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sommerlese
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Zu meinen Hobbies gehört Lesen einfach dazu. Meine Rezensionen erscheinen auch auf meinem Blog. Schaut doch bei Interesse mal rein! https://sommerlese.blogspot.com/
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Insgesamt 2736 Bewertungen
Bewertung vom 25.06.2023
Vom Ende der Einsamkeit
Wells, Benedict

Vom Ende der Einsamkeit


ausgezeichnet

Ein grandioses Leseerlebnis mit intensiver Ausdruckskraft
Im Diogenes Verlag erscheint Benedict Wells Roman "Vom Ende der Einsamkeit".

Die drei Geschwister Jules, Liz und Marty verlieren bei einem Unfall ihre Eltern und gehen mit dem Verlust auf unterschiedliche Weise um. Der jüngste Bruder Jules fühlt sich im Stich gelassen, merken wie hart das Leben sein kann. Während Marty und Liz auf unterschiedliche Weise damit umgehen, fühlt sich der jüngste Bruder Jules einfach nur unsäglich einsam und im Stich gelassen. Seine Entwicklung zum Erwachsenen ist geprägt durch diese Einsamkeit.

"Dein wahrer Freund ist jemand, der immer da ist, der dein ganzes Leben an deiner Seite geht. Du musst ihn finden, das ist wichtiger als alles, auch die Liebe. Denn die Liebe kann vergehen." Zitat Seite 33


Das Buch beginnt mit Trauer, Verlust und drei Geschwistern, die sich diesen Gefühlen stellen müssen. Jeder Mensch geht mit einem Verlust anders um, die unterschiedliche Prägung und das Verhalten aufgrund solcher Erfahrung erkennt man bei den Geschwistern sehr genau. Zunächst folgen wir Jules Entwicklung als Jugendlicher, der sich seinen Platz im Leben sucht und ständig einsam ist. Diese Einsamkeit prägt ihn auch noch als Erwachsener, doch ganz langsam bahnt sich ein Fünkchen Hoffnung auf Liebe, Familie, Glück und Zusammenhalt, bis erneut das Schicksal zuschlägt. Marty lernt, macht Karriere und findet als erster zurück in sein Leben, während Liz sich nicht unterordnen will und und die Welt der Drogen erlebt.



Wieviel Leid kann ein Mensch ertragen, ohne daran zu zerbrechen? Benedict Wells hat darüber einen berührenden Roman geschrieben, der mich tief in meinem Herzen bewegt hat. Doch er lässt am Ende immer die Hoffnung bestehen, die das Leben wieder lebenswert und schön macht.

Der sprachliche ausdruck, der Aufbau der Geschichte und die anteilnehmende Beschreibung der Figuren haben mich beeindruckt und machen dieses Buch so außergewöhnlich schön und tiefgründig.

Ein wunderbarer und sehr berührender Roman um Familie, Liebe, Hoffnung, um Schicksal und Verlust. Trotz aller Melancholie versprüht er viel Zuversicht und zeigt auf, was wirklich im Leben zählt. Einfach nur großartig und berührend!

Bewertung vom 24.06.2023
Haus der Wünsche / Die Kaufhaus-Saga Bd.2
Lacrosse, Marie

Haus der Wünsche / Die Kaufhaus-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Ein großartiger Abschluß der Reihe

Berlin Mitte der 20er Jahre: Die strengen Zeiten des Kaiserreiches sind vorbei, das wilde Leben der 20er Jahre bringt wirtschaftliche Möglichkeiten und einigen Frauen ermöglicht sich auf beruflicher Ebene die Chance auf einen guten Job. Verkäuferin Rieke Krause hat im KaDeWe den Sprung zu Abteilungsleiterin erklommen, der ihr von einem männlichen Kollegen geneidet wird.

Gleichzeitig lehrt Judith Bergmann als Dozentin an Alice Salomons Sozialer Frauenschule, sie ist mit dem neuen Geschäftsführer des KaDeWe liiert. Beide Frauen haben große Zukunftspläne, doch dann bringen die politischen Veränderungen alles durcheinander. Die jüdischen Eigentümer des KaDeWe unterliegen der nationalsozialistischen Verdrängung.


Nachdem mit der erste Band um das Kaufhaus und seine Figuren so gut gefallen hat, musste ich unbedingt den abschliessenden Band lesen. Erneut hat mich der wunderbar flüssige und bildhafte Schreibstil der Autorin durch das Buch getragen, gespannt folgte ich den lebendig wirkenden Figuren und bin gefesselt in diese authentisch beschrieben Zeit eingetaucht.

