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Bewertungen

Insgesamt 623 Bewertungen
Bewertung vom 24.02.2016
This is not a love song  (Restauflage)
Blondel, Jean-Philippe

This is not a love song (Restauflage)


sehr gut

Vincent ist Franzose, lebt aber mit seiner Frau und seinen Töchtern in London, wo er eine gutgehende Restaurant-Kette betreibt. Als seine Frau ihm überraschend eröffnet, dass sie etwas Zeit für sich braucht und mit den Kindern zu ihren Eltern fährt, lässt er sich von ihr überreden, in der Zeit auch seine Familie in Frankreich zu besuchen. Doch statt auf eine glückliche Familie trifft er auf Schweigsamkeit, stille Vorwürfe und Geheimnisse. Mit der Zeit wird klar, dass die Probleme schon lang zurückliegen und Vincent selbst nicht unschuldig an der Situation ist.
„This is not a love song“ von Jean-Philippe Blondel ist ein sehr kraftvoller, aber auch ruhiger Roman über einen Mann, der sich ungewollt mit seiner Vergangenheit konfrontiert sieht. Er hatte sich in London ein Leben aufgebaut und seine Zeit in Frankreich davon völlig abgeschlossen. Er sieht auf seinen Bruder und seine Eltern herab, die nie aus dem kleinen Ort in Frankreich rausgekommen sind und seiner Meinung nach keine Ambitionen haben. Vincent ist keine besonders sympathische Hauptfigur, er wirkt selbstgerecht und verurteilt seine Mitmenschen für ihr Leben. Es herrscht eine unglaubliche Sprachlosigkeit zwischen den Charakteren des Buches, obwohl es Dinge zu erzählen geben, Diskussionen geführt werden müssten, scheinen sich alle nur schweigend anzublicken.
Vincent wirft seiner Familie vor, ihm nicht erzählt zu haben, was mit seinen alten Freunden geschehen ist, gleichzeitig hat er sich nie bei Ihnen gemeldet, in dem Moment als er Frankreich verließ hat er das Interesse an ihnen verloren. Er dachte, er könnte in dieser Woche einfach an alte Zeiten anknüpfen und ist hin und hergerissen zwischen der Wut auf die Welt und alle anderen und die Wut auf sich selber, weiß nicht was er tun soll und will gleichzeitig keine Verantwortung übernehmen. Sein Ziel ist einfach nur, die Woche zu überstehen und zurück nach England zu fahren, weit weg von allem, was in verunsichern oder sein Leben in Frage stellen könnte.
Blondel schreibt all dies in einer sehr kurzen, aber dennoch fast poetisch anmutenden Sprache. Die Abgehacktheit vieler Sätze lässt einen das Gefühl haben, sehr nah an Vincent dran zu sein, seinen Gedanken direkt zu folgen und seiner Zerrissenheit nachzuspüren. „This ist not a love song“ ist ein besonderes Buch, es braucht Zeit, man muss sich fallen lassen und sich auch auf die eigene Diskussion einlassen. Welche Verantwortung haben wir für unsere Mitmenschen? Inwieweit sind wir verpflichtet, für sie da zu sein, können wir uns als unabhängige Insel betrachten, ohne Familie, Freunde, Beziehungen? Vincent scheint in einem Selbstbetrug zu leben, aus dem ihn nichts wirklich rausreißen kann, in London erwartet ihn seine perfekte, rosarote Welt. Doch mit diesen Fragen wird auch er weiterleben müssen.
Blondel hat mit „This is not a love song“ wunderbares Buch für ganz besondere Lesemomente geschaffen.

