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alina_liest07

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2022
Die Sommerschwestern Bd.1
Peetz, Monika

Die Sommerschwestern Bd.1


sehr gut

Schöne und warmherzige Sommerlektüre

Nachdem die Familie Thalberg mit den vier Schwestern Dora, Yella, Helena und Amelie vor 20 Jahren ihren Vater bei einem Verkehrsunfall im jährlichen Sommerurlaub an der Nordsee verloren haben, hat die Familie den Ort gemieden. Doch als die Mutter Henriette die Geschwister in ein Ferienhaus in Bergen einlädt, kommt die Vergangenheit und die Erinnerungen wieder hoch.

Im Zentrum diesen Romans stehen die vier Schwestern mit ihren ganz unterschiedlichen Charakteren und Lebensmodelle. Neben den tollen Beschreibungen der Umgebung rund um den holländischen Ort Bergen, bilden die Hauptfiguren und vor allem die Dynamik zwischen den Schwestern und ihrer Mutter die Stärke und das Herzstücks dieses Romans. Die geschwisterlichen Zankereien sowie die Verbindungen zwischen den Schwestern werden auf humorvolle aber auch warmherzige Art und Weise beschrieben. Auch in der komplizierten Beziehung von Yella und ihrer Mutter können sich sicher viele LeserInnen wiederfinden.

Für mich durchaus überraschend war, dass die Geschichte hauptsächlich aus Yellas Sicht erzählt wird, teilweise gibt es auch kurze Passagen aus Amelies Perspektive. So hätte ich mir auch an der ein oder anderen Stelle etwas mehr Tiefgang und mehr Ausführungen und Erklärungen gewünscht. Nachdem ich allerdings gelesen habe, das „Sommerschwestern“ der Auftakt einer ganzen Reihe rund um die vier Schwestern sein soll, ergibt es durchaus Sinn, sich beispielsweise die Perspektiven der anderen Schwestern noch aufzuheben.

Alles in allem ist Monika Peetz mit den „Sommerschwestern“ eine tolle Sommerunterhaltung mit sympathischen Figuren und einer traumhaft beschrieben Landschaft der holländischen Nordseeküste gelungen, der direkt Lust auf einen Sommer in der Umgebung macht.
Von mir gibt es eine Empfehlung, für alle die eine leichte Lektüre mit liebevollen Charakter für ein paar unterhaltsame Stunden suchen!

Bewertung vom 10.04.2022
Auf der Zunge
Clement, Jennifer

Auf der Zunge


gut

Irgendwo zwischen verwirrend und fesselnd

Eine Frau streift gedankenverloren und ihre Ehe und ihr Leben hinterfragend durch New York und trifft dabei ganz unterschiedliche Männer wie beispielsweise den Maler, den Räuber oder den Arzt.
Die Handlung von „Auf der Zunge“ ist schnell zusammengefasst und dennoch nie ganz greifbar.

Jennifer Clements neustes, ins Deutsche übersetzte Buch hat mich sehr hin- und hergerissen. Die wirren Gedankengänge und Gespräche zwischen der Protagonistin und den ihr begegnenden Männer schwanken irgendwo zwischen faszinierend und unverständlich. Vor allem die angeschnittenen jüdischen Hintergründe fand ich sehr interessant, auch wenn ich diese nicht ganz in den Gesamtkontext bringen konnte.

„Auf der Zunge“ hat sprachlich durchaus starke Passagen in denen wichtige philosophische Fragen angedeutet werden und Jennifer Clement hat die wirre und abstruse Atmosphäre eines Traumes auf einzigartige Art und Weise eingefangen.
Auch die Beschreibungen New Yorks und einigen bekannten Orten wie beispielsweise dem Strand Book Store, fand ich faszinierend und sie haben die Erzählung für mich zumindest etwas greifbarer gemacht.

Während ich teils wie in Trance in den fesselnden und komischen Beschreibungen der Protagonistin versunken, hat mich das Beschriebene auch immer wieder verwirrt und mir hat zu vielen Begegnungen und Gesprächen der Zugang gefehlt.

