Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 538 Bewertungen
Bewertung vom 22.04.2020
Heimgesucht
Edwards, Mark

Heimgesucht


ausgezeichnet

Alle 35 Jahre holt sich die „Rote Witwe“ in einem kleinen walisischen Dorf ein Kind. Zuletzt wohl am Neujahrstag vor zwei Jahren die kleine Lily. In der Annahme, sie sei in den Fluss gefallen, springt ihr Vater hinterher und ertrinkt. Seine Leiche wird geborgen. Von Lily fehlt bis heute jede Spur. Die verwitwete Mutter Julia verwandelt ihr Haus in ein „Schriftsteller-Refugium“, vermietet an Autoren, die einen ruhigen und inspirierenden Platz zum Arbeiten suchen.
Und ausgerechnet Lucas Radcliffe mietet sich dort ein um seine Schreibblockade zu überwinden. Er stammt aus diesem Ort, viele der Einheimischen erinnern sich noch an seine Eltern. Und er verdient sein Geld mit dem Schreiben von Horror-Romanen, sein Bestseller handelt ausgerechnet von verschwundenen Kindern, deren Seelen von einem Monster gefressen werden. Und dann beginnt es zu spuken und der Leser gerät in einen wilden Strudel aus Aberglaube, Mystik, Esoterik und Gewalt aus dem zumindest ich mich erst befreien konnte, als ich das Buch fertiggelesen hatte. Die Spannung, die sich langsam aber konstant von der ersten Seite an aufgebaut hat, steigerte sich zum Schluss hin für mich ins fast Unerträgliche.
Nach „Glücklich sind die Toten“ ist „Heimgesucht“ mein zweites Buch von Mark Edwards und im Vergleich war es das wesentlich bessere Buch. Die Spannung hatte mich von Anfang an gepackt, die düstere, mystische und bedrückende Atmosphäre zieht sich durch die komplette Geschichte und ließ mich immer wieder schaudern, der überraschende Schluss war eine Erleichterung und Erlösung. So angenehm und fast familiär die Stimmung im „Refugium“ auf den ersten Blick auch scheint, fast jeder der dort wohnenden Schriftsteller hat seine eigenen Probleme, hauptsächlich Schaffens- und Ehekrisen. Lucas selbst trauert noch um seine Lebensgefährtin, Max hat Streit mit seiner Frau und so wirklich sympathisch ist mir im Verlauf der Geschichte keiner geworden, auch die eher undurchschaubare Vermieterin Julia nicht.
Sprachlich war das Buch gut zu lesen, der Autor verwendet einfache Wörter in einfachen Sätzen. Was allerdings ein Aga-Herd ist, wusste ich erst, nachdem ich es nachgelesen habe und das Wort „Mäusefalle“ gibt es nicht, es heißt Mausefalle. Und auch ist die Spontanheilung von Lucas gegen Ende (die Art seiner erlittenen Verletzungen erlaubt seine weiteren Handlungen eigentlich nicht) ist eher unrealistisch und da vermisse ich die medizinisch-anatomisch gründliche Recherche. Neben dem Haupt-Handlungsstrang erfährt der Leser noch einiges aus der Sicht von Lily, was auch durch die kursive Schrift vom Rest des Textes abgehoben ist. Die Hauptpersonen sind gut und klar beschrieben, die Nebenakteure bleiben eher blass und zweidimensional. Und leider fehlt für mich auch ein bisschen die Beschreibung der Landschaft, außer der direkten Umgebung des Refugiums und dem Wald wird nichts wirklich deutlich beschrieben, schade bei dem Charme, den die Landschaft von Wales hat.
Aber alles in allem und ungeachtet der (wenigen) Kritikpunkte fand ich das Buch enorm spannend und gruselig. Kein wirklicher Thriller und kein Horror-Grusel-Roman, aber eine gekonnte Mischung aus beidem mit riesigem Gänsehaut-Potenzial. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung für alle, die Mystik, Grusel, kauzige Einheimische mit düsteren Geheimnissen und ein bisschen Psychologie im Hintergrund mögen. 5 Sterne

