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Benutzername: 
Jackolino
Wohnort: 
Rheinland-Pfalz

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2023
Die Windsor-Akte
Husemann, Dirk

Die Windsor-Akte


ausgezeichnet

Die Geschichte beginnt in den ersten Monaten des Zweiten Weltkrieges. Der englische König Edward hat wegen Wallis Simpson auf den Thron verzichtet und befindet sich in Paris und feiert dort rauschende Feste. Man hat ihm Bedienstete zur Seite gestellt, die aber auch vom Geheimdienst instruiert wurden und Edward bespitzeln sollen. Einer davon ist Ajax Doggerton, ein Student der Literaturwissenschaft, eigentlich in erster Linie an Shakespeare interessiert und nun damit beauftragt, sich in die große Politik möglichst unauffällig einzumischen.
England hat Angst, dass Edward sich von den Nazis umgarnen lässt, Hitler und Ribbentrop hätten nämlich gerne eine willfährige Enkelin von Kaiser Wilhelm auf dem englischen Thron gesehen.
Ajax ist kaum in Paris angekommen, da verliebt er sich schon in Lydie, eine der weiblichen Bediensteten des Herzogspaars. Seine Berichte nach London entstammen mehr seiner Phantasie als der tatsächlichen Wahrheit.
Als die Nazis in Paris einmarschieren, flüchtet das Herzogspaar nach Süden. Ihnen auf den Fersen der britische Geheimdienst mit Mordplänen an Edward und Wallis sowie die deutsche Prinzessin Katharina, die einfach nicht wahrhaben will, dass Edward sie abgelehnt hat.
Die Flucht von Katharina und Lydie vor den sie verfolgenden Agenten Gallaghers konnte man sich bildlich vorstellen. Herrlich, dieser Stopp auf dem Bauernhof mit dem kussfreudigen Gaspard. Und wie dann Lydie blitzschnell in die Rolle der Bäuerin schlüpfte. Auch der Handel mit dem Sargschreiner war genial.

Hätte das Ganze nicht einen wahren Kern, man hätte es gut für das Produkt der schriftstellerischen Phantasie des Autors halten können. Es ging manchmal zu wie in einem Bond-Film, aber auch da befand man sich ja in den Diensten Seiner oder Ihrer Majestät.

Insofern ist es sehr gut, dass Dirk Husemann ganz zum Schluss den geschichtlichen Hintergrund erläutert und erklärt, warum es für Churchill so kompromittierend gewesen wäre, wenn die Akte zu einem frühen Zeitpunkt öffentlich geworden wäre. Dass dafür auch kurz nach Kriegsende noch getötet worden wäre, zeigt einmal mehr die Verblendung und den blinden Gehorsam der mit der Akte Betrauten.

Bewertung vom 28.08.2023
Meine Auszeiten - Westerwald
Steffens, Nicole

Meine Auszeiten - Westerwald


ausgezeichnet

Nicole Steffens hat mit „Meine Auszeiten – Westerwald“ einen Freizeitführer für eine Region geschrieben, die etwas abseits der ausgetretenen Touristenpfade liegt. Aber dafür war das Buch auch gar nicht gedacht, sondern es soll dem Leser eine Pause, eine Auszeit in einer Region ermöglichen, die sowohl aus den Ballungszentren Köln-Bonn als auch aus Frankfurt gut und schnell zu erreichen ist.

Ich wohne mittendrin und habe einige der vorgestellten Ziele direkt vor der Haustür.
Und die heimischen Ziele kenne ich natürlich auch. Aber da war auch einiges zu finden, das ich nicht kannte. So haben wir beispielsweise das Wiedtal erst in diesem Jahr beim autofreien Sonntag auf dem Rad kennengelernt und fanden es wunderschön. Schon am nächsten Wochenende werden wir ein Wanderziel aus dem Buch ansteuern und damit selbst häufig zu Besuch hier weilenden Freunden mal wieder etwas Neues bieten.

Die Aufteilung in kurze bis mehrtägige Auszeiten ist eine gute Idee. Ob es in der Realität immer so funktioniert, muss man sehen, zumal da doch oft längere Anfahrten notwendig sind. Da wird auch aus einer Atempause schon mal ein Tagesausflug oder man kombiniert ihn mit einem anderen Vorschlag in der Nähe.

