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Juti
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HD

Bewertungen

Insgesamt 688 Bewertungen
Bewertung vom 31.08.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


ausgezeichnet

Übrigenskultur

Eine Tochter wächst ohne ihren Vater auf, weil dieser bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Nun versucht die inzwischen 60 Jahre alte Tochter Kontakt zum Unfallverursacher aufzunehmen. So viel wusste ich.

Ich wusste vielleicht auch noch, dass der Schuldige, anfangs nur E.T. genannt einen Pferdewagen überholte und dabei den VW-Käfer übersah, in dem der Vater mit seinem Onkel saß. Der Onkel überlebte, ich sage mal leicht verletzt.

Ich wusste aber nicht, dass dieses Buch quasi zusätzlich noch alles über Autounfälle, deren Zahl seit den 60er Jahren zwar abgenommen hat, aber immer noch so hoch ist, dass man Hunde verbieten würde, wenn genau so viele Menschen an Hundebissen sterben würden.

Doch wir erfahren noch viel mehr. Wir werden in die Demenzkrankheit eingeführt, weil die Mutter der Tochter inzwischen in einem Altenheim lebt und darunter leidet, wir hören von anderen Leuten, die auch früh ein Elternteil verloren haben, sei es durch Unfall, sei es durch Krebs.

Wir lernen Glarus und die direkte Demokratie kennen und erfahren etwas über die Anfänge der Frauen- und Schwulenbewegung in der Schweiz.

Nein, also 200 Seiten können wirklich nicht mehr bieten und ich kann auch nicht mehr als 5 Sterne bieten.

Bewertung vom 26.08.2024
Dagegen die Elefanten!
Leupold, Dagmar

Dagegen die Elefanten!


gut

Warten auf Godot

Wie ist das ein Leben als Garderobenarbeiter. Sollte ich Garderobier schreiben? Die Autorin beschreibt unseren Helden als so gewissenhaft, dass er im Winter sogar die Schuhe wechselt, wenn er die Kleidung der Theaterbesucher entgegennimmt.

Vormittags hat er frei. Dann besucht er die Stadtbücherei und frönt seinen bildungsbürgerlichen Hobbys, die aber kaum zu seinem Gehalt passen. Das wird aber nicht thematisiert.

Spannung kommt nur einmal auf. Um die Seite 100 findet Herr Harald in einem zurückgelassenen Mantel eine Pistole. Nach den Sommerferien will ein Mann sie tatsächlich abholen. Doch unser Protagonist hat sie längst mit nach Hause genommen. Anstatt sie aber für irgendetwas einzusetzen, verändert sich sein Leben erst, als ihm zufällig eine Katze zuläuft.

Während ich den ersten Teil noch interessant fand, weil sich endlich mal jemand um das Leben eines Garderobier kümmert, musste ich im zweiten Teil mehr und mehr kämpfen, weil aus der Pistole nichts gemacht wurde. Die kleinen Namensverwechselungen sind zwar witzig, erheitern aber nur kurz. Auch den titelgebenden Abschnitt in einer Kneipe musste ich zweimal lesen und habe ihn dennoch nicht verstanden. 3 Sterne

Eine Gruß noch an Frau von Saalfeld von der FAZ. Herr Harald wird 13 und nicht 11 Monate begleitet, wobei die Monate aus nur wenigen Tagen bestehen.

Bewertung vom 24.08.2024
Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt / Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Jg. 2023
Heidelberger Geschichtsverein

Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt / Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Jg. 2023


sehr gut

Licht und Schatten

Nach wie vor muss ich das Erscheinen dieses Bandes loben. Und in der Tat haben mich zwei Artikel dieses Bandes regelrecht vom Hocker geworfen.

Da ist zunächst der Eingangstext über den Tod von Johannes Sylvanus am Weihnachtstag 1572 auf dem Marktplatz in Heidelberg hingerichtet. Warum wurde ihm nicht wie seinen Gesinnungsgenos­sen gestattet die Kurpfalz zu verlassen. Es waren wohl mehr als theologische Gründe, die Friedrich III. bewogen, das Urteil auch zu vollstrecken. Ein Historiker schreibt seither seinen Beinamen „der Fromme“ nur noch in Gänsefüßchen. Sollten wir das nicht zukünftig immer machen?