Alles in allem ein Roman, der mich sehr zwiespältig zurücklässt. Einerseits lässt mich dir mir unklare Botschaft ratlos zurück, andererseits hat das Buch durchaus einen sprachlichen und poetischen Reiz. Vielleicht hilft es bei dieser Erzählung von Clement weniger mit den Erwartungen an einen klassischen Roman heranzugehen, sondern es eher als Novelle beziehungsweise lange (Traum-) Dichtung zu sehen und zu lesen.

Bewertung vom 19.03.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


ausgezeichnet

Sommergefühle in Buchform

Die fast siebzehnjährige Maserati lebt gemeinsam mit ihrer Großmutter in einem kleinen Ferienort mit Badesee. Dort arbeitet Maserati im kleinen Restaurant ihrer Oma als Kellnerin und wartet sehnsüchtig auf die Volljährigkeit. Ihre genauen Familienumstände bleiben zunächst unklar - bis eine reiche Familie mit zwei Jungs in Maseratis Alter in die alte Villa am See zieht und der Sommer seinen Lauf nimmt…

Alina Bronsky hat einen tollen Schreibstil voller feiner Beobachtungen und Charme. Mit Maserati hat sie eine sehr sympathische und starke junge Protagonistin geschaffen, die man sehr gerne in ihren „Schallplattensommer“ begleitet.
Sehr häufig hat mich dieser berührende Coming-of-Age Roman zum Schmunzeln gebracht, es werden aber auch tiefgründige und schwerere Themen wie beispielsweise Demenz im Alter oder Traumata auf einfühlsame Weise in die Geschichte eingewoben. Für die nötige Spannung sorgen die verschiedenen (Familien-)Geheimnisse sowie Sorgen und Ängsten der Teenager, während die komplizierten Beziehungsdynamiken und aufkommenden Gefühle romantische Unterhaltung garantieren.

Ich habe „Schallplattensommer“ innerhalb weniger Stunden verschlungen und hätte Maserati am Ende gerne noch weiter auf ihrem Weg begleitet. Wenn es einen Kritikpunkt meinerseits gibt, dann das die Geschichte gerne noch ein paar Seiten mehr hätte haben dürfen.

Fazit: Eine wirklich tolle und warmherzige Coming-of-Age Story und ein sehr schöner Sommerroman, der die Magie der Sommerferien, des Erwachsenwerdens und der ersten Liebe wunderbar einfängt.
Mich hat „Schallplattensommer“ begeistert und ich kann es nur jedem ans Herz legen, der dieses magische Sommergefühl in Buchform sucht - egal in welchem Alter!

Bewertung vom 18.03.2022
New York und der Rest der Welt
Lebowitz, Fran

New York und der Rest der Welt


sehr gut

Bitterböse Großstadtsatire - „Höfliche Gespräche sind häufig weder das eine noch das andere.“

Höflich ist Fran Lebowitz Essaysammlung auf keinen Fall. Die amerikanische Autorin und New Yorker Persönlichkeit genießt in ihrer Heimat schon lange Kultstatus - bekannt ist sie vor allem für ihre bitterbösen, sardonischen Kommentare zum amerikanischen Leben durch die New Yorker Großstadtbrille.
In „New York und der Rest der Welt“ nimmt sie uns mit auf eine sehr witzige, lockere, aber vor allem bissige und satirische Reise durch das New York der 1970er und 80er. Unterteilt in verschiedene „Themen“ wie Kunst, Literatur oder Manieren erzählt Lebowitz uns in verschiedenen, recht kurzen Essays ihre persönliche Sichtweise, lustige Anekdoten oder Geschichten rund um ihr Leben in der Stadt. Dabei triefen ihre Texte häufig nur so vor Sarkasmus, Zynismus und (Selbst-)Ironie.