Bewertung vom 22.04.2020
Der Wundertäter
Strittmatter, Erwin

Der Wundertäter


sehr gut

„Der Wundertäter“ von Erwin Strittmatter ist vermutlich eines der umfangreichsten Werke, die ich je gelesen habe – wenn nicht das umfangreichste überhaupt. Mehr als 1500 Seiten lang begleitet man als Leser Stanislaus Büdner durch sein Leben, aufgeschrieben in drei Teilen. Er wird 1909 in eine ärmliche Familie hineingeboren und sein Vater versucht ihn schon als Kind als „Wundertäter“ zu vermarkten. Später beginnt er seine Lehr- und Wanderjahre als Bäckerlehrling, liebt mal die eine, mal die andere, wechselt häufig die Gesellenstellen und nach dem Krieg verdingt er sich an den verschiedensten Orten in den verschiedensten Berufen und endet in der DDR. Immer wieder flammt sein Wunsch auf, Dichter zu werden, bis er zuletzt seine Erinnerungen zu Papier bringt. Trotz seines angefangenen Fernstudiums ist und bleibt Büdner ein schriftstellerischer Autodidakt, ein autobiografisches Element, denn auch Strittmatter hatte eine Bäcker-Lehre abgeschlossen, aber keine Ausbildung genossen, die ihm als Grundlage für seine Autoren-Tätigkeit diente.
Das Buch ist wohl eines der meistdiskutierten Werke der Literaturgeschichte und sowohl im Umfang als auch in der Sprache keine leichte Lektüre. Die Sprache ist die der Zeit, in der das Buch spielt, aus heutiger Sicht also eher altbacken und überholt, gewöhnungsbedürftig, aber durchaus passend. Der Autor schreibt bildgewaltig und jedes einzelne Wort scheint gut überlegt und keines ist zufällig. Selbst die Namen der unwichtigsten Nebencharaktere haben in sich eine Aussage, passend zu Aussehen, Stellung oder Beruf der Person. Auch die Worte, derer sich Strittmatter bedient, sind grandios. Eine Mischung aus wunderbar und sonderbar, aber immer stimmig.
Spannung gibt es in dem Buch kaum, was aber nicht heißt, dass es langweilig ist. Es ist ein Epos, ein Jahrhundertroman. Voller Zeit- und Gesellschaftskritik, dazu hat es Elemente eines Liebes- und eines Schelmenromans. Eine wilde und bunte Mischung aus literarischen Stilen, passend zu der wilden und bunten Mischung der Personen. Protagonist Stanislaus ist ein interessanter Charakter. Irgendwo zwischen naiv und gerissen, einfältigem Tölpel und gut- und leichtgläubigem Trottel. Natürlich altert er im Lauf der Geschichte (man liest nur ab und zu und im Kontext heraus, dass wieder ein Jahr vergangen ist oder zum Beispiel, dass er inzwischen eine Halbglatze hat), aber wirklich schlauer wird er nicht. Seine immer wieder aufflammende Liebe zu Literatur und Dichtkunst ist ebenso wie seine ständige Verliebtheit in irgendwelche Frauen durch alle drei Teile präsent. Auch Büdners Verhältnis zu Frauen hat einen autobiografischen Touch. Das Buch ist Strittmatters dritter Frau Eva gewidmet (dem, der mehr über Erwin und Eva Strittmatter lesen möchte, dem sei „Du bist mein zweites Ich“ ans Herz gelegt). Das Buch hat einige Längen, bedingt durch die größtenteils minutiösen Beschreibungen und manches kann man getrost querlesen, ohne den roten Faden zu verlieren. Aber alles in allem fand ich es für ein Buch dieses Umfangs gut zu lesen und auch mit dem „ostdeutschen Flair“ hatte ich keine Schwierigkeiten. Ob es ein literarisches Meisterwerk ist, vermag ich nicht zu beurteilen, Strittmatter ist nicht meine Zeit und nicht meine literarische Welt. Ich fühlte mich gut unterhalten, zum ausgiebigen Nachdenken angeregt und manchmal musste ich herzhaft lachen – die Wortwahl und –Wortschöpfungen des Autors sind zum Teil lustig aber auch immer hintergründig.
Fast 30 Jahre hat der Autor an dem Werk gearbeitet, vieles davon ist vermutlich autobiografisch, so hat beispielsweise auch Strittmatter Bäcker gelernt und die Zeiten, über die er schreibt auch selbst erlebt. In den Zeilen und dazwischen ist viel Kritik, viel Augenzwinkern und zum Teil aber auch Verbitterung zu lesen.
Obwohl ich mich manchmal durchkämpfen musste, finde ich das Buch im Rückblich lesenswert und sowohl einzig- als auch eigenartig. Von mir vier Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2020
Das neue Lernen
Beck, Henning

