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odile

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Insgesamt 76 Bewertungen
Bewertung vom 07.03.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Das Böse kommt auf leisen Sohlen
1935. Wir befinden uns in Ginsterburg, einer kleinen verschlafenen Stadt mitten in Deutschland. Nach und nach lernen wir die Einwohner kennen und staunen mit den Kindern über den gerade gastierenden Jahrmarkt. Alles wirkt friedlich, beschaulich, freundlich. Aber die Idylle trügt bereits. Warum sonst denkt die Buchhändlerin Merle, eine überzeugte Sozialdemokratin, beim Anblick ihres Nachbarn, dem alten Smolka, „und hoffentlich redete er dabei nichts Falsches“?
Der alte Verleger Dr. Landauer begeht Selbstmord nach Erscheinen der Nürnberger Rassengesetze und seine Frau verlässt Hals über Kopf die Stadt. Auch Löfingers Lampenladen bleibt verwaist zurück. Luise von Wieland ärgert sich, dass sie deshalb einen Umweg in Kauf nehmen muss. Warum jemand seinen florierenden Laden überstürzt verlässt, kümmert sie nicht.

Auch die Jugendlichen verändern sich. Bruno und Knut, die dreizehnjährigen Zwillinge des Kreisleiters, tragen stolz die Uniform der Hitlerjugend. Ungestraft terrorisieren sie Lolo, Merles Sohn und andere. Gesine, Lothars Freundin, saugt das neue Gedankengut auf wie ein Schwamm.
Derweil quält sich Merle durch Werke von Oswald Spengler und Kuni Tremmel-Eggert, weil sie kennen möchte, was sie ihren Kunden anbieten soll. Die Zahl der erlaubten Bücher schrumpft beständig.

Das Leben in Ginsterburg geht derweil weiter. Vom Haus der Kreisleitung flattern fröhlich die Hakenkreuzfahnen im Wind.

1940 datiert die zweite Momentaufnahme. Deutschland und damit Ginsterburg ist Sieges trunken und wähnt sich nur noch Tage, maximal aber Wochen vom Endsieg entfernt.
Gesine hat es nach Berlin geschafft und dient im BDM als Schaffnerin. Sie ist stolz auf sich, als sie eine jüdische Familie aus der Straßenbahn weist, bedauert nur, nicht strenger gewesen zu sein. Über ihrem Bett hängt jetzt eine Rassentafel.
In Ginsterburg profitieren Kreisleiter Gürckel und Fabrikant Jungheinrich vom System, während Merle gelernt hat, Briefe vom Bund Reichsdeutscher Buchhändler und der Bundesschriftkammer zu fürchten. Außerdem hat sie Angst um Lothar, der jetzt ein hochdekorierter Kampfpilot ist, während Eugen und Bruno bei der Infanterie, Knut bei den U-Booten und der katholische Pfarrer als Militärgeistlicher dienen.

1945. Ginsterburg steht der erste Bombenangriff bevor. Alle Euphorie ist verschwunden. „Opfer müssen gebracht werden“. Diese Phrase wird jetzt auch für die Täter Realität.

Cela va faire mal, das wusste schon der alte Gaukler Jean.

Arno Frank schreibt bildhaft und mitreißend. Ihm gelingt es mühelos, die Atmosphäre und das Ambiente der damaligen Zeit einzufangen. Sein Roman beschreibt das Leben der „normalen“ Leute im Tausendjährigen Reich und fängt die ganze Bandbreite der Gesellschaft ein. Vom schwulen Kinobetreiber, der in Angst lebt bis hin zum Papierfabrikanten, der früher gern Papier für Eichendorffs Gedichte produzierte. Jetzt führt er sich als erfolgreicher Leiter eines kriegswichtigen Betriebs auf. Oder der SS-Arzt Hansemann, der fatal an einen Mengele erinnert. Eingestreute zeitgenössische Dokumente, Gesetze und Erlasse ergänzen die Erzählung.

Noch ein Roman über die SS Zeit und den Zweiten Weltkrieg? Interessiert mich das? Diese Frage kann ich rundum mit Ja!beantworten. Mir gefällt der ruhige, unaufgeregte Stil Arno Franks. Beiläufig erzählt er die Ereignisse, mitunter verbirgt sich das Grauen in einem halben Satz. Da wir alle die Materie kennen, reichen diese Andeutungen völlig aus. Seine Charaktere haben mich weitgehend überzeugt. Ein komplexes Beispiel ist Eugen von Wieland, Redakteur beim Ginsterburger Anzeiger, Sohn eines Helden der Kriege von 1866 und 1871. Teilnehmer des Ersten Weltkriegs. Einst träumte er davon in der „Weltbühne“ Carl von Ossietzkys zu veröffentlichen, später tritt er für eine Villa und einen guten Posten in die Partei ein. Er biedert sich bei den Machthabern an („vernegerte“ französische Armee) und hofft, dass seine frühen Spitzen gegen Goebbels („Humpelstilzchen“) folgenlos bleiben. An seinen jüdischen Schwager Theo verschwendet er kaum einen Gedanken.

Überhaupt zieht sich die negative Haltung gegenüber Juden und Zigeunern durch den Roman. Von glühendem Hass bis zur Gleichgültigkeit sind alle Abstufungen vorhanden. Ein gemeinsamer Sündenbock war schon immer ein gutes Mittel, die Menschen hinter einem starken Anführer zu einen.
Leider fehlt ein Nachwort, das Fakten und Fiktion trennt. Der Pilot Lothar Sieber bspw. hat wirklich gelebt. Sein Grab befindet sich nur ca. 20 km von meinem Wohnort entfernt.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, da er aufzeigt, wie das Böse schleichend Raum gewinnt. Wann ist der Point of no Return erreicht? Was hätten die Ginsterburger 1935 noch unternehmen können, ohne Leib und Leben zu riskieren? Angesichts der aktuellen Nachrichten verspürt man da nicht selbst manchmal den Wunsch nach Rückzug in die eigene kleine Welt? Wie schnell die Lage kippen kann, wie fragil Freiheit und Demokratie sind, daran erinnert uns dieses Buch.