Marie Lacrosse hat einfach ein Händchen für eine interessante und realistische Ausgestaltung der Charaktere und erweckt sie mit vielen unterschiedlichen Facetten und Emotionen zum Leben. Die Schicksale passen zur damaligen Zeit, die politischen Veränderungen kann man dadurch nah und sehr glaubhaft miterleben.

Die Handlung ist emotional, spannend und so zeitbeschreibend, daß man sich spürbar in diese Zeit hinein versetzt fühlt.

Die 20er Jahre bringen neuen Schwung in die Wirtschaft und in das Lebensgefühl der Menschen, viele können sich wieder etwas gönnen. Aber es gibt auch noch viele arme Leute, die sich mühsam ihren Lebensunterhalt erarbeiten. Martin Tietz, der neue Geschäftsführer im Kaufhaus, baut das Ambiente und das Angebot im Luxussegment weiter aus, die Reichen sind ihm die liebsten Kunden. Politisch gesehen, bietet sich in Deutschland den Nationalsozialisten ein fruchtbarer Boden, sie breiten sich immer weiter aus und die Juden immer mehr aus den Geschäften.

Einmal mehr hat mich Marie Lacrosse mit ihren Figuren mitfühlen lassen, die Freuden, Sorgen und Nöte der Menschen erzählt und mir damit die Zeit bildhaft und emotional vor Augen geführt. Die abwechslungsreiche Geschichte zeigt wie sich Frauen im Berufsleben gegenüber den Männern behaupten mussten, wie viele Menschen trotz Wirtschaftsaufschwung in Armut und Not leben mussten und wie sich der Neid auf reiche Mitbürger und jüdische Geschäftsleute ausweitete und eine Welle der Judenverfolgung in Gang setzte.

Die Handlung um die Protagonistinnen Rieke und Judith gewährt differenzierte Einblicke in die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und beschreibt die Lage der jüdischen Bevölkerung, die mehr und mehr angefeindet werden.


Für mich war dieser fesselnde Abschluß der Dilogie ein echtes Lesevergnügen, das mich mit dem Geschehen rund um das Kaufhaus gut unterhalten hat und außerdem die politische Entwicklung dieser Zeit nachvollziehbar wiedergegeben hat.

Bewertung vom 20.06.2023
Inselgeister
Ohle, Bent

Inselgeister


ausgezeichnet

Ein Krimi-Highlight mit Blick in die dunkle DDR-Vergangenheit

Die Ruhe und Einsamkeit während des Corona Lockdowns auf Amrum ist beendet, die erste Fähre des Tages erreicht mit Touristen die Insel. Auch Inselpolizist Nils Petersen ist bei der Ankunft der Fähre dabei. Doch die Freude über das neue Aufleben des Tourismus währt nicht lang, denn an Bord befindet sich ein Toter, wie sich herausstellt, wurde er vergiftet. Als wenig später auch noch ein Mann von einem scheinbar harmlosen Inselgast entführt wird, gibt es für Nils reichlich Arbeit. Er bekommt Unterstützung von Oberkommissar Hagen aus Niebüll. Die Ermittlungen führen in die deutsch-deutsche Vergangenheit und Nils Petersen kommt einem längst vergessen geglaubten Verbrechen auf die Spur.

Der Tote auf der Fähre stellt sich als Mordfall heraus und wird von Oberkommissar Hagen untersucht, der auf die Mithilfe von Nils Petersen angewiesen ist, der als Ortskundiger die Befragung der vielen Gäste an Bord der Fähre übernimmt. Seine Tochter Anna unterstützt ihn mit Internetrecherchen.

Als auf der Insel noch eine Entführung gemeldet wird, hat Nils Petersen alle Hände voll zu tun. Nach und nach kristallisieren sich Verbindungen zu dunklen Stasi-Machenschaften heraus. Der Krimi wird auf zwei Handlungsebenen erzählt, der Mord und die Entführung spielen in der Gegenwart, haben aber ihren Ursprung in der Vergangenheit, als ein junger Mann bei einem Sportwettkampf seine Flucht aus der DDR wagt.