Einige Schwierigkeiten in der Übersetzung gibt es leider und es geht hier wahrscheinlich einiges an Sprachwitz verloren - bei Lebowitz bissigen und speziellen Stil und Humor fast unvermeidlich.
Auch darf man auf keinen Fall vergessen, dass das Buch im Original bereits 1994 erschienen ist und einige der Texte bereits über vierzig Jahre alt sind - das erklärt dann doch die ein oder andere aus der Zeit geratenen Pointe. Auch einige bediente Stereotypen sind zum Glück nicht mehr zeitgemäß. Doch so aus der Zeit gefallen einige Kommentare sind, so aktuell und treffsicher sind viele anderen.
Und so beschreibt sie vor allem die Befindlichkeiten und Eigenheiten des (New Yorker) Großstadtlebens mit all seinen Launen, Trends und teils absurden Moralvorstellungen auf einzigartige Art und Weise.

Trotz einiger Kritikpunkte, eine zu großen Teilen sehr unterhaltsame, bitterböse Satire und ein interessantes Gesellschaftsportrait der New Yorker Künstlerszene vergangener Jahrzehnte.
Empfehlung für alle New York und Fran Lebowitz Fans, die die Autorin endlich auch in der deutschen Übersetzung kennen lernen wollen!

Bewertung vom 13.03.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


sehr gut

Atmosphärische, fesselnde Liebes- und Familiensaga

Der sogenannte „Papierpalast“, das Ferienhaus ihrer Familie in Back Woods, ist für Elle Bishop schon immer der Ort ihrer Sommer gewesen. Mittlerweile 50 Jahre alt, verheiratet und mit drei Kindern, bringt dieser Sommer allerdings alte und nie verloschene Gefühle für ihre Kinderliebe Jonas, sowie viele schmerzhafte Erinnerungen an Vergangenes wieder hoch…

Atmosphärisch und eindrucksvoll beschreibt die Autorin die Kulisse rund um die Sommertage in Black Woods, Cape God. Die Spannung ist von Anfang an greifbar und nimmt im Laufe des Romanes weiter zu.
Heller erzählt zum einen die Geschichte eines einzigen Tages, in denen sich Elle und ihre Familie sowie Jonas und seine Frau Gina in Black Woods aufhalten und die Geschehnisse in der Gegenwart ihren Lauf nehmen. Zum anderen führt die Autorin uns durch mehr als ein halbes Jahrhundert von Elle’s Leben, und das ihrer Familie. Dabei gelingt der Autorin ein komplexes, bedrückendes aber auch sehr eindringliches Porträt einer komplizierten Familie. So gehören für mich vor allem die Entwicklung der Frauen - Elle, Wallace und Anne - und ihre Beziehung zueinander zu den Stärken des Romans.

Eine spannende Dreiecksbeziehung, in Rückblicken erzählte Familiengeheimnisse und eine wunderschöne Kulisse - der Klappentext klingt eigentlich zunächst nach der perfekten Strandlektüre. Eigentlich. Denn die Autorin erzählt auch von sehr düstere und schwere Themen wie Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch von Minderjährigen. Hier benötigt das Buch dringend eine Triggerwarnung, denn die Beschreibungen können sehr verstörend wirken und sind teils wirklich schwer auszuhalten.

Eine Geschichte, die süchtig macht, mit einer starken Protagonistin - aber auch mit sehr schwer auszuhaltende Szenen. Ein Highlight sind die wunderschönen, detailreichen und bildstarken Beschreibungen von New Englands Landschaft. Etwas weniger stark fand ich zum Teil die Dialoge und Entwicklung rund um die eigentliche Dreiecksgeschichte, was meiner Lesefreude aber kaum Abbruch getan hat.
Alles in allem eine sehr fesselnde Liebesgeschichte und eine tragische Familiensaga, aber auch ein Roman über Geheimnisse, Missbrauch und Traumata. Trotz einiger kleinerer Schwächen eine klare Empfehlung — vor allem wer Liane Morriaty (Big Little Lies) oder Delia Owens (Der Gesang der Flusskrebse) mag, wird hier sicher fündig!

