durchgelesen, Kramers Schreibstil ist angenehm und flüssig lesbar. Gern hätte ich mehr über Kramers Weg zum Fußballprofi erfahren und sein Erleben des deutschen Sommermärchens 2014. Insgesamt hat mir der Debütroman gut gefallen, wobei ich eine Leseempfehlung insbesondere für die 1990er Jahrgänge ausspreche, die sich mit dem damals fünfzehnjährigen Chris sicherlich gut identifizieren können und vieles wiedererkennen werden; es sind die letzten Jahrgänge, die keine Smartphones hatten und ihre Kindheit und Jugend ohne permanenten Internetzugang verbracht hatten.