Beim Lesen dieser Rückblenden lief es mir kalt den Rücken runter, denn die brutale Art und Denkweise der Stasi-Mitarbeiter ist mir aus Erzählungen von Verwandten bekannt. Diese unmenschliche Systemtreue hat den DDR-Bürgern nicht nur das Leben schwer gemacht, sondern auch vielen Flüchtenden das Leben gekostet. Besonders schlimm ist vor allem die Tatsache, dass diese Funktionäre auch nach der Wende weiterhin ihr Schäflein im Trockenen hatten und ohne Aufarbeitung ihrer Vergangenheit bestimmte politische Positionen innehatten.

Bent Ohles Erzählstil ist flüssig, situationsbeschreibend und gut zu lesen, die Spannungskurve hält sich auf einem relativ hohen Level und steigt am Ende noch einmal an. Mir gefallen besonders die realistisch beschriebenen Stimmungen, die während der Flucht und bei der Entführung meine Sinne absolut gefesselt haben.

Bei der Ausarbeitung der Charaktere hat der Autor sein ganzes Können gezeigt und führt seinen Lesern vor Augen, wie hier die Grenze zwischen Recht und Unrecht verschwimmt und alte Schuld die späte Rache einfordert. Die tragischen Schicksale sind aus der Sicht der Veranlasser schnell vergessen, aber nicht bei den Leidtragenden früherer Verbrechen.

Absolut spannend wird hier eine Fluchtgeschichte zu DDR-Zeiten mit ihren düsteren Folgen erzählt.
Bei diesem Krimi baut sich die Spannung schon am Anfang durch den Toten auf und wird durch die Entführung und die Fluchtgeschichte immer weiter angehoben, weil man diese hautnah miterlebt. Ein absolut interessanter Fall, der sich mit der Stasi Vergangenheit auseinander setzt und spannende Lektüre auf zwei Handlungsebenen bietet. Eine frühere Flucht aus der DDR wird zum Dreh- und Angelpunkt für gegenwärtige Taten und das macht die besondere Tiefe dieses Krimis aus.

Mein neues Krimi-Highlight, weil hier Schuld und Rache und eine spannende Ermittung den Blick in die deutsch-deutsche Vergangenheit lenken. Absolut fesselnd und tiefer gehend als so mancher andere Krimi!

Bewertung vom 20.06.2023
Lighthouse Bookshop
Gosling, Sharon

Lighthouse Bookshop


sehr gut

Ein schöner emotionaler Wohlfühlroman über Freundschaft und Buchliebe In einem Leuchtturm im Nordosten Schottlands gibt es eine antiquarische Buchhandlung, in der Rachel ihre Zeit verbringt, dort Bücher verkauft, Shortbread und Kaffee anbietet oder Streit zwischen den Stammgästen Edie und Ezra schlichtet. Ihr Chef Cullen spielt dann mit seinem Freund Ron Schach und Rachel sieht ihnen dabei zu. Das klingt nach einem eingespielten Team, zu dem eines Tages die Ausreißerin Gilly hinzustösst. Und auch Toby, ein ausgebrannter, ehemaliger Kriegsreporter, zieht in die Buchhandlung, um zu schreiben.

Dieser Roman spielt in einer ganz besonderen Location, weit weg von der Schottischen Küste in Newton Dunbar steht ein Leuchtturm, der eine Buchhandlung mit antiquarischen Büchern beherbergt, den "Lighthouse Bookshop". Dort wohnen und treffen sich Bücherfreunde, also das klingt doch wirklich außergewöhnlich und absolut verlockend für jeden Buchfan. Die Handlung der Geschichte dreht sich um Rachel, die vor fünf Jahren in diesem Leuchtturm einen Neuanfang gewagt hat und sich inmitten der Bücher und Dorfbewohner richtig wohl fühlt. Doch als der Besitzer stirbt, muss Rachel um ihr neues Heim bangen, die Suche nach dem Erben des Turmes startet eine interessante Nachforschung, die die Freunde des Leuchtturms noch enger aneinander bindet.

Die Charaktere sind mit Ecken und Kanten versehen, ziemlich unterschiedlich und alle recht sympathisch. Sie lachen und weinen miteinander, streiten und versöhnen sich und halten einfach zusammen und bilden eine nette Gemeinschaft, die sich beweisen muss, als die Ausreißerin Gilly zu ihnen stößt und als Cullen, der Besitzer des Leuchtturms, stirbt. Ob der Zusammenhalt funktioniert, wird sich zeigen.

