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Moe

Bewertungen

Insgesamt 47 Bewertungen
Bewertung vom 03.03.2019
Niemals ohne sie
Saucier, Jocelyne

Niemals ohne sie


sehr gut

Nach „Ein Leben mehr“ war es für mich bereits beschlossene Sache, dass ich weitere Bücher von Jocelyne Saucier lesen würde. Mit ihrem Erstlingswerk hatte sie mich einkassiert. Umso größer war die Freude, als ich in der Verlagsvorschau auf „Niemals ohne sie“ stieß, ein Roman, der sich wieder in Kanada abspielen würde und mit den Themen Einsamkeit und Identitätsfindung spielte.
Worum geht es genau?
Die Cardinals sind eine Familie von Rebellen und Anti-Helden. Eine 23-köpfige Familie, die sich ihr eigenes Universum aufgebaut hat und für die kanadischen „Landeier“ nur Verachtung empfindet und sich wann immer es geht mit diesen reibt. Selber wachsen sie in Armut auf, sehen sich aber wortwörtlich als die Kardinäle ihres Dorfes Norco. Zentraler Punkt der Handlung ist ein Kongress, in dem der Vater, ein passionierter, aber nicht erfolgreicher Erzsucher, geehrt werden soll. Erstmals treffen alle Geschwister aufeinander und müssen sich ihren Dämonen der Kindheit stellen.
„Ich prügelte mich wegen der Dummheit der Landeier, wegen der viel zu langen Winter, wegen der unbarmherzigen Sonne und der Kriebelmücken im Sommer, wegen der unermesslichen Langeweile, ich prügelte mich, weil meine Träume zu groß für Norco waren, weil einem dort nichts geschenkt wurde, ich kämpfte, um nicht als Mädchen beschimpft zu werden, um nicht zur Zielscheibe von Geronimos Spott zu werden und damit niemand sich traute zu sagen, dass in Westmount ein Schloss auf mich wartete, damit niemand an mir zweifelte und damit du ihnen manchmal entwischen konntest, damit dein hübsches Kleid im Wind flattern und die Trostlosigkeit von Norco in schillerndem Tüll erstrahlen konnte.“ (S. 87)
Nacheinander erzählen einige der Geschwister ihre Perspektive auf ein ganz bestimmtes Ereignis in der Vergangenheit, das die Familie gleichzeitig entzweite und vereinte. Es geht um den Verlust eines der Geschwister Mädchen, um das sich für den Leser anfänglich ein großes Mysterium spinnt.
Sehr gekonnt wirft uns Jocelyne Saucier in die Köpfe der einzelnen Charaktere, die sich oberflächlich betrachtet sehr ähnlich sind, aber im Grunde genommen völlig unterschiedlich aus dieser teilweise sehr ungesunden Familiensituation entkommen sind.
Auch wenn ich zugegebenermaßen nicht so begeistert war wie bei ihrem Erstlingswerk, vermochte mich die Autorin dennoch wieder zu begeistern. Nicht jede Perspektive unterhielt mich gleichermaßen gut, aber letztendlich hat sich alles zu einem sehr tragisch-schönen Ende gesponnen, das mich stark berührt hat. Und meist ist es ja das Gefühl, mit dem man ein Buch verlässt, das sich einprägt.

Bewertung vom 30.08.2018
Der Abgrund in dir
Lehane, Dennis

Der Abgrund in dir


gut

Dennis Lehane gehört zu meinen absoluten Favoriten wenn es um Thriller und intensive Charakterstudien geht. Mit Meisterwerken wie "Shutter Island" und "Mystic River" schrieb er sich auf Anhieb in mein Herz, weshalb sein neuestes Werk natürlich Pflichtlektüre war.
Warum er mich dieses Mal allerdings zum ersten Mal kalt ließ, versuche ich in einigen Zeilen darzulegen.

Worum geht es überhaupt?

