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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 01.04.2019
Große Freiheit Bd.1
Schamoni, Rocko

Große Freiheit Bd.1


weniger gut

Autor Rocko Schamoni kennt nicht nur den Hamburger Kiez wie seine Westentasche, sondern er war überdies mit dem Protagonisten des vorliegenden Romans nach eigener Aussage befreundet.
Dies mag eine Erklärung dafür sein, dass ihm die Erzählung über Wolfgang "Wolli" Köhler derart misslungen ist. Vielleicht wollte er (unbewusst?) seinem Freund ein Denkmal setzen, eine Art literarischen Nachruf auf die Kiezgröße? Wäre das Buch derart angekündigt worden und nicht als "Entwicklungsroman eines Antihelden" (Klappentext), dann hätte ich weniger erwartet und mehr verziehen. Denn in einem Nachruf schreibt man ja nur Gutes über den Verstorbenen.
So aber muss ich einiges kritisieren. Zuallererst fehlt mir der Tiefgang. Schamoni zeichnet die Akteure fast durchweg als Stereotypen, ich vermisse Gedanken und Gefühle der handelnden Personen. Mit Ausnahme von Wolli erfährt man leider auch so gut wie nichts über das Vorleben seiner Weggefährten auf Sankt Pauli, dabei wäre es doch gerade interessant, wie eine Frau dazu kommt, sich zu prostituieren, wieso jemand sich als Schläger verdingt.
Was Wolli angeht, so scheinen ihm, der es als Lehrling in der väterlichen Schlosserei nicht mehr aushielt, nach ein paar Umwegen u.a. im Bergbau und als Mitreisender im Zirkus, die Jobs auf der Reeperbahn nur so zu zu fliegen. Selbst seine Freundin, die dort anschaffen geht, bettelt förmlich darum, dass er ihr Zuhälter wird.
Schamoni streut reichlich Zeitgeschichte ein: Der Aufstieg der Beatles findet ebenso Erwähnung wie die Hamburger Sturmflut, die Wahl John F. Kennedys zum US-Präsidenten oder die Spiegelaffäre. Allerdings ist das nur schmückendes Beiwerk, zusammenhangloses Namedropping. Eine Bedeutung für die Figuren des Romans sucht man vergeblich.
Sprachlich ist die Geschichte o.k., sie liest sich flüssig, es wird viel Kiez-Jargon verwendet. Ab und an kommt allerdings ein nicht zeitgemäßer Patzer vor, etwa wenn von "Wissenstransfer" die Rede ist; ein Ausdruck, den es in den 1960ern noch nicht gab.
Fazit: Den Roman kann man lesen, muss man aber nicht. Ich hätte es lieber bleiben lassen sollen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.03.2019
Die leuchtenden Tage am Bosporus
Foley, Lucy

Die leuchtenden Tage am Bosporus


ausgezeichnet

Das Buch lässt mich fassungslos zurück.
Autorin Lucy Foley hat es mit diesem Roman geschafft, dass ich verstehen kann, wie es zum Genozid der Armenier durch die Türken kommen konnte. Und dies erschreckt und verunsichert mich zutiefst. Denn für so etwas Ensetzliches wie einen Völkermord möchte ich kein Verständnis aufbringen können, ich will mich einfach nur angewidert abwenden dürfen. Doch das geht nach der Lektüre dieses grandiosen Buches nicht mehr.
Denn die Autorin zeigt auf, wie Propaganda wirkt, wie das Kriegsgeschehen einfache Leute verändert hat. Sie beschreibt, was es mit der Psyche macht, unfassbare Gräueltaten mit ansehen zu müssen, wie das Unvorstellbare allmählich normal scheint, und wie man damit leben muss, schließlich selbst gemordet zu haben.
Doch das Buch ist keineswegs nur schwermütig. Foley ist eine Meisterin der Sprache. Ihr bildgewaltiger, oft poetischer Stil lässt bei der Lektüre das Bild des Stambul von vor 100 Jahren entstehen. Man sieht beim Lesen die schlanken Minarette förmlich vor sich, meint die exotischen Speisen schmecken und die würzigen Gerüche des Bazars wahrnehmen zu können.
Die sehr kurzen Kapitel sind aus Sicht der verschiedenen Protagonisten geschrieben, was der Story sehr viel Schwung verleiht.
Fazit: Ein großartiger, zutiefst bewegender Roman, der mir den Orient näher gebracht hat.