Das neue Lernen


ausgezeichnet

„Viele Wege führen ins Hirn“ – dieser Satz beinhaltet für mich eine der wichtigsten Aussagen in Henning Becks „Das neue Lernen“. Ebenso wie „Alles Wissen fängt damit an, dass man denkt.“ Und die verschiedenen Wege ins Hirn zeigt der Autor in seinem Buch auf. Verständlich geschrieben und anhand von anschaulichen Beispielen erklärt Beck, wie unterschiedlich Lernen und Verstehen funktionieren und dass selbst in der heutigen Zeit beides bei weitem nicht obsolet ist, denn „wer nichts weiß, muss alles googeln“. Er beschreibt, was im Hirn beim Lernen passiert, welche verschiedenen Methoden des Lernens es gibt und wie sie funktionieren, vor allem aber, dass nicht jede Methode für jeden gleich gut geeignet ist.
Er handelt bei seinen Erläuterungen sowohl pädagogische als auch neurowissenschaftliche Aspekte ab und erklärt alles lebensnah und in leicht verständlicher Sprache. Das Buch ist kein Fachbuch und kein unterhaltendes Werk, es ist eine gelungene Mischung aus beidem. Es unterhält mit viel Fachwissen und ist nie langweilig und ich konnte bei vielen Aspekten einfach nur nicken und an meine eigene Schulzeit (damals noch ohne Internet und nur mit einem 12bändigen Brockhaus ausgestattet) zurückdenken.
Das Buch ist keine Anleitung zum Lernen aber ein hervorragender Überblick über verschiedene Methoden des Wissens-Erwerbs. Denn, obwohl jedes Lebewesen in der Lage ist zu lernen, sind nur Menschen in der Lage, zu verstehen und analytisch zu denken. Im Laufe seines Lebens hat vermutlich jeder Mensch die eine oder andere (oder eine Kombination aus mehreren) Lernmethode verwendet – nach Lektüre des Buchs wissen sie auch, wie sie heißen und dass keine davon falsch war. Beim Lernen gibt es kein „eines passt jedem“, jeder muss seinen individuellen Weg finden.
In diesem Zusammenhang geht der Autor auch mit der aktuellen Bildungspolitik und der heute praktizierten Vermittlung von Wissen ins Gericht, da sieht er großen Verbesserungsbedarf, denn essenziell ist nicht die Menge an Informationen (also die Menge an Wissen), die man gespeichert hat, sondern die Fähigkeit, damit umzugehen, sie richtig und folgerichtig abrufen zu können. Denn sonst landet man schnell bei Dingen wie „Bulimie-Lernen“, bei dem so viel wie möglich so schnell wie möglich auswendig gelernt, in der Prüfung abgerufen und dann genauso schnell wieder vergessen wird. „Was schnell kommt, kann auch schnell wieder gehen“.
Vieles, was der Autor ausführt, wusste ich schon, manches war mir neu oder habe ich jetzt erst verstanden – und dadurch gelernt. Unzählige Quellenangaben am Schluss laden zum Weiterlesen und –lernen ein. Das Buch ist gut und logisch strukturiert und jedem ans Herz gelegt, der weiß, dass Wissen das Wichtigste ist, das wir Menschen haben. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2020
Die untalentierte Lügnerin
Schmidt, Eva