Rachel ist eine angesehene Journalistin, bis sie während einer Reportage auf Haiti einen Zusammenbruch vor der Kamera erleidet und sich von ihrem alten Leben verabschieden muss. Die einst so willensstarke und toughe Frau fällt in ein tiefes Loch, aus dem sie scheinbar nur ihr Ehemann Brian wieder holen kann...

Zuerst einmal zu den positiven Aspekten dieser Geschichte. Die sind sicherlich, und das war tatsächlich nicht anders zu erwarten, die Charaktere. Lehane erschafft ein vielschichtiges Portrait von Menschen und ihren titelgebenden Abgründen. Wenn er uns erzählt, wie Rachel kaum noch das Haus verlassen kann, da der schiere Gedanke an Menschen sie in Panik versetzt, dann ist das absolut glaubwürdig. Und natürlich ist Rachel nicht nur ihre Erkrankung, sie ist so viel mehr. Tochter einer manipulativen Mutter und eines Vaters, den sie nie kennenlernen durfte, (vor Brian) Ehefrau eines absolut uninteressanten und langweiligen Ehemanns und sehr enthusiastisch und geradlinig, wenn es um ihre Karriere geht. All diese Faktoren haben den Charakter geformt, den der Autor uns präsentiert. Bei ihrem zweiten Ehemann Brian kommen auch einige Facetten zusammen, die uns allerdings nicht auf dem Präsentierteller serviert werden.

Nun aber zu den Punkten, die mir nicht gefallen konnten.
Leider vermochte für mich absolut keine Spannung aufzukommen und einige Nebenhandlungen wirkten für das Gesamtwerk einfach unwichtig. So zog sich die Geschichte wie Kaugummi in die Länge.
Um ehrlich zu sein habe ich die ganze Zeit auf einen Plot Twist gewartet, der uns die Geschichte präsentiert, die der Autor WIRKLICH erzählen wollte, aber der kam nie. Und so blieb es bei einem Drama, das gegen Ende noch versucht hat Spannung aufzubauen und allem einen Dreh zu verpassen, der mich persönlich aber absolut kalt ließ. Das was mir hier komplett gefehlt hat, war die Lehansche Raffinesse. Von der konnte ich kaum etwas spüren.

Und so bleibt "Der Abgrund in dir" mit Sicherheit für mich ein eher schwacher Lehane, was aber allgemein gesehen immer noch ein solider Roman ist.

Bewertung vom 24.08.2018
Der Blumensammler
Whitehouse, David

Der Blumensammler


gut

"Der Blumensammler" ist der zweite Roman des englischen Autoren David Whitehouse, der bereits mit seinem bibliophilen Roman "Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek" für Aufmerksamkeit sorgte.
Diesmal scheint er sich einer anderen Leidenschaft zu widmen - der Pflanzenwelt. Wie gut ihm das gelungen ist, möchte ich hier gerne darlegen.

Worum geht es überhaupt?

Das Leben unseres Protagonisten Peter ist routiniert, arm an glücklichen Momenten und farblos. Als ihm ein Liebesbrief in einem alten Bibliotheksbuch in die Hände fällt, deren Romantik ihn derart fesselt, dass er dieses Gefühl auch verspüren möchte und sich auf eine abenteuerliche Reise begibt. Die Leidenschaft für exotische Pflanzen hält ihn gefangen und verändert sein komplettes Dasein.

Zuerst einmal hat mich die Leseprobe wahnsinnig angesprochen. Das erste Kapitel versprach eine spannungsgeladene Dynamik (zumindest für mein Empfinden). Das hat sich dann im Laufe des Buches leider nicht bestätigt und verlief sich teilweise in eine sehr seichte und romantische Schreibe.
Allgemein würde ich das Buch als eines beschreiben: seicht.
Sowohl der Schreibstil, als die Auflösung und der Handlungsverlauf sind kaum überraschend oder fordernd und konnten mir nicht viel bieten.
Ein Aspekt, der für mich die Geschichte dennoch lesenswert und spannend werden ließ waren die exotischen Pflanzen, die der Autor sehr gekonnt beschreibt. Sowohl in ihren Eigenarten, als auch im Aussehen und ihren Besonderheiten. Die Faszination, die er vermutlich selbst verspürt hat, konnte er hervorragend auf den Leser übertragen! Ich kann nur empfehlen, das Internet griffbereit zu haben beim Lesen und sich selbst ein Bild von der Pracht der Pflanzen zu machen).