Der zweite herausragende Artikel beschäftigt sich mit der „linken“ Jugend der Bonfatiusgemeinde und wie sie aus den Kirchenräumen herausflog. Sehr spannende Zeitgeschichte.

Zwei Texte habe mich ein wenig enttäuscht und das obwohl die Autoren laut Autorenverzeichnis Grips in der Birne haben müssen. Da ist zunächst der Artikel über Jacob Lindau und die Casino-Bewegung. Dass besagter Lindau die Altkatholiken bekämpfte und deswegen sogar verurteilt wur­de, suchen wir im Text aber vergebens. Stattdessen spricht er ernsthaft von „Auchkatholiken“ (68).

Der zweite misslungene Text behandelt die Figuren der Zwölf Apostel, weil hier für einen Sachtext in unzulässiger Weise Dichtung und Wahrheit vermischt werden. Ganz angetan war ich wiederum vom Text über das Wrede-Denkmal auf dem heutigen Friedrich-Ebert-Platz.

Ungern, aber meinen lieben Freunden kann ich wegen der dargestellten Mängel diesmal nur 4 Sterne geben. Nächstes Jahr wieder mehr!

Bewertung vom 21.08.2024
Blutzeuge
Gnilka, Christian; Heid, Stefan; Riesner, Rainer

Blutzeuge


weniger gut

Mühsame Beweisführung

Auf Seite 167 schreibt Heid den schönen Satz: „Liturgisches Wissen ist nicht schon historisches Wissen.“ Er verweist auf die Feiern an den Gräbern der Märtyrer. Im September sind dies am 9. Gorgonus an der via Labicana, am 11. Protus und Hyazinth an der Basillakatakombe, am 14. Cyprianus an der Kallixtkatakombe und am 22. Basilla an der via Salaria vertus. (186) Martyrerverehrung begann also schon früh.

Doch hätte mir die Beweisführung des Autors noch besser gefallen, wenn er auch dieses Satz geschrieben hätte: Biblisches Wissen ist nicht schon historisches Wissen. Allein dieser Satz fehlt.
Wenn er die Geschehnisse aus der Apostelgeschichte zitiert, wo selbst schon Taschentücher der Apostel Wunder wirkten, dann wirft er eher Nebelkerzen. Im Vergleich zum Galaterbrief des Paulus sehen wir doch, dass Lukas in der Apostelgeschichte an vielen Stellen übertrieb. So wusste Paulus gar nicht, dass er römisches Bürgerrecht hatte.

Am besten gefällt mir der Beweis durch Widerspruch auf Seite 150f: Keine andere Stadt erhebt den Anspruch die Gräber von Petrus und Paulus zu besitzen und bei den fielen östlichen Patriarchen wäre ein Schwindel Roms schnell aufgefallen. Dies fasst das ganze Buch zusammen.

Noch ein kurzes Wort zu den anderen Autoren: Riesner beschreibt die biblische Sicht. Seltsam nur, dass die Apostelgeschichte mit der Wohnung von Paulus in Rom endet und für Gnilkas Text sollte man wohl Griechisch können.


Auch wenn ich die Ansicht des Autors teile, dass Petrus und Paulus in Rom waren und dort bestattet sind, konnte ich Mängel in der Beweisführung finden, so dass ich nur 2 Sterne herausgebe. Einmal wird beispielsweise das Matthäus-Evangelium zitiert, die nicht passt, da es um Juden geht, die Christen verfolgen. In Rom waren die Täter aber Heiden.

Bewertung vom 19.08.2024
Verlorene Pracht
Haider, Edgard

Verlorene Pracht


sehr gut

verlorene Geschichte der Architektur

Nichts wird für die Ewigkeit gebaut. Auch die prächtigsten Häuser fallen irgendwann zusammen. Gut, die meisten werden saniert oder renoviert. Aber Haider hat berühmte Bauwerke ausgewählt, die das Zeitliche gesegnet haben.