Gerne werde ich Nicole Steffens hin und wieder mal eine Rückmeldung zu den gemachten Touren geben.

Bewertung vom 04.08.2023
Gegenwind (eBook, ePUB)
Zenner, Jessica

Gegenwind (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mentale Stärke

Schon allein für die Leistung, Island mit dem Fahrrad zu umrunden, sind 5 von 5 Punkten angemessen und wenn man das auch noch macht, obwohl man gar nicht gerne mit dem Fahrrad unterwegs ist, ist es noch höher einzuschätzen.

Mentale Stärke war für diese Reise absolut vonnöten. Jess meinte zwar, diese Stärke hätte sich erst im Laufe der Tour entwickelt, aber als Sportlerin hatte sie schon vorher in Wettkämpfen bewiesen, dass sie kämpfen konnte und nicht gleich aufgab. Auch die Überwindung der Krankheit war ein Kampf und auch den hatte sie gewonnen und es zurück ins Leben geschafft. Nun also diese Fahrradtour, die mit solchen Schwierigkeiten begann und dann doch zu einer Reise zu sich selbst wurde. Noch am Flughafen habe ich mit ihr gebangt und mich über die Schikanen der Zollbeamten geärgert, aber dann ging es los. Von meiner Tochter weiß ich, dass Island ein tolles Land ist, sie hat fast ein ganzes Jahr arbeitend dort verbracht, hat dabei allerdings mehr den Süden kennengelernt. Aber manches aus dem Buch habe ich wiedererkannt, das Flugzeugwrack z. B. scheint eine beliebte Attraktion zu sein.

Fahrradfahren ist die beste Möglichkeit, um den Kopf freizubekommen. Es kann regelrechte Glückshormone freisetzen. Während der Kopf die neue Freiheit genießt, leidet allerdings der Körper unter den Strapazen. Man kann nicht mehr sitzen und mit der Zeit brennen die Muskeln und die Hände verkrampfen sich.

Tobi hat für Jess die richtige Balance gefunden. Seine Rolle während der Reise scheint mir ausgesprochen wichtig zu sein, ohne ihn hätte sie diese Reise vielleicht nicht zu einem Ende gebracht. Er wusste, wie und wann er motivieren musste, reagierte gelassen auf ihre Wutattacken, gönnte sich und ihr eine Pause, wenn es notwendig war. Ich hätte mir vielleicht gewünscht, dass auch er zum Schluss noch einmal zu Wort gekommen wäre.

Ein kleiner Verbesserungsvorschlag zum Schluss: Am Anfang sind mir einige Rechtschreibfehler aufgefallen, später habe ich dann nicht mehr so darauf geachtet. Aber man könnte vielleicht nochmal querlesen.

Bewertung vom 31.07.2023
Düstergrab / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.6
Fölck, Romy

Düstergrab / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.6


sehr gut

Es handelt sich hier um den 6. Band der Reihe um die beiden Kommissare Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn in der Elbmarsch im Kreis Itzehoe.
Am Grab eines gerade am Vortag beerdigten ehemaligen Schulkameraden von Frida werden Veränderungen festgestellt und im Sarg findet sich tatsächlich eine zweite Leiche: ein junges Mädchen, altertümlich und mit einem Kopftuch bekleidet. Das Mädchen wurde erstickt.
Sie hatte allerdings eine Zwillingsschwester, die verschwunden bleibt und es gibt keine Hinweise zu ihrem Aufenthaltsort.
Frida ermittelt mit ihrem Kollegen Leo in der Mordsache, die Cold Case Unit aus Kiel mit Bjarne Haverkorn schaltet sich in dem Vermisstenfall ein und so können Frida und Bjarne wieder gemeinsam ermitteln. Zumal Leo sehr schnell ausgeschaltet wird. Auf ihn wird ein Anschlag verübt, den er nur knapp überlebt. So haben wir schon nach wenigen Seiten zwei parallel verlaufende Fälle, die das Kommissariat in Itzehoe lösen soll und die sie an ihre Grenzen bringen.

Schon bald gibt es erste Hinweise, ausgelöst durch die altertümliche Kleidung und Pflanzenreste, die an der Mädchenleiche gefunden wurden. Aber natürlich brauchen gerade die Laboruntersuchungen auch immer ihre Zeit.
Romy Fölck versteht es, den Leser zahlreiche Fährten aufnehmen zu lassen. Da gibt es einige, die mit den Zwillingen in Verbindung standen und die nicht unbedingt als Sympathieträger bezeichnet werden können. Die Rückblenden nach Kanada und zurück in die 90er Jahre verunsichern den Leser zusätzlich. Hier versteht man lange Zeit nicht, welcher Zusammenhang besteht.