Bewertung vom 13.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


ausgezeichnet

Fesselnde Gesellschaftskritik

Mélanies Faszination für Reality TV und ihr Wunsch berühmt und geliebt zu werden, haben sich schon früh abgezeichnet. Nach einigen gescheiterten Versuchen gelingt ihr schließlich der große Durchbruch - durch ihren Social Media Kanal „Happy Recré“ inklusive Millionen Abonnenten, Aufmerksamkeit und materiellem Reichtum. Allerdings handelt der Kanal hauptsächlich von ihren Kindern Kimmy und Sammy. Täglich postet sie Videos von ihnen auf ihren YouTube und Instagram Accounts. Bis Kimmy plötzlich spurlos verschwindet und die Polizeibeamtin Clara komplizierte Ermittlungen in einer digitalisierten, vernetzen Welt aufnehmen muss…

„Die Kinder sind Könige“ ist in zwei Teilen gegliedert, wobei der erste, wesentlich längere, Teil im Jahr 2019 die Geschehnisse rund um das Verschwinden von Kimmy und den damit verbundenen Ermittlungen erzählt. Im zweiten Abschnitt gibt uns die Autorin Einblicke in das Jahr 2031 und die Auswirkungen des damals Geschehen in der Zukunft.

Delphine de Vigans Sprache ist klar und schnörkellos und ihr Schreibstil vielseitig und spannend, so lässt sie zum Beispiel immer wieder Transkripte verschiedener „Happy Recré“ Videos einfließen.
Dabei schafft es die Autorin auch eine gewisse, fesselnde Nähe zu ihren Figuren herzustellen. Durch Rückblicke erfahren wir von Mélanies und Claras unterschiedlichen Erziehungen, ihren Erfahrungen in der Jugend und den daraus resultierenden Antriebe und Ziele der beiden Frauen, die wohl unterschiedlicher kaum sein könnten.

„Die Kinder sind Könige“ ist ein sehr aktueller, vielseitiger und spannender Roman, vor allem der erste Teil liest sich zum Teil wie ein Krimi. Dabei betrachtet die Autorin komplexe und wichtige Themen: Die Gefahren von Social Media, insbesondere für Kinder, (digitale) Freiheit und Datenschutz, psychischen Erkrankungen oder Einsamkeit werden hier in eine starke Gesellschaftskritik eingebettet.
De Vigan ist ein Roman gelungen, den ich in kürzester verschlungen habe und der mich in seiner Aktualität sehr gefangen genommen und beklommen gemacht hat. Noch Tage später regt der Roman zum Nachdenken an - über unseren (Medien-)Konsum im Allgemeinen und um die Gefahren für Kinder und Jugendlichen im Speziellen. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 01.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


sehr gut

Über den Sinn und Irrsinn der Diplomatie

Im Mittelpunkt von Lucy Fricke’s neuem Roman steht die ehrgeizige und krisenerprobte Diplomatin Friederike Andermann, von allen nur Fred genannt, die sich zunächst in Uruguay und später in Istanbul zusehends in einem Wirrwarr zwischen Bürokratie, Beziehungen und Zweifel an der Diplomatie wieder findet.

„Die Diplomatin“ lebt vor allem von seiner sympathischen Hauptfigur Fred, die langsam aber sicher im diplomatischen Chaos versinkt und zunehmend am (Irr-) Sinn der Diplomatie zu zweifeln scheint.
Andere Figuren, wie zum Beispiel Freds Kollege Philipp oder der Journalist David sind durchaus unterhaltsam beschrieben, bleiben dabei aber eher oberflächlich und schablonenhaft.

Lucy Fricke ist eine unterhaltsame und ironische Geschichte, voller lustiger Momente und mit durchaus aktuellen politischen und diplomatischen Bezügen und Anspielungen gelungen.
Besonders gefallen haben mir, neben dem tollen Schreibstil voller bissiger Anspielungen, die oft humorvollen Einblicke in das Diplomatendasein inklusive all seiner Herausforderungen, Hürden und Absurditäten. Die Autorin beschreibt nachvollziehbar, aber augenzwinkernd, wie ihre Protagonistin immer mehr am Sinn und den beschränkten Handlungsmöglichkeiten der Diplomatie verzweifelt und ihre Geduld schließlich zu verlieren scheint.