Das Buch ist nach der Art der Gebäude aufgebaut, der Ort ist aber immer mitgenannt. Er hätte auch nach Art des Abrisses ordnen können. Meistens fing es mit einem Brand im Krieg an, kein Wiederaufbau und die Reste werden später für einen anderen Neubau entfernt. In der DDR passte Pracht auch der Politik nicht ins Konzept.
Es gibt aber wenig andere Beispiele, wo das Gebäude nicht mehr in die Zeit passte oder der Bauplatz für ein anderes Haus gebraucht wurde. Nie hat sich das Stadtbild dadurch verbessert. Auch Erbstreitigkeiten können letztlich zum Abriss führen.


Mit diesem Buch mit schönen Schwarzweißbildern bleiben sie wenigstens in Erinnerung. Weltbewegend ist es nicht, aber vollauf verdiente 4 Sterne.

Zitat: Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit. (127)

Bewertung vom 14.08.2024
Engel und Heilige
Weinberger, Eliot

Engel und Heilige


sehr gut

Engelstheologie

Mich wundert an diesem Buch am meisten, dass der bekennende Atheist Denis Scheck den Autor für seine Sendung besucht hat. Das kann doch nur heißen, dass wir mit einem Augenzwinkern wahrnehmen sollen. Aber tun das außer den 150 prozentigen Katholiken nicht eh schon alle?

Respekt für die Rezension von Hubert Winkels, der vieles schon gesagt hat, doch die Zeit spricht von christlichen Engel. Und da ist das erste Manko: Engel gibt es auch im Judentum und im Islam. Wie steht der Buddhismus zu Engel. Also Herr Weinberger, schreiben Sie Band 2!

Gleich zu Beginn werden verschiedene Rechnungen vorgestellt zu der Anzahl der Engel. Winkels stellt die höchste Anzahl vor. Mir gefällt aber eine der ersten besonders gut. Jede Legion hat 6.666 Engel und in jeder Ordnung gibt es 6.666 Legionen. Bei 9 Ordnungen macht das 6.666*6.666*9 und das sind 399.920.004 – Ich mag diese 4 Engel nach den viele Nullen, die wie eine gerundete Zahl aussehen. Sie erinnern mich an „Alice im Wunderland“. Dort wird der Hirte gefragt, wie viele Schafe er hätte. „1.007“ war seine Antwort. Dann kam die Nachfrage, woher er das so genau wüsste, er könne doch sagen etwa tausend Schafe. „Nein“, sagte er darauf, „die 7 stehe hier vorne, nur bei den 1.000 bin ich mir nicht so ganz sicher.“

Dann geht der Autor der Tätigkeit von Engeln nach. Obwohl Weinberger seinen Leserinnen vermittelt, dass er genau recherchiert hat, bleiben seine Erkenntnisse vage.
Biblische Engel seien meist junge Männer – ich glaube nicht, dass die Bibel weibliche Engel kennt, aber das verschweigt der Autor. Wir kennen vor allem die Verkündigungsengel und die Schutzengel, die sich auf den 91. Psalm beziehen. Schutzengel versagen nicht, wenn Menschen doch ein Unglück passiert, es liegt an der Unachtsamkeit der Menschen.Aber Engel können eigentlich alles.

Die Reformation konnte die Theologie der Engel nicht richtig ernst nehmen, was sie in der Frage ausdrückten, wie viele Engel auf den Kopf einer Stecknadel passen. Thomas von Aquin, der Engelexperte des Mittelalters, gibt hier keine klare Antwort, doch mir scheint plausibel, dass sie weder an Raum noch an Zeit gebunden sind.

Engel werden ewig sein, sind aber nicht ewig gewesen. Im Gegensatz zur Aeternitas, der Ewigkeit Gottes, die Gott nur alleine besitzt, spricht man bei den Engeln von Aevernitas, da die Himmelswesen einen Anfang , aber wohl niemals ein Ende haben.
Auch wenn Winkels anderes schreibt, so wird der gefallene Engel, der Dämon oder Teufel doch behandelt. Diese cleveren Wesen nutzen die sieben Arten der Versuchung: Importuna (ständige Belästigung), Dubia (Zweifel), Subita (plötzliche Versuchung, die so die Vernunft ausschaltet), Oculta (geheime Arglist), Violenta (der Wille wird durch die Angst vor dem Tod gebrochen), Perplexa (zwischen zwei Übeln gefangen) und Fraudulenta (der Wille wird durch den Anschein etwas Gutes getäuscht).