Ich mag den ausführlich und bildhaft beschreibenden Schreibstil von Sharon Gosling, die immer etwas ins Detail geht und lange, atmosphärisch wirkende lange Sätze formuliert, die wunderbar stimmungsvoll klingen. Vor allem gefällt mir das Setting mit dem idyllisch gelegenen Leuchtturm, das ist ein toller Ort für eine Buchhandlung, die für die Dorfgemeinschaft zu einem zentralen Versammlungsort wird. Dort kann man sich einfach nur wohlfühlen und dieses Gefühl schwappt beim Lesen auch auf mich über. Die Charakterbeschreibungen mitsamt der Lebensgeschichte stellt die Autorin in Entwicklungsschritten dar, damit lernt man die Geschichten der einzelnen Personen näher kennen und erfährt, welche Lebenserfahrungen sie bereits hinter sich gebracht haben. Außerdem wird gezeigt, dass es im Leben eine zweite Chance auf die Liebe gibt und das wird im Buch auch gefeiert.

Romane über Neuanfänge und über Zusammenhalt gibt es reichlich, "Lighthouse Bookshop" ist durch seine wohltuende Erzählweise und die sympathischen Figuren etwas Besonderes. Es ist ein Wohlfühlroman über Neuanfänge und Freundschaft, ein Buch für die Sinne, besonders für Buchliebhaber:innen!

Bewertung vom 12.06.2023
Große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten
Friedewald, Boris

Große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten


sehr gut

Die Geschichte der Fotografie aus weiblicher Sicht
Im Prestel Verlag erscheint die erweiterte und aktualisierte Ausgabe des Sachbuchs "Große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten: Meisterinnen des Lichts" von Boris Friedewald.

Der Blick von Frauen auf ihr Umfeld ist ein anderer als der von Männern, das beweisen die in diesem Band versammelten Arbeiten der Fotografinnen. Es werden 6o Künstlerinnen porträtiert, die von fünf Kontinten stammen und über einen Zeitraum der letzten zwei Jahrhunderte gelebt und gewirkt haben, darunter berühmte Namen wie Anna Atkins, Eve Arnold, Lady Clementina Hawarden, Nan Goldin, Herlinde Koelbl und Cindy Sherman. Doch auch die anderen Künstlerinnen beeindruckend und faszinieren mit ihren Fotografien. Auch noch erwähnen möchte ich Lisette Model, Bettina Rheims, Ellen von Unwerth, Trude Fleischmann, Newsha Tavakolian und Gertrude Käsebier.

"Nicht viele Frauen üben den Beruf eines Fotoreporters aus, der eine absolute Gesundheit erfordert, Geduld, Neugier und eine offene Geisteshaltung, Geschicklichkeit und Mut in völlig unerwarteten Situationen: alles Fähigkeiten, die Frauen besitzen." Zitat Gisèle Freund, 1977 Seite 4

Die Vorstellung der Fotografinnen erfolgt alphabetisch, ich hätte mir eine chronologische Reihenfolge gewünscht, damit wären die ersten Vorreiterinnen und technischen Unterschiede schneller sichtbar.

Zu den "Meisterinnen des Lichts" gehören auch viele Fotografinnen, von denen ich bisher nichts gesehen habe, wie Hellen van Meene aus den Niederlanden, die Vietnamesin An-My Lê, Dayanita Singh aus Indien oder die tschechische Fotografin Jitka Hanzlová, um einige zu erwähnen. Sie verfolgen zum Teil politische Absichten mit ihren Bildern, wollen gesellschaftliche Missstände enthüllen oder einfach das Leben von Frauen in ihren Ländern abbilden.

Zu einigen ausgewählten Fotos legen treffende Zitate der Fotografinnen ihre persönliche Arbeits- oder Sichtweise dar und erklären damit ihre Hintergrundgedanken näher.

Jede Fotografin wird mit einem informativen und unterhaltsamen Text zu ihrem Leben und Werk sowie mehreren aussagekräftigen Abbildungen ihres Schaffens vorgestellt und wir erfahren etwas über die Hintergründe zur Technik oder zur Entwicklung der Forografie. Zu den Fotos werden Entstehungsjahr und Titel genannt und weitere Hinweise zum Inhalt oder Hintergrund der Aufnahme gemacht.

So bekommt man einen ungefähren Eindruck über die Schaffensbreite der Fotografinnen und kann sie mit den zeitlichen Besonderheiten ihrer Aufnahmen und dem herrschenden Zeitgeist gut in Kontext bringen.