Bewertung vom 25.03.2019
Land im Sturm
Schiewe, Ulf

Land im Sturm


sehr gut

Tausend Jahre deutscher Geschichte in einem einzigen Roman - fürwahr keine leichte Aufgabe, der sich Autor Ulf Schiewe hier gestellt hat. Aber er hat sie in meinen Augen hervorragend gemeistert.
Mit knapp 1.000 Seiten ist das Buch auch für den Leser durchaus eine Herausforderung, doch keine Sorge, die Story ist ein regelrechter Pageturner.
Schiewe schreibt sehr fesselnd, die zahlreichen Protagonisten sind gut herausgearbeitet und handeln glaubwürdig, man fühlt mit ihnen, die charakterlichen Entwicklungen sind nachvollziehbar.
Der Roman ist eine gelungene Melange aus Unterhaltung und Bildung, so wird Geschichte erfahrbar und macht Spaß! Selbst längere Kampfhandlungen vermag Schiewe so anschaulich zu schildern, dass ich zum ersten Mal denke, sie verstanden zu haben.
Das Buch gliedert sich in fünf Teile, die jeweils bedeutende historische Epochen Deutschlands behandeln, von den Einfällen der Ungarn nach Deutschland ab dem Jahr 955 bis hin zur Revolution 1848. Dem Abschnitt geht eine kurze Einführung in die Epoche voran. Wie ein roter Faden zieht sich die Geschichte eines ungarischen Säbels durch das ganze Buch, das ansonsten wechselnde Familien ins Zentrum stellt.
Ein paar kleine Kritikpunkte möchte ich noch anmerken: Zwischen dem Geschehen des zweiten und dritten Abschnitts liegen rund 500 Jahre, daher finde ich den Klappentext nicht ganz richtig, der "tausend Jahre deutscher Geschichte in einem Roman" verspricht.
Viele der Protagonisten in den verschiedenen Epochen haben gleiche Namen, dies soll vermutlich den Fortgang der Geschichte verdeutlichen, auch zeigen, wie sich Namen verbreitet haben. Mich hat es leider immer wieder verwirrt, hier wäre ein Personenregister für die einzelnen Abschnitte hilfreich gewesen. Ebenso habe ich eine Zeittafel und eine geografische Karte vermisst.
Davon abgesehen ist "Land im Sturm" ein großartiger, exzellent geschriebener Historienroman, der absolut lesenswert ist!

Bewertung vom 25.03.2019
Das große Buch der Vergleiche
Gifford, Clive

Das große Buch der Vergleiche


ausgezeichnet

Dieses Buch hat mich rundum begeistert, so muss ein Sachbuch für Kinder sein: kreativ, witzig, mit vielen bunten Bildern und einprägsamen Fakten.
Es ist ein neuer, spannender Blick auf unseren Planeten, zu dem uns die Autoren hier einladen: Sie nehmen uns mit in die höchsten Höhen und zu den tiefsten Tiefen, wir lernen tierische Kraftpakete und extreme Wetterphänomene kennen.
Die Themen sind breit gefächert, das besondere ist, dass die Zahlen anhand von ungewöhnlichen Vergleichen veranschaulicht werden. Und dadurch, dass diese Vergleiche aus der Erfahrungswelt von 8 - 12jährigen stammen, können Kinder (aber auch Erwachsene) sich die Fakten viel besser merken als nur anhand nackter Zahlen. Ein Beispiel: Der Blauwal ist mit 30 m Länge das größte Säugetier, nun gut. Richtig beeindruckend wird es, wenn man weiß, dass allein seine Zunge mit über 2 t so viel wiegt, wie zwei Drittel eines Elefanten, und dass die Zunge so groß ist, dass auf ihr Platz für zwei Fußballmannschaften samt Ersatzspielern und Schiedsrichtern ist!
Besonders gut gefallen hat mir, dass das Buch sehr divers gestaltet ist und nicht die hergebrachten Geschlechterrollen bedient. Die gezeichneten Menschen zeigen nicht nur "Weiße", sondern Menschen aller Hautfarben. Und wenn es um sportliche Rekorde geht, dann werden oft die Weltrekorde der Frauen angeführt statt wie üblicherweise die der männlichen Sportler.
Zum Schluss gibt es einen kleinen wissenschaftlichen Exkurs, in dem erklärt wird, auf welche unterschiedlichen Arten der Mittelwert bestimmt werden kann.
Alles in allem ein hervorragend gestaltetes Sachbuch mit viel Liebe zum Detail. Es bietet Kindern wie auch Erwachsenen überraschende Einblicke in unsere wunderbare Welt, wir werden immer wieder gern darin blättern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.03.2019
Das schönste Mädchen Havanas
López Rubio, Susana