Bewertung vom 03.03.2025
Morden auf Friesisch
Herzberg, Thomas

Morden auf Friesisch


sehr gut

Der Dööskopp muss sterben

Der alte Hinnerk Beehnk plant nach über 40 Jahren als Berufsfischer seinen Ruhestand. Doch am letzten Arbeitstag wird er brutal ermordet. Die Polizei tappt zunächst im Dunkeln. Zwar war Hinnerk ein unbeliebter alter Querkopf, aber Mord? Ermittlerin Michi Greve verdächtigt zunächst den Umweltaktivisten Hubert Schimmelpfennig, muss ihn aber bald wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Prompt wird auch er getötet und Michi niedergeschlagen. Ihre Dienstwaffe nimmt der Täter mit. Ein Serienmörder scheint umzugehen. Was ist bloß los an der Waterkant?

„Morden auf Friesisch“ ist der zweite Fall der Waterkant-Reihe von Thomas Herzberg mit Kommissaranwärterin Michi Greve als Ermittlerin. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Für mich war es der Einstieg in die Reihe.

Thomas Herzberg schreibt locker und bildhaft, was gut zu seinen Krimis passt, die er als leichte Lesekost bezeichnet. Ort der Handlung ist Husum und die nähere Umgebung. Der Autor versteht es, dem Leser die Region näherzubringen und die spezielle Atmosphäre einzufangen. Die Gespräche und Frotzeleien des Ermittlerteams haben mich teilweise sehr amüsiert. Und damit sind wir bei den Charakteren, die in den Hauptrollen überzeugen.

Michaela, Michi, Greve war mir auf Anhieb sympathisch. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, liebt Tiere, weiß ihren grantigen Chef zu nehmen und ist eine tüchtige Polizistin Vor allem zeichnet sie ihre Empathie aus. Ihr Kollege Kommissar Ulf Weingärtner besticht durch seine vorbildliche Arbeitsauffassung und seinen bedingungslosen Einsatz, dem er sogar sein Liebesglück, temporär, opfert. Ihr gemeinsamer Chef, der bestens vernetzte Hauptkommissar Kruse, gibt den ultimativen Stinkstiefel, verbirgt hinter dieser Maske aber nur sein großes Herz. Er ist ein talentierter Ermittler mit Biss, der gern mit seinem Rückzug in den Ruhestand droht und mitunter unkonventionell agiert. Die Nebencharaktere fand ich dagegen teilweise etwas blass, besonders die Schurken.

Mein Fazit

„Morden auf Friesisch“ habe ich mir ausgesucht, weil ich gern Regionalkrimis lese und neugierig auf die Gegend war. Für mich als Süddeutsche ist Friesland mindestens so exotisch wie Frankreich. Der Kriminalfall ist gut konstruiert und ermöglicht das Miträtseln. Ich hätte mir noch ein paar Verwicklungen und Wendungen mehr gewünscht, wurde aber gut unterhalten. Spannung und Gewalt sind für einen Cosy Krimi angemessen. Die Auflösung ist zufriedenstellend und beantwortete alle meine Fragen. Besonders gut gefallen hat mir die Chemie innerhalb des Ermittlerteams und der sarkastisch knurrige Umgangston. Immerhin, mit Kruse als Chef klappt es auch mit der Beförderung. Ein paar Einblicke in das Fischereiwesen und die damit verbundene Industrie werden sich auf mein Einkaufsverhalten auswirken. Die Landschaft und das Ambiente wurden so gut vermittelt, dass ich jetzt ernsthaft über einen Frieslandurlaub nachdenke.

Ich gebe eine Leseempfehlung für alle, die leichte Krimikost mit regionalem Touch schätzen. Beim nächsten Fall von (jetzt) Kommissarin Michaela Greve werde ich wieder dabei sein.

Bewertung vom 24.02.2025
Hotel Ambrosia - Du. Entkommst. Nicht.
Kento, Katie

Hotel Ambrosia - Du. Entkommst. Nicht.


sehr gut

Der richtige Podcast kann dein Leben verändern

Die junge Robyn ist ein glühender Fan des Podcasts „Whispering Ivy – True Crime Enigmas“. Wegen ihrer ME/CFS-Erkrankung, die Long Covid ähnelt, kann sie ihr Zimmer im 6. Stock ohne Hilfe nicht verlassen. Neben Ivys Sendung hilft ihr die Beobachtung des heruntergekommenen Hotels Ambrosia gegenüber, Langeweile und Schwächeanfälle besser zu ertragen. Eines Tages glaubt sie, Zeugin eines Mords zu sein. Doch stimmt das? Oder verursachen ihre starken Medikamente Wahnvorstellungen?

Die Autorin Katie Kento hat ein Setting geschaffen, das an Alfred Hitchcocks berühmten Thriller „Das Fenster zum Hof“ erinnert. Hier wie dort ist der Hauptcharakter ans Zimmer gefesselt und lindert seine Langeweile, indem er die Vorgänge im Gebäude gegenüber beobachtet.
Beide glauben, einen Mord gesehen zu haben. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten bereits. Während der Protagonist bei Hitchcock ein Erwachsener mit mehreren Bezugspersonen ist, beschränkt sich Robyns direkter Kontakt zur Außenwelt auf ihre Großtante, die überfürsorgliche Krankenschwester Nelly, bei der sie seit dem Unfalltod ihrer Eltern wohnt. Diese hat panische Angst vor Keimen und verbietet Robyn jede Anstrengung. Einerseits will die 17-Jährige ihre einzige Verwandte, bei der sie seit vielen Jahren lebt, nicht enttäuschen, andrerseits kann sie ohne ihren Podcast und das "Ambrosia" ihre Situation nicht ertragen. Da Nelly nicht will, dass Robyn das Hotel beobachtet, macht sie es heimlich. Sie hat eine aufwendige Recherche angefertigt, die sich mit den Gerüchten und Mythen um das alte Gemäuer beschäftigt. Dort sollen Menschen verschwunden und Todesfälle passiert sein. Diese Akte mailt sie an Ivy, die nichts von Robyns Erkrankung weiß. Prompt beauftragt die Podcasterin sie, im Hotel vor Ort zu recherchieren und zu fotografieren. Was tun? Durch einen glücklichen Zufall gelingt es Robyn, die passende Person zu finden, die für sie das "Ambrosia" ausspioniert. Ab jetzt überschlagen sich die Ereignisse und bringen unglaubliche Fakten ans Licht.