Die untalentierte Lügnerin


ausgezeichnet

Schon mit dem Abitur hatte Maren Schwierigkeiten, schaffte es nur auf den zweiten Anlauf. Und ihr Schauspielstudium musste sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik nach einer Überdosis folgte. Und im Anschluss zieht sie wieder bei Mutter Vera und Stiefvater Robert ein, was sie auf keinen Fall jemals wieder tun wollte. Vor allem mit ihrer Mutter hat sie ein Problem und ihre Mutter hat ein Problem mit ihr. Nach Ansicht ihrer Mutter ist sie schon immer an allem schuld. „Der Streit wäre vermutlich gar nicht eskaliert, wenn sich ihre Mutter nicht eingemischt hätte. In ihren Augen war Maren an allem schuld. Sie zerstöre die Familie, hatte Vera gesagt, lege es darauf an, sie, ihre Mutter, für was auch immer zu bestrafen, trete Roberts Großzügigkeit mit Füßen, treibe einen Keil zwischen sie und ihren Mann.“
„Die talentierte Lügnerin“ von Eva Schmidt ist stilistisch am ehesten eine Novelle. Das Buch beschreibt einen kurzen Ausschnitt aus Marens Leben und die in der Hauptsache schwierigen Verhältnisse zu anderen Menschen. Sie kommt mir vor wie ein Schiff ohne Steuermann. Treibt mal hierhin, mal dorthin im Leben. Eigene Wohnung, Job als Aufpasserin in einem Kunstmuseum, Hund, neuer Freundeskreis – Maren gibt sich auf jeden Fall viel Mühe, sich zu emanzipieren. Auch wenn die Grundlage für vieles in ihrem Leben schlichte Lügen sind. Nach und nach baut sie ein Lügenkonstrukt aus wilden Ideen mit wenig Plan auf. Mich als Leser haben die Ereignisse auf jeden Fall tiefer berührt, als Maren selbst, die ihren Alltag wie im Nebel zu erleben scheint und nicht wirklich teilnimmt.
Die Sprache der Autorin ist schlicht und wenig bildhaft. Alles in allem sehr nüchtern und monochrom, wie das Leben der Protagonistin. Eine Mischung aus kurzem und knappem Tagebuch und unmotiviertem Grundschul-Schulaufsatz. „Sie aß einen Teller Suppe, tunkte Brotstücke hinein. Es schmeckte gut. Danach ging sie in ihr Zimmer, legte sich aufs Bett, stand aber gleich wieder auf. Es war kalt. Sie hatte vergessen, das Fenster zu schließen, machte es zu. Am liebsten wäre sie wieder ins Freie gegangen. Doch es regnete. Außerdem war sie müde.“ – Emotionen sucht man in diesem Buch vergeblich, selbst in schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen bleibt die Autorin nüchtern und deskriptiv, nicht wertend. Aber zwischen den Zeilen findet sich ein komplettes zweites Buch. Eines voller Gefühle, Gedanken, Wünsche und Träume. Wenn man hinter den Nebel des Vordergründigen schaut, findet man es. Dann findet man das Buch auch gut – bleibt man in der Zweidimensionalität, findet man es vermutlich langweilig, langatmig und dröge.
Für mich war das Buch teilweise eine verstörende Reise in mein eigenes Leben, daher hat es mich tief berührt. Eine wilde Achterbahnfahrt durch toxisch-dysfunktionale Beziehungen. Die Geschichte liest sich nur im ersten Eindruck leicht weg. Tatsächlich war es eines der wenigen Bücher, die ich nicht querlesen konnte, praktisch jeder Satz hatte einen tieferen Sinn und einen Hintergrund. Von mir 5 Punkte und eine absolute Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 17.04.2020
Mordsfreunde / Oliver von Bodenstein Bd.2
Neuhaus, Nele

