Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Juti
Wohnort: 
HD

Bewertungen

Insgesamt 785 Bewertungen
Bewertung vom 18.12.2021
Der Pater und der Philosoph
Horsten, Toon

Der Pater und der Philosoph


gut

Eine Biografie von Pater Herman Leo Van Breda, die wie ein Krimi beginnt

Treffen sich Stefan Zweig und Joseph Roth in Wien und haben Husserl vergessen. So ähnlich beginnt dieses Buch, das dann aber die ersten beiden Juden völlig vernachlässigt und sich dann nur noch dem Philosophen Husserl widmet.

Recht schnell ist dieser aber bereits Tod als unser Pater die Bühne betritt. Er besucht die Witwe und muss feststellen, dass er drei Koffer Manuskripte vor den Nazis retten muss. Der Weg über Konstanz und die Schweiz ist versperrt, es bleibt nur ein Husserl-Institut in Leuven aufzubauen.

Das alles hat die FAZ schön beschrieben, das Problem ist nur, das wir erst auf S.70 sind. Ohne Anhang folgen noch 196 Seiten. Wie Nastassja Martin ist dieses Buch zu lang, doch kann ich nicht genau die Seite sagen. Auch die Kriegszeit ist spannend. Die Ausreise der Husserl-Witwe in die USA scheitert, dafür werden die Möbel zerbombt. Viele jüdische Freunde müssen fliehen, nicht alle überleben. Aber in Leuven passiert dank des Kommandeur von Thadden glücklicherweise wenig. Unser Pater kann alle Manusskripte retten.

Es kommen aber zu viele Philosophen im Buch mit ihren Eitelkeiten vor und zu wenig Philosophie, so dass das Nachkriegskapitel vollends der Langeweile anheimfällt, ausgenommen vielleicht den Sprachenstreit um die Universität in Leuven.

Nur wen wirklich interessiert, ob die Manuskripte von Edith Stein im Husserl-Archiv oder im eigenen Archiv verwahrt werden sollen und wer wissen will, wer Husserls Kurzschrift entziffert hat, sollte die letzten 196 Seiten lesen. So gibt es trotz starkem Beginn nur 3 Sterne.

Bewertung vom 15.12.2021
Falsche Pandemien
Wodarg, Wolfgang

Falsche Pandemien


gut

Der Anti-Lauterbach

Bei Gegnern der verbreiteten Corona-Meinung kommt es auf die Qualifikation des Autors an. Und da kann man bei Herrn Wodarg als ehemaligem MdB für die SPD (!) und Arzt und Leiter eines Gesundheitsamts nicht klagen.

Wer Paul Schreyer gelesen hat, der wird auf den ersten 100 Seiten nichts Neues finden: Die Corona-Pandemie wurde von der Pharmaindustrie dank „Vogel-“ und Schweinegrippe“ von langer Hand vorbereitet.

Der Mittelteil ist der interessanteste. Dort stellt der Arzt Wodarg die medizinischen Maßnahmen in Fragen. Mir leuchtet ein, dass man Masken nicht den ganzen Tag tragen kann und nach gewisser Zeit eine Pause machen muss. Warum aber eine Ansteckung ohne Symptome nicht möglich sein soll, habe ich nicht verstanden. Was mich wiederum überzeugt hat, ist, dass die Qualität der Test nicht aussagekräftig ist und dass insbesondere ein positiver PCR-Test alleine nicht ausreicht, um jemanden für als covidkrank zu erklären.

Von seinen Argumenten gegen die Impfung kann ich Argument 1 (Eine Impfung ist gar nicht erforderlich) und 3 (Die Sicherheit der Impfung ist wegen fehlender Nachbeobachtungszeit ungewisss S.161f) nachvollziehen. Dass aber der Nutzen der Impfung nicht bestimmbar ist und die Corona-Kranken nur Alte aus Heimen sind, die wegen des unter Quarantäne gestellten Pflegepersonals in Krankenhäuser geliefert und dort gestorben sind, ist mir zu wenig plausibel.
Zugutehalten muss man dem Autor natürlich, dass dieses Buch vor der 4.Welle geschrieben wurde, so dass auch ein Wort zu Longcovid fehlt.

Ab Seite 272 beschwert sich Wodarg über die Politik und die Geldgier der an Covid-Beteiligten, die steigende Gewinnmaximierung selbst im Gesundheitssystem und die fehlende Darstellung anderer Meinungen, vor allem in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Er hat vermutlich nicht unrecht, doch ich glaube, er hätte gut daran getan, diese Entwicklung in einem zweiten Buch zu schildern.

So konnte ich den Schlussteil wegen zahlreicher Wiederholungen schnell überfliegen und kann diesem Werk nicht mehr als 3 Sterne geben. Über eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten würde ich mich dennoch freuen.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.12.2021
An das Wilde glauben
Martin, Nastassja

An das Wilde glauben


sehr gut

Der Kampf mit den Bären einer Frau

Dieses Büchlein fällt gleich mit der Tür ins Haus. Wir sind dabei wie eine Frau, Natassja Martin, in Kamschatka nach dem Kampf mit einem Bären, der ihr den Unterkiefer zertrümmert und ins Bein geschlagen hat, aber dank des Einsatzes eines Eispickels dann doch das Weite gesucht hat, verarztet und ins Krankenhaus kommt.

Wir erleben als zweiten Höhepunkt den Wettkampf der französischen Medizin mit der russischen. Erstere verliert, weil sich bei der Operation der französischen Platte in den Kiefer Keime mit einschleichen.
Doch dann, mit dem Kapitel Frühling lässt das Tempo schlagartig nach, die gerade genesene, obwohl vermutlich im Gesicht entstellt, wieder zurück nach Kamschatka reist, um das Ereignis des Kampfes in Träumen und in der Wirklichkeit philosophisch nachzuvollziehen.

Man soll es kaum glauben. Aber dieses 137 Seiten dünnes Büchlein ist 40 Seiten zu lang. 4 Sterne

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.12.2021
Sommerfrauen, Winterfrauen
Kraus, Chris

Sommerfrauen, Winterfrauen


gut

Alle lieben Tante Paula

Was ist das denn für ein Roman? Da will unsere Hauptfigur einen Film für seine Akademie in New York drehen. Er entscheidet sich zunächst für ein Film über Sex. Da er aber nicht pornographisch werden will, wählt er das Liebesspiel mit Ohrläppchen. Irgendwie hat er zwischendurch noch die Idee von einem Film über einen unbekannten Schriftsteller.

Dann aber trifft er Tante Paula, die als Jüdin aus Riga die Nazi-Zeit überlebt hat, weil der SS-Sturmführer in sie verliebt war. Ihres Lebensgeschichte wird der Filminhalt unseres Protagonisten, der eigentlich keinen „Nazischeiß“ (S.19) behandeln wollte.

Bleibt noch der Titel zu klären. Außer im Vorwort ist mir nicht klar, wo die Worte „Sommerfrau“ oder „Winterfrau“ erstmals genannt werden. Die Erklarkärung folgt aber erst auf S.179: „Eine Sommerfrau braucht Anbetung, männliche Hege und Pflege, eine Gartenschere, weil sie wie eine wilde Hecke wächst und geschnitten werden will, nach ihren Vorstellungen, aber gedüngt mit den Exkrementen des Mannes (oder zumindest sein Geld).“ Und auf S.180: „Die Winterfrau hingegen ist autark. […] Verantwortungsvoll und groß ist sie im Schmieden von kleinen Plänen. Eine Gartenschere braucht sie nicht, warum auch, auf ihr liegt immer Schnee. […] Männer sind Teil der feindlichen Natur. Ebenso Frauen. Die Winterfrau kann alleine leben, die Sommerfrau niemals.“

Wirklich überzeugend waren die Verhöre von Tante Paula, ebenso seine Gedanken über Ohrläppchensex. Dem gegenüber stehen leider unendlich langatmige Dialoge, vor allem im Bekanntenkreis unseres Helden, so dass mich leider nur für 3 Sterne entschieden habe.

Bewertung vom 03.12.2021
Wir Klimawandler
Kolbert, Elizabeth

Wir Klimawandler


ausgezeichnet

technologische Lösungen

Hauptthese des Buches ist, dass wir bereits im Erdzeitalter des Anthropozäns leben.

Diese These wird zu Beginn des Buches mit dem Chicago-River untermauert, der im 19. Jahrhundert vom Menschen aus dem Michigansee ins Flusssystem des Mississippi umgeleitet. Damals war der Grund, dass das schmutzige Flusswasser nicht den Michigansee belasten sollte, weil Chicago aus ihm sein Trinkwasser bezieht. Heute ist das Wasser so sauber, dass chinesische Karpfen, die in Seen des Mittleren Westens einst ausgesetzt und heute eine Plage sind, mit elektrischen Flusssperren vom Wandern in die großen Seen abgehalten werden müssen, weil sie dort eine ökologische Katastrophe anrichten würden.

Dies erinnerte mich wie das 5. Kapitel über die Agakröte in Australien, die einst zur Schneckenbekämpfung ausgesetzt wurde und jetzt mit ihrem Gift die heimischen Wildtiere tötet, die sie fressen an das Buch „Die neuen Wilden“ von Fred Pearce, das ich vor fünf Jahren gerne gelesen habe. Die Kröten sollen durch Gentechnik ungiftig gemacht werden.

Über den umgekehrten Fall – die Rettung von Arten – geht es im 3. Kapitel mit dem Wüstenkärpfling, einem nur wenige Zentimeter großen Fisch, der nur in einer Höhle in Kalifornien lebt und zu dessen Rettung mit Millionenaufwand eine fast identische zweite Höhle gebaut wurde, die aber nicht ganz so gut funktioniert wie die Naturhöhle.
Im nächsten Kapitel geht es um die Rettung von Korallen durch Züchtung der resistentesten Arten.

Bevor wir zum letzten titelgebenden Teil des Buches kommen, muss ich noch erwähnen, dass im 2. Kapitel der Landverlust im Mississippi-Delta in Louisiana thematisiert wird. Weil der Fluss eingedeicht ist, kann er keine Sedimente mehr ablagern, was zur Folge hat, dass das Land einschließlich der Stadt New Orleans immer weiter sinkt. Die Folge ist, dass immer mehr Wasser abgepumpt werden muss, wodurch das Land immer weiter sinkt.

Die letzten drei Kapitel des Buches beschäftigen sich mit den Maßnahmen gegen den Klimawandel. Kapitel 6 beschreibt ein Verfahren CO2 unter die Erde zu bringen, wo es bei der Reaktion mit Basalt in nur 2 Jahren zu Stein wird. Kapitel 7 will aufgrund der Erkenntnis, dass die Gase von Vulkanausbrüchen das Klima kurzfristig abkühlen können mit menschlicher Hilfe durch Aerosole die Sonneneinstrahlung vermindern. Dies ist hochriskant, weil man die nicht gewollten Nebenwirkungen nicht kennt. Das letzte Kapitel zeigt anhand von Eisbohrkernen aus Grönland, dass ein stabiles Klima wie in den letzten 11.000 Jahren erdgeschichtlich die absolute Ausnahme ist.

Viel Neues, so dass manche sprachliche Plattheit verziehen ist. 5 Sterne

Bewertung vom 29.11.2021
Das Land der Anderen
Slimani, Leïla

Das Land der Anderen


weniger gut

marokkanische Ehefrauenwelt

Dies war das dritte Buch von Slimani, das ich gelesen habe, und es war mit Abstand das schlechteste. Nach wie vor gefällt mir die Sprache der Autorin und das nichtlineare Erzählen, aber diesmal fehlt dem Roman die Handlung und damit die Spannung.

Die Hauptfigur ist die Elsässerin Mathilde, die ihren späteren Mann Amine während des Weltkriegs in Frankreich kennenlernt und mit ihm aufs Land nach Marokko geht, wo die Handlung einsetzt. Der Autorin gelingt es die Stimmung dort sehr gut wiederzugeben, doch fragte ich mich oft, warum ich weiterlesen soll.

Hinzu kommt, dass multiperspektivisch erzählt wird und mich das Leben von Selma langweilte. Gegen Ende wusste ich schlicht nicht mehr, wer mit wem wie in Beziehung steht. Daher nur 2 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.11.2021
Das Ereignis
Ernaux, Annie

Das Ereignis


ausgezeichnet

kurzes, prägnantes Abtreibungsbuch

Die Bücher von Ernaux sind schnell gelesen. Dieses aber hinterlässt mich nachdenklich. Die Autorin schreibt von ihrer Erfahrung in den 60er Jahren in Frankreich eine Abtreibung vorzunehmen, als das noch illegal war. Schwierig war es für sie überhaupt eine „Engelmacherin“ zu finden. Auch mit den Details der Prozedur verschont sie uns nicht.

An einer Stelle vergleicht sie ihr Leben mit den Flüchtlingen von Callais, die illegal ins Vereinigte Königreich wollen. Aber darf man alles erlauben, nur weil es Menschen gibt, denen die bestehenden Gesetze nicht passen?

Dieses Werk ist kein Buch für Abtreibungsgegner, die das Leben des Kindes schützen. Der Embryo wird nur „das Ding“ genannt.
Vor allem wegen der Kurzweile vergebe ich alle 5 Sterne. Ich finde einfach nichts zu meckern.

Bewertung vom 20.11.2021
Über Menschen
Zeh, Juli

Über Menschen


ausgezeichnet

Das beste Buch des Jahres

2021 habe ich nicht viele gute Bücher. Das neue Werk von Juli Zeh ist da eine würdige Ausnahme. Mich beeindruckt sie immer, in diesem Roman besonders, in welcher Geschwindigkeit sie die neue Corona-Welt in ihre Handlung einbaut.

Ähnlichkeiten mit „Unterleuten“ mag es geben, wieder ein Dorf in Brandenburg, in das eine Berlinerin geflohen ist und ein Haus gekauft hat. Doch in „Unterleuten“ gab es noch keine AfD, keine Nazis und natürlich kein Corona.

Zeh mag es ihre Figuren nicht schwarzweiß zu malen. Selbst den Dorfnazi Gote kann sie etwas Gutes abgewinnen. Gerade der erste Teil hat auch einen gewissen Sprachwitz. Auch inhaltlich hat mich die Tatsache amüsiert, dass die Dorfbewohner sich in der Küche von Doras neuen Hauses einen Kaffee kochen können, weil es früher mal der Dorfkindergarten war. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2021
Faserland
Kracht, Christian

Faserland


gut

Von Sylt nach Zürich

Dieses Buch kam wohl auf meinen Nachttisch, weil es anfangs als Vorgänger von „Eurotrash“ galt. Letzteres ist noch auf meiner to-do-Liste. Mir hat gefallen, dass der Autor von Sylt über Hamburg, Frankfurt auch nach Heidelberg reist. Er wollte einem Trendforscher in Karlsruhe aus dem Wege gehen. Der Autor hat auch tatsächlich die Partyszene erforscht, wenn ich auch den Eindruck hatte, dass er noch im alten Hauptbahnhof ankam, was aber zeitlich nicht passt.

In Heidelberg endet das Buch nicht, es folgt noch München, der Bodensee und Zürich. Seine Reise besteht hauptsächlich aus Party. Er hat Freunde vom Internat in Salem und vermutlich reiche Eltern, den von Beruf des Ich-Erzählers erfahren wir nichts.

Weil ich der Partys im Alkoholrausch überdrüssig wurde erhält das Buch nur 3 Sterne. Es ist schnell gelesen. Ich hoffe, dass „Eurotrash“ mehr verdient.

Bewertung vom 09.11.2021
Die Pest in London
Defoe, Daniel

Die Pest in London


sehr gut

Corona-Aktualität

Salman Rushdie hat mich im Fernsehen auf dieses bemerkenswerte Buch hingewiesen. Es regt die Leserin an, über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Pest 1665 und Corona 2020/21 nachzudenken.

Ein großer Unterschied ist, dass die Pest überwiegend im Hochsommer wütete, ein anderer, dass die Bewohner Londons die Stadt verlassen konnten, da die Pest nur eine Epidemie und keine Pandemie war. Wer rechtzeitig zur Familie aufs Land floh, bekam vom Unheil in London nicht viel mit. Wer sich aber zu spät zur Flucht entschloss, landete in den Nachbarorten vor verschlossenen Toren und konnte froh sein, wenn er mit Lebensmittel versorgt wurde. Defoe berichtet auch über eine Familie, die zu früh in die Stadt zurückkehrte und dann von der Seuche getötet wurde.

Gemeinsam mit Corona ist der Zusammenbruch der Wirtschaft und die Schwierigkeit die Quarantäne der Bevölkerung sicherzustellen. Die – und das ist auch mit 2020 deckungsgleich – Politik sorgte neben dem reibungslosen Abtransport der Leichen, die nur nachts beerdigt oder besser in eine Grube geschmissen worden, für die Aufstellung von Wachmännern vor Häusern, in denen sich erkrankte Personen befanden. Doch konnte eine Familie die Erkrankung den Behörden erst so spät melden, dass der gesunde Teil – vermutlich nicht nur der - rechtzeitig fliehen konnte.

Das Buch enthält zahlreiche Statistiken mit Todeszahlen, die nur Londonkenner oder Historiker spannend finden. Mehr noch störte mich, dass das Buch ein einziger durchgehender Text ohne Kapitel ist. Deswegen kann ich dem berühmte Autor heute nur 4 Sterne schenken.