Romy Fölck scheint fulminante Schlussszenen zu lieben, schon in „Totenweg“ und „Bluthaus“ wurde es zum Schluss noch einmal richtig spannend und auch für die Ermittler gefährlich. Das ist auch hier der Fall. Plötzlich verbinden sich die zahlreichen losen Enden, wobei mir bei diesem Krimi doch einiges etwas konstruiert erschien, vor allem in den parallel verlaufenden Ermittlungen und im Zusammenhang mit Kollege Leo.
Aber natürlich soll die Serie ja auch weitergeführt werden und sicher arbeitet die Autorin bereits an Ideen, für die in diesem Krimi die Grundlagen geschaffen werden mussten.
Im privaten Bereich funktioniert die neue Beziehung zwischen Bjarne und Sonja, seine Ehe ist wohl endgültig am Ende. Was Frida und Torben angeht, so weiß man es noch nicht so recht. Fernbeziehung auf Dauer ist sicherlich keine Lösung, aber Torben scheint in der Body Farm in Bayern eine Karrierechance zu sehen. Frida hingegen merkt bereits, dass zuviel Stress ungesund ist, der Tinnitus lässt grüßen, kann sich aber einen Wegzug aus der Marsch nicht wirklich vorstellen. Immerhin bewirbt sie sich bei der Cold Case Unit, so dass eine Zusammenarbeit mit Bjarne weiterhin möglich wäre, zumal Leo als Kollege nicht mehr zur Verfügung stehen wird.

Das Cover ist gut gewählt, der Brunnen in Kanada spielte im Leben von Anne Torge eine tragische Rolle und der Eimer rettete ihr einmal das Leben.

Ich habe mir während der Leserunde die beiden ersten Bände der Reihe besorgt und kannte daher die Protagonisten schon ein wenig. Mir persönlich hat bisher "Bluthaus" am besten gefallen, aber auf jeden Fall wird man auch mit "Düstergrab" gut und spannend unterhalten.

Bewertung vom 27.07.2023
Schönwald
Oehmke, Philipp

Schönwald


ausgezeichnet

Hier legt Philipp Oehmke ein Buch vor, das man nicht gleich wieder vergessen kann, ein Buch mit dem man sich gedanklich weiter beschäftigt, ein Gesellschaftroman, in dem ganz viele Themen unserer Zeit angesprochen und eingeflochten werden, angefangen von der Bewältigung unserer Nazi-Vergangenheit über Homosexualität, Kindesmissbrauch, me-too, MAGA-Bewegung und Trumps Amerika. Und trotz dieser scheinbaren Aktualität sind für mich diese Themen nur Randthemen. Für mich ging es um etwas anderes.

Vom Cover her zeigt es die Frühstücksszene einer gut situierten Familie, der Familienvater schon im Anzug, seine Frau noch im Morgenmantel, aber damit beschäftigt, den Gatten und die Kinder gut versorgt in den Tag zu entlassen. Glücklich scheint sie dabei nicht zu sein. Zu den 70ern und frühen 80ern könnte es durchaus noch passen und somit auch zum Buchinhalt und zur Familie Schönwald.