Die Autorin schreibt bildhaft und mitreißend. Sie lässt uns Robyns Situation mit Krankheit und Isolation hautnah erleben. Die düstere Atmosphäre im Hotel ist sehr gut eingefangen. Die Spannung steigt kontinuierlich und hält bis zum Ende an. Chats, Mails, Telefonate und Robyns Rechercheakte komplettieren die Erzählung.

Kentos Charaktere wirken glaubwürdig. Robyn war mir von Beginn an sehr sympathisch. Wie sehr sie unter ihrer Krankheit, der Isolation, Schwäche und Abhängigkeit leidet, war gut nachvollziehbar, ebenso die Hoffnung auf eine ebenerdige Wohnung und dadurch endlich mehr Bewegungsfreiheit und Kontakte. Bemerkenswert fand ich ihre Selbstreflexionen, wenn sie sich fragt, ob sie eine Stalkerin ist oder ihre Einstellung zu ihrem Helfer überprüft.
Nelly und A. J. haben mich als Protagonisten ebenfalls überzeugt.

Fazit

Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen und war von den durch die Leserunde bedingten Pausen nicht begeistert. Kento schreibt spannend, die Charaktere überzeugen, Plot und Setting fesseln. Die Auflösung passt. Trotzdem gibt es aus meiner Sicht einige, kleinere Schwächen. Für mich weist die Erzählung mindestens einen Zufall zu viel auf. Ich will nicht spoilern und gebe daher nur die Stichpunkte Auftauchen A.J. und Léa/Michelle. Ferner hat mich der Rechercheverzicht Robyns in eigener Sache nicht überzeugt.
Dagegen ist die Doppelfolge von Ivys Podcast mit einer Zusammenfassung der Vorgänge ein perfektes Ende des Romans. Einmal mehr bedauere ich, keine halben Sterne vergeben zu können. So werden es sehr gute vier statt 4,5 und eine Leseempfehlung.

Ich werde zukünftig auf Neuerscheinungen von Katie Kento achten, da ich weitere ähnlich unterhaltsame Bücher von ihr erwarte. Denkbar wäre auch eine Fortsetzung der Geschichte, die ich mir dann nicht entgehen lasse.

Bewertung vom 23.02.2025
Der Gourmet / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.2
Craven, M. W.

Der Gourmet / Washington Poe und Tilly Bradshaw ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

Unschuldiges Justizopfer oder skrupelloser Killer?

Für DS Washington Poe wird ein Alptraum wahr. Ein von ihm überführter und in einem spektakulären Indizienprozess als Mörder verurteilter Starkoch entpuppt sich als Justizopfer. Die angeblich von ihm ermordete Tochter taucht sechs Jahre nach seiner Verhaftung quicklebendig wieder auf. Eine DNA-Analyse beweist ihre Identität. Und DNA kann nicht lügen oder doch?

„Der Gourmet“ ist der zweite Band der Washington Poe – Reihe des britischen Schriftstellers M.W. Craven, der mehrfach, u. a. mit dem Gold Dagger Award, ausgezeichnet wurde. Für mich war es das erste Buch des Autors.

Im Krimi „Der Gourmet“ stellt sich uns folgende Frage: ist der charismatische Starkoch Jared Keaton ein Opfer der Justiz und des hartnäckigen Ermittlers DS Poe? Ist er tatsächlich unschuldig?
Die Beweislage der Verteidiger wirkt überzeugend. Das Wiederaufnahmeverfahren scheint nur noch eine Formalität und Keatons Freilassung eine Sache von Tagen zu sein. DS Poe befindet sich dagegen in einer schwierigen Situation. Er hat einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht und soll nun für seinen Fehler büßen.

Und trotzdem. Als erfahrene Krimileserin war ich mir von Beginn an sicher, dass Poe richtig lag und der charismatische Psychopath Keaton schuldig ist. Aber alle Beweise sprechen dagegen. Wie kann eine Tote leben?

M. W. Craven hat einen packenden Krimi geschrieben, der mich schnell gefesselt hat. Die Spannung beginnt im ersten Kapitel und steigert sich bis zum Ende. Unerwartete Wendungen und neue Indizien lassen zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Der Autor schreibt sehr bildhaft, ich sah Poes Hütte im Norden Cumbrias direkt vor mir. Die Protagonisten überzeugen, egal ob Hauptfiguren oder in Nebenrollen.