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Bewertung vom 22.02.2016
Pferdefuß / Hauptkommissar Eike Hansen Bd.4
Seibold, Jürgen

Pferdefuß / Hauptkommissar Eike Hansen Bd.4


sehr gut

Als von seinem Campingplatz im Allgäu nachts ein Gast plötzlich verschwindet, sieht Jörg Burghamer eigentlich keinen Grund, die Polizei zu rufen. Die Miete ist schließlich bis Ende der Woche bezahlt und der Gast hat die Hütte sauber und ordentlich zurückgelassen. Doch der alte Frieder, der nachts oft seine Runden über den Campingplatz dreht, überzeugt ihn davon, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Also müssen Kommissar Hansen und sein Team ermitteln. Als in einer abgebrannten Scheune dann auch noch eine Leiche gefunden wird, rutschen die Ermittler immer tiefer in einen alten, schon fast vergessenen Fall hinein.
Zwar gibt es bereits drei vorhergehende Geschichten der Allgäu-Krimis von Jürgen Seibold, doch auch ohne diese zu kennen kommt man als Leser schnell in die Geschichte rein. Der Fall ist kurzweilig erzählt und die Charaktere sehr sympathisch, besonders das Nordlicht Hansen im tiefsten Bayern ist natürlich sehr unterhaltsam. Er hat sich aber schon recht gut eingelebt, so dass der Kulturschock inzwischen abgeklungen ist.
Der Fall selbst ist zwar logisch aufgebaut, dennoch plätschert die Lösung eher langsam dahin, an manchen Stellen habe ich die Spannung vermisst, die entsteht, wenn ein Fall Stück für Stück aufgeklärt wird. Das mag auch daran liegen, dass eigentlich nicht wirklich im Fall der Leiche nach dem Brand ermittelt wurde, sondern schnell nur noch in einem alten Fall, der damit in Verbindung stehen könnte. Das nahm dem ganzen Plot ein bisschen Spannung, Zeugen gab es kaum noch und die Aussagen sind nach über zehn Jahren auch anzuzweifeln. Ich hätte mir ein bisschen mehr Abwechslung im aktuellen Fall gewünscht und eindeutig mehr Perspektivwechseln. Zu Beginn wird auch aus Sicht des Täters erzählt, das löst sich aber leider ganz schnell wieder auf. Dieser ständige Wechsel der Erzählperspektive hätte der Geschichte noch mehr Spannung und Bewegung geben können.
Dennoch ist „Pferdefuß“ von Jürgen Seibold ein gut geschriebener und unterhaltsamer Provinzkrimi, der hauptsächlich von seinen sympathischen Charakteren lebt und der sich durchaus zu lesen lohn.