Ein Wochenende in Berlin, der queere Buchladen von Karolin Schönwald soll eröffnet werden und die Eröffnung wird gestört durch junge Leute, die Farbbeutel werfen und die Finanzierung des Ladens mit Nazigeld in Verbindung bringen. Der erste Hinweis darauf, dass die Familie einiges einfach übergangen, verschwiegen haben könnte.
Die Familie besteht aus den Eltern Ruth und Harry, beide deutlich über 70, gut situiert und wohnhaft in Köln und drei erwachsenen Kindern. Der älteste Sohn Chris hat den Traum der Mutter verwirklich und lehrt Literatur an der Columbia University – so zumindest der letzte Wissensstand der Familie. Seine Partnerinnen wechseln, aktuell ist es Kimberley.
Karolin hat Kunstgeschichte studiert, war kurzzeitig verheiratet, um sich nach 4 Monaten wieder scheiden zu lassen und hat sich endlich dazu entschlossen, unter die Buchhändler zu gehen. Sie lebt in einer lesbischen Beziehung.
Benni, das Nesthäkchen, ist verheiratet und hat zwei Kinder und ein Haus in der Uckermark. Wovon er lebt, weiß eigentlich niemand, aber seine Frau Emilia ist ausgesprochen betucht, aber auch ziemlich schwierig. So sieht es zumindest ihre Schwiegermutter.
Die Eltern und hier vor allem Ruth haben Probleme mit ihren Schwiegertöchtern, wobei es letztlich darauf hinausläuft, dass sie auch Probleme mit sich selbst haben, diese aber immer unter den Teppich gekehrt haben. Ruth hätte so gern mehr aus ihrem Leben gemacht.
Ich als Leser habe im Verlauf des Buches immer wieder meinen Eindruck revidieren müssen. War ich am Anfang noch sehr bei Ruth und habe durchaus zugestimmt, dass nicht jeder Aspekt einer Sache unbedingt ausdiskutiert werden muss, so konnte ich im Verlauf des Buches auch die anderen Protagonisten immer besser verstehen. Die Intention des Autors, das Wochenende und wie es dazu kam, nicht nur aus einer Sicht zu erzählen sondern aus der fast aller Beteiligten, hilft dabei, auch die Beweggründe der anderen zu verstehen. Und für mich war das große Thema, das über allem stand:

Ehrlichkeit, Offenheit und Authentizität.

Das allerdings erzwingen zu wollen, wie es die sogenannten Instagram-Kids tun, kann auch nicht die Lösung sein.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.07.2023
Trügerisches Lavandou / Leon Ritter Bd.9
Eyssen, Remy

Trügerisches Lavandou / Leon Ritter Bd.9


sehr gut

Auch im 9. Band der Reihe um den Gerichtsmediziner Leon Ritter und seine Partnerin Isabelle Morell erwartet uns ein spannendes Thema.
Eine Frau erscheint frühmorgens auf der Wache und beklagt den Verlust ihrer Kinder. Sie hatte sie kurz im Auto gelassen, als sie im Supermarkt noch etwas einkaufen wollte, nach ihrer Rückkehr zum Auto waren sie verschwunden. Es gibt keine Zeugen dafür, dass sie weggelaufen sind oder entführt wurden. Wenige Tage später gehen Lösegeldforderungen bei der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindenden Familie ein.
Mit großem Polizeiaufgebot beginnt eine zermürbende Suche, die aber immer wieder ins Leere läuft. Der Sohn Lucas wird schließlich lebend gefunden, die Suche nach Louisa geht weiter.
Der Roman ist durchaus spannend, vor allem das Finale überzeugt. Dennoch schien es mir, dass man die richtige Fährte schon früher hätte aufnehmen können. Aber da spielten dieses Mal auch persönliche Erfahrungen von Isabelle mit hinein, die sie für manche Verdachtsmomente blind machten.
Wie immer ist die Rolle des Médecin Légiste eine ganz entscheidende, seine Erkenntnisse und Kontakte führen auch in diesem Fall auf die richtige Spur.
Ich habe bisher jeden Roman dieser Reihe von Remy Eyssen gelesen und würde diesen nicht zu den stärksten zählen wollen. Dennoch mag ich die Atmosphäre in Lavandou, freue mich vor allem über jedes Boule-Turnier mit Veronique und Léon und werde auch die nächsten Bände sehr gerne lesen.