Washington Poe ist kein einfacher Mensch. Ein Familiengeheimnis hat ihn jahrelang gequält. Mit seiner spröden Art hat er sich wenig Freunde gemacht. Aber Unterstützung benötigt er gerade jetzt dringend. Da trifft es sich gut, dass er sich der Loyalität zweier Koryphäen sicher sein kann. Da ist zunächst die brillante, aber exzentrische forensische Pathologin Estelle Doyle. Sie entdeckt die Substanz im Blut der wieder aufgetauchten Elizabeth, die Poes Team auf die richtige Spur bringen wird. Später kann sie eine Leiche identifizieren, die sich in einem ungewöhnlichen Zustand befindet. Die zweite Koryphäe ist die geniale Datenanalystin Tilly Bradshaw, die Asperger-Züge aufweist, was die Zusammenarbeit mit ihr nicht einfach macht. Poe denkt an einer Stelle über sie „Streiten hatte keinen Sinn. Bradshaw war so logisch, dass sie jedes Mal gewann, sogar wenn sie falschlag.“ Aber die beiden arbeiten erstaunlich gut zusammen und sind ein sympathisches Team. Auch ein paar Kollegen, wie seine direkte Vorgesetzte DI Stephanie Flynn, vertrauen Poe, während ein karrieregeiler DCI ihn unbedingt abschießen will.

Fasziniert hat mich, was ich beim Lesen dieses Krimis alles gelernt habe. Über Reiterdenkmäler, englische Bunker, Laborzentrifugen oder die Reform des britischen Gesetzes im Zusammenhang mit Doppelbestrafung. Ich behaupte schon immer, dass Krimilesen bildet. Craven bestätigt mich.

Fazit

Eine tierquälerische gruselige Szene im ersten Kapitel hat mich kurz zögern lassen, doch wollte ich dem Krimi eine Chance geben. Zum Glück! Für mich ist der Autor eine Neuentdeckung. Er hat das Potenzial, zu einem meiner Favoriten aufzusteigen. Zwar hätte ich auf einige grausame Szenen verzichten können, da sie tatsächlich für den Tathergang wichtig sind, kann ich aber darüber hinwegsehen. Cravens Schreibstil, der britische Humor, seine Charakterzeichnung, der originelle Plot und die vollständige Auflösung haben mich überzeugt. Ich werde mir die beiden anderen in Deutsch erschienen Bände besorgen und mich auf weitere freuen.

Bewertung vom 22.02.2025
Der Ränkelord
de Laar, Alessa

Der Ränkelord


ausgezeichnet

Mord in höchsten Kreisen

In Ashbury, einem geheimen, von der Außenwelt abgeschnittenen Distrikt Londons, ist es Tradition, spektakuläre Kriminalfälle an den Meistbietenden zu versteigern. Mit einer gelungenen Präsentation der Aufklärung kann der Gewinner sein Prestige erheblich steigern. Ob der Angeklagte schuldig oder nicht ist, wird nebenbei bewiesen. Verwandte von Beschuldigten sind von der Versteigerung ausgeschlossen. Genau in dieser Situation befindet sich der junge Adelige Garth, der im ersten Fall der Ashbury-Reihe „Das Versagen der Pahdora“ bereits als brillanter Ermittler überzeugte. Sein Vater, Lord Varesh Crafton, beauftragt ihn, die Unschuld seines älteren Halbbruders Tain Shoyn, der des Mordes bezichtigt wird, zu beweisen. Aber das scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein und die Zeit drängt.

„Der Ränkelord“ ist der zweite Band der Ashbury-Reihe von Alessa de Laar. Es ist möglich, die Bände unabhängig voneinander zu lesen. Aber die Kenntnis von Garths erstem Fall erhöht Lesespaß und -verständnis beträchtlich.

Wie beweist man die Unschuld eines Angeklagten, den alle schon als überführt ansehen? Die Beweislage scheint erdrückend. Garth beginnt damit, den Tatverdächtigen, seinen Halbbruder Tain, aufzusuchen. Dieser verweigert jede Mitarbeit, erklärt sich aber für unschuldig. Dann untersucht er die Leiche des Opfers und den Tatort. Wie wurde das Mordopfer vergiftet? Er versucht, den Tathergang zu rekonstruieren, was ein Schlüsselelement zur Lösung des Falles darstellt.

Bei seiner Tätersuche unterstützen ihn der Klient des Hauses Crafton, Erro, und der Gespaltene Flyn. Viele Zeugen werden befragt und Experten werden zum Fall hinzugezogen. Ganz allmählich scheint sich der Tathergang rekonstruieren zu lassen. Ein Indiz weckt Garths besonderes Interesse und weist ihm die Richtung. Genau in dieser Situation wird er gekidnappt und damit Schachmatt gesetzt.

Alessa de Laar hat mit Ashbury eine ganz eigene magische Welt erschaffen. Wir treffen hier weder Drachen noch Elfen. Ashbury unterscheidet sich wesentlich subtiler von unserer Welt.

Dieser magische Ort verfügt über komplexe soziale und politische Strukturen. Das Justizsystem unterscheidet sich von unserem, sei es durch die Versteigerung der Kriminalfälle oder durch eine häufig vollzogene Strafe, die Spaltung, die nur mittels magischer Kräfte erfolgen kann. Die Geschichte Ashburys fließt beiläufig in die Erzählung mit ein und lasst diese Welt noch überzeugender wirken. Dazu dient auch die Isolation von der Außenwelt.

Nicht nur mit ihrer beeindruckenden Fantasie und Kreativität hat mich die Autorin beeindruckt. Mit ihrer bildhaften, lebendigen Sprache lässt sie Ashbury vor unseren Augen entstehen, mit seinen Adelsresidenzen, den sehr unterschiedlichen Vierteln oder den Wohnungen in der Kanalisation, die bedingt durch den Platzmangel entstanden sind.
Die Einwohner arbeiten als Barrierenspringer, Glyphenschreiber oder Bundbrecher, alles Berufe, die speziell für die Belange Ashburys entstanden sind. Pflanzen wie der
Seitwärtsbaum oder magische Hilfsmittel wie ein Rührlöffel, der mittels seiner eingeritzten Glyphen, Gräten aller Art anzieht, vervollständigen eine fantastische Welt.

Dankenswerterweise enthält das Buch Glossar, Namensverzeichnis und Landkarte, die sehr nützlich sind.

