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Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 30.08.2023
De profundis
Wilde, Oscar

De profundis


ausgezeichnet

Eine eindrückliche Offenbarung einer Künstlerpersönlichkeit

Historischer Hintergrund zu „De profundis“: Seit 1891 hatte Oscar Wilde eine Beziehung mit dem britischen Aristokraten Lord Alfred Douglas. Douglas‘ Vater, John Douglas, war mit dieser Beziehung nicht einverstanden, weshalb er Wilde auf perfide Weise mit Beleidigungen provozierte, die 1895 in einen Gerichtsprozess mündeten. In diesem wurden Wilde wegen „Unzucht“ zu einer zweijährigen Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Kurz vor seiner Entlassung, von Januar bis März 1897, schrieb Wilde einen Brief, den er an Alfred Douglas adressierte. Denn: Obwohl Douglas mehrfach in der Öffentlichkeit über Wildes Inhaftierung redete, besuchte er Wilde nie im Gefängnis. Dieser Brief wurde 1905 – etