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sleepwalker

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Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 08.04.2020
Die Maske der Schuld
Wind, Jennifer B.

Die Maske der Schuld


ausgezeichnet

„Die Maske der Gewalt“ fand ich ja schon super – jetzt hat Jennifer B. Wind mit „Die Maske der Schuld“ einen zweiten Teil nachgelegt, der mich ebenso begeistert hat wie der erste. Zwar kann man dieses Buch hervorragend auch ohne Vorkenntnisse lesen und verstehen, aber Band 1 ist dennoch ebenso lesenswert.
Im Mittelpunkt steht wie im ersten Teil der untypische Ermittler Richard Schwarz, dazu sein Kollege Paul Marek. Und wie im ersten Teil tanzt Richard wieder auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig: er ermittelt in Wien im Fall einer in der Donau gefundenen Leiche, kümmert sich um die Sorgen und Nöte seiner (Zieh)Schwester Sarah, die mit ihrem Zirkus in Österreich auf Tournee ist. Die Psychiaterin Theres Lend und Gerichtsmedizinerin Emily McSand sind ebenfalls wieder mit von der Partie und fordern seine Aufmerksamkeit. Über Langeweile kann sich Richard also nicht beklagen – und der Leser auch nicht.
Die Geschichte ist wie gewohnt spannend, flott geschrieben und vielschichtig. Eine Leiche in der Donau, verschwundene Menschen aus dem Umfeld einer von Theres besuchten Selbsthilfegruppe und ein seltsamer „Heiler“ stehen im Zentrum des Krimis. Der Leser bekommt mehrere Handlungsstränge serviert, die die Autorin am Schluss gekonnt zu einer stimmigen (wenn auch nicht völlig überraschenden) Auflösung verflicht. Die Einblicke in Taten und Gedankengänge des Täters sind in kursiver Schrift abgesetzt und gut von der tatsächlichen Handlung zu unterscheiden. Ein weiterer Neben-Schauplatz sind die Gedanken und Erfahrungen einer an MS erkrankten Frau. Außerdem bekommt der Leser neue Puzzleteile zu Richards Vergangenheit, denn natürlich ist auch in diesem Band die Suche nach dem Mörder seiner Mutter wieder ein Thema.
Die Autorin greift in diesem Buch sehr viele sehr schwierige Themen auf. Da ist der Heiler Santianos, der schwerkranken Menschen unseriöse Heilsversprechen gibt, eine Pharmafirma, die nur einen vermeintlichen Durchbruch in der MS-Therapie erzielte und Tierschützer machen Richard und Sarah das Leben schwer, da sie gegen Wildtiere in Zirkussen demonstrieren. Ganz nebenbei vermittelt Jennifer B. Wind ein bisschen Hintergrundwissen über Multiple Sklerose, vor allem im Nachwort geht sie auf die verschiedenen Ausprägungen der Krankheit und die unterschiedlichen Therapie-Ansätze ein.
Eine wilde und spannende Mischung aus verschiedenen Themen, unterschiedliche Charaktere mit den verschiedensten Eigenheiten und Eigenschaften, ein bisschen Liebe und Privates, toxisch-narzisstische Partnerschaft, ein bisschen Esoterik und Pseudomedizin samt unethischer Hoffnungsmache für unheilbar erkrankte Menschen und ebenso unethischen wie illegalen medizinischen Experimenten – alles in allem ein einfach nur sehr spannender, flott geschriebener Krimi, den ich in einem durchgelesen habe. Thriller ist es beileibe keiner, aber ein handwerklich hervorragender und gut geschriebener Krimi. Sprachlich ist das Buch fast noch besser als der erste Band, viele Dialoge, alltagsnahe, zum Teil auch flapsige Sprache und klare Beschreibungen zeichnen den Stil der Autorin aus.
Ich fand ja den ersten Teil schon sehr gut, den zweiten fast noch ein Quäntchen besser. Also eine absolute Lese-Empfehlung und 5 Punkte von mir. Und nun heißt es Warten auf Teil 3.

Bewertung vom 03.04.2020
Ferien für alle Felle / Für alle Felle Bd.2
Rosoff, Meg

Ferien für alle Felle / Für alle Felle Bd.2


sehr gut

Nach „Glück für alle Felle“ ist „Ferien für alle Felle“ von Meg Rosoff der zweite Band um die fünfköpfige Familie Peachey. Nein, Entschuldigung. Ich habe Mr. Tavish vergessen. Mit dem Hund, den die Familie in „Glück für alle Fälle“ adoptiert hat, sind die Peacheys zu sechst.
„Manchmal frage ich mich wirklich …“, sagte Betty.
„Was fragst du dich?“, fragte Papa Peachey.
„Manchmal frage ich mich, ob Mister Tavish uns gehört oder ob wir ihm gehören.“
Und damit hat Betty absolut recht. Auch wenn ihr Vater überzeugt ist, dass der Hund dem Menschen in jeglicher Hinsicht unterlegen sei. Denn tatsächlich ist Mr. Tavish der heimliche Chef in der Familie. Auch im gemeinsamen Campingurlaub, um den es sich in diesem Band dreht.
In Mr. Tavish habe ich mich schon auf der ersten Seite verliebt. Der Rest der Familie ist sympathisch beschrieben, jeder hat seine Eigenheiten. Die Kinder könnten unterschiedlicher nicht sein – von der philosophie-affinen Ava über Ollie, der eine Freundin sucht, bis hin zu Betty, der der Familienfrieden und vor allem Mr. Tavish am Herzen liegt. Die Mutter spielt eine eher kleine Rolle, ist manchmal aber auch die „Stimme der Vernunft“ und der realistische Gegenpol zu Vater Peachey. Dieser konnte bei mir überhaupt nicht punkten. Seine Paranoia und die Weltuntergangsstimmung, die er verbreitet, fand ich anfangs zwar ziemlich lustig, dann aber völlig abstrus und nicht unbedingt kindgerecht. Einerseits ist er ganz witzig aber andererseits nährt er kindliche Ängste wie beispielsweise die vor Haien oder Bären. Die Panik, die er verbreitet, könnte man mit viel gutem Willen als liebenswerten Tick auffassen, mir ging er aber einfach nur auf die Nerven.
Die Geschichte ist sehr alltagsnah, die Erfahrungen der Familie haben vermutlich die meisten der Erwachsenen schon gemacht. Da können viele Eltern den Kindern beim Vorlesen oder gemeinsamen Lesen sicher noch etwas nebenher und über die Geschichte hinaus erzählen. Das Buch ist einfach geschrieben und für fortgeschrittene Leser leicht zu lesen, eignet sich aber auch hervorragend als Vorlesebuch. Die Bilder sind schlicht aber ausdrucksstark. Und im Anschluss an die Geschichte gibt es eine Art Glossar mit hilfreichen Tipps für Urlaub in freier Natur. Für die niedliche Geschichte, die in der Hauptsache liebenswerten Charaktere und die zahlreichen guten Tipps am Schluss von mir 4 Punkte.

Bewertung vom 03.04.2020
Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1


weniger gut

„Sieben Jugendliche waren kurz nach Beginn der Sommerferien zelten gewesen. Drei von ihnen waren fünfzehn, zwei sechzehn, einer achtzehn und eine – Aurora – vierzehn Jahre alt gewesen.“
Aurora Jackson hatte eigentlich gar nicht wirklich zur Clique gehört, ausnahmsweise hatte ihre Schwester Topaz sie zu ihrer großen Freude mitgenommen. Am Ende des Campingausflugs war Aurora verschwunden. Und jetzt, 30 Jahre später wird ihre Leiche in unmittelbarer Nähe der Stelle gefunden, an der sie damals verschwunden ist. Und somit gibt es sechs potenzielle Täter oder Zeugen, dazu noch den damals 26jährigen Lehrer Andrew Mackenzie, der zu der Zeit ebenfalls am See gezeltet hat.
So viel zur Geschichte von „Bis ihr sie findet“ von Gytha Lodge, die mit dem zufälligen Fund der Überreste beginnt. Eilig hat es die Polizei bei den Ermittlungen in diesem Cold Case also nicht, aber DCI Jonah Sheens und seine Kollegen legen einen großen Ehrgeiz an den Tag und ermitteln gründlich in alle Richtungen.
Das Buch fing für mich vielversprechend an, hatte aber im Verlauf sehr wenige spannende Stellen. Es plätschert mehr oder weniger vor sich hin und ich habe sehr schnell die Lust am Weiterlesen verloren. Es konnte mich einfach nicht packen. Immer mal wieder flammt Spannung auf, aber so wenig und so im Buch verstreut, dass man nicht mal von einem Spannungsbogen sprechen kann. Ja, das Grundgerüst ist gut. Viele Verdächtige mit zu vielen Geheimnissen, Versäumnisse und Fehler auf Seiten der Polizei, Liebschaften, Drogen, Lügen – eigentlich alles vorhanden. Aber die Umsetzung sagte mir schlicht nicht zu. Aus der Hand legen konnte ich das Buch allerdings auch nicht, denn trotz der langatmigen Beschreibungen und vielen Wiederholungen reizte es mich dann doch, die Auflösung des Falls zu erfahren.
Aber die vielen Verdächtigen, dazu zahllose Namen, auf der Seite der Polizei viele (abgekürzte) Dienstgrade machten alles für mich ein bisschen verworren und unübersichtlich. Die Idee, die Geschichte in zwei Zeit-Ebenen anzulegen ist sehr gut und handwerklich gut umgesetzt. Sprachlich ist das Buch sehr einfach, fast umgangssprachlich geschrieben. Die Sätze folgen dem einfachsten Muster, die Wortwahl ist schlicht und fast frei von Metaphern, alles in allem etwas unrund. Auch sind in der Übersetzung teilweise Fehler und holprig konstruierte Sätze zu finden.
Die Charaktere sind sehr schwach und farblos beschrieben und haben viel zu wenig Tiefe. Selbst diejenigen, die psychologisch interessant hätten sein können, haben den Tiefgang einer Pappfigur. Und so hinterlässt das ganze Buch bei mir den schalen Nachgeschmack der Langeweile. Leider hat die Autorin das Potenzial, das die Geschichte geboten hätte, bei weitem nicht ausgeschöpft. Da wäre wesentlich mehr drin gewesen, dann hätte ich auch gerne mehr als die 2 Punkte für die gute Idee vergeben.

Bewertung vom 03.04.2020
Die Maske der Gewalt
Wind, Jennifer B.

Die Maske der Gewalt


ausgezeichnet

„Die Maske der Gewalt“ von Jennifer B. Wind ist kein Drama in drei Akten (es ist zusätzlich zu den Kapiteln auch in drei Akte gegliedert) sondern ein enorm spannender Thriller mit mehreren Handlungsebenen und äußerst ungewöhnlichen Hauptcharakteren. Viel kann man zu der Geschichte gar nicht sagen ohne zu spoilern. Deshalb nur ganz knapp: in Wien tötet jemand auf brutalste Weise Frauen, in München wird eine junge Mutter entführt und mittendrin ist Richard, einer der vermutlich ausgefallensten Ermittler von dem ich je gelesen habe. Er ist nicht nur Polizist, sondern unter dem Künstlernamen „Mr. Domino“ Zirkusartist. In Wien gehören die Ermittlungen zu seinen beruflichen Aufgaben, in München ist er persönlich betroffen: die entführte junge Frau ist so etwas wie seine Schwester.

Die beiden Haupt-Handlungsstränge haben mich von der ersten Seite an gefesselt. Dazwischen bekommt der Leser immer wieder Einblicke aus Sicht des Täters und auf das Leben des Ermittlers Richard Schwarz. In seinem Leben spielen Masken eine wichtige Rolle, denn er versteckt auf der Bühne die Narben dahinter, die er als kleiner Junge nach einer schweren Verbrühung zurückbehalten hat. Aber auch unsichtbare Masken sind ein Teil des Buchs. Viele der Charaktere tragen Geheimnisse mit sich herum, verstecken ihre „Leichen im Keller“ hinter einem Pokerface.

Handwerklich ist der Thriller solide geschrieben, so gut wie jedes einzelne Kapitel endet mit einem Cliffhanger. Und die Fälle finden zwar am Schluss ihre Aufklärung – aber die Autorin schließt auch das Buch mit einem Cliffhanger und man kann nahtlos „Die Maske der Schuld“ weiterlesen, die inzwischen erschienen ist. Sprachlich ist das Buch sehr einfach und doch sehr ausdrucksstark und flott geschrieben. Die Charaktere sind deutlich gezeichnet, wobei Richard Schwarz ganz eindeutig die Hauptperson ist, kein anderer Charakter bekommt so viel Aufmerksamkeit wie er.

Der Krimi ist rasant geschrieben, bis zum Schluss spannend und psychologisch interessant. Ein paar holprige Formulierungen (Paul trinkt zum Mittagessen den „Chemiekoffeinzuckerschocker in der Zero-Version“ oder „Dann setzte er sich auf einen abgeschnittenen Baumstumpf“ – Stümpfe sind immer abgeschnitten!) konnten meine Lesefreude nicht trüben. Vielleicht ist es insgesamt ein bisschen zu österreichisch im Satzbau (in Dialogen steht meistens vor Namen noch ein Artikel wie „Ich rufe den Gerhard an“ – das ist in meinem Sprachgebrauch unüblich) – das hat aber auch durchaus Charme.

Inhaltlich hat sich die Autorin mit der Verknüpfung der beiden Haupt-Handlungen und den vielen Verweisen auf Richards Geschichte viel vorgenommen, manchmal scheint sie sich ein bisschen zu verzetteln aber insgesamt hat sie es bravourös geschafft, dass nichts wirklich zu kurz kommt. Dazu kommen nämlich auch noch Themen wie (häusliche) Gewalt, Mord, Trauma, Rache, Drogen, persönliche Krisen und natürlich die selbsternannte Bürgerwehr in Wien samt Rassismus, Homophobie und allgemeiner Intoleranz. Zwar legt sie ihren Schwerpunkt nach einer Weile auf die Vorgänge in München rund um den Zirkus und die entführte „Schwester“ von Richard und die Morde in Wien verkommen zum Nebenschauplatz, aber ich kann nicht behaupten, dass ich an dem Buch irgendetwas vermisst hätte. Das Buch macht auf jeden Fall Lust auf mehr. Ich freue mich, dass es der erste Teil einer Trilogie ist und vergebe 5 Sterne.

Bewertung vom 26.03.2020
Aschegrab
Krefting, W. J.

Aschegrab


ausgezeichnet

Das Buch „Aschegrab“ von W. J. Krefting ist schon der dritte Band um die Polizistin Rachel Buchanan, die seit einem dreiviertel Jahr als „Austauschpolizistin“ aus Großbritannien im Australischen Hopetoun Dienst tut. Denn dort wird die 10jährige Olivia vermisst. Sie wurde vor den Augen ihres Freundes Ben von einem maskierten Mann entführt. Aber das ist nicht alles. Vor 20 Jahren verschwand dort schon einmal ein Mädchen spurlos, der Fall wurde nie aufgeklärt. Rachel erkennt schnell deutliche Parallelen der beiden Fälle und die Zeit rennt ihr davon.
Rasant geschrieben ist auch der Thriller, er nimmt den Leser mit auf eine Achterbahnfahrt aus Spannung und Gefühlen. Ein bisschen Fahrt verliert die Geschichte durch die Wechsel zwischen den beiden Handlungssträngen, dem „Jetzt“ (2015) und dem, was 1996 passiert ist, manchmal eine willkommene Verschnaufpause bei so viel Tempo in der Handlung.
Zwar kenne ich die beiden ersten („Aschekinder“ und „Aschemädchen“) nicht, was aber für das Verständnis kein Problem war, mich hatte das Buch auf jeden Fall von der ersten Seite an gepackt. Denn irgendwie hat fast jede der Personen buchstäblich eine Leiche im Keller und einige werden von der eigenen Vergangenheit gewaltig eingeholt.
Mögliche Verdächtige präsentiert der Autor im Lauf der Geschichte einige. In der Hauptsache sind es Joe, den seltsamen Bootsverleiher und Margaret, die schrullige alte Frau mit den wirren religiösen Ansichten. Aber auch der Polizeichef macht sich durch mangelnde Ermittlungen und fehlenden Einsatz sehr verdächtig. Und dann ist da noch eine ominöse Psychologin. Und die Väter von Olivia und Ben scheinen ebenfalls ein gemeinsames Geheimnis zu hüten. Und so verflechten sich 1996 und 2015, jetzt und damals, Oper und Täter miteinander und bilden einen lesenswert gestrickten soliden Krimi mit handfestem (für mich zwar nicht ganz überraschendem) und plausiblem Schluss.
Eine rasante und spannende Geschichte über Lügen, Wahrheiten, Schweigen, Faulheit und Ermittlungsfleiß. Hochspannend und für Krimifreunde mit Spaß an Geschichten mit mehreren Zeitebenen absolut lesenswert. Die Sprache ist mir ein bisschen zu „Denglisch“, ein „Hi, Mates“ mag ich in einer deutschen Übersetzung oder einem auf Deutsch verfassten Buch nicht so gern. Aber sonst für die flüssige und alltagsnahe Sprache, die durchaus bildhaft ist und die Atmosphäre hervorragend einfängt beide Daumen hoch. Die bedrückende Stimmung dieses soliden und handwerklich gut geschriebenen Krimis packte mich von der ersten Seite an. Und eines ist ganz klar: bei einem Gewaltverbrechen gibt es nicht nur ein Opfer, sondern sehr viele, oft auch noch viele Jahre später. Und die Vergangenheit ist nicht vorbei, sie holt einen gerne mal Jahre später wieder ein. Von mir 5 Punkte.

Bewertung vom 26.03.2020
Die Welt im Einmachglas
Schersch, Ursula

Die Welt im Einmachglas


ausgezeichnet

Die Welt im Einmachglas – Die Welt der Haltbarmachung

Da meine Fertigkeiten bezüglich Haltbarmachen von Lebensmitteln nicht über Kochen von Fruchtaufstrichen und Einfrieren von allem Möglichen hinausgeht, habe ich mich sehr auf das Buch „Die Welt im Einmachglas“ von Ursula Schersch gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht. Das Buch ist mit rund 100 Rezepten und zahllosen Tipps und Anleitungen enorm umfangreich, gut und sachlich korrekt erklärt, ansprechend bebildert und enthält jede Menge Rezepte aus aller Welt. Und nicht nur die verschiedenen Methoden der Haltbarmachung finden ihren Platz in diesem Buch (von Einmachen, Einlegen bis hin zu Fermentieren und Backen ist alles dabei), die unterschiedlichen Zutaten sind überwiegend heimisch oder sehr leicht zu bekommen. Auf wirkliche „Exoten“ verzichtet die Autorin weitestgehend.
Und so ganz nebenbei erfüllt die Autorin noch ihren Bildungsauftrag: wie kann man Zucker in Marmeladen reduzieren, was ist Fermentieren überhaupt und natürlich: was sind die verschiedenen Methoden der Haltbarmachung und wie funktionieren sie? Was braucht man dafür? Was in diesem Zusammenhang an dem Buch sehr erfreulich ist, ist die Tatsache, dass die Autorin für ihre Rezepte auf ganz normale Haushaltsgeräte wie Backofen, Herd und Mixer zurückgreift, viele der Rezepte kannte ich vorher schon aus dem Kontext völlig überteuerter High-Tech-Küchen-Geräte. Aber, wie die Autorin so schön schreibt: „Um Obst und Gemüse haltbar zu machen, bedarf es weder spezieller Geräte noch besonderem Equipment. Die meisten Rezepte lassen sich mit im Haushalt üblichen Küchenhelfern machen.“
Mehr ist über das Buch eigentlich gar nicht zu sagen, denn ich denke, bei den vielen Rezepten ist für jeden Geschmack was dabei. Es gibt Rezepte für Süßes, Pikantes (wie Ketchup oder Pickles) und auch für Getränke wie Kombucha oder Ginger Beer. Süß, pikant, Obst, Gemüse, Kräuter (die Autorin zeigt auch, wie man Gewürzmischungen und sogar Brühpulver selbst herstellt) – da findet sicher jeder etwas Passendes. Und auch Rezepte zur Verwendung der hergestellten Komponenten/haltbargemachten Lebensmittel fährt die Autorin auf. Tolle Ideen, die bei entsprechendem selbst eingemachtem Vorrat durchaus alltagstauglich sind.
Ein umfangreiches Kapitel widmet sie auch dem Sauerteig, von der Herstellung bis hin zu zahlreichen abwechslungsreichen Rezepten für Brot, Brötchen und Kleingebäck. Und auch Rezepte, die zwar nur eine sehr begrenzte Haltbarkeit haben, aber dennoch zu einem nachhaltigen Lebensstil passen, finden in dem Buch ihren Platz. Das sind beispielsweise Rezepte mit Milch und Eiern. Und ja, auch Joghurt und der Frischkäse-ähnliche Labneh kann man durchaus selbst herstellen.
Das Buch ist auf jeden Fall für alle ein Muss, die eventuell nicht wissen, was sie mit der Ernte aus dem eigenen Garten anfangen sollen, ihre eigenen „Konserven“ herstellen wollen und nicht auf Industrie- oder TK-Ware zurückgreifen möchten. Einziger Kritikpunkt von mir ist das fehlende Inhaltsverzeichnis. Aber sonst von mir klare 5 Punkte.

Bewertung vom 24.03.2020
Sein Reich
Schäuble, Martin

Sein Reich


ausgezeichnet

Sie sind mitten unter uns – eine Geschichte über Prepper und Reichsbürger

Juri ist 15 und hat in den Sommerferien nichts vor und kein Geld zum Verreisen. Also fährt er zu seinem Vater, den er jahrelang nicht gesehen hat in den Schwarzwald. Und damit fährt er nicht nur zu jemandem, den er kaum kennt, er findet sich plötzlich unter Menschen wieder, die eine völlig andere Gesinnung und Einstellung haben, als er. Sein Vater und dessen Freunde sind sogenannte Reichsbürger, eine Gruppierung von Menschen, die die Bundesrepublik Deutschland als unrechtmäßig ablehnen, als „Firma“ bezeichnen und sich selbst als Zugehörige zum Deutschen Reich sehen.
„Alles geht den Bach runter“, sagt Papa. Er setzt sich auf die Kante des Tisches. „Jederzeit kann der Krieg ausbrechen. Gut, wenn du auch vorbereitet bist“ – dieser Satz ist ebenso bezeichnend für die Geisteshaltung der Reichsbürger wie „Keine Behörde kann uns etwas vorschreiben, die haben alle keine Berechtigung. Die BRD ist eine Firma. Mehr nicht“. Soviel Ewiggestrigkeit ist in einem Jugendbuch ganz schön harter Tobak, dazu das Cover in rot-schwarz, die Flagge des Deutschen Reichs war schwarz-weiß-rot.
Dieses Buch ist fiktiv, aber keine Fiktion. Denn diese Gruppierungen gibt es und sie sind mitten unter uns. Sie haben keine Personalausweise, da sie sich nicht als „Personal“ der Firma BRD sehen, selbst die Nummernschilder auf ihren Autos und Nutzfahrzeugen sind noch aus der Zeit des Deutschen Reichs. Da wird in Wald und Flüssen gewildert, Gesetze gelten nur die eigenen, die des Staates werden in jeder Form abgelehnt. Dazu stehen auch „Heiler“ höher im Kurs als Ärzte. Und wilde Verschwörungstheorien über Chemtrails, die gefälschte Mondlandung und Leugnung von Holocaust und 9/11. Und natürlich ist für Karl, den Freund von Juris Vater, die Erde hohl.
Im Buch wie im wahren Leben sind die Verfechter dieser Gesinnung völlig überzeugt von ihren Wahr- und Weisheiten, sie sind gewaltbereit und skrupellos und alle, die anderer Meinung sind, sind rot-grün versiffte Zecken und „Linksparasiten“.
Die Charaktere sind sehr klar gezeichnet. Juri in seiner pubertär-kindlichen Naivität im Kontrast zu den abgeklärten Jugendlichen aus den Reihen der Reichsbürger, die Erwachsenen in voller Skrupellosigkeit und Verblendung. Insgesamt greift der Autor jedes Klischee auf und lässt nichts aus, was man landläufig über diese Gruppierungen zu kennen glaubt. Obwohl – Echsenmenschen oder Reptiloide und Kopfbedeckungen aus Alufolie erwähnt er tatsächlich nicht.
Ein ganz tolles Buch über ein brandaktuelles und schwieriges Thema. Sprachlich ist das Buch sehr jugendlich und lebensnah, manchmal etwas abgehackt, manchmal Slang aber alles in allem flüssig zu lesen. Die Stimmung wechselt immer wieder zwischen so etwas wie „heile Welt“ und „kurz vor Bürgerkrieg“ – bildhaft beschrieben, düster und bedrückend. Von mir klare 5 Punkte und eine absolute und uneingeschränkte Lese-Empfehlung.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.03.2020
Der junge Doktorand
Bremer, Jan Peter