Für mich ist das Buch etwas ganz Besonderes, denn es besticht durch die Auswahl und Qualität der Abbildungen und erweitert den Horizont durch die kenntnisreichen Texte. Das Spezielle an den Aufnahmen ist ihre vielfältige Wirkung auf den Betrachter, sie wollen auf besondere Weise erstaunen, erfreuen, abschrecken, anrühren, bestürzen oder beeindrucken. Aus dieser Fülle ergibt sich ein umfassender Blick auf die Geschichte der Fotografie von Frauen.

Diese umfangreiche und vielseitige Fotosammlung zeigt den weiblichem Blick durch die Linse und ist ein kunstvolles Coffee Table Book für alle Liebhaber:innen der weiblichen Fotografie. Wie erfolgreich sich diese Frauen in einer Männerdomäne behaupten konnten, dafür stehen auch ihre eindrucksvollen Fotos als Beweis.

Bewertung vom 12.06.2023
Bergleuchten
Seemayer, Karin

Bergleuchten


sehr gut

Ein lesenswerter Histo-Roman mit Liebesgeschichte
"Bergleuchten" heißt Karin Seemayers historischer Roman, der bei atb erscheint.

Göschenen, 1872: Helenes Vater transportiert als Fuhrhalter Waren mit Pferdefuhrwerken über den Gotthard, seine Tochter begleitet ihn häufig. Doch dann soll der Gotthard Tunnel gebaut werden, die Fuhrhalter fürchten um ihre Existenz und feinden die Bergleute an, die überwiegend aus Italien zum Arbeiten angeheuert werden. Sie brauchen Unterkünfte und Helenes Familie vermietet ein Zimmer an Piero, in den sich Helene verliebt. Doch diese Liebe hat keine Zukunft, denn Helenes Vater duldet diese Verbindung nicht. Die Arbeiten im Berg unter gefährlichen Bedingungen fordern den Mineuren alle Kraft ab und es kommt zu tragischen Unfällen und einigen Toten, auch Helene bangt mehrfach um Pieros Leben.

Karin Seemayer ist es wunderbar stimmungsvoll gelungen, die Arbeiten rund um den epischen Bau des Gotthard-Tunnels mit einer bitter-süßen Liebesgeschichte zu verbinden und das damalige Zeitgeschehen und die Probleme im Berg und im Dorf atmosphärisch darzustellen. Ganze 17 Kilometer Berg mussten über einen Zeitraum von acht Jahren für den Gotthard-Tunnel durch den Berg gebohrt werden, es war ein länderverbindendes, historisches Ereignis, dem die Einheimischen nicht unbedingt positiv gegenüber standen. Sie fürchteten sich vor dem Verlust ihrer Fuhrhaltereien und die große Menge an zugezogenen Italienern waren in den betroffenen Dörfern auch eine ungewohnte Situation, die eine Art Fremdenfeindlichkeit entstehen ließ.

Vor diesem historisch interessanten Bauvorhaben erzählt die Autorin die spannende Liebesgeschichte zwischen Helene und Piero und lässt die gesellschaftlichen Hürden deutlich werden, die dem Paar im Weg stehen. Diese Liebe wird zu keinem Zeitpunkt kitschig erzählt und es bleibt bis zum Ende spannend, wie diese Liebe verlaufen wird. Denn die Dorfbewohner verachten die Frauen, die Kontakt zu den Italienern haben und Helene weiß, dass ihre Eltern einer Ehe mit Piero niemals zustimmen würden.

Das Setting des Romans wird sehr bildhaft gezeigt, man kann sich die Szenerie im Berg gut vorstellen und bekommt einen deutlichen Eindruck davon, unter welch harten und gefährlichen Bedingungen sich die Menschen damals durch den Berg hauen mussten. Der Einsatz von Dynamit, der Bohrstaub und die giftigen Gase machten diese Arbeit zu einer lebensgefährlichen Sache, die vielen Arbeitern das Leben kosteten oder sie mit schweren Verletzungen zurückließen. Die mangelhafte Unterbringung und fehlende Hygiene erschwerte die Situation noch erheblich und so ist dieser Bau auch ein Bau unter Tränen und Schweiß.

Gleichzeitig wandert man mit Helene und Piero durch die wunderschöne Bergwelt, erlebt die Schneelandschaft im Winter, die blühenden Sommerwiesen, das Bergpanorama mit dem Bergleuchten und so bekommt die Geschichte neben der Entstehung des Bauwerks auch eine erzählerische und gefühlvolle Variante, die die Handlung perfekt abrundet.