Bewertung vom 16.02.2016
Weine nicht
Salvayre, Lydie

Weine nicht


sehr gut

Montse ist 14 Jahre alt, als sie 1936 mit ihrem Bruder José aus einem kleinen Dorf in die Stadt nach Barcelona geht, beseelt vom Gedanken und der Idee des Anarchismus, deren Anhänger in Spanien gegen Franco und seine Armee kämpfen, die von der katholischen Kirche unterstützt werden. Nach einiger Zeit kehrt Montse jedoch zurück in ihr Dorf – unehelich schwanger und desillusioniert fügt sie sich in das Leben, das ihre Eltern für sie vorgesehen haben. Montses Geschichte stellt die Autorin Lydie Salvayre George Bernanos gegenüber, ein Autor und glühender Katholik, der auf Mallorca die furchtbaren Säuberungsaktionen des Regimes miterlebt und seine eigene Kirche nicht mehr wieder erkennt, die all den Mördern für ihre grausamen Taten die Absolution erteilt ohne mit der Wimper zu zucken.
„Weine nicht“ von Lydie Salvayre ist ein sehr starkes, poetisches und emotionales Buch. Josés uneingeschränkte Begeisterung für die Revolution trifft auf die Desillusionierung von Montse, die sich einfach in ein Leben fügt, das für sie vorgesehen zu sein scheint. Daran zerbricht letztendlich das Verhältnis der Geschwister. Erzählt wird die Geschichte rückwirkend von Montse, die als alte Frau am Fenster sitzt und ihre Lebensgeschichte ihrer Tochter erzählt. Sie scheint das alles loswerden zu müssen, bevor sie stirbt, als würde es ihr auf der Seele brennen, von diesem Sommer 1936 zu erzählen, der schönsten Zeit ihres Lebens, wie sie sagt. Die Aufregungen der großen Stadt, die Euphorie des Sieges hatten sie in einen Taumel fallen lassen, aus dem plötzlich aufwachen musste, als feststellte, dass sie schwanger war und nicht einmal den Nachnamen des Kindesvaters kannte, der längst wieder auf Seiten der Anarchisten im Bürgerkrieg kämpfte. Ob sie diesen Schwindel rückwirkend nur verklärt und die negativen Seiten ausblendet oder ob sie damals wirklich so glücklich war – dieses Urteil muss der Leser für sich selber fällen.
Die negativen Seiten beschreibt sehr berührend die Position von Bernanos, er spricht von Männern, die nachts aus dem Bett gezerrt und erschossen werden, von ganzen Transporten von Menschen in den Tod, alles unter dem Deckmantel der katholischen Kirche. Die ganze Episode ist ein Armutszeugnis für diese Kirche, die sich nur an einer alten Macht und ihren weltlichen Einfluss klammert, wie Bernanos enttäuscht feststellt. Die Kälte und Brutalität seiner Sichtweise bildet einen verstörenden Kontrast zu Montes zauberhaften Erinnerungen an den Sommer ihrer Träume.
Lydie Salvayre hat ein bewegendes Buch geschaffen und gleichzeitig ihrer Mutter in der Figur der Montse ein Denkmal gesetzt. Es lohnt sich auf jeden Fall, dieses Buch zu lesen und sich danach vielleicht noch ein wenig mehr mit diesem Krieg zu beschäftigen, in den auch Deutschland damals keine ruhmreiche Rolle gespielt hat.

Bewertung vom 13.02.2016
Bullet Schach / Johnny Thiebeck Bd.1
Bauhaus, Ben

Bullet Schach / Johnny Thiebeck Bd.1


sehr gut

Johannes Thiebeck ist Schachboxer und ehemaliger Polizist. Nach einem unklaren Todesfall während eines Einsatzes darf er nicht mehr beim LKA arbeiten und verdient sich sein Geld durch gelegentliche Sicherheitsberatungen. Doch als der Sohn seines Trainers tot in seinem Auto aufgefunden wird und er erfährt, dass der ehemalige Kollege, gegen den er gerade eine Partie Online-Schach spielt, schon vor einigen Wochen ermordet wurde, muss er wieder mit seinen alten Kollegen zusammenarbeiten. Was steckt hinter den Morden und dem mysteriösen Schachspiel?
Dies ist der erste Band der Reihe um den Ex-Polizisten Johnny Thiebeck, doch schnell wird klar, dass es auch hierzu eine Vorgeschichte gibt, die noch nicht ganz erzählt ist. Am Anfang fand ich das etwas irritierend, doch man bekommt schnell alle Informationen, um der Geschichte folgen zu können. Dennoch blieb das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben.
Die Story ist sehr spannend, für jede geschlagene Schachfigur von Thiebeck bringt der Täter eine Person in Thiebecks Umfeld um. Wer das ist, lässt sich jedoch nicht voraussagen. Da kann auch die äußerst sympathische und leicht schrullige Psychologin Professor Körner nicht helfen. Sie bleibt auch die einzige Person, gegenüber der Thiebeck nicht nur sein Macho-Gehabe an den Tag legt, sondern der er wirklich etwas erzählt und vertraut. Trotzdem kann sie ihm nicht wirklich weiterhelfen. Die Spannung, die aus der Zusammenarbeit von Thiebeck und seinen ehemaligen Kollegen und natürlich auch seinem Nachfolger beim LKA entsteht, ist für den Leser zugleich unterhaltsam und spannend, denn wirklich zu trauen scheint er im Verlauf der Ermittlungen niemandem, außer Frau Körner und seiner ehemaligen Kollegin Jana Kleidermann.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, der Fall ist spannend und logisch aufgebaut, die Charaktere sind sympathisch, auch wenn man für Thiebeck sicher etwas länger braucht, um ihn zu mögen. Die Idee des Schachspiels als Mordplan fand ich sehr gelungen und es erhöht die Spannung ungemein, weil man nicht weiß, welche Schachfigur welcher Person in Thiebecks Leben entspricht. Ein super Krimi, auch wenn einem die (ungeschriebene) Vorgeschichte etwas fehlt.