Der junge Doktorand


weniger gut

Der junge Doktorand ist ein Buch, das mich gelinde gesagt, ziemlich verloren zurück ließ. Zwar fand ich es sprachlich nicht schlecht, nein, es war flüssig und teilweise sogar nett zu lesen und da es keine Kapitelunterteilung hat, kann man es in einem Rutsch durchlesen. Aber im Großen und Ganzen weiß ich nicht, was mir der Autor Jan Peter Bremer mit dem Werk inhaltlich sagen will.
Es ist eine Geschichte voller Missverständnisse, Gehässigkeiten, erkalteter Liebe, falschem Schein, Lügen und aktuellen Themen wie der Flüchtlingskrise. Mittendrin Florian, gemeinhin „der Doktorand“ genannt und das Ehepaar Günter und Natascha Greilach. Irgendwie hat der Autor bei Kafka gewildert (die Geschichte ist kurz und besteht zu großen Teilen aus Dialogen und inneren Monologen), manchmal war die Atmosphäre aber auch so bissig und biestig, dass ich mich wie bei Edgar Allan Poe fühlte und darauf wartete, dass jemand wie im Verräterischen Herz zerlegt unter den Dielenbrettern verschwindet.
Das in die Jahre gekommene Ehepaar hat lange auf den Doktoranden gewartet, seinen Besuch herbeigesehnt und er hatte ihn mehrfach abgesagt und verschoben. Aber jetzt, wo er da ist, wissen sie nicht so richtig, was sie mit ihm anfangen sollen. Sie überfahren ihn mit geballten Informationen zu Dingen und Menschen über die er vermutlich gar nichts wissen will, erhoffen sie sich doch, dass er die ins Stocken geratene Karriere von Günter mit seiner Doktorarbeit wieder ankurbeln kann.
Mehr kann ich über die Geschichte gar nicht sagen, ohne zu spoilern. Allerdings kommt mir der arme Doktorand zum Teil so fehl am Platz und so verloren vor, dass ich fast damit gerechnet hätte, dass er irgendwann sagt, er sei nur der Mann vom Elektrizitätswerk und wolle eigentlich den Stromzähler ablesen.
Sympathisch ist mir das Ehepaar Greilach nicht. Sie sind undurchschaubar, verlogen und verkrampft. Ihr Verhalten einander gegenüber ist in der Hauptsache schroff und kalt, von Liebe und Zuneigung ist in dieser Ehe nichts mehr zu spüren. Die Außenwirkung und wie sie im Dorf wahrgenommen werden ist beiden wichtig, dafür wird auch gerne mal gelogen. Florian, der Doktorand ist mir da schon sympathischer. Er ist zurückhaltend und scheint gutmütig und großherzig zu sein. Er ist als Freiwilliger im Flüchtlingscafé tätig und gibt Deutschunterricht. Und er lässt sich geduldig von den Greilachs in Beschlag nehmen und hört ihnen bereitwillig zu.
Das Buch ist kurz und bündig. Stilistisch am ehesten eine Novelle, es hat weder einen wirklichen Anfang aber einen offenen Schluss. So siedle ich es irgendwo zwischen Kafka und Sartre an, denn auch in diesem Buch sind die Hölle eindeutig die anderen. Oder auch der eine dem anderen der Wolf („homo homini lupus est“). Irgendwie war das Buch für mich von Anfang an wie ein Unfall. Eigentlich wollte ich es beiseitelegen und vergessen, aber es reizte mich dann doch zu sehr zu erfahren, wie es denn ausgeht. Von mir daher wegen des geringen (aber vorhandenen) Unterhaltungswerts und der Spannungskurve 2 Punkte.

Bewertung vom 18.03.2020
Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar
Lehberger, Reiner

Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar


sehr gut

„Die Schmidts. Ein Jahrhundertpaar“ von Reiner Lehberger ist eine Mischung aus Doppelbiographie zweier Menschen und der Biografie einer langen Ehe. Der Autor kannte Helmut und Loki Schmidt persönlich, hat schon früher über Loki Schmidt geschrieben. Jetzt hat er aus den Einzelbiografien der beiden eine gemeinsame Biografie ihrer Ehe zusammengebastelt und damit ein äußerst lesenswertes Buch geschaffen, das nicht nur ihr Zusammenleben, sondern auch ein großes Stück Zeitgeschichte einfängt.
Er zeichnet nicht nur das Bild eines Ehepaares als Einheit sondern das Bild eines Paares, wo jeder auch noch seine individuellen Interessen und Aufgaben hat und dazu beiträgt, dass aus zwei Menschen Eins werden. Die beiden waren keine Sandkasten- aber so etwas wie eine Schulhofliebe. Sie hatten sich schon in der 1. Klasse des Gymnasiums kennengelernt. Danach folgte eine zu neudeutsch „On-Off-Beziehung“, beide hatten andere Partner, verloren sich aber nie aus den Augen, bis sie mitten im 2. Weltkrieg 1942 ihre Heirat beschlossen. Sie waren fast 70 Jahre verheiratet, hatten sich über 80 Jahre lang gekannt. Mit ihrer gemeinsamen Schulzeit, die zum Teil in der Nazizeit stattfand und ihrem eigenen Umgang mit BDM, HJ und NSDAP gingen die beiden später offen und höchst kritisch um.
Ihr erstes Kind Helmut Walter verloren sie mit nicht einmal einem halben Jahr, Tochter Susanne und sechs Fehlgeburten folgten. Loki Schmidt war eine starke, selbstbewusste und emanzipierte Frau, die schon früh wusste, was sie wollte und trotz aller Emanzipation und Selbstverwirklichung ihrem Mann zur Seite stand, ihm den Rücken frei hielt und ihn zu dem werden ließ, als der er in die Geschichte einging.
Natürlich ist Helmut Schmidt als Politiker und ehemaliger Bundeskanzler, notorischer Überall-Raucher und geradliniger, oft auch taktloser Redner im Gedächtnis geblieben. Ich bin Jahrgang 1977 und habe ihn als Bundeskanzler nicht bewusst erlebt. Aber er war ein Staatsmann in einer Zeit, in der Wissen, Engagement und Statesmanship zählten – und nicht Lobby und Berater. Aber an seiner Seite war eine hochintelligente, gebildete und vielseitige Frau, die nicht hinter, sondern neben ihm stand. Während seines Studiums nach dem 2. Weltkrieg ernährte sie die Familie mit ihrem Lehrerinnengehalt, sie arbeitete auch als er in die Politik ging noch weiter, bis sie ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Der Werdegang und die Karriere von Helmut Schmidt ist hinlänglich bekannt. Was Loki Schmidt allerdings alles erreicht und welche Initiativen vor allem im Bereich der Botanik sie angestoßen hat, wissen vermutlich viele nicht.
Alles in allem ist mir diese Biografie einer Ehe teilweise zu nüchtern und sachlich geschrieben. Nur manchmal erkennt man als Leser die große Zuneigung der beiden zueinander. Und auch Tochter Susanne bescheinigt beiden Eltern, dass man sich immer 100%ig aufeinander verlassen konnte, „eine innige oder gefühlvolle Familienbeziehung pflegten sie jedoch nicht.“ Und trotz der langen Ehe und inneren Verbundenheit hatte Helmut Schmidt im Laufe der Zeit Affären und Verhältnisse, die seine Frau hinnahm – eine große Geste einer großen Frau, die sich ein Leben ohne ihren Mann irgendwann nicht mehr vorstellen konnte, aber nie nur „die Frau von Helmut Schmidt“, sondern immer ein eigenständiger Mensch war.
Die Ehe besteht aus zwei gegensätzlichen Polen. Sie der Mensch mit Empathie – er der kühle (und oft arrogant wirkende) Staatsmann. Gegensätze ziehen sich an und verbinden sich oft zu einer Einheit. So auch bei den Schmidts. Und auch das Buch ist eine Einheit und eine runde Sache. Von mir wegen der zum Teil zu nüchternen und manchmal auch unübliche Sprache („So nimmt es nicht Wunder“) 4 Punkte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.03.2020
Das Mädchen und der Lord
Moore, Thomas

Das Mädchen und der Lord


ausgezeichnet

„Das Mädchen und der Lord“ von Thomas Moore ist ganz klar eine wunderschöne Geschichte. Zum Teil wörtlich vom Original „Der kleine Lord“ von Frances Hodgson Burnett abgepinselt – aber trotzdem wunderschön.
Die Geschichte ist also alt. Armes amerikanisches Kind hat reichen englischen Verwandten, der die Amerikaner, ganz besonders aber die Mutter des Kindes (und Witwe seines Sohnes) hasst. Unterschied: dieses Mal ist das Kind ein Mädchen, kein Junge. Eine anfängliche Verwechslungsgeschichte, ein bisschen Drama hier, ein bisschen Streit und Krankheit da, dazu Dünkel des Adels und Gutherzigkeit des Pöbels oder Proletariats (also hier: von Noelle und ihrer Mutter), fertig ist der Kitschroman.
Aber so einfach ist das bei diesem Buch nicht. Natürlich ist der Roman sehr plakativ und einfach gestrickt. Und er ist so nah am Original, dass er stellenweise fast als Plagiat durchginge. Und trotzdem ist die Geschichte so voller Herzlichkeit, Wärme und Liebe, dass sie nicht nur schön zu lesen ist, sondern einen auch gerührt und mit einer Träne im Auge zurücklässt. Kindliche Naivität und ein großer Geldbeutel machen die Welt in diesem Buch ein bisschen besser. Und das geht zu Herzen. Also bei mir war es jedenfalls so. Daher für mich für die Geschichte, die nicht nur zu Weihnachten ein wahrer Lesegenuss ist, von ganzem Herzen 5 Punkte.