Im zweiten Abschnitt geht es mehr um Engelsversionen, die die Heiligenanekdoten schon etwas vorwegnehmen, im dritten Abschnitt folgt die Hierarchie der Engel: Ganz oben sind Seraphim, Cherubim und Throne, dann folgen Herrschaften, Mächte und Gewalten. Auf der untersten Stufe stehen Fürstentümer,Erzengel oder einfach nur Engel.
Abschnitt 4 ist historisch, Abschnitt 5 eine Aufzählung von Engeln, 6 und 7 Anhänge.

Da meine Engelstheologie so lang war, kann zu den Heiligengeschichte nur sagen, dass sie meistens kurz und knapp sind und dass du dich am Ende fragst, was sie zu Heiligen macht. Und zu guter letzt kehrte doch einer mal aus dem Jenseits zurück und erklärte, dass die Regeln dort viel strenger seien.


Ein sehr inhaltsreiches Buch, das wegen der dargestellten Lücken, aber nur 4 Sterne erhalten kann.

Bewertung vom 08.08.2024
Biedermeier in Heidelberg 1812-1853

Biedermeier in Heidelberg 1812-1853


sehr gut

Leistete, was es sollte

Ich habe diese Buch ausgeliehen, weil es einen Artikel über Charles de Graimberg enthält, dem Retter des Heidelberger Schlosses. Dieser Artikel war sehr inhaltsreich.

Dass einige andere wie der über die Bauwerke in der Biedermeierzeit in Heidelberg, die Mädchenerziehung und andere hier nicht erwähnte und teilweise auch nicht gelesene Artikel weniger spannend waren, sei verziehen.

Ein Lob dem Heidelberger Kulturamt, das seinerzeit den Mut zu dieser Sammlung hatte. Ein weiteres Lob zum Artikel über den Schlossgarten, der auch nach dem Ende Heidelbergs als Residenzstadt so manche Änderung erlebte. Meistens allerdings negativ, da Baufälliges abgerissen wurde. Ich glaube 4 Sterne sind in Ordnung.

Bewertung vom 07.08.2024
Die Heiliggeistkirche in Heidelberg im Wandel der Zeiten
Schwara, Matthias

Die Heiliggeistkirche in Heidelberg im Wandel der Zeiten


ausgezeichnet

Heidelberger Besonderheiten

Die erste Kirche Heidelbergs war die Peterskirche. Dann kommt Ruprecht II. Und will eine Universität gründen, in der zunächst nur Geistliche lehren dürfen. Also baut er zwischen 1398 und 1400 – genauer weiß man es nicht – die Heilig-Geist-Kirche, die im Buchtitel ein Wort ist.
In der Kirche findet die Bibliotheca Palantina, seinerzeit die berühmteste Bibliothek der Welt Unterschlupf.

Doch kommt zunächst ohne viel Wirren die Reformation hierher. Der Heidelberger Kathechismus wird weltberühmt. Ebenso oft wechselte auch die Konfession der Landesherren. Wenn einem Professor diese nicht passte, durfte er gehen.

Nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg - die Dissertation weist auf Vorgängerfälle schon nach dem Westfälischen Frieden hin – wurde die Kirche geteilt. Der Chor wurde katholisch, das Langhaus reformiert. Doch Kurfürst Karl Philip passte das nicht. Er ließ am 4.9. 1719 die Kirche gewaltsam in Besitz nehmen. Da protestierten die Protestanten und schrieben einen Brief an den preußischen König, der wie alle Schutzmächte mit Krieg drohte. Doch weil der Pfalzgraf den Schiedsspruch des Kaisers akzeptierte, erlaubte er am 29.2. 1720 die reformierte Nutzung wieder, am 19.4 gab es wieder einen evangelischen Gottesdienst und am 11.5. 1720 stand die Mauer wieder. Der Pfalzgraf aber verlegte aus Frust seine Residenz nach Mannheim.