Bewertung vom 11.02.2016
Flut
Galera, Daniel

Flut


ausgezeichnet

Die Hauptfigur Leopoldo begibt sich in diesem Roman auf die Suche nach seiner Identität und seiner Familiengeschichte. Nachdem sein Vater sich das Leben genommen hat, nimmt er dessen Hündin Beta bei sich auf und zieht in einen kleinen Ort direkt ans Meer. Dort soll sein Großvater vor Jahren ermordet worden sein, doch niemals wurde seine Leiche gefunden. Nachdem seine Frau Leopoldo verlassen hatte um mit seinem Bruder zusammenzuleben und sein Vater tot ist, scheint er kaum noch einen Plan für sein Leben zu haben und konzentriert sich jetzt auf die Idee, die Familiengeschichte aufzudecken.
„Flut“ ist ein sehr intensiver Roman, der im heutigen Brasilien spielt. Die Hauptfigur wirkt lange nur wie ein Schatten, der eine Basis fehlt und ein Sinn im Leben. Durch eine Erkrankung kann er sich keine Gesichter merken und gerät immer wieder in seltsame Situationen, weil er nicht einmal seine Freundin oder gute Freunde wieder erkennen kann. Das passt aber sehr gut zu seinem Leben, es verstärkt den Eindruck seiner Einsamkeit und seiner Unsicherheit, die Krankheit ist wie ein Sinnbild seines Daseins. Er ist Schwimmer und trainiert in einem Fitnessstudio verschiedene Schüler, oft wirkte er auf mich jedoch eher wie ein einem Strudel im Meer gefangen, er kämpft und schwimmt in seinem Leben, ohne voran zu kommen.
Obwohl der Protagonist einem gar nicht unbedingt sympathisch ist, schafft der Autor Daniel Galera es, dass er einem ans Herz wächst. Er sucht mit seinem Großvater auch ein wenig seine Identität, was sehr deutlich daran wird, dass wir erst ganz zum Schluss seinen Namen erfahren. Bis dahin ist es immer nur „er“, ein namenloser ohne besondere Bedeutung. Die Geschichte und der Stil des Autors nehmen einen schnell gefangen und ziehen einen in eine fast düstere Welt mit viel Schatten, aber wenig Licht. Das Buch beeindruckt und lässt einen nicht los. Die Suche nach der Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen, ist kein neues Motiv, wird von Daniel Galera aber auf wunderbare Weise umgesetzt.
„Flut“ von Daniel Galera ist kein Buch, dass man nebenbei liest, man muss sich darauf einlassen, aber dann wird es einen nicht mehr loslassen und mitreißen. Ein großartiges Stück Literatur.