Bewertung vom 24.07.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


ausgezeichnet

Will und Rosie – sie gehören zusammen und doch auch wieder nicht.
Als Teenager lernen sie sich kennen und obwohl Rosie so ganz anders ist als Wills sonstige Eroberungen verliebt er sich in sie und sie sich in ihn. Sie würden es nicht so bezeichnen, aber sie gehen einander nicht aus dem Kopf und suchen die Nähe des jeweils anderen.
Und doch ist da immer etwas oder jemand, der ihr Zusammenkommen stört oder verhindert. Mal ist es Josh, Rosies Zwillingsbruder, dann Marley, Rosies Freundin. Und so vertrauen sie einander zwar von Anfang an, was Gefühle angeht, halten sich beide aber zurück. Dann passiert ein Unglück am Tag von Wills Geburtstag. Dieses Unglück wirft lange seinen Schatten auf die beiden.
Rosie lebt ein von anderen vorgegebenes Leben, ihre Mutter gibt vor, wie lange sie Klavier spielt, wie sie sich auf Klausuren vorbereitet, wie viel sie isst, wie viel Sport sie treibt und mit wem sie sich treffen darf. Will ist das Gegenteil, er lässt sich von niemandem in sein Leben hineinreden und macht, was ihm Freude macht. Lediglich seine Gran hat etwas Einfluss auf ihn.
Rosies Vernunft lässt sie immer wieder auseinandergehen. Sie hat ein Ziel vor Augen, sie will unbedingt in Oxford studieren, er lässt sich treiben und hat eigentlich nur Augen für sein Motorrad und seine Werkstatt. Und doch sind es die Gegensätze, die sie so zueinander ziehen.

Für mich stand Rosie sich die meiste Zeit selbst im Weg. Natürlich waren es auch die Erwartungen und Vorgaben ihrer Umgebung, die sie so handeln ließen, aber sie hatte sich von den falschen Vorgaben formen lassen. Will dagegen ist zwar ein Individualist und nicht immer sehr diplomatisch, aber er weiß, was er will.

Der Leuchtturm auf dem Cover passt wunderbar zum Buch, schließlich ist er Treffpunkt und Sehnsuchtsort zugleich.

Bewertung vom 28.06.2023
So weit der Fluss uns trägt
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


ausgezeichnet

Es handelt sich um das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin Shelley Read, die selbst aus Colorado kommt.
Sie beschreibt das Leben in Iola, einem kleinen Städtchen am Gunnison River in den 40er und 50er Jahren. Iola musste später dem Blue Mesa Reservoir weichen, einem großen Staudamm.
Es ist die berührende Geschichte von Victoria Nash und ihrem Leben. Nicht nur, dass sie schon als Kind ihre Mutter und einige nahestehende Verwandte verliert, sie muss sehr früh im Haus und Garten mitarbeiten und ihre große Liebe Wilson Moon, den sie mit 17 Jahren kennenlernt, kommt auf tragische Weise zu Tode. Erst nach seinem Tod stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Für die Geburt zieht sie sich in die Berge zurück und bringt dort, ganz allein, ihren Sohn zur Welt. Niemand soll davon erfahren. Als sie realisiert, dass sie das Kind nicht allein aufziehen kann und in den Bergen kurz vorm Verhungern ist, legt sie das Baby in das Auto einer jungen Familie, einfach in der Hoffnung, dass er dort behütet aufwachsen kann.
Sie selbst geht zu ihrem Vater zurück, um ihn kurz danach ebenfalls zu verlieren, als er an einer Lungenentzündung stirbt.
Viktoria hat niemals viele Freunde gehabt. Sie ist sehr erdverbunden, aber auch pragmatisch genug, um zu erkennen, wann man besser einen anderen Weg einschlägt. Dennoch, sie liebt ihr Land, sie liebt ihren Obstgarten, der alljährlich wunderschöne Pfirsiche hervorbringt, die im ganzen Land berühmt sind. Als die Regierung ihr anbietet, für den Stausee ihr Land zu verkaufen, nimmt sie das Angebot an. Allerdings sorgt sie dafür, dass ihre Bäume mit ihr umziehen. In einem anderen Tal findet sie eine neue Farm. Und tatsächlich gelingt es ihr, dass ihre Bäume auch am neuen Standort Wurzeln schlagen und nach einigen Jahren wieder tragen. Ein Satz, den sie kurz vor Ende des Buches sagt, trifft sowohl auf ihre Bäume als auch auf sie zu: Entwurzelt durch die Umstände, aber dann doch in der Lage, trotzdem weiterzumachen.
Doch immer nagt dieser Verlust ihres Kindes an ihr. Natürlich trauert sie auch um Wilson, ihren Freund, aber von ihm weiß sie, dass er durch die Hand ihres eigenen Bruders den Tod gefunden hat, weil er indianischen Ursprungs war. Ihr Sohn aber lebt, nur sie weiß nicht wo.

Es gibt ein Leben von Viktoria in Iola und nach Iola. Das Leben in Iola war von Verlust geprägt. Ähnlich wie der Ort irgendwann vom Gunnison River zur Anlage des Stausees überschwemmt wurde und verloren ging, so lösten sich auch die sozialen Kontakte Viktorias entweder durch den Tod oder durch Weggang auf.