Napoleon kam und ging, die Jesuitenkirche wurde fertig und die Chorkirche zur Nebenkirche. Den Vorschlag der Katholiken die Jesuitenkirche mit der Heilig-Geist-Kirche zu tauschen lehnten die Protestanten ab.

Doch dann entstanden nach dem Ersten Vatikanischen Konzil die Altkatholiken. Am 26.1.1873 fand ihr erster Gottesdienst in der Peterskirche statt, am 8.3. 1874 hielt ihr erster Pfarrer Rieks dort den ersten Gottesdienst, doch nach dem Badischen Altkatholikengesetz stand ihnen ein Kirche zu. Am 21.7. wurde mit Zustimmung von Bischof Reinkens der Antrag auf staatliche Anerkennung mit einer Mitgliederliste von 326 Selbständigen und 786 Familienangehörigen gestellt, einen geringen im Vergleich zu 6.552 römischen Katholiken. Trotz Protesten des römischen Pfarrers und trotz Verweigerung der Schlüsselübergabe am 15.9. 1874 fand am 20.9. 1874 dort der erste altkatholische Gottesdienst statt (120ff).

Jahre vergingen und das Badische Bildungsministerium fragte, ob nicht das Heidelberger Universitätsjubiläum in der Heilig-Geist-Kirche ohne Mauer gefeiert werden könne. Beide dort gottesdiensthaltende Konfessionen stimmten zu. Auch die Römer konnte man übergangsweise gewinnen und so wurde die Scheidemauer vom 16.8. bis 10.10.1885 abgetragen. Am 3. und 4.8. 1886 fand der Festakt statt, doch dann einigten sich Altkatholiken und Reformierte auf eine gemeinsame Nutzung. Sie hatten aber die Rechnung ohne die Römer gemacht, die die Chorkirche zwar verkauft hätten, aber nicht zum angebotenen Preis. Letztlich urteilte das Reichsgericht am 20.10.1891, das die Mauer wieder stehen muss. Mit dem Wiederaufbau wurde letztlich am 19.6. 1893 begonnen. Weil man sich über die Baukosten stritt, war man erst im Frühjahr 1897 fertig.

Baukosten waren dann auch der Grund, warum die Trennmauer 1936 endgültig fiel. Den Römer waren die Unterhaltskosten zu hoch und 100.000 Reichsmark von den Reformierten waren nicht zu verachten. Wegen den 272 Altkatholiken sollte das Geschäft nicht scheitern (201). Denen wurde schließlich die alte Englische Kirche angeboten, die Peterskirche war wohl zu groß. Am 16.2. 1936 feierten schließlich die Altkatholiken ihren letzten Gottesdienst in der Chorkirche, am 11.5. 1936 wurde die Chorkirche verkauft, am 24.6. 1936 war die Scheidewand endgültig gefallen.

Danach folgte eine lange Renovierung der Kirche mit dem Kirchenfensterstreit, den du aber auch bei Petracca nachlesen kannst. So viel Inhalt – so viel Sterne, also 5 Sterne.

Bewertung vom 07.08.2024
Das Mädchen mit dem Drachen
Colombani, Laëtitia

Das Mädchen mit dem Drachen


sehr gut

Der moralische Zeigefinger

Seit Maja Lunde habe ich nicht mehr so sehr den moralischen Zeigefinger in einem Buch gespürt wie hier. Aber die Geschichte ist hier plausibel.

Lena wäre im Bengalischen Meer fast ertrunken, wird von Einheimischen gerettet und will sich bei Ihnen bedanken. Dabei stellt sie fest, dass es keine Schule gibt, weil die Kinder in der Familie arbeiten müssen. Sie bezahlt die Familien und beginnt zu unterrichten. Das Thema behandelt die Gewalt gegen Frauen und die kulturellen Eigenarten, ja man möchte schon sagen Gemeinheiten des Kastenwesens.

Immer wieder begegnet sie in der Schule neuen Probleme. Erst kommen die Mädchen wegen der Menstruation nicht in den Unterricht, dann werden sie früh verheiratet.