Mich haben Lucy Fricke’s trockene und ironischen Erzählung von diplomatischen Wahnsinn und dem sich entwickelnden Chaos in Istanbul sehr gut unterhalten und das ein oder andere Mal zum Schmunzeln gebracht.
So ganz konnte die Autorin die Spannung und den Sprachwitz für mich nicht bis zum Ende durchhalten und ein wenig hat die Geschichte im Laufe an Esprit verloren, daher „nur“ vier Sterne von mir.
Nichtsdestotrotz ist „Die Diplomatin“ ein gelungener und bissiger Roman, mit sehr interessanter und aktuellen Thematik, der mich bestens unterhalten hat und neugierig auf die anderen Werke der Autorin macht!

Bewertung vom 19.02.2022
Dschinns
Aydemir, Fatma

Dschinns


ausgezeichnet

Bewegend und kraftvoll - jetzt schon ein Jahreshighlight!
„Dschinns“ ist ein eindrucksvolles und bewegendes Familienepos erzählt aus den sechs unterschiedlichen Perspektiven der jeweiligen Familienmitglieder. Der Roman beginnt aus der Sicht des Familienvaters Hüseyin, der sich nach langer, harter Arbeit in Deutschland endlich den Traum einer Eigentumswohnung in Istanbul erfüllt, nur um noch vor seinem offiziellen Renteneintritt an einem Herzinfarkt zu sterben.

Fatma Aydemir zeichnet ein tief bewegendes und kraftvolles Porträt einer Familie, deren Mitglieder alle auf ihre eigene Art mit den Geistern und Geheimnissen der Vergangenheit zu kämpfen haben. Sie erzählt dabei eindringlich von Rassismus und den damit einhergehenden Bedrohungen, von sich wandelnden Rollenbildern und Identität, von Familie und Beziehungen, von schmerzhaften Geheimnissen und vor allem von der Macht des Ungesagten.

Jeder einzelne Charakter ist so wundervoll und eindrücklich beschrieben, dass mir wirklich jedes Familienmitglied ans Herz gewachsen ist. Die Autorin wechselt gekonnt zwischen den verschiedenen (Erzähl-)Perspektiven und gibt dabei jeder Figur eine ganz eigene, intensive und lebendige Stimme - die am Ende ein großes und stimmiges Epos ergeben.
„Dschinns“ ist ein sprachgewaltiger und beeindruckender Roman - ein Buch das sowohl den Kopf als auch das Herz bewegt und unter die Haut geht und mich am Ende zu Tränen gerührt hat.

Dieser Roman gehört jetzt schon zu meinen absoluten Jahreshighlights und ist eine (Erzähl-) Stimme, die mir noch sehr lange im Kopf bleiben wird. Eine ganz große Herzensempfehlung!

Bewertung vom 12.02.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


ausgezeichnet

Einzigartig und einfühlsam erzählt

Claire Thomas webt ihre Geschichte rund um die Gedanken ihrer drei Protagonistinnen Margot, Ivy und Summer, die sich, unabhängig voneinander, eine Version von Simon Becketts „Glückliche Tage“ im Theater anschauen während rund um Melbourne die Feuer brennen. Die drei Frauen stehen an ganz unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben: Margot ist eine angesehene Literaturprofessorin, Ivy, eine ihre ehemaligen Studentinnen, besitzt mittlerweile ihre eigene, wohltätige Stiftung und Summer ist Schauspielstudentin und jobbt als Platzanweiserin.

Die Autorin verwebt das aufgeführte Theaterstück rund um die Figur Winnie auf mühelose und einzigartige Weise in den Roman. Das eigentliche Theaterstück ist eine Art Hintergrundmelodie und das gemeinsame, wenn auch teils unterschiedliche, Erleben verbindet die drei Frauen und die Erzählung. Kurzer Hinweis hier: Sich eine kurze Zusammenfassung von „Glückliche Tage“ durchzulesen, hilft ungemein beim Leseverständnis!