Auch wenn der Autor mit seiner konstruierten Geschichte nicht zu begeistern vermochte, so doch mit dem Gegenstand dieser. Daher gebe ich eine eingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 05.07.2018
Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
Benjamin, Ali

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren


weniger gut

„Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ ist das Debüt und zugleich ein riesen Erfolg der amerikanischen Autorin Ali Benjamin. Das Buch wurde für den National Book Award nominiert, was beim potentiellen Leser vermutlich direkt hohe Erwartungen schürt.

Eine Geschichte, die tiefgründig anzumuten scheint, der Hanser Verlag und ein Buch aus kindlicher Perspektive, dies sind drei Komponenten, die meiner Meinung direkt für ein Buch sprechen. Wenn dann noch mit einem so renommiertem Preis und einer laufenden Verfilmung geworben wird, führt für mich kein Weg daran vorbei – das Buch muss gelesen werden. Und auch wenn es mich nicht in der erwarteten Euphorie zurückgelassen hat, so kann ich durchaus zugeben, dass die Geschichte auf die ein oder andere Weise lesenswert ist.

Worum geht es überhaupt?

Suzy hat das Sprechen aufgegeben, seitdem ihre Klassenkameradin „einfach so“ ertrunken ist. So teilt man es ihr zumindest mit, doch dass Dinge „einfach so“ geschehen, will das junge Mädchen nicht akzeptieren. Bei einem Besuch eines Aquariums wird sie auf eine hochgiftige Quallenart aufmerksam, deren Stiche meist nicht als solche identifiziert werden können. Das scheint für Suzy die Lösung und sie setzt alles daran, dies zu beweisen und die anderen Menschen aus ihrer Sorglosigkeit zu wecken.

Suzy ist ein ganz besonderer Charakter, ihr fällt es schwer sich den Oberflächlichkeiten ihrer Mitschüler anzupassen, stattdessen beschäftigt sie sich lieber mit Naturwissenschaften und geht ihren eigenen Weg. Umso härter trifft es sie, als ihre beste Freundin plötzlich beginnt, sich für Jungs zu interessieren und anscheinend nur noch ihr Aussehen als wichtig ansieht.
Die Geschichte ist auf mehreren Ebenen spannend. Zum einen lernen wir rückblickend Suzy in ihrer Unschuld und Begeisterungsfähigkeit kennen und erfahren, wieso sie der Tod ihrer Mitschülerin derart traumatisiert hat, dass sie aufhört zu sprechen.
Zum anderen begleiten wir sie auf ihrem Weg der Trauerverarbeitung, lauschen ihren (teils sehr philosophischen) Gedankengängen und erleben ihre Entwicklung mit.
Was mir zusätzlich sehr gut gefiel, war die Leidenschaft und die Faszinationsfähigkeit Suzys für das Meer (auch die Autorin hat diese Faszination, was man deutlich zu spüren bekommt), jedes Kapitel beginnt zudem mit der Illustration einer Qualle (der englische Titel ist im Übrigen „the thing about jellyfish“).

Weniger gefielen mir jedoch die Dialoge, die auf mich eine teils sehr gekünstelte Wirkung hatten, was umso bedauerlicher war, da ich die gesamte Geschichte schon als ziemlich authentisch empfand. Zudem ist es keine Geschichte, die sich nachhaltig in mein Gedächtnis oder mein Herz eingenistet hat. Daher die eingangs erwähnte fehlende Euphorie. Dennoch eine lesens- und lohnenswerte Geschichte.

Bewertung vom 24.03.2018
Der Zopf
Colombani, Laëtitia

Der Zopf


sehr gut

Ein kurzweiliges Lesevergnügen...