Das schönste Mädchen Havanas


ausgezeichnet

Dieser Liebesroman hat mich von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt, ich habe die knapp 500 Seiten geradezu verschlungen. Und das, obwohl Lovestories nicht eigentlich zu meinen bevorzugten Genres zählen.
Doch die Spanierin Susana López Rubio, eigentlich Drehbuchautorin, kann einfach wirklich gut schreiben.
Die Geschichte des spanischen Einwanderers Patricio, der sich mit seiner Liebe zu Gloria, der Ehefrau eines kubanischen Mafiosi, gleich ein ganzes Bündel an Schwierigkeiten einhandelt, hat viele Stärken: Die Charaktere sind vielschichtig, der Leser erfährt ihre Ängste und Sorgen, teilt Leidenschaften und Sehnsüchte, Glück und Schmerz. Die Szenerien sind wirklich detailliert beschrieben, man sieht die tropischen Blumen und Palmen vor sich, meint das Krächzen der Papageien hören zu können und hat den Geschmack eines Cuba Libre auf der Zunge.
Sehr interessant ist der literarische Kniff, dass sich die beiden Protagonisten Gloria und Patricio als Ich-Erzähler abwechseln, so fand ich zu beiden gleichermaßen Zugang. Die Handlung hält bis zum Schluss immer wieder große Überraschungen bereit; dafür kann ich sogar ein paar unrealistische Zufälle verzeihen.
Patricios und Glorias Geschichte ist nicht nur ein Liebesroman, sondern skizziert auch die kubanische Gesellschaft der 1950er Jahre, das berühmte Kaufhaus El Encante, in dem Holywood-Größen wie Ava Garner oder Modezar Christian Dior ein und aus gingen.
Das Hardcover ist hochwertig gestaltet, mit griffigem Papier und Lesebändchen, die Schrift ist angenehm groß.
Fazit: Unbedingt lesen, wenn man Mal wieder so richtig in eine ganz andere Welt eintauchen will, das Buch ist jeden Cent wert!

Bewertung vom 20.03.2019
Die Farben des Feuers / Die Kinder der Katastrophe Bd.2
Lemaître, Pierre

Die Farben des Feuers / Die Kinder der Katastrophe Bd.2


ausgezeichnet

Zugegeben, es gibt ein paar Kritikpunkte an diesem französischen Gesellschaftsroman, der in den 1920er und 30er Jahren spielt:
Die Figuren sind teils stark überzeichnet, der Plot wirkt manchmal arg konstruiert und manche Sachverhalte sind widersprüchlich.
Und dennoch sehe ich über diese Mängel großzügig hinweg und vergebe fünf Sterne. Wieso?
Weil mich der Roman von Anfang an gepackt und bis zum Ende nicht losgelassen hat. Weil die Charakterisierung der Personen vielschichtig ist: Auch die Fieslinge zeigen gute Seiten und so manche sympathisch wirkende Figur entwickelt sich unerwartet zum Bösewicht. Weil ich den schwarzen Humor Lemaitres schätze, der noch in den schlimmsten Situationen eine gewisse Skurrilität zu Tage fördert.
Der Roman rund um eine angesehene Bankiersfamilie ist auch ein Sittengemälde der damaligen Zeit. Der Leser bekommt Einblick in Politik, Zeitungswesen und Bankgeschäfte. Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft ist ebenso Thema wie Sexualität in verschiedensten Spielarten, das Erstarken des Naziregimes im benachbarten Deutschland oder Verbrauchertäuschung durch Werbung. Es geht um die Gier nach Macht und Geld, um Aufstieg und Fall und es geht vor allem um Rache.
Man kann die Geschichte als eine gelungene Mischung aus der Fernsehserie "Dallas" und dem Klassiker "Der Graf von Monte Christo" sehen.
Von mir eine unbedingte Leseempfehlung!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.03.2019
Vom Glück zu reisen - Ein Reisehandbuch
Philipp, Laage