Bewertung vom 09.02.2016
Zeichen der Zeit
Scheuring, Christoph

Zeichen der Zeit


gut

Jakob, Adam und Ferdinand sind drei Jungen, die in Sachsen im 19. Jahrhundert leben und alle eine besondere Begabung haben. Mit dieser Begabung versuchen die Jungen sich durchzuschlagen, Bildung zu erhalten und ihre Träume zu verwirklichen. All dies beschreibt der Autor Christoph Scheuring vor dem Hintergrund des historischen Dresdens mit seinen politischen Unruhen, Hungersnöten und dem Beginn einer neuen pädagogischen Idee.
Sprachlich ist das Buch sehr gelungen, es lässt sich flüssig lesen und verbindet historische Wörter mit einer gut verständlichen Gegenwartssprache. Sehr schön beschrieben sind das historische Dresden, die Straßen und das Leben, das darin herrscht. Auch der Unterschied der verschiedenen Klassen wird anhand der Charaktere sehr deutlich und welche Rolle die Herkunft für das Recht auf Bildung spielte. Leider empfand ich die Handlung als etwas faserig und nicht schlüssig, als würden einige Ideen einfach ins Leere laufen. An manchen Stellen blieb für mich das Gefühl, dass ein klarer Plot fehlte, der die Handlung vorantreibt. Auch die Motivation der Protagonisten für ihre Handlungen wurde oft nicht deutlich, so dass man als Leser etwas hilflos zurückbleibt mit der Frage, worum es in diesem Roman eigentlich gehen sollte. Alle Jungen haben eine ganz besondere Gabe und treffen zufällig aufeinander, aber warum und was genau ihr Bezug zueinander ist, wird im Verlauf des Romans nicht klar genug. Auch bleibt das Gefühl, dass sie sich eigentlich kaum kennen und kaum Wert auf die gegenseitige Bekanntschaft legen, was die Frage vertieft, worauf der Autor mit der Personenkonstellation eigentlich hinauswollte.
Leider konnte mich die Geschichte einfach nicht überzeugen, auch wenn ich den Stil des Autors sehr schön finde und man merkt, dass viel Recherche für den Roman betrieben wurde. Ein klarer Plot und strukturierte Handlung fehlten aber.

Bewertung vom 03.02.2016
Muttergehäuse
Klemm, Gertraud

Muttergehäuse


ausgezeichnet

Gertraud Klemms Roman „Muttergehäuse“ zeigt auf eindrucksvolle Weise, was es in einer Frau auslösen kann, wenn sie keine eigenen Kinder bekommen kann und wie ihr die Gesellschaft dabei begegnet. Mit einer kraftvollen und bildhaften Sprache beschreibt die Autorin die Gefühlslage ihrer Protagonistin, die zunächst von Freunde und Glück über die Entscheidung, mit ihrem Mann ein eigenes Kind zu wollen geprägt ist, dann aber schnell umschlägt in Frustration, Wut und Verzweiflung. Sie müssen lernen, dass nicht jeder einfach ein Kind bekommt, sondern es für sie ein harter Weg wird, von Arzt zu Arzt, von Beratung zu Beratung. „Die Kinderwunschindustrie eröffnet sich einem erst, wenn Defizite im Raum stehen. Sie ist allerdings eine verschwiegene, heimlich Industrie, nicht so eine hoffnungsvolle, sich überall anbietende und aufdrängende wie die Gebär- und Babyindustrie.“
Dabei beginnt ihr Verhältnis einen Sprung zu bekommen, Schuldzuweisungen stehen im Raum, die Wut gegen sich selbst richtet die Protagonistin gegen ihren Partner. Diese Situationen sind sehr bewegend beschrieben, danach folgt der Weg über die Adoption zu einem Kind, doch die Probleme werden scheinbar nicht weniger, nur anders.
Beeindruckend ist vor allem die Bildhaftigkeit der Sprache, dies beginnt schon mit dem Titel. „Muttergehäuse“ hatte mich zunächst an etwas technisches denken lassen, ist in der Gesamtheit mit dem Cover aber auch ein Schneckenhaus, eine fragile Hülle, die gefüllt werden soll, wie die Protagonistin ihren Körper mit einem Baby zu füllen wünscht. Die „Akten wachsen wie ein Tumor“, der „Embryo wird in Papier gepackt“ durch die ganzen Dokumente der Adoption, dies sind nur zwei Beispiele für die wunderbare und aufrüttelnde Sprache von Gertraud Klemm.
Eingeschoben sind immer wieder Traumsequenzen, in denen die Protagonistin mit ihren Ängsten konfrontiert wird, die Angst nicht schwanger zu werden, das ungeborene Baby zu verlieren, nicht gut genug aufzupassen, das Kind bei einem Unfall zu verlieren. Mit all diesen Dingen konfrontiert sie sich tags wie nachts und hat so kaum noch eine Möglichkeit, dem Thema auszuweichen. Zur eigenen Angst kommt die ständige Bewertung durch das eigene Umfeld und die Gesellschaft hinzu, die ihr das Leben nicht erleichtert.
„Muttergehäuse“ ist ein sehr bewegendes Buch, wahrscheinlich ein Frauenbuch, das auch ein Mann einmal lesen sollte. Es zeigt viel über die Emotionen und die Psyche während des ganzen Prozesses, ohne Klischees zu verwenden und einen Schutzwall zum Leser zu ziehen. Gertraud Klemm ist ein bedrückendes und bewegendes Buch gelungen, das einfach nur außergewöhnlich ist in seiner Art.
Die wunderschön gemachte Ausgabe ist erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau.