…das zu schockieren, aber auch teilweise zu langweilen vermag. Ein Werk, das mich ebenso unterhalten wie desinteressiert hat. Elemente, die die Autorin hier wie in einem Zopf miteinander verwoben hat.

Worum geht es?
3 Frauen, deren Schicksal auf rätselhafte Weise miteinander verknüpft ist.
Smita, eine unglückliche, indische Frau, die der untersten Kaste angehört und deren einzige Daseinsberechtigung darin besteht, den Unrat anderer Leute zu beseitigen. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Frau, die sich trotz ihrer unmenschlichen Umstände ein besseres Leben für ihre Tochter erträumt und mit ihr dem System zu entfliehen versucht.
Dann Giulia, eine sizilianische junge Frau, die für das elterliche Unternehmen kämpft und zuletzt Sarah; das Abziehbild einer erfolgreichen Businessfrau, die in jeglicher Hinsicht versucht allen Klischees gerecht zu werden und dabei vergisst zu leben.

Das Grundprinzip gefällt mir in Geschichten meist sehr: Mehrere Handlungsstränge, die einander beeinflussen und letztendlich zu einem verschmelzen. Das ist keine innovative Idee in der Literatur, trotzdem ein Mittel, das, wenn es gut gemacht ist, mich begeistern kann. Hier empfand ich es als gut gemacht, auch wenn der Weg dorthin mich nur teilweise überzeugen konnte.

Bis zur Mitte des Buches etwa hatte ich die Befürchtung, es sei eines dieser feministischen Werke, das Männer grundsätzlich als Antagonisten darstellt und Frauen preist, die sich gegen von Männern dominierte Systeme auflehnen. Abgesehen davon, dass es diesen drei starken Frauen tatsächlich huldigt, hat sich meine Befürchtung glücklicherweise nicht bewahrheitet, schwarz-weiß Schilderungen kann man der Autorin in dieser Hinsicht absolut nicht vorwerfen.

Allerdings fand ich alle drei Handlungsstränge im Vergleich nicht ebenbürtig und nach dem Lesen war mir die Handlung Smitas, der indischen Unberührbaren, am präsentesten. Oder anders gesagt, die anderen beiden Charaktere musste ich mir tatsächlich erst ins Gedächtnis rufen. Vor allem Sarah, die Karrierefrau, war mir sehr schwer zugänglich. Ich empfand ihren Plot als sehr klischeebeladen und daher absolut uninteressant. Die sizilianische Giuila hatte ein wenig mehr Beigeschmack, allerdings wurden alle Geschichten so kurz abgehandelt, dass schon besondere Alleinstellungsmerkmale nötig gewesen wären, um sie für mich interessanter zu machen.

Kurzum: Ich mochte Smitas Geschichte (und hätte sehr gerne mehr von ihr gelesen), ich fand Giulias Geschichte ausbaufähig, aber recht interessant und habe mich mit Sarahs Handlungsstrang sehr gelangweilt und abgemüht. Die Verwebung aller drei Stränge hingegen empfand ich als gelungen, weshalb ich gerne eine Leseempfehlung aussprechen möchte mit dem Hinweis, dass es sich um ein kurzweiliges Vergnügen handelt, das möglicherweise nicht lange im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 04.03.2018
Fliegende Hunde
Kolosowa, Wlada

Fliegende Hunde


sehr gut

Durch die Seiten geflogen...
…und doch würde ich nicht sagen, dass das Buch per se grandios ist.
Es ist aufrührend und doch mit Vorsicht zu genießen. Aber genug der Phrasendrescherei.
Worum geht es?
Die beiden sehr eng miteinander verbundenen (wörtlich zu nehmen) Freundinnen Oksana und Lena wachsen gemeinsam in St. Petersburg auf.
Oksana, eine wissbegierige junge Frau, sehnt sich verzweifelt nach den Berührungen und intimen Nächten mit ihrer Freundin. Berührungen, die es so in der Weltanschauung der St. Petersburger nicht geben sollte. Lena, eigentlich eine unscheinbare junge Frau, ist gerade aufgrund ihrer Unscheinbarkeit sehr gefragt auf dem chinesischen Modelmarkt und verlässt die Vertrautheit ihrer Freundin und die Vorhersehbarkeit ihres Lebens in St. Petersburg, um in Shanghai als Model zu arbeiten.
Während die eine sich verzweifelt sehnt, stößt die andere sie von sich und schafft ein Ungleichgewicht, dass eine normale Freundschaft nie mehr zulässt.