Ihre Charaktere hat Karin Seemayer sehr lebendig angelegt, es sind facettenreiche Figuren entstanden, die die kulturellen Gewohnheiten der Italiener und die sozialen Lebensbedingungen der Dorfbewohner sehr gut beschreiben. Auch wird deutlich, wie der beschauliche Ort von den zahlreichen Arbeitern förmlich überrannt wurde und Marktstände und Gasthöfe nach italienischer Art entstanden, was das gewohnte Lebensgefühl sichtbar veränderte.

Diesen Roman habe ich aufgrund des interessanten Bauvorhabens und der widrigen Liebesgeschichte gespannt verfolgt. Den Figuren hat es ein wenig an Tiefe gefehlt, den Ausgang der Liebesgeschichte habe ich vorhergesehen, aber das Gesamtpaket hat mich gut unterhalten.

Ein lesenswerter Roman, der die schwierigen Umstände vom Bau des Gotthard-Tunnels und das Leben der Anwohner sichtbar macht.

Bewertung vom 10.06.2023
Dalí
Adams, Alexander

Dalí


ausgezeichnet

Sehr interessantes Buch über Leben und Werk DALI´s
Alexander Adams Buch "Dalí" ist der 15. Band der Reihe Große Meister der Kunst aus dem Prestel Verlag.

Salvador Dalí gilt als einer der Hauptvertreter des Surrealismus und zu den bekanntesten Malern des 20. Jahrhunderts. Um 1929 hatte Dalí seinen persönlichen Kunststil gefunden, er wollte die Welt des Unbewussten darstellen, wie sie in Träumen erscheint. Seine zerfließenden Uhren und Musikinstrumente, Krücken und brennende Giraffen wurden zu Erkennungsmerkmalen in Dalís Malerei. Durch seine bizarre Bildsprache provozierte er und wurde einem breiten Publikum bekannt.

Wie in dieser Reihe üblich, teilt sich dieses Buch in vier Abschnitte auf. Nach der zeitbeschreibenden Einleitung folgen Fakten und Ereignisse aus Dalis Leben. Danach werden einige Werke mit Bild und Text über eine Doppelseite vorgestellt. Im Anschluß folgen Literaturauswahl und Bildnachweise.

Salvador Dalí (1904–1989) war Maler, Bildhauer, Autor, Filmemacher und Allround-Unterhalter und einer der größten Exzentriker des 20. Jahrhunderts. Er wurde für seine surrealistischen Bilder gefeiert und übertrug als einer der Ersten die Erkenntnisse der Freud’schen Psychoanalyse auf die Kunst. Ikonische Bilder wie die weichen Uhren oder das Hummertelefon gelten inzwischen als Symbole für den Surrealismus und die Moderne schlechthin.

Dieses kompakte Buch informiert umfassend über den Künstler und seine Werke. Er war ein Tausendsassa, ein Kriegsgegner, interessierte sich für Politik, Psychoanalsye, Kern- und Atomphysik und wurde durch sein provokantes Verhalten bekannt und dazu passt auch seine bizarre Bildsprache. Sein malerisches technisches Können erlaubte es ihm, seine Gemälde in einem altmeisterlichen Stil zu malen, der an den späteren Fotorealismus erinnert.

In diesem Buch erfährt man, wie Dalí von Zeitgenossen wie Miró, Ernst und de Chirico sowie von Raffael und Gaudí beeinflusst wurde. Neben den informativen Texten gefällt mir die Bildqualität sehr gut und ich finde, dass die Auswahl der gezeigten Gemälde einen breiten Einblick in das Werk des Künstlers ermöglichen.

Dieses vielseitig bebilderte und sehr umfassend informierende Buch bietet einen guten Überblick über Dalís künstlerische Entwicklung, sein Lebenswerk mit speziellen künstlerischen Ausdrucksformen, Erfolgen und berichtet auch über seine Autobiografie und sein Leben mit seiner Frau Gala. Für Kunstliebhaber eine gelungene Einführung in Salvador Dalís Werk!

Bewertung vom 09.06.2023
Wenn der Tod die Glocken läutet / Walli Schimmel Bd.3
Angeli, Romina

Wenn der Tod die Glocken läutet / Walli Schimmel Bd.3


sehr gut

Ein humorvoller Regionalkrimi, der von seinen skurrilen Figuren lebt.