Vom Glück zu reisen - Ein Reisehandbuch


sehr gut

Reisen gehört zu meinen liebsten Hobbies, daher sprach mich das vorliegende Handbuch sofort an.
Der Einband des Hardcovers kommt eher unscheinbar daher, der Inhalt ist umso überraschender: Journalist Philipp Laage teilt mit dem Leser seine klugen Betrachtungen zu den unterschiedlichsten Aspekten heutigen Reisens. Neben diesen oft theoretischen Reflexionen, gibt er Einblick in seine persönlichen Erlebnisse, die er in rund 70 Ländern sammeln durfte.
Laage identifiziert Neugier, Anstrengung und Mut als das wichtigste Rüstzeug für gutes Reisen. Er stellt fest, dass eine gute Reise nicht zwingend ein hohes Budget erfordert und macht die Faszination des Reisens zu einem großen Teil an Gegensätzen zum Alltag fest. Ich habe einiges über aktuelle Begleiterscheinungen des Tourismus gelernt, wie Digitale Nomaden, Fakelore oder Overtourism.
Sehr angenehm ist die durchgängige Verwendung von Fußnoten; dies erspart das nervige Hin- und Herblättern zu Anhängen.
Bemängeln muss ich hingegen, dass von den zahlreichen englischsprachigen Zitaten manche nicht übersetzt wurden. Ich selbst habe damit kein Verständnisproblem, dennoch heiße ich es nicht gut, dadurch Leser auszugrenzen, die nicht oder nicht gut genug Englisch sprechen.
Die Gestaltung des Buchs ist sehr schön, das Hardcover fasst sich gut an, das rote Lesebändchen ist ein hübsches praktisches Detail. Das Papier ist sehr griffig, allerdings dadurch auch recht schwer - auf Reisen würde ich das Buch daher nicht mitnehmen. Hervorragend gefallen haben mir die Fotos, die jedem Kapitel vorangestellt sind und durch farbige Verfremdung eines Motivs eine surreale Wirkung hervorrufen. Geografische Karten erleichtern die Orientierung bei den beschriebenen Reiserouten.
Alles in allem wirklich schlaue Gedanken, die helfen, das eigene Reiseverhalten zu überdenken, sehr empfehlenswert für alle, die weiter als bis nach "Balkonien" kommen!

Bewertung vom 15.03.2019
Libertys Lächeln
Kollender, Andreas

Libertys Lächeln


gut

Ich gestehe: Carl Schurz, Protagonist des vorliegenden Romans, war mir bislang kein Begriff. Und dies, obwohl er als Revolutionär der deutschen Märzrevolution 1849 aktiv war und er nach seiner Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika eine beachtliche politische Karriere machte, bis hin zum Innenminister.
Autor Andreas Kollender hat mit "Libertys Lächeln" einen intelligenten, fundiert recherchierten Plot geschaffen, der dem Leser quasi nebenbei zahlreiche historische Fakten rund um das Leben seines Romanhelden liefert, zum Sezessionskrieg, der amerikanischen Innen- und Außenpolitik u.v.m.
Dies ist durchaus interessant, und dennoch bin ich enttäuscht. Denn die Geschichte hätte so viel mehr sein können: Schurz führte ein spannendes, abenteuerliches, faszinierendes Leben. Er ging - wortwörtlich - bei den Präsidenten von Lincoln bis Hayes ein und aus, Schriftsteller Mark Twain zählte zu seinen engen Freunden. Auch Schurzs Ehefrau Margarethe war eine Persönlichkeit mit großem Einfluss, so gründete sie etwa Amerikas ersten Kindergarten.
Viel Stoff also für einen großartigen Roman.
Ein solcher ist es allerdings - in meinen Augen - nicht geworden: Fesseln konnten mich nur einzelne Abschnitte, die Figuren bleiben meist blass, skizzenhaft, der Funke sprang für mich nicht über. Ich empfand über weite Strecken beim Lesen kaum mehr Emotionen als ein entsprechender Lexikon-Eintrag über die jeweilige Person bei mir hervorruft.
Dies liegt vor allem an der Sprache Kollenders. Sie ist sehr einfach, kommt mit wenig Adjektiven und Nebensätzen aus. Vor allem in der direkten Rede gibt es viele Zwei-Wort-Sätze. Das wirkt auf mich abgehackt, zu reduziert und (etwa im Fall von Mark Twain) nicht immer zu den Personen passend.
Sehr gut hingegen gefällt mir die Aufmachung des hochwertigen Hardcovers. Das hochwertige Umschlagpapier fühlt sich edel an, das Layout des Covers ist sehr gelungen, die Schriftgröße des Fließtexts ist angenehm. Ein farblich abgestimmtes Lesebändchen rundet die fabelhafte Gestaltung ab.
Fazit: Ein ungewöhnlicher, anspruchsvoller Historienroman, sprachlich leider nicht mein Fall. Dies ist aber eine sehr persönliche Einschätzung, ich empfehle bei Interesse, sich die Leseprobe anzusehen.