Mordsfreunde / Oliver von Bodenstein Bd.2


gut

Ein im Opel-Zoo gefundener toter Tierschützer gibt dem Ermittlerteam Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein Rätsel auf. Viele Motive, zahlreiche Verdächtige und einige falsche Spuren machen die Ermittlungen schwierig. Fast jeder, den die Ermittler als möglichen Verdächtigen im Auge haben, hätte ein Motiv, denn das Opfer war kein einfacher Zeitgenosse.
So viel kann ich zu „Mordsfreunde“ von Nele Neuhaus sagen, ohne irgendwas zu verraten. Das Buch ist der zweite Teil der Reihe um die beiden Beamten des Hofheimer K11 und für mich eines der schwächeren, fast scheint es, als habe die Autorin noch ein wenig geübt. Die folgenden Krimis der Serie finde ich weitaus besser und um einiges spannender. Das bisschen Spannung, das die Autorin in „Mordsfreunde“ schafft, macht sie durch sehr langatmige und langweilige Sequenzen wieder kaputt. In der Hauptsache beschreibt sie bodenständige Polizeiarbeit, sachlich, nüchtern und ohne nennenswerte Höhepunkte. Die vielen Verhöre mit viel zu vielen Verdächtigen, von denen jeder ein Motiv haben könnte, fand ich sehr unübersichtlich und zum Teil verwirrend. Von einer konstanten Spannungskurve kann man hier auf jeden Fall nicht wirklich sprechen.
Die beiden Ermittler werden ausführlich und gut beschrieben. Beide sind sympathisch, wohingegen viele der Verdächtigen direkt auch bis in die Spitzen der fettigen Haare unsympathisch beschrieben werden. Und auch sonst sind die Beschreibungen teilweise ein bisschen sehr platt („Rosalie platzierte ihren kleinen Popo auf der Arbeitsplatte“). Wäre das Buch von einem männlichen Autor, könnte man ihm fast Sexismus vorwerfen. Insgesamt steht aber die Ermittlungsarbeit im Mittelpunkt, aufgelockert mit ein bissen Privatleben und etwas Romantik. Alles in allem ist der Stil der Autorin sehr sachlich und nüchtern, fast journalistisch.
Sprachlich ist das Buch bodenständig, die Autorin benutzt in der Hauptsache Umgangs- und Alltagssprache. Was mir allerdings negativ auffällt ist, dass die Autorin sehr oft von „Bodenstein und Pia“ spricht. Generell benutzt sie bei weiblichen (Haupt-)Charakteren sehr häufig die Vor- bei den männlichen die Nachnamen.
Konzeptionell hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin hätte sich etwas verrannt und verzettelt. Auf jeden Fall hat sie sich mit den vielen Handlungssträngen, zahlreichen Personen und möglichen Motiven sehr viel vorgenommen und es am Schluss nicht 100% zufriedenstellend aufgelöst. Es wirkt auf mich fast, als hätte sie am Schluss selbst den Überblick verloren und wollte das Buch dann schnell abschließen, es fühlte sich an, wie eine ins Rollen gekommene Lawine, die Handlung wurde immer schneller, zum Teil auf Kosten der Logik. So ganz stimmig finde ich den Schluss auf jeden Fall nicht, er ist ebenso verworren wie die ganze Geschichte, konstruiert und reichlich an den Haaren herbeigezogen.
Mein Fazit daher: verworrener Krimi mit guten Elementen, basierend auf guten Ideen aber nicht 100% gut umgesetzt. Zu viele chaotische Handlungsstränge, zum Teil sehr plakativ und klischeebehaftet – gut zu lesen zwar, durchaus stellenweise unterhaltsam, aber bei weitem nicht der beste Taunuskrimi. 3 Punkte.