Erst mit dem Neubeginn in Paonia lässt Viktoria die vielen negativen Erfahrungen aus Iola hinter sich. Hier findet sie sogar in der Frau ihres Maklers eine Freundin.
Vor allem aber sind es die Bäume, die den Umzug akzeptieren. Wie sagt sie so schön: „Das Land würde mein Schicksal entscheiden“.
Und der Entscheidung ihrer Bäume folgend, die neue Heimat anzunehmen, öffnet sich auch Viktoria der neuen Zukunft.

Viktorias Schicksal ist ein Schicksal, das berührt. Dabei driftet die Erzählung niemals ins Rührselige ab. Mir gefällt vor allem der Erzählstil und die kraftvolle und bildhafte Sprache, die von Wibke Kuhn auch hervorragend ins Deutsche übersetzt wurde.

Bewertung vom 26.06.2023
Komplizin
Li, Winnie M

Komplizin


ausgezeichnet

Winnie M Li greift mit ihrem Buch "Komplizin" ein sehr aktuelles Thema auf.
Das Titelbild ist insofern gut gewählt, als sich das Gesicht der Protagonistin hinter einem Filmstreifen verbirgt. Sie ist damit zwar nicht ganz unsichtbar, aber auch kaum wiedererkennbar. Sarah war immer die fleißige Maus im Hintergrund, im Rampenlicht standen andere.

Sarah Lai, Tochter chinesischer Immigranten in New York, ist seit Kindertagen von Filmen und dem Kino begeistert.
Die Jobsuche nach dem Studium im Jahr 2006 gestaltet sich für sie aber gar nicht so einfach und so nimmt sie eine Praktikumsstelle bei einer Filmproduktionsfirma an. Zunächst einmal Mädchen für alles, gelingt es ihr mit der Zeit, auch anspruchsvollere Arbeiten übernehmen zu dürfen. Ihre Stärke liegt u.a. im Überarbeiten von Drehbüchern und ein solches Drehbuch, verfilmt von dem aufstrebenden Regisseur Xander Schulz, ebenfalls Teilhaber der Produktionsfirma, schafft es tatsächlich auf die Filmfestspiele von Cannes.
Hiermit beginnt auch Sarahs Stern zu leuchten, ihr wird mehr zugetraut, auch wenn sie immer noch ganz wenig verdient. Kurz darauf hat die kleine Firma nichts dagegen, als ein englischer Milliardär, Hugo North, sich einkauft. Plötzlich viel Geld zu haben erleichtert im Filmbusiness einiges. Täglich gibt es Parties, jeder Grund zum Feiern wird ausgenutzt und schon steht der zweite Film in den Startlöchern. Sarah wird auf eine junge Frau aufmerksam, die ihr für die neue Rolle genau richtig erscheint, Holly Randolph, und tatsächlich wird sie die Hauptdarstellerin und freundet sich mit Sarah an.
Die Dreharbeiten finden in Hollywood statt und auch dort jagt eine Party die andere. Alkohol und Drogen sind an der Tagesordnung, die beiden Männer, Schulz und North, sind ständig von jungen Models und Möchtegern-Schauspielerinnen umringt und die Frauen scheinen willig zu sein. Dennoch ist das offenbar für North nicht genug. Er sieht sich – aufgrund seines Geldes – als absoluter Herrscher am Set und stellt auch Sarah nach und greift sie an. Auch ihre Kolleginnen scheinen Ziel seiner Angriffe zu werden.
10 Jahre danach, 2016, in der Zeit von me-too und den Enthüllungen rund um Harvey Weinstein, nehmen sich renommierte Zeitungen dieses Themas an. Thom Gallagher von der New York Times hat Sarah und andere damalige Wegbegleiterinnen ausfindig gemacht und interviewt sie zu diesem Thema.
Sarah ist mittlerweile Dozentin an einer unbekannten Hochschule und unterrichtet Filmen. Natürlich blickt sie mit Wehmut auf diese aufregende Zeit zurück, aber auch ein gewisses Schuldgefühl hat sie nie ganz verlassen. Hätte sie damals Holly und Courtney vor diesen Gefahren warnen müssen? War es während ihrer Verantwortung als Produktionsleiterin, dass ihre Kolleginnen grausam vergewaltigt wurden.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, sich nach so langer Zeit an North rächen zu wollen. Ihre Leistung ist weder vom Regisseur noch vom Geldgeber jemals gewürdigt worden. Zurückhaltung und devotes Verhalten, wie man es als Tochter chinesischer Immigranten lernt, sind am Filmset fehl am Platz. Hier zählt Selbstbewusstsein und am besten viel Geld. Geld führt zu Macht und Macht macht allmächtig.
Sie war nicht auf Ruhm aus gewesen. Aber sie wollte gesehen, gehört, in Erinnerung behalten werden.
Und so steht hinter dem Thema der körperlichen Erniedrigung von Frauen das Thema der Nicht-Anerkennung ihrer Leistungen, das mindestens so stark an ihnen nagt wie die Herabstufung auf ein Sexualobjekt.