Die Auflösung des Falles ist der Knaller. Teilweise lag ich richtig mit meiner Einschätzung, trotzdem ist es mir nicht vollständig gelungen, Licht ins Dunkel zu bringen. Alessa de Laar hat mich mit der Identität des Täters überrascht und gleichzeitig den Fall perfekt abgeschlossen. Nicht nur Lord Crafton betrachtet Garths Beweisführung als brillant.

Mir hat es sehr gut gefallen, wie die Autorin Kriminalfall und Fantasy verschmolzen hat, meine beiden Lieblingsgenres. Noch während des Lesens habe ich mir Band eins besorgt und inzwischen verschlungen. Ich freue mich auf weitere Erzählungen mit Garth, Erro und Flyn. Speziell über die Themen Pahdora und Wandler, die für Ashbury eine dominante Rolle spielen, möchte ich gern mehr lesen.

Ich vergebe die volle Punktzahl und eine Leseempfehlung an alle, die wie ich Krimis und Fantasy schätzen.

Bewertung vom 15.02.2025
Nacht der Ruinen
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

Wer frei von Schuld ist ...

März 1945. Köln ist eine geteilte Stadt. Der Rhein bildet die Front, nachdem alle Brücken gesprengt wurden. Während die US Army ihren Teil der Stadt besetzt, geht jenseits des Flusses der Krieg unverändert weiter. Lieutenant Joe Salmon wird nach Köln abkommandiert, wo er vor 24 Jahren als Joseph Salomon geboren wurde. Colonel Patterson erteilt ihm einen Geheimauftrag. Joe soll herausfinden, wer den vor einer Woche mit einem Fallschirm abgesprungenen Bomberpiloten Rohrer ermordet hat. Ein nahezu aussichtsloses und gefährliches Unterfangen. Doch der Lieutenant folgt insgeheim seiner eigenen Agenda.

Cay Rademacher hat neben seiner erfolgreichen Provence-Reihe mit Capitaine Roger Blanc als Ermittler, bereits mehrere historische Kriminalromane geschrieben. Nach Méjean, Hamburg und dem Ozeanliner Champollion ist dieses Mal Köln der Schauplatz der Ermittlungen.

Wie viele andere junge Emigranten aus Deutschland und Österreich (insgesamt ca. 9000), hat Lieutenant Salmon eine Spezialausbildung in Camp Ritchie, Maryland, absolviert, die ihn auf den Einsatz in Europa vorbereitet hat. Wir begleiten Joe, der meist mit dem englischen Kriegsreporter Eric Arthur Blair, später berühmt als George Orwell, unterwegs ist und sehen die zerstörte Stadt durch seine Augen.Obwohl er wütend auf die „Jerrys“ ist, die das Vermögen seines Vaters gestohlen und so viel Leid über ihn und die Seinen gebracht haben, kann er sich dem herrschenden Elend nicht ganz entziehen. Von Köln und seiner Bevölkerung ist nur wenig übrig. Zweieinhalb Wochen wird seine Suche dauern, die ihn nachhaltig verändern wird.

Cay Rademacher schreibt flüssig und bildhaft. Er lässt vor den Augen seiner Leser das zerstörte Köln wieder erstehen. Die düstere bedrückende Atmosphäre, die der damaligen Zeit angepasste Sprache und die Beobachtungen des Lieutenants schaffen ein Ambiente, das fesselt. Die umfangreiche Recherchearbeit des Autors ist in jedem Kapitel spürbar. Auftritte bekannter Zeitgenossen wie Hans Habe, ebenso ein „Ritchie Boy“ wie Joe Salmon, Konrad Adenauer, der vor und nach dem Tausendjährigen Reich, Kölns Oberbürgermeister war oder die Schriftstellerin Irmgard Keun, lassen den Roman noch authentischer wirken. Eine besondere Rolle kommt George Orwell zu, der, obwohl seit dem Spanischen Bürgerkrieg gesundheitlich schwer angeschlagen, seine Tätigkeit als Kriegsreporter nicht aufgeben will. „Kriege sind eine Aneinanderreihung schäbiger Kompromisse“ resümiert er seine Beobachtungen.

Rademachers Charaktere sind glaubwürdig und spannend. Ob Joe, der zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen, erfahren muss, dass nicht alles entweder Schwarz oder Weiß ist, Hilda, die kühle Schönheit, schwer durchschaubar nicht nur für Joe, Jakub, der vielseitig begabt, einmal zu oft auf seine „Chuzpe“ vertraut hat oder Irmgard Keun, eine unangepasste Überlebenskünstlerin, die scheinbar allen Widrigkeiten trotzt.

Das Erzähltempo ist eher gemächlich, die Spannung baut sich allmählich auf, aber gegen Ende des Romans, mochte ich nicht mehr mit dem Lesen aufhören.

Ich habe diesen Roman gern gelesen.Er hat mir diese Zeit näher gebracht, vor allem das Leben der Zivilbevölkerung, das mich besonders interessiert hat. Ihre Hoffnungen, Erfahrungen, Ängste, ihre pragmatischen Lösungen (Treibstoffbeschaffung), der alles bezwingende Überlebenswille.

Einiges war mir neu, wie die Ritchie Boys oder der Tunnel unter dem Rhein. Ich durfte den Fotografen Hermann Claasen kennenlernen und habe, neben anderen, auch sein historisches Foto der Madonna von St. Kolumba gefunden, die eine Rolle im Roman spielt.

Historische Ereignisse, raffiniert in eine fiktive spannende Ermittlung verpackt, dieses Konzept ist Cay Rademacher mit diesem Roman vortrefflich gelungen. Einmal mehr fand ich meine Meinung bestätigt, dass gut recherchierte Romane über die Kriegszeiten, zur besten Friedenspropaganda gehören.

Meine Leseempfehlung geht an alle, im Besonderen an die, die sich für Geschichte interessieren.