Es ist schon höchst faszinierend, wie die Autorin ihre Charaktere agieren lässt. Die eine will das, was die andere hat und die andere will unbedingt weg von alle dem.
Oksana, und damit wohl der spannendere Part der beiden, sucht sich in der Abwesenheit der Freundin eine Möglichkeit, ihr nacheifern zu können, ihre knabenhafte Figur zu erlangen. Obwohl ich bei ihr nie den richtigen Wunsch verspüren konnte, St. Petersburg tatsächlich zu verlassen.
Im Internet stößt sie auf eine dubiose Website, in welcher User die Zeit der Leningrader Besetzung auf einen Podest heben und die Umstände, unter denen die Menschen leben mussten, nachahmen. Dabei geht es vordergründig darum, so viel Gewicht wie möglich zu verlieren und sich so spartanisch wie möglich, zu „ernähren“ (gekochtes Leder, Pampe aus Papier, Gras usw.). Oksana, getrieben von dem Hunger nach ihrer Freundin, verliert sich zunehmend in dieser krankhaften Nachahmung, wird Expertin für die Verzweiflungstaten der Menschen damals.

Lena als Kontrast dazu lebt in einer medialen Scheinwelt, in der Blässe und Dürre zurzeit gefragt sind. Die Models ernähren und übergeben sich aus anderen Gründen, sie müssen einem Ideal entsprechen, ansonsten schickt man sie aus der armseligen Modelwelt in ihre armselige Heimat zurück. Mit dem Unterschied, dass sie hier ein wenig Prestige genießen, sich dafür oft aber auch prostituieren und einem ungeheuren Druck stand halten müssen.

Die Autorin hat die beiden Motive der Charaktere und die Extreme, in die sie sich entwickeln, fabelhaft herausgearbeitet. Außerdem war der Hunger als Leitmotiv hier allgegenwärtig und auf so vielen Ebenen zu verstehen.
Nachdem man dieses Buch gelesen hat, überlegt man sich vermutlich zwei Mal, wie man mit der Verschwendung von Lebensmitteln umgeht.

Zwar muss ich sagen, dass die Prämisse sich stark bei mir eingebrannt hat, die Geschichte mich aber nur oberflächlich bewegen konnte. Ob es am Schreibstil der Autorin oder an etwas anderem lag, kann ich dabei nicht benennen. Ihre Herangehensweise ist weder verharmlosend, noch beschönigend, im Gegenteil! Sie treibt es in beiden Fällen auf die Spitze. Möglicherweise lag es daran, dass das Ende nicht ganz meinen Nerv getroffen hat. Es war zu versöhnlich, zu „brav“.
Aber ich bitte jeden, den die Prämisse der Geschichte anspricht, sich selbst ein Bild davon zu machen!

Bewertung vom 17.09.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


sehr gut

„Palast der Finsternis“ ist ein Spannungsroman mit fantastischen Elementen des deutsch-amerikanischen Autors Stefan Bachmann. Es handelt sich um das zweite Werk dieses Künstlers. Mit „Die Seltsamen“ landete Bachmann bereits einen Hit.

Worum geht es in „Palast der Finsternis“?