Das Buch trägt auf jeden Fall dazu bei, diesem Thema Gewicht zu verleihen.
Die weitere Aufdeckung von Missbrauchsfällen auch in anderen Sparten des Showbusiness zeigt, wie wichtig es ist, darüber zu sprechen und Frauen Mut zu machen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Bewertung vom 11.06.2023
Die Spur der Aale / Ein Fall für Greta Vogelsang Bd.1
Wacker, Florian

Die Spur der Aale / Ein Fall für Greta Vogelsang Bd.1


sehr gut

Hätte man gedacht, dass junge Aale einen solchen Wert haben, dass dafür Morde verübt werden, Menschen wie Sklaven gehalten werden? Bestimmt nicht und doch gibt es dieses Geschäftsmodell. Der Handel von Glasaalen ist nach Angaben von Europol eines der lukrativsten illegalen Geschäfte mit geschützten Arten. Europol schätzt die Profite auf bis zu drei Milliarden Euro im Jahr weltweit.

Aber natürlich gibt es auch Menschen, die solche Geschäftsmodelle verhindern wollen. Mit beiden Parteien haben wir es in diesem Krimi zu tun. Da ist auf der einen Seite der Zoll und glücklicherweise gibt es durchaus Beamte, die ihren Job engagiert machen und auch insistieren, wenn sie nicht gleich Gehör finden. Unterstützend auch die Staatsanwaltschaft in Person von Greta Vogelsang, die einschätzen muss, ob hinter den Anschuldigungen Substanz steckt, ob diese Anschuldigungen vor Gericht Bestand haben können.

Und da sind die Täter, die skrupellos ein Geschäftsmodell verfolgen und über alle möglichen Transportwege versuchen, die Ware – hier Glasaale - außer Landes und dann nach China zu bringen, wo Aale als Delikatesse gelten.

In diesem ersten Fall hapert es vor allem an Engagement und Vertrauen und Zusammenarbeit der Behörden untereinander. Das macht Verbrechern das Leben leicht. Der erste Beschuldigte in einem Fall von Aalschmuggel wird wieder auf freien Fuß gesetzt. Dann aber stirbt der Zollbeamte einen eigenartigen Tod und bei der Staatsanwältin klingeln sämtliche Alarmglocken. Soviel Zufall kann nicht sein, zumal ihr der Zollbeamte noch in der Woche zuvor eine dringende Mail geschickt hatte.

Gegen allen Widerstand in der eigenen Behörde beginnt sie mit ihren Ermittlungen. Und sie ist genau wie der Zollbeamte, auch sie lässt nicht locker. Nutzt ihren freien Tag für verdeckte Ermittlungen, vernetzt sich mit der Tochter des Zollbeamten und findet so Dinge heraus, die bei Dienst nach Vorschrift nie ans Tageslicht gekommen wären. In einem spannenden Finale läuft dann in Frankfurt alles zusammen. Und der, der am wenigsten damit zu tun hatte, den trifft es am härtesten. Das Leben ist unfair, hätte er nur auf seine Freundin gehört.
Alles in allem ein sich flüssig lesender Krimi, den ich tatsächlich an einem langen Nachmittag durchgelesen hatte. Vom Thema her eine Bereicherung, weil ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht hatte. Man kennt den Handel mit Elefantenstoßzähnen und Nashörnern, nicht aber den sehr lukrativen mit Glasaalen, der hier in Europa dafür sorgt, dass die Aale vom Aussterben bedroht sind.