Dieser Roman lebt definitiv nicht von seiner (kaum vorhandenen) Handlung, sondern von Thomas Fähigkeit die umherschweifenden, intimen Gedankengänge ihrer Protagonistinnen auf so treffende und nachvollziehbare Art zu beschreiben. Man wird hineingezogen in die Köpfe von Margot, Ivy und Summer, man erfährt von den tiefen, existenziellen Ängsten der drei Frauen und wie sie sich ihnen zu stellen versuchen.
Durch die Gedanken ihrer Figuren verwebt Thomas subtil viele wichtige, aktuelle Themen: Krankheit im Alter und Gewalt innerhalb der Beziehung spielen ebenso eine Rolle wie Rassismus,Vorurteile, Mutterschaft, Kunst oder die existenziellen Ängste verbunden mit der Klimakrise.
Der experimentelle Erzählstil hat mich gefesselt und beeindruckt, die Perspektiven wechseln leichtfüssig, fast umbemerkt von der dritten zur ersten Person und zurück, die Gedankengänge springen durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Claire Thomas hat einen Roman geschrieben, der (bewusst) viel offen lässt, und dennoch durch seine eleganten und einzigartigen Stil und seine Charaktere einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Wer einen Plot getriebenen, klar strukturierten Roman sucht, wird hier enttäuscht, allen die klug beobachtete und moderne Erzählungen mögen,
kann ich dieses ganz besondere und intime Erzähl-Erlebnis nur sehr ans Herz legen.

Bewertung vom 06.02.2022
Butter
Yuzuki, Asako

Butter


ausgezeichnet

„Butter“ - Ein kulinarischer und literarischer Hochgenuss

Rika ist eine junge Journalistin in Tokio, die über ihre Recherchen mit der angeblichen, in Haft sitzenden, Serienmörderin Manako Kajii in Kontakt kommt. Kaji wird vorgeworfen, ältere, wohlhabende Männer erst mit ihren Kochkünsten verführt und dann umgebracht zu haben. Bei Rikas Versuch ein Exklusivinterview mit der Beschuldigten zu bekommen, wird sie auf eine kulinarische und genussvolle aber auch verwirrende Reise zu sich selbst geschickt.

Dieser Roman ist etwas ganz Besonderes. Vor allem die erste Hälfte ist voller ausführlicher Beschreibungen verschiedener Rezepte, Gerichten und kulinarischer Erlebnisse - es ist praktisch unmöglich keinen Appetit (auf die japanische Küche) zu bekommen. „Butter“ ist keine Plot getriebene oder rasante Lektüre, entwickelt es sich dennoch im Laufe immer mehr zu einer psychologischen und gesellschaftskritischen Erzählung. Die Autorin greift viele wichtige Themen wie Schönheitswahn, die (Un-)Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Einsamkeit in patriarchalisch geprägten Gesellschaften auf. So wird Rikas wird Entdeckung von guten Essen, aber auch ihre damit verbundene Gewichtszunahme, als Auflehnung gegen die unmöglichen Erwartungen und Standards, mit denen Frauen in Japan konfrontiert sind, erzählt.

Während Rikas Begegnungen mit Kajii zunächst im Fokus zu stehen scheint, sind es Rikas Beziehungen zu ihrer Freundin Reiko, ihrem Kollegen Shinoi oder ihrem Freund Makoto, die für mich das Herzstück bilden und sehr behutsam und einfühlsam erzählt werden.
Der Erzählstil ist zunächst ungewohnt, vor allem wenn man bisher wenig Berührung mit japanischer Literatur hatte - umso mehr lohnt es sich aber diesem Roman eine Chance zu geben. Kenntnisse über japanische Traditionen und Normen helfen sicherlich die ein oder andere Pointe besser zu verstehen - auch ich habe erst durch Recherche den „Tabubruch“ der letzten Szene verstanden.

Ich kann „Butter“ allen empfehlen, die Lust auf eine etwas andere Erzählung (abseits der europäischen oder nordamerikanischen Sichtweise) haben und vielleicht auch einen Startpunkt suchen um sich mehr mit diesem faszinierendem Land, seinen Strukturen aber auch seinem kulinarischen Genüssen zu beschäftigen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.