Bewertung vom 12.02.2025
Ostsee, Klönschnack und ein Mord (eBook, ePUB)
Schneider, Inga

Ostsee, Klönschnack und ein Mord (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mit einer Petuhtante auf Mördersuche

Anni Gade ist eine sympathische, etwas verpeilte junge Frau, die noch nicht richtig weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Inzwischen hält sie sich mit Stadtführungen über Wasser. Während sie einer Gruppe Touristen Flensburgs Sehenswürdigkeiten zeigt, beobachtet sie zufällig einen heftigen Streit zwischen zwei angesehenen Unternehmern der Stadt. Am nächsten Tag sind beide Streithähne spurlos verschwunden. Wurden sie gekidnappt?

"Ostsee, Klönschnack und ein Mord - Anni Gade und die Fördemorde" ist der Auftakt einer neuen Cosy Crime-Reihe von Inga Schneider, die an der Flensburger Förde spielt. Es ist mein erstes Buch der Autorin.

Das farbenfrohe Cover und der Handlungsort Flensburg haben meine Aufmerksamkeit geweckt. Dass ich eine „Süßwassermakrele“ bin, hat sich schnell gezeigt. Den Begriff "Petuhtanten" musste ich gleich nachschlagen, obwohl ich zunächst von einem Druckfehler ausging - ist aber keiner. Insgesamt kam ich aber gut zurecht und habe das norddeutsche Flair sehr genossen. Ein bisschen fühlte es sich wie Urlaub an, mit Anni durch Flensburg zu flanieren. Über die Sehenswürdigkeiten und Besonderheiten dieser Stadt wurde ich gut informiert.

Die Hauptcharaktere haben mich überzeugt. Anni war mir auf Anhieb sympathisch. Ihre Grübeleien und Selbstgespräche konnte ich gut nachvollziehen. Die junge Frau ist klug, neugierig und unternehmungslustig. Schade, dass ihre Akademikereltern das anders sehen, ihrer Jüngsten das abgebrochene Studium nachtragen und der Vater die perfekte ältere Tochter eindeutig vorzieht. Es spricht für Anni, dass sie trotzdem tapfer zum wöchentlichen Familienessen geht. Kommissar Jan Christiansen ist ganz anders gestrickt. Er wirkt anfangs ziemlich arrogant und überheblich, wie er den Provinzlern zeigen will, was ein Kommissar aus der Großstadt Hamburg ihnen alles voraus hat. Teilweise hat das wohl familiäre Gründe, weil er seine Scheidung noch nicht verdaut hat und um seine Tochter öfters sehen zu können, ins ungeliebte Flensburg ziehen musste. Auch Tipps zu bekommen, verträgt er schlecht, selbst wenn seine Ermittlungen davon profitieren. Gegen Ende des Krimis hatte ich aber den Eindruck, dass er doch lernfähig ist. Die anderen Charaktere bleiben noch etwas blass, aber das ist für einen Auftaktband nachvollziehbar. Ob Annis lebhafte Freundin Nele, Jans gemütlicher Kollege Boysen oder Mutter Gade, die das Familienessen für Kochexperimente nutzt, sie alle haben Potenzial. Inga Schneider schreibt klar und bildhaft und schafft eine glaubhafte Atmosphäre. Wie für Cosy Crime üblich ist das Erzähltempo gemächlich und der Kriminalfall nicht zu gruselig.

"Ostsee, Klönschnack und ein Mord - Anni Gade und die Fördemorde" war kurzweilig zu lesen und hat mich gut unterhalten. Ich freue mich schon auf Band zwei. Weil mir ein klein wenig die Verwicklungen fehlten, vergebe ich 4,5 von 5 Sternen.

Eine Leseempfehlung geht an alle, die Cosy Crime mit Lokalkolorit schätzen.

Bewertung vom 10.02.2025
Berauscht der Sinne beraubt
Kirakosian, Racha

Berauscht der Sinne beraubt


sehr gut

Ekstase: Rausch oder Bewusstseinserweiterung?

Das psychedelisch anmutende Cover erregte zunächst meine Aufmerksamkeit. Mit dem Klappentext und der Leseprobe hatte sie mich dann endgültig am Haken. Sie, das ist Racha Kirakosian, Professorin für Mediävistik an der Alberts-Ludwig-Universität in Freiburg. Ihr Buch. „Berauscht der Sinne beraubt“ bietet einen Überblick über die Geschichte der Ekstase von der Antike bis heute.

In der Einleitung, erläutert die Autorin ihren Hintergrund, die Annäherung ans Thema und die zugrunde liegende Methodik. Diese werden auch mittels der Einschübe, „Diskursiv“ und „Exkursiv“ im Text hervorgehoben.

Das Buch ist in fünf Kapitel eingeteilt, die sich jeweils mit einer Erscheinungsform der Ekstase befassen. Die Annäherung an das Phänomen erfolgt aus verschiedenen Richtungen.

Kapitel eins – Über den Wolken – Visionen und Flow

befasst sich mit der Assoziation dieser Begriffe mit Ekstase.
Die Autorin erläutert, dass in der Spätantike dem sinnentrückten Zustand ein besonderes Potenzial zur Gotteskommunikation attestiert wurde. In diesem Zusammenhang untersucht sie die visionäre Sicht einer Hildegard von Bingen ebenso, wie das Bekehrungserlebnis von Paulus, das Orakel von Delphi und modernes leistungsförderndes Flow-Coaching. Die Wirkung bewusstseinserweiternder Substanzen als Auslöser ekstatischer Zustände wie Ergotamin oder Ayahuasca werden in diesem Kapitel ebenfalls beleuchtet.