Die Geschichte entblättert sich in zwei Handlungssträngen. Ein Handlungsstrang spielt zur französischen Revolution, der andere in der Gegenwart.
Wir begleiten die Kunststudentin Anouk und eine Gruppe anderer scheinbar zufällig ausgewählter Jugendliche bei einer Expedition nach Frankreich. Dort soll ein Adelhaus einen unterirdischen Palast gebaut haben, in dem sich die Familie vor Revolutionären und somit ihrem sicheren Tod schützte. Die Jugendlichen erhalten das Privileg diesen Palast zu erforschen, doch aus diesem Privileg entwickelt sich mit der Zeit ein Himmelfahrtskommando. Denn nicht nur die Betreiber der Expedition verhalten sich sehr fadenscheinig, auch im Inneren lauert etwas auf die Jugendlichen…

Ich nahm das Buch zur Hand, einfach um mal reinzuschnuppern. Garnicht mit der Absicht, es sofort zu beginnen, denn es wartete noch ein anderes Buch darauf von mir beendet zu werden.
Doch als ich auf den ersten Seiten Amélie (die der Gegenpart zu unserer Protagonistin Anouk ist) bei ihrer Flucht vor dem Tod in den unterirdischen Palast begleitete, gelang es mir nicht mehr, das Buch bei Seite zu legen. Als ich ein kurzes Päuschen einlegte, war ich, wie durch ein Wunder, auf Seite 100 angelangt. Ohne es zu merken, hatte ich bereits ein Viertel der Geschichte inhaliert.
Der Autor schreibt ziemlich rasant, aber keinesfalls plump. Er schafft eine mystische und dunkle Atmosphäre, die der perfekte Begleiter für einen stürmischen Herbstabend ist!

Zudem empfand ich unsere Protagonistin als sehr spannend und erfrischend. Sie ist, wie sie selbst sagt, „sozial inkompatibel“. Und zwar auf die zynisch-sarkastische Art und Weise, die für sehr viele Schmunzelmomente sorgt. Gleichzeitig ist Anouk aber eine tragische Figur, ihr pessimistischer Charakter enthüllt mit der Zeit eine zutiefst gekränkte junge Frau, die sich nach denselben Dingen sehnt, wie vermutlich jeder Mensch. Sie ist ein liebenswerter Kotzbrocken mit Entwicklungspotential.
Insgesamt kann ich sagen, dass mich das Buch wahnsinnig gut unterhalten konnte und in mir genau diese gruselig mystische Stimmung hervorrief, die ich an verregneten Abenden liebe.
Die Auflösung jedoch war, gemessen am gesamten Roman, für mich ziemlich schwach und unglaubwürdig. Doch da mir der Weg dorthin so viel Freude bereitete, werde ich das Buch in guter Erinnerung behalten und empfehle es gerne weiter.

Bewertung vom 10.09.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


gut

„Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land. Es war eine Maschine, die niemals stillstand, ihr gieriger Kessel wurde mit Blut beschickt.” (S. 138)

„Underground Railroad“ ist eines dieser Bücher, das im Vorfeld bereits stark beworben wurde, das es einem fast unmöglich macht, es zu übersehen. Und manchmal drängen sich diese Bücher derart auf, dass man es nicht schafft, sie weiterhin zu ignorieren. Wenn dann die Thematik sowieso dazu auserkoren ist, gelesen zu werden, ist es meist um mich geschehen. Genau so war es hier. Die Themen Rassismus, Sklaverei, Unterdrückung, Befreiung waren schon immer für mich ein Grund, zu Büchern zu greifen, die diese behandeln.
Herzensangelegenheiten irgendwie.
Und da ich über die Underground Railroad nicht viel wusste, war das Buch für mich Pflichtlektüre
Warum mich trotz allem das hier besprochene Werk nicht so stark berührte, wie erhofft, werde ich versuchen darzulegen.

Worum geht’s überhaupt?

Dies ist die Geschichte von Cora, einer von der Mutter verlassenen Sklavin, die sich nicht mit ihren Umständen arrangieren möchte. Gemeinsam mit einem anderen Gefangenen begibt sie sich auf die Flucht. Ein Akt der nur funktionieren kann, wenn mehrere Instanzen zusammen arbeiten, wenn Menschen ihr Leben riskieren, um dieser Unmenschlichkeit die Stirn zu bieten.
Eine dieser Instanzen ist die Underground Railroad, eine unterirdische Eisenbahn, die Sklaven aus den Südstaaten in den Norden schmuggelt. Auf ihrer Reise muss Cora lernen, dass Freiheit ein sehr teuer erkauftes Gut ist zu einer Zeit, in der Menschen wie Objekte herumgereicht werden.