Die Kirchturmglocken läuten außer der Reihe und am Strick hängt schrecklicherweise der tote Messner. Für Walli deutet alles auf einen Suizid hin und sie beachtet den Fall nicht weiter. Denn ihr brennt eine viel spannendere Frage auf der Seele, denn ihr Wolfi benimmt sich höchst ungewöhnlich und scheint eine geheime Affäre zu haben. Als dann auch noch die junge Lebensgefährtin des toten Messners spurlos verschwindet, klingeln bei Walli alle Alarmglocken und sie verbeißt sich abenteuerlustig in die Ermittlungen.

Walli, Walburga Schimmel, lebt zusammen mit ihrem Sohn Wolfi, Ü40 und Polizist, im verschlafenen Dörfchen Burglbach im Allgäu und kennt fast das ganze Dorf. Sie ist eine recht eigensinnige, skurrile Person mit einer direkten Art, ihr Äußeres ist durch ihren ausgefallenen Kleidungsstil sehr auffällig und sie macht was sie will. Dabei sind ihr andere Meinungen völlig egal. Aber dennoch ist Walli stets eine hilfsbereite Person, auf die man sich verlassen kann. Und mit ihrem logischen Verstand kombiniert sie auch im Fall des toten Messners die Fakten und macht sich auf die Suche nach dem Täter.

In diesem Band dürfen wir auch mal einen Blick in Wallis Vergangenheit werfen und erfahren Erlebnisse aus ihrem früheren Leben mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann.

Die Krimihandlung liest sich durch die Beschreibung der vielfältigen Personen und der regionalen Schauplätze eher wie ein Roman, die Toten sprechen aber eine andere Sprache. Walli lässt sich nicht abbringen, bis sie endlich die Hintergründe für die Morde herausgefunden hat.

Die Autorin ist ihrem bisherigen Erzählstil treu geblieben und sorgt mit lockeren und humorvollen Dialogen, zum Teil in Mundart, für gute Unterhaltung. Während der Geschichte werden auch die Personen und Beziehungen der Dorfbewohner untereinander gut dargestellt, sodaß man sie alle deutlich vor Augen hat. Aber trotz allen Vermutungen, konnte ich den Fall dann doch nicht von allein lösen, denn die Auflösung bringt einige Dinge ans Licht, die man nicht hätte ahnen können.

Das Miträtseln hat Spaß gemacht und es war spannend, Walli bei ihren Ermittlungen über die Schulter zu schauen.


Bei diesem Buch darf man sich auf einen humorvollen und unterhaltsamen Krimi freuen, der von den skurillen Figuren lebt und das ländliche Flair der Gegend gut darstellt.

Bewertung vom 07.06.2023
Die verlorene Tochter / Die verlorenen Töchter Bd.1
Lane, Soraya

Die verlorene Tochter / Die verlorenen Töchter Bd.1


sehr gut

Ein fesselnder Roman und wunderbarer Reihenauftakt

Lily stammt aus einer Winzerfamilie, sie kennt und liebt die Herstellung von Wein. Für ihr berufliches Ziel als Kellermeisterin arbeitet sie auf unterschiedlichen Weingütern, ihr nächster Einsatz ist in Italien. Doch kurz vor ihrer Abreise bekommt sie von einem Notar ein geheimnisvolles Kästchen ihrer vor längerer Zeit verstorbenen Großmutter ausgehändigt. Darin befindet sich ein italienisches Rezept und ein Abschnitt vom Programm der Mailänder Scala. In Italien angekommen, begibt sie sich auf Spurensuche. Auf dem Weingut verliebt sie sich in António, der sie bei ihrer Reise in die Vergangenheit begleitet.

Als Kellermeisterin beginnt Lily ihre Arbeit als Kellermeisterin auf dem italienischen Weingut der Familie Rossi und findet nach und nach Gefallen an António, den Winzersohn. Die beiden geheimnisvollen Hinweise des Kästchens sind die einzigen Spuren auf das Familiengeheimnis der wahren Herkunft ihrer Urgroßmutter und lassen Lily nicht los, dieses Rätsel möchte sie unbedingt auflösen. Die Spuren führen sie nach Mailand, an die Mailänder Scala und ein handgeschriebenes Rezept weist auf eine Bäckerei hin. Wer war Lilys Großmutter und hat Lily vielleicht italienische Familienangehörige, von denen sie nichts weiß?

Bei der Spurensuche stößt Lily auf die tragische Liebesgeschichte ihrer Urgroßmutter, Estée. Sie war eine Balletttänzerin, lernte schon früh den Bäckerssohn Felix aus Alba kennen und hat ihn geliebt. Wechselseitig werden Estées und Lilys Geschichten erzählt und haben mich mit den unterschiedlichen Schicksalen bis zum Ende gepackt.