Bewertung vom 11.03.2019
Der Gesang der Bienen
Dorweiler, Ralf H.

Der Gesang der Bienen


ausgezeichnet

So muss ein guter Historienroman sein: ausführliche Recherche, ein extrem spannender Plot, Protagonisten, die verschiedene Facetten aufweisen und keine Stereotype bedienen. Nach dem "Geheimnis des Glasbläsers" ist dies mein zweiter Roman von Ralf H. Dorweiler gewesen, und er entwickelt sich definitiv zu einem meiner Lieblingsschriftsteller in diesem Genre.

Ich wurde durch die Abenteuer des Zeidlers Seyfried hervorragend unterhalten, die Geschichte hat mich dermaßen gefesselt, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen wollte. Überdies, quasi nebenbei, habe ich so einiges gelernt: über den mittelalterlichen Beruf des Zeidlers, über das Leben der Bienen und ihre Bedeutung für den Menschen, über die historische Figur der Hildegard von Bingen und über das Klosterleben zu ihrer Zeit. Wenn nur mein Geschichtsunterricht an der Schule halb so interessant gewesen wäre ...!

Dorweilers Sprache ist lebhaft, anschaulich und der Duktus eine gute Mischung aus Anlehnung ans Altertümliche und doch neuzeitlich verständlicher Ausdrucksweise. Er charakterisiert seine Protagonisten umfassend, es gibt wenig Schwarz-Weiß-Malerei, dafür viele überraschende Wendungen.

Besonderes Lob verdient die für ein Paperback außergewöhnlich liebevolle Gestaltung: Auf den Umschlaginnenseiten finden sich eine historische Karte, die die geschilderten Reisen gut nachvollziehen lässt und ein Rezept aus Hildegard von Bingens Physica. Im Text rahmen kleine Bienchen die Kapitelüberschriften ein, und dem jeweiligen Abschnitt sind passende Zitate mit Bezug zu den fleißigen Insekten vorangestellt. Ein Personenregister im Anhang hilft, den Überblick über die handelnden Akteure nicht zu verlieren.

Ein klitzekleiner Kritikpunkt ist die Häufung glücklicher Umstände gegen Ende der Geschichte. Doch da die Protagonisten im Vorfeld reichlich Schicksalsschläge hinnehmen müssen, sei dies verziehen.

Fazit: Der Roman hat mein Wissen erweitert und mir aufregende Lesestunden beschert, in denen ich völlig in die Geschichte eintauchen konnte. Ralf H. Dorweiler ist ein leidenschaftlicher Schriftsteller, und diese Leidenschaft ist in jedem Absatz spürbar. Klare Leseempfehlung von mir!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.03.2019
Auf dem Wasser treiben
Prammer, Theresa

Auf dem Wasser treiben


ausgezeichnet

So muss gute Gegenwartsliteratur sein: Fesselnd ohne reißerisch zu sein, berührend, ohne rührselig zu wirken, voller direkter Sprache und dennoch mit Raum für Interpretation zwischen den Zeilen.
Theresa Prammer, bislang vor allem Krimifans ein Begriff, hat sich diesmal an einem für sie neuen Genre versucht. Und dies mit Erfolg - "Auf dem Wasser treiben" ist ein äußerst gelungenes Psychogramm einer Familie, die das Schicksal stark gebeutelt hat. Einfühlsam und voller Überraschungen skizziert die Autorin ihre gänzlich verschiedenen Protagonisten, die anfangs vor allem eins gemeinsam haben: dass sie nicht über ihre wahren Gefühle sprechen können.
Sowohl die Rahmenhandlung wie auch die Entwicklung der Charaktere bauen so viel Spannung auf, dass das Buch zu einem wahren Pageturner gerät, den ich kaum aus der Hand legen konnte.
Wer auf der Suche nach anspruchsvoller Literatur ist, wer sich gerne mit den Auswirkungen der Kindheit auf das Erwachsenenleben beschäftigt, dem sei dieses Buch herzlich empfohlen!