Bewertung vom 02.02.2016
Das Schlossgespinst / Anwalt Fickel Bd.3
Hess, Hans-Henner

Das Schlossgespinst / Anwalt Fickel Bd.3


gut

Fickel arbeitet im beschaulichen Meiningen in Südwestthüringen als sogenannte „Terminhure“, er lungert also im Hochsommer am Gericht rum, und springt ein, wenn ein Anwalt gebraucht wird. So landet er auch bei der „Roten Elfriede“, Meiningens ehemaliger Bürgermeisterin und überzeugter Kommunistin. Er soll ihr vor Gericht eine Brahmspartitur zurück erstreiten, die der Vorsitzende des Meininger Heimatvereins nicht wieder rausgeben soll. Doch schon kurz nach dem gewonnenen Gerichtsstreit ist Elfriede Langguth tot – kann das wirklich Zufall sein?
Fickels beschauliches Leben gerät durch den Tod von Elfriede ganz schön aus den Fugen, dass er dabei noch mit seiner resoluten Exfrau, der Oberstaatsanwältin Gundelwein, konfrontiert wird, kann ihm auch nicht gefallen. Was die zwei einmal zusammenbrachte, bleibt beim Lesen ein absolutes Rätsel, die auf Karriere bedachte Oberstaatsanwältin könnte kein größerer Gegensatz zum völlig karriere- und ambitionslosen Fickel sein.
Die Geschichte ist außerordentlich unterhaltsam und witzig geschrieben, was größtenteils auf die kuriosen – menschlichen wie tierischen- Charaktere zurückzuführen ist. Dass diese sich, wie in der Figur des maulwurfsartigen Archivars des Schlosses dann auch manchmal noch vermischen, macht es umso witziger. Beim Lesen erwischt man sich immer wieder beim Kichern und Schmunzeln, so dass es der Geschichte kaum einen Abbruch tut, wenn der Plot manchmal etwas künstlich und die Auflösung etwas sehr gewollt erscheint. Es ist in erster Linie ein unterhaltsames, witziges Buch und kein Krimi mit Hochspannung, wo man nur wissen will, wer nun der Mörder ist. Die Krimihandlung scheint eher ein Nebenprodukt der Vorführung skurriler Meininger Charaktere.
„Das Schlossgespinst“ ist der bereits Fickels dritter Fall, doch auch ohne Vorkenntnis lässt sich das Buch problemlos lesen. Wer mehr ein lustiges Buch sucht als einen spannenden Krimi, ist hier auf jeden Fall richtig. An die perfekte Verbindung von Humor und Kriminalhandlung wie bei Wolf Haas reicht es leider nicht heran.