Kapitel zwei – Der Moment des Aufpralls. Freude im Schmerz

widmet sich der Ekstase infolge von Schmerzen. Im religiös spirituellen Rahmen dient Christina von Hanes Ekstase infolge eines dreistufigen Leidenskonzeptes, das u.a. Selbstverletzung und strenge Askese beinhaltet als Beispiel. Auch Elsbeth von Oye, Heinrich von Suse und andere propagieren ein ähnliches Konzept. Die Verbindung von Schmerz und Ekstase beschränkt sich aber nicht auf den christlichen Rahmen, wie der Sufismus, der in der islamischen Tradition wurzelt, beweist. Nicht religiöse Vertreter der Leidensekstase werden mit den Beispielen de Sade, Sacher-Masoch und der modernen BDSM-Szene belegt.

Kapitel 3 – Hinab ins Erdreich. Frauen und Ekstase

Das ekstasesüchtige Weib, von der Gefahr ausgeht, steht hier im Mittelpunkt. Frauen, die in Zusammenhang mit Ekstase gebracht wurden, befanden sich lange Zeit in Gefahr. Wie die Autorin einräumt, berührt das Thema Hexerei die Geschichte der Ekstase zwar nur peripher. Trotzdem hängt beides zusammen. Dies wird durch einen Abriss der Geschichte der Hexenverfolgung ausgehend vom Deutschland der Frühen Neuzeit, über Salem 1692/93 bis hin zu heutigen Staaten wie Ghana oder Sambia, verdeutlicht.
Die zeitgenössische Bewertung religiöser Stigmata wie die der Anna Katharina Emmerick, einer ekstatischen Mystikerin, Meister Eckharts Sicht der Ekstase und eine kurze Geschichte der Hysterie komplettieren dieses Kapitel.

Kapitel 4 – Vom Aufsteigen. Der Tanz in die Lüfte.

Eine Unterscheidung wischen säkularer und religiöser Tanzekstase ist laut der Autorin nicht möglich. Sowohl im Sufismus wie beim marokkanischen Gnawa-Kult wird entrückte Ekstase durch rituellen Tanz erreicht. Von christlichen Gemeinschaften wird Ähnliches berichtet. So beschrieben 1827 Menschen, die zum Methodismus konvertierten, ihr Bekehrungserlebnis als religiöse Ekstase. Säkulare Beispiele von Tanz und Ekstase sind z. B. die apulische Tarantella oder Tanz-Events der Techno-Szene.

Kapitel 5 – Aufgehen im Ganzen. Einheitserfahrungen in der Masse

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit Ekstase in der Masse, z. B. als gemeinsames euphorisches Erlebnis eines Sportereignisses. Ekstase und Gewalt in Gestalt des ekstatischen Soldaten, bspw. Kamikaze-Fliegern.
Ekstase als Massenphänomen von der Boston Tea Party 1773 bis hin zu Goebbels von der Masse umjubelten Aufruf zum totalen Krieg am 18.2.1943. Ekstase als wesentliches Merkmal des Massenwahns. Als Mittel zur Kontrolle oder als Werkzeug der Macht durch Manipulation.

Der Epilog über die Ambivalenz der Ekstase, die teilweise kommentierten Anmerkungen im Anhang (stolze 65 Seiten) und ein Personenregister runden das Sachbuch ab,

Racha Kirakosian hat ein beeindruckendes Werk zum Thema Ekstase geschrieben. Trotz der vielen Informationen und Beispiele kann ich jetzt ihre Aussage besser verstehen, dass das Phänomen schwer zu fassen ist. Für meinen Geschmack liegt der Fokus etwas zu stark auf der religiösen Ekstase, was die Erwähnung der christlichen Mystikerin Christina von Hane in vier von fünf Kapiteln belegt.Ich habe viel gelernt und meine Neugier nicht bereut, obwohl sich das Buch zu Beginn etwas spröde liest. Wer sich für die Geschichte der Ekstase interessiert, trifft mit diesem Sachbuch eine gute Wahl.

Bewertung vom 06.02.2025
Vino, Mord und Bella Italia! Folge 6: Der süße Klang von Rache (eBook, ePUB)
Homma, Christian; Frank, Elisabeth

Vino, Mord und Bella Italia! Folge 6: Der süße Klang von Rache (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Mord und Dolce Vita

Anna genießt mit Loris, Tameo und Hündchen Peppo einen schönen Tag am Meer. Die Musik eines Strandsängers, der dort fehl am Platz zu sein scheint, fasziniert sie. Als Anna den Musiker später im Promenadencafé wieder trifft, lädt sie ihn spontan zu einem Auftritt im Restaurant ihrer Freundin Giovanna ein. Sie ahnt freilich nicht, wen sie einlädt und was da auf Fontenaia zukommt ...

„Der süße Klang von Rache“ ist bereits der sechste Teil der Reihe „Vino, Mord und Bella Italia!“ von Christian Homma und Elisabeth Frank. Auch Neueinsteiger können problemlos mit diesem Band starten. Ich habe es seinerzeit so gemacht und nicht bereut.

Der Musiker entpuppt sich als Mauro Moschella, ein vor Jahren sehr populärer Sänger in Italien. Das Konzert wird ein voller Erfolg und Giovannas Restaurant besuchen so viele Gäste wie schon lange nicht mehr. Leider kommt es nach dem musikalischen Event zu einem schweren Unfall mit Todesfolge. War es Mord?

Zahlreiche Verdächtige, überraschende Wendungen und ein motiviertes Ermittlerteam sorgen für Spannung. Sogar den gefürchteten Bürgermeister Fontenaias Massimo Franco kann Commissario Vico mit einem strategischen Kniff für die Ermittlung einspannen. Trotz gemächlichen Tempos und Dolce Vita ist die Tätersuche spannend, denn die Autoren haben sich ein paar clevere Finten ausgedacht.