Bewertung vom 09.04.2020
Der Krieg in mir - Das Buch zum Film
Heinzel, Sebastian

Der Krieg in mir - Das Buch zum Film


schlecht

„Anscheinend sind traumatisierte Mäuse wirklich bereit, ein höheres Risiko einzugehen. Ich frage mich, ob dieses Verhaltensmuster auch auf mich zutrifft. […] Bin ich aufgrund der Kriegserlebnisse meiner Großväter bereit, ein höheres Risiko einzugehen, oder ist das völlig aus der Luft gegriffen?“ Dieser Gedankengang ist eine der Grundlagen von „Der Krieg in mir“, dem Buch und Film von Sebastian Heinzel. Seit er Mitte 20 ist, träumt er von Kriegsszenen. Und, anders als vermutlich die meisten Menschen, ist er schnell davon überzeugt, er habe die Erlebnisse seiner Großväter „geerbt“. In Zürich trifft er die Epigenetikerin Isabelle Mansuy, die das an Mäusen erforscht: Kann ein Trauma von einer Generation an die andere vererbt werden und wenn ja, wie? Ihre Ergebnisse: „Denn die Folgen eines frühkindlichen oder vererbten Traumas können schwerwiegend sein: Depressionen, bipolare Störungen, Borderline-Verhalten, bis hin zu Suizid. Aufgrund der schädlichen Einflussfaktoren unserer modernen Zivilisation sitzen wir zudem auf einer epigenetischen Zeitbombe, deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit und auf unsere Gesellschaft erst unsere Nachkommen spüren werden. Es ist eine große, aber wichtige Frage: Welches Erbe hinterlassen wir unseren Enkeln?“ – so wären wir und alle nachfolgenden Generationen dazu verdammt, mit allen Traumata der vorherigen zu leben und sie in sich zu tragen und weiterzugeben? Klingt für mich bedrückend und abstrus, aber dennoch wissenschaftlich.
Hätte der Autor an dieser Stelle das Buch beendet, wäre es durchaus lesenswert gewesen. Allerdings folgt auf diesen kurzen wissenschaftlichen Exkurs eine Aneinanderreihung von Gedanken, Gefühlen und unwissenschaftlichen Erkenntnissen. Er begann von Kriegsszenen zu träumen, als er schon mitten im Leben stand. Er kannte die Geschichte seines Großvaters mütterlicherseits, hatte vermutlich Filme zum Thema gesehen, Bücher gelesen und nicht zuletzt Geschichtsunterricht in der Schule besucht. Die Träume mit Erlebnissen des Großvaters in Verbindung zu bringen, ist legitim. Auch, dass er sich die Frage nach der Herkunft dieser inneren Bilder stellt, kann ich nachvollziehen. Sabine Bode und Verena Kast haben dazu auch sehr logische Gedanken und Erklärungen bezüglich Träumen und Unterbewusstsein.
Aber oft beschleicht mich beim Lesen das Gefühl, der Autor möchte das Trauma unbedingt "geerbt“ haben. Die ersten Gespräche zu dem Thema führte er mit einer Heilpraktikerin, in der Folge „arbeitet“ er mit teils sehr renommierten „Traumatherapeuten“, deren Aussagen ich beim besten Willen nicht als wissenschaftlich ansehen kann. Heinzel hat seinen Zivildienst in einer anthroposophischen Gemeinschaft in den USA verbracht, Esoterik und die Lehren Rudolf Steiners sind ihm also nicht fremd. Dazu belegt er ein Seminar mit Elementen nach Wilhelm Reich, der in der esoterischen Welt tief verankert und durch seine Orgonforschung bekannt ist. „Traumatherapeut“ Andre Jacomet sieht beim Autor eine Entwicklung. Einen „inneren Umwandlungsprozess“. „Ich glaube […] Dass du in der Session mit Peter von diesen Händen aus dem Himmel genommen wurdest, ja, geschüttelt wurdest, aufgeweckt wurdest, sich dein ganzes Leben fragmentiert hat und sich jetzt neu ordnet“, sagt Andre.
Viel Positives kann ich über das Buch nicht sagen. Weder sprachlich noch inhaltlich konnte es mich überzeugen. Natürlich ist die Auseinandersetzung mit den (Un)Taten der (Ur)Großeltern wichtig, vielleicht heute wichtiger denn je. Die Frage nach Erb- und Kollektivschuld ist stets aktuell. Aber das leistet dieses Buch nicht. Es ist eine persönliche Reise des Autors in die Vergangenheit seiner Großväter (und seine eigene) mit ein bisschen Wissenschaft. Da wäre viel mehr drin gewesen, wie etwa ein fundierter Exkurs in die (Neuro)Epigenetik mit wissenschaftlichem Inhalt, echte therapeutische Ansätze und sogar konkreterer geschichtlicher Hintergrund. All das versäumt der Autor zugunsten einer pseudowissenschaftlichen Traumdeutung. 1 Stern.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.04.2020
Die Maske der Schuld
Wind, Jennifer B.