Zuallererst einmal; das Buch ist nicht schlecht. Der Autor hat weder einen plumpen oder zu verschachtelten Sprachstil, er beschreibt teilweise sehr bedeutsame Szenen und bot mir teilweise neue Erkenntnisse.
Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Szene, in der ein dunkelhäutiger Junge, der vor dem Gesetz als frei gilt und freiwillig für einen Sklavenfänger arbeitet, sich vor dem Schlafen selbst an die Kutsche fesselt. „Er sagt, nur so kann er schlafen.“ (S. 233)
Eine Szene, die sehr viel Aussagekraft hat und mich erschaudern ließ.
Trotzdem, für mich ist es einfach nicht DAS Buch, für das es gehalten wird. Ich habe mich oft sehr intensiv mit Romanen beschäftigt, die um diese Schreckenszeit der amerikanischen Geschichte kreisen. Und Underground Railroad gehört für mich persönlich nicht zu den bedeutsamsten.

Das Buch ließ mich im Großen und Ganzen tatsächlich seltsam unberührt. Einzelne Szenen hatten zwar das Potential, mir die Schuhe auszuziehen, aber das kann ich nicht von dem Gesamtpaket behaupten. Über längere Stecken empfand ich die Geschichte als zäh und dröge, und das bei einer Seitenzahl von ca. 350 Seiten.
Zudem erschien mir die Protagonistin seltsam fern, tatsächlich wusste ich einen Tag nach Beenden des Buches nicht einmal mehr ihren Namen. Was ich von der Handlung insgesamt auch sagen kann. Im Gedächtnis bleiben wird sie mir nicht.
Die Underground Railroad war außerdem nicht Hauptgegenstand des Romans. Durch externe Recherchen bekam ich dann das Wissen, das die Geschichte leider nicht vermitteln konnte.
Abschließend muss ich sagen, dass der Autor es nicht geschafft hat, mich zu fesseln, zu unterhalten oder gar mich zu berühren (wie gesagt, bis auf einzelne Szenen). Das wäre möglicherweise anders, wenn das Buch für mich der Einstieg in die Thematik gewesen wäre, aber das kann ich natürlich nicht beurteilen.

Bewertung vom 24.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


sehr gut

Spitzzüngig, schwarzhumorig, bitterböse, düster, spannungsgeladen, tiefgründig, klug, metaphorisch – das sind alles Eigenschaften, die einen Nothomb für mich beschreiben und mit denen die Autorin sich in die Riga meiner Lieblingsautoren längst eingereiht hat.
Genau deshalb war „Töte mich“ (erschienen 2017) für mich selbst auferlegte Pflichtlektüre.

Worum geht es?

Eine Inhaltsangabe wäre bei einem knapp über 100 Seiten starken Buch wahrscheinlich zu viel des Guten und ich denke sowieso, dass man Amélie Nothomb relativ unvoreingenommen lesen sollte. Es geht um sich selbst erfüllende Prophezeiungen, um den Adel, dessen einziges Bestreben darin zu liegen scheint, eine gesellschaftlich auferlegte Etikette zu wahren und sich damit selbst zu Grunde richtet und es geht um Emotionen, allerdings vermutlich in einem anderen Sinne, als man es sich bei dieser Beschreibung vorstellen würde.

Es ist wieder mit messerscharfen Dialogen zu rechnen, mit makabren Wendungen und Charakteren, die, da überspitzt dargestellt, die Thematik sehr „besonders“ machen.

Kurzum: Ein Nothomb hat mich nie enttäuscht. Manche gefielen mir besser als andere, aber im Grunde wurde meine Zeit immer bereichert. Genau das ist auch von „Töte mich“ zu erwarten, das hoffentlich einigen Lesern auf die Füße tritt.