Mir gefällt die klare, bildhafte Sprache des Autorenteams. Ich war sofort wieder mittendrin in der Geschichte. Die Atmosphäre, das Ambiente, Land und Leute, alles passt. Die Charaktere wirken glaubwürdig, allen voran die sympathische, patente Anna und das liebenswürdige Gespann Tameo und Peppo. Mir gefällt, dass sich die Charaktere weiter entwickeln. Hat uns Annas Journalistenkollege Adriano Rossi beim letzten Fall positiv überrascht hat, so toppt ihn Commissario Vico dieses Mal. Mit einer längst überfälligen Gardinenpredigt hat ihn seine Schwester, Giuliana, dazu verdonnert, die Stärken seines Teams zu fördern, statt seine Untergebenen immer nur zu kritisieren. Vico beschließt, sich diesen Rat zu Herzen zu nehmen und verunsichert damit sein Team gewaltig. Erst allmählich gewöhnen sich Flavia, Marco und Anna an den „neuen“ Commissario. Doch das Team arbeitet jetzt noch effizienter, was dem aktuellen kniffligen Fall zugutekommt.

Mein Fazit

Jeder, der Cosy Crime schätzt, ist hier richtig. Dolce Vita in der Toskana, gewürzt mit einem Kriminalfall, das liest sich sehr vergnüglich. Dabei kommt die Spannung nicht zu kurz. Fontenaia ist weiterhin ein gemütliches italienisches Dorf, in dem der abenteuerlichste Klatsch gedeiht und Veränderungen nur langsam Fuß fassen. Immerhin wird Annas Pool endlich fertig.
Der „neue“ Commissario gefällt mir ausgezeichnet. Nun wird eine Romanze zwischen ihm und Anna wesentlich wahrscheinlicher. Zumal Vico sich allmählich in Fontenaia heimisch fühlt. Oder macht doch der fesche Loris das Rennen, der gerade seine künstlerische Seite offenbart hat? Es bleibt spannend. Ich warte schon auf die Fortsetzung.

Ich habe den Ausflug in die Toskana sehr genossen und vergebe 5 Sterne mit einer Leseempfehlung an alle Fans von Dolce Vita und Cosy Crime.

Bewertung vom 04.02.2025
Das verfluchte Medaillon / Die magische Bibliothek der Buks Bd.2
George, Nina;Kramer, Jens J.

Das verfluchte Medaillon / Die magische Bibliothek der Buks Bd.2


ausgezeichnet

Das Abenteuer geht weiter ...
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"Die magische Bibliothek der Buks – Das verfluchte Medaillon" ist der zweite Band der Reihe von Nina George und Jens J. Kramer. Er schließt nahtlos an Band eins an. Da auf einen Rückblick verzichtet wird, empfehle ich dringend, mit Band eins „Das verrückte Orakel“ zu beginnen. Nur so kann man das zweite Abenteuer mit den Buks, kleinen Buchschutzgeistern, in vollem Umfang genießen.

Die Ausgangssituation ist folgende: Nola befindet sich im Buch „Die abenteuerliche Reise des Quentin Tauros“, um Geraldine zu suchen, die versehentlich in dieser Geschichte gelandet ist. Finn wiederum ist seiner Zwillingsschwester gefolgt, sodass sich jetzt alle drei im selben Buch, aber getrennt voneinander, befinden. Ihre Freunde Mira und Thommy wiederum sind in ihr Zuhause zurückgekehrt, um sich dort schwierigen Befragungen zu stellen. Sie verschweigen die Wahrheit und halten ihr Versprechen, die Existenz der Geheimen Bibliothek und der Buks nicht zu verraten. Inzwischen spitzt sich die Lage zu. Immer mehr Bücher werden von der schrecklichen Bleichkrankheit befallen und der Buchmeister, Geraldines Vater, der ein Heilmittel sucht, bleibt verschollen. Um die Bücher zu retten, sehen sich die Buks zu einem unvorstellbaren Schritt gezwungen: Sie schicken Attila, Sherlokko und Rebella Buk ins Draußen!

Immer wieder werden, glücklicherweise, Geschichten geschrieben, die mit überschäumender Fantasie, großer Kreativität und überraschenden Wendungen ihre Leser fesseln. Wir finden uns hier in einer Welt wieder, in der Bücher unbekannt sind, Fantasie abgelehnt wird und Träumen als suspekt gilt. Alle befolgen starre Regeln und werden ständig überwacht, da das Mitführen von Handys für Kinder Pflicht ist. Was als praktisch und der Sicherheit dienend verkauft wird, dient tatsächlich der totalen Kontrolle des Ministeriums über die Menschen.

Das Autorenteam schreibt bildhaft und versteht es, eine magische Atmosphäre zu schaffen. In der Geschichte stecken viele Weisheiten, die ganz ohne belehrenden Ton daherkommen. Immer wieder werden andere Bücher und Autoren erwähnt oder zitiert. Das hat mir gut gefallen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz: Ich sage nur Hugo Viktor. Die Protagonisten sind durchweg glaubhaft gezeichnet, ob der freche Finn, der nachdenkliche Thommy, die empathische Mira oder Thommys freundliche Großeltern. Die einzelnen Buks sind jeder für sich liebenswert und in ihrer Vielfalt und Diversität beeindruckend.Ich liebe ihre Diskussionen untereinander.

Das bezaubernde Cover und die liebevolle Ausstattung mit Lesebändchen, den hübschen in den Text eingestreuten kleinen Zeichnungen und Porträts der Buks auf den Innenseiten des Einbands lassen das Buch hochwertig wirken.

Ich habe dieses neue Abenteuer mit den Buks sehr genossen. Das rundum stimmige Ende und der Ausblick aufs „Danach“ haben mir sehr gut gefallen. Für mich scheint die Geschichte damit abgeschlossen, aber vielleicht haben die Autoren doch noch eine magische Idee für eine Fortsetzung? Ich wäre sofort dabei oder wie Reimling Buk vielleicht sagen würde: Großes Freuen mit neuen Abenteuern?

Ich vergebe die volle Punktzahl und eine Leseempfehlung an alle Buchliebhaber mit Fantasie von 10 bis 100