Die Maske der Schuld


ausgezeichnet

„Die Maske der Gewalt“ fand ich ja schon super – jetzt hat Jennifer B. Wind mit „Die Maske der Schuld“ einen zweiten Teil nachgelegt, der mich ebenso begeistert hat wie der erste. Zwar kann man dieses Buch hervorragend auch ohne Vorkenntnisse lesen und verstehen, aber Band 1 ist dennoch ebenso lesenswert.
Im Mittelpunkt steht wie im ersten Teil der untypische Ermittler Richard Schwarz, dazu sein Kollege Paul Marek. Und wie im ersten Teil tanzt Richard wieder auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig: er ermittelt in Wien im Fall einer in der Donau gefundenen Leiche, kümmert sich um die Sorgen und Nöte seiner (Zieh)Schwester Sarah, die mit ihrem Zirkus in Österreich auf Tournee ist. Die Psychiaterin Theres Lend und Gerichtsmedizinerin Emily McSand sind ebenfalls wieder mit von der Partie und fordern seine Aufmerksamkeit. Über Langeweile kann sich Richard also nicht beklagen – und der Leser auch nicht.
Die Geschichte ist wie gewohnt spannend, flott geschrieben und vielschichtig. Eine Leiche in der Donau, verschwundene Menschen aus dem Umfeld einer von Theres besuchten Selbsthilfegruppe und ein seltsamer „Heiler“ stehen im Zentrum des Krimis. Der Leser bekommt mehrere Handlungsstränge serviert, die die Autorin am Schluss gekonnt zu einer stimmigen (wenn auch nicht völlig überraschenden) Auflösung verflicht. Die Einblicke in Taten und Gedankengänge des Täters sind in kursiver Schrift abgesetzt und gut von der tatsächlichen Handlung zu unterscheiden. Ein weiterer Neben-Schauplatz sind die Gedanken und Erfahrungen einer an MS erkrankten Frau. Außerdem bekommt der Leser neue Puzzleteile zu Richards Vergangenheit, denn natürlich ist auch in diesem Band die Suche nach dem Mörder seiner Mutter wieder ein Thema.
Die Autorin greift in diesem Buch sehr viele sehr schwierige Themen auf. Da ist der Heiler Santianos, der schwerkranken Menschen unseriöse Heilsversprechen gibt, eine Pharmafirma, die nur einen vermeintlichen Durchbruch in der MS-Therapie erzielte und Tierschützer machen Richard und Sarah das Leben schwer, da sie gegen Wildtiere in Zirkussen demonstrieren. Ganz nebenbei vermittelt Jennifer B. Wind ein bisschen Hintergrundwissen über Multiple Sklerose, vor allem im Nachwort geht sie auf die verschiedenen Ausprägungen der Krankheit und die unterschiedlichen Therapie-Ansätze ein.
Eine wilde und spannende Mischung aus verschiedenen Themen, unterschiedliche Charaktere mit den verschiedensten Eigenheiten und Eigenschaften, ein bisschen Liebe und Privates, toxisch-narzisstische Partnerschaft, ein bisschen Esoterik und Pseudomedizin samt unethischer Hoffnungsmache für unheilbar erkrankte Menschen und ebenso unethischen wie illegalen medizinischen Experimenten – alles in allem ein einfach nur sehr spannender, flott geschriebener Krimi, den ich in einem durchgelesen habe. Thriller ist es beileibe keiner, aber ein handwerklich hervorragender und gut geschriebener Krimi. Sprachlich ist das Buch fast noch besser als der erste Band, viele Dialoge, alltagsnahe, zum Teil auch flapsige Sprache und klare Beschreibungen zeichnen den Stil der Autorin aus.
Ich fand ja den ersten Teil schon sehr gut, den zweiten fast noch ein Quäntchen besser. Also eine absolute Lese-Empfehlung und 5 Punkte von mir. Und nun heißt es Warten auf Teil 3.

Bewertung vom 03.04.2020
Ferien für alle Felle / Für alle Felle Bd.2
Rosoff, Meg

Ferien für alle Felle / Für alle Felle Bd.2


sehr gut

Nach „Glück für alle Felle“ ist „Ferien für alle Felle“ von Meg Rosoff der zweite Band um die fünfköpfige Familie Peachey. Nein, Entschuldigung. Ich habe Mr. Tavish vergessen. Mit dem Hund, den die Familie in „Glück für alle Fälle“ adoptiert hat, sind die Peacheys zu sechst.
„Manchmal frage ich mich wirklich …“, sagte Betty.
„Was fragst du dich?“, fragte Papa Peachey.
„Manchmal frage ich mich, ob Mister Tavish uns gehört oder ob wir ihm gehören.“
Und damit hat Betty absolut recht. Auch wenn ihr Vater überzeugt ist, dass der Hund dem Menschen in jeglicher Hinsicht unterlegen sei. Denn tatsächlich ist Mr. Tavish der heimliche Chef in der Familie. Auch im gemeinsamen Campingurlaub, um den es sich in diesem Band dreht.
In Mr. Tavish habe ich mich schon auf der ersten Seite verliebt. Der Rest der Familie ist sympathisch beschrieben, jeder hat seine Eigenheiten. Die Kinder könnten unterschiedlicher nicht sein – von der philosophie-affinen Ava über Ollie, der eine Freundin sucht, bis hin zu Betty, der der Familienfrieden und vor allem Mr. Tavish am Herzen liegt. Die Mutter spielt eine eher kleine Rolle, ist manchmal aber auch die „Stimme der Vernunft“ und der realistische Gegenpol zu Vater Peachey. Dieser konnte bei mir überhaupt nicht punkten. Seine Paranoia und die Weltuntergangsstimmung, die er verbreitet, fand ich anfangs zwar ziemlich lustig, dann aber völlig abstrus und nicht unbedingt kindgerecht. Einerseits ist er ganz witzig aber andererseits nährt er kindliche Ängste wie beispielsweise die vor Haien oder Bären. Die Panik, die er verbreitet, könnte man mit viel gutem Willen als liebenswerten Tick auffassen, mir ging er aber einfach nur auf die Nerven.
Die Geschichte ist sehr alltagsnah, die Erfahrungen der Familie haben vermutlich die meisten der Erwachsenen schon gemacht. Da können viele Eltern den Kindern beim Vorlesen oder gemeinsamen Lesen sicher noch etwas nebenher und über die Geschichte hinaus erzählen. Das Buch ist einfach geschrieben und für fortgeschrittene Leser leicht zu lesen, eignet sich aber auch hervorragend als Vorlesebuch. Die Bilder sind schlicht aber ausdrucksstark. Und im Anschluss an die Geschichte gibt es eine Art Glossar mit hilfreichen Tipps für Urlaub in freier Natur. Für die niedliche Geschichte, die in der Hauptsache liebenswerten Charaktere und die zahlreichen guten Tipps am Schluss von mir 4 Punkte.