Lena hatte von einem anderen Leben geträumt, aber ihr Leben mit Francois scheiterte. Der Grund wird hier nicht gespoilert, auch nicht das spannende Ende, wobei der Epilog zu viel heile Welt hinterlässt.

4 Sterne für ein absolut plausibles Buch, das bekannte Probleme gut erzählt. Auch der große Druck macht im Freibad Freude.

Bewertung vom 06.08.2024
Der gedichtete Himmel
Matuschek, Stefan

Der gedichtete Himmel


ausgezeichnet

Standardwerk der Romantik

2.000 Seiten brauchte angeblich Friedrich Schlegel, um Romantik zu definieren. Andererseits kannst du im einem Satz sagen, dass du „fantasyhaft“ ein gesellschaftlich-kulturelles Erneuerungsprogramm durchsetzen willst (10). Am Ende heißt es, Romantik sei immer die Alternative gegen die akademisch-klassizistische Tradition (352).

Fangen wir doch an mit dem Theologen Schleiermacher, der wie folgt zitiert wird: „Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern, welcher keiner bedarf und wohl selbst eine machen könnte.“ (18) Ja, Schleiermacher fordert keine Rück- sondern eine Neubesinnung auf die Religion. Auch wenn sich die Menschen ihre Götter einbilden, kann man sie als „unverzichtbare menschliche Dimension erst nehmen“ (21).

So lehrt auch die italienische Romantik, dass man Texte aufgrund unterschiedlicher Eigenschaften „romantisch“ nennen kann. (23) Wilhelm Meisters Lehrjahre gilt als erster Prosaroman und läutet mit Fichte und der Katschen Philosophie und der Französische Revolution das neue Zeitalter ein, selbst wenn Friedrich Nicolai lieber Friedrich den Großen, die Kartoffel und die Amerikanische Republik als Ursache sieht.

Der wohl in der Literatur beheimatete Autor definiert die Romantik aber auf Seite 52 umfassend: „Als romantische Naturwissenschaftler bezeichnet man diejenigen, die um 1800 […] an der Vorstellung einer umfassenden Einheit festhielten.“

Doch kehrt Matuschek schnell zur Literatur zurück. Mit August Klingmann landen wir sogar bei der Religion. Er schafft einen Wahnsinnigen, der sich für Gott hält (101). Andererseits schreibt er auch von Jean Paul, dass dem gottlosen eine finstere Welt blüht (103).

Mit europäischem Bezug weist er daraufhin, dass Hoffmanns Erzählungen im Ausland berühmter sind als in seinem Heimatland. Auch Voltaire verspottete seine „Jungfrau von Orleans“, während Schiller ihr Ansehen wiederherstellte.

Das Lieblingswort des Autors ist „Kippfigur“. Man kann die romantische Literatur oder auch die romantischen Bilder von Dürer und Rafael religiös verstehen oder nicht. Und während später die nationalen Romantiker den deutschen Katholizismus als Fremdherrschaft ansehen, erklärt der Jenaer Professor: „Es sind keine religiösen oder gar theologischen Gründe, die hier die Konversion bewirken. Es ist die sinnliche Überwältigung und die römisch-katholische Kirchenarchitektur (157). Doch für Schlegel schreibt er später, dass er sich nach der Konversion von der Ironie distanziert. „Kippfiguren zwischen Gott und Abgott“ erschienen ihm wie Blasphemie (200).

Ein anderer Teil der Romantik sind Vampirgeschichten. Selbst der junge Goethe hat mit „Die Braut von Corinth“ eine religionskritische – da Religion als körper- und lustfeindlich wahrgenommen wird – Ballade zum Thema verfasst (201f).

Der Teil der nationalen Romantik interessierte mich weniger. Die Gotik ist auch keine deutsche, sondern eine französische Stilrichtung, dessen passender Roman Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ ist (294).

Turnvater Jahn hätte es zum Schluss für mich nicht gebraucht, auch wenn mir neu war, dass seine Übungen Vorbereitung fürs Militär für die Befreiungskriege war. Aber es ist so viel Inhalt im Buch, dass 5 Sterne gerechtfertigt sind.