Der Roman liest sich aufgrund des einnehmenden und gefühlvollen Erzählstils und der tragisch anrührenden Geschichte Estées und ihres Geheimnisses einfach wunderbar spannend. Durch die zwei Handlungsstränge versteht man die Hintergründe näher und erlebt zwei Liebesgeschichten, bei denen mich Estées Vergangenheit noch mehr gefesselt hat als die gegenwärtige Story zwischen Lily und Antonio, die aber auch sehr unterhaltsamen Charme besitzt. Die Charaktere werden absolut lebendig gezeigt, man kann sich gut in ihre Situation hinein versetzen und die bildhaft beschriebenen Schauplätze geben dem Ganzen einen wunderbaren Rahmen.

Ein lesenswerter Roman, der das Geheimnis eines Erbstücks offen legt und mit bittersüßer Liebe und einem Leben auf einem Weingut in Italien absolut gut unterhält.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2023
Der Duft der schwarzen Erde
Daniel, Sibel

Der Duft der schwarzen Erde


sehr gut

Eine ergreifende und spannende Familiengeschichte
"Der Duft der schwarzen Erde" ist der Auftaktband der Reihe "Fremde Heimat" von Sibel Daniel, die bei Tinte & Feder erscheint.

Osteuropa 1940: Alma wächst auf einem Weingut in Bessarabien auf, das ihr Vater mit harter Hand führt. Sie liebt die wilde Steppe und die sanft geschwungenen Weingärten ihrer Heimat und arbeitet mindestens so schwer wie die Männer und sie weiß, was sie will: ihren besten Freund Gregor heiraten und Winzerin werden. Doch das Schicksal spielt mit ihr ein anderes Spiel, mit ihrem Temperament und ihrem guten Aussehen gerät sie ins Visier eines SS-Offiziers. Und bedingt durch den Zweiten Weltkrieg muss die Familie umsiedeln.

Der Prolog startet 2001 in Buenos Aires, wo die betagte und schwerkranke Alma Steiner Besuch von ihrer Nichte bekommt, die mehr über ihre Familie und Almas Leben erfahren möchte. Alma erinnert sich zurück und startet mit ihrer Erzählung im Jahr 1940 in Bessarabien.

Alma lebt in Bessarabien, einem Landstrich in Südosteuropa, auf dem Weingut ihres Vaters, dass er mit strenger Hand führt. Die weite Steppe gehören zum Alltag dazu, genau wie die harte Arbeit in den Weinbergen, wo Alma tüchtig mithilft. Sie verliebt sich in Gregor und möchte ihn heiraten, doch schon bald hat das Leben andere Pläne für sie und es kommen schwere Zeiten auf sie zu. Hitlers Pläne für eine Umsiedlung aller Bessarabier zurück nach Deutschland, hat für Almas Familie enorme Auswirkungen. Sie müssen von einem Tag auf den anderen ihre Heimat verlassen und verlieren damit auch ihre Träume, Zukunftspläne und ihre Ländereien. Es gibt tragische Abschiede, emotionale Tiefschläge und Schicksale zu verkraften, die die Ungerechtigkeit der Umsiedlung sichtbar machen. Auch Alma muss die Widrigkeiten ihres Lebens von nun an durchstehen. Die Handlung führt uns Almas Leben vor Augen, die Verzweiflung ist oft groß, aber dennoch schafft es Alma, auch die schlimmsten Zeiten mit Mut und Hoffnung zu überstehen. Und wir erfahren, wie ihre Brüder mit diesen Umständen umgegangen sind, dabei wird es noch sehr dramatisch. Ich habe Alma bewundert, denn sie hatte ihre klaren Ziele.



Durch die zwei Erzählebenen wird die Vergangenheit mit der Umsiedelung und den Kriegsjahren, sowie Almas gegenwärtiges Leben gut sichtbar gemacht. Dadurch entsteht ein runder Rahmen, der mir Alma und ihr Leben sehr feinfühlig näher gebracht hat. Doch nun möchte ich wissen, wie es ihr weiter ergangen ist und nehme an, der nächste Band klärt das auf.


Der Roman erzählt eine emotionale und ergreifende Familiengeschichte, die von einer Zeit erzählt, als Umsiedlungen und Flucht vielen Menschen ihre Heimat nahm. Doch diese Menschen ließen sich nicht entmutigen, sondern schafften es, sich woanders heimisch niederzulassen.