Bewertung vom 03.04.2020
Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1


weniger gut

„Sieben Jugendliche waren kurz nach Beginn der Sommerferien zelten gewesen. Drei von ihnen waren fünfzehn, zwei sechzehn, einer achtzehn und eine – Aurora – vierzehn Jahre alt gewesen.“
Aurora Jackson hatte eigentlich gar nicht wirklich zur Clique gehört, ausnahmsweise hatte ihre Schwester Topaz sie zu ihrer großen Freude mitgenommen. Am Ende des Campingausflugs war Aurora verschwunden. Und jetzt, 30 Jahre später wird ihre Leiche in unmittelbarer Nähe der Stelle gefunden, an der sie damals verschwunden ist. Und somit gibt es sechs potenzielle Täter oder Zeugen, dazu noch den damals 26jährigen Lehrer Andrew Mackenzie, der zu der Zeit ebenfalls am See gezeltet hat.
So viel zur Geschichte von „Bis ihr sie findet“ von Gytha Lodge, die mit dem zufälligen Fund der Überreste beginnt. Eilig hat es die Polizei bei den Ermittlungen in diesem Cold Case also nicht, aber DCI Jonah Sheens und seine Kollegen legen einen großen Ehrgeiz an den Tag und ermitteln gründlich in alle Richtungen.
Das Buch fing für mich vielversprechend an, hatte aber im Verlauf sehr wenige spannende Stellen. Es plätschert mehr oder weniger vor sich hin und ich habe sehr schnell die Lust am Weiterlesen verloren. Es konnte mich einfach nicht packen. Immer mal wieder flammt Spannung auf, aber so wenig und so im Buch verstreut, dass man nicht mal von einem Spannungsbogen sprechen kann. Ja, das Grundgerüst ist gut. Viele Verdächtige mit zu vielen Geheimnissen, Versäumnisse und Fehler auf Seiten der Polizei, Liebschaften, Drogen, Lügen – eigentlich alles vorhanden. Aber die Umsetzung sagte mir schlicht nicht zu. Aus der Hand legen konnte ich das Buch allerdings auch nicht, denn trotz der langatmigen Beschreibungen und vielen Wiederholungen reizte es mich dann doch, die Auflösung des Falls zu erfahren.
Aber die vielen Verdächtigen, dazu zahllose Namen, auf der Seite der Polizei viele (abgekürzte) Dienstgrade machten alles für mich ein bisschen verworren und unübersichtlich. Die Idee, die Geschichte in zwei Zeit-Ebenen anzulegen ist sehr gut und handwerklich gut umgesetzt. Sprachlich ist das Buch sehr einfach, fast umgangssprachlich geschrieben. Die Sätze folgen dem einfachsten Muster, die Wortwahl ist schlicht und fast frei von Metaphern, alles in allem etwas unrund. Auch sind in der Übersetzung teilweise Fehler und holprig konstruierte Sätze zu finden.
Die Charaktere sind sehr schwach und farblos beschrieben und haben viel zu wenig Tiefe. Selbst diejenigen, die psychologisch interessant hätten sein können, haben den Tiefgang einer Pappfigur. Und so hinterlässt das ganze Buch bei mir den schalen Nachgeschmack der Langeweile. Leider hat die Autorin das Potenzial, das die Geschichte geboten hätte, bei weitem nicht ausgeschöpft. Da wäre wesentlich mehr drin gewesen, dann hätte ich auch gerne mehr als die 2 Punkte für die gute Idee vergeben.