Bewertung vom 30.07.2017
Heimkehren
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

„Das Bedürfnis, etwas „gut“ oder „schlecht“ zu nennen, das eine „weiß“ und das andere „schwarz“, war ein Impuls, den Effia nicht verstand. In ihrem Dorf war alles alles. Alles trug das Gewicht von allem anderen.“ (S. 37)

„Heimkehren“ ist das Debüt der amerikanisch-ghanaischen Autorin Yaa Gyasi, das 2017 im Dumont Verlag erschien. Zu einer Zeit, in der der Rassismus wieder salonfähig wird (falls er es denn mal nicht war), erhebt die Autorin ihre Stimme und erzählt eine wundervoll komponierte Geschichte mehrerer Generationen afrikanischer Immigranten, die sich in einer Welt voller Vorurteile und Diskriminierungen behaupten müssen.

Die Geschichte hat einen sehr interessanten Aufbau. Es gibt zwei Hauptstränge, die im 18. Jahrhundert wurzeln. Diese beiden Stränge werden abwechselnd erzählt, überspringen dann aber jeweils eine Generation, sodass es den Anschein von zahlreichen aneinandergereihten Kurzgeschichten hat (was nicht der Fall ist, denn die Geschichtchen bauen aufeinander auf). Was für mich wirklich erfrischend neu und innovativ war, forderte allerdings auch meine ganze Aufmerksamkeit. Deswegen ist zu empfehlen, das Buch in einem möglichst kurzen Zeitraum zu lesen, um nicht den Bezug zu sämtlichen Namen und Figuren zu verlieren, wie es mir in einer zweitägigen Pause leider passierte.

Wie bereits beschrieben, setzt die Geschichte im 18. Jahrhundert in Ghana an, dem Herkunftsland der Autorin. Sie erzählt die Geschichte wunderbar malerisch, zugleich aber auch schonungslos ehrlich. Besonders schön fand ich, wie die Figuren einander beschrieben, zum Beispiel „baumrindenbraune Frau“, „ein Mann von der Farbe milchigen Tees“ oder „mahagonifarbene Frau“, was nur drei Beispiele von vielen sind.
Wir erleben, wie Afrikaner andere Afrikaner versklaven, ihre Brüder und Schwestern bekämpfen, um sie an die Briten zu verkaufen. Und wie all das als natürlich angesehen wird; die Grausamkeit der Natur. Als endlich eine Figur diese Machenschaften hinterfragte und kritisierte, gab mir das Hoffnung, die aber ständig wieder im Keim erstickt wurde.

Dann begleiten wir Figuren nach Amerika, auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben hoffend, was sie jedoch in die Sklaverei treibt, in der sie misshandelt und ihrer ganzen Würde beraubt werden.

„Sie würden nur eine Art von Fesseln gegen eine andere austauschen, physische Fesseln, die um Handgelenke und Knöchel gelegt wurden, gegen unsichtbare, die die Gedanken binden.“ (S. 134)

Die Autorin schreibt generationsübergreifend eine Geschichte der Angst, der Unterwürfigkeit, der Grausamkeit und der Entmachtung. Zu Beginn schildert sie in einem Interview von dem Aufatmen einer ganzen Bevölkerung, als ein dunkelhäutiger Mann Präsident der Vereinigten Staaten wurde, und den darauffolgenden Schlag ins Gesicht, als dieser von der Menschenfeindlichkeit und der Geldgier abgelöst wurde.

Mich hat das Buch zutiefst erschüttert, mich zu Tränen gerührt, mir aber gleichzeitig eine so facettenreiche ghanaische Kultur nähergebracht und mir noch mal verdeutlicht, wie wichtig es ist, gegen die Idiotie des Rassismus anzugehen. Es war wahnsinnig sprachgewaltig, klug und auf den Punkt erzählt, für mich bislang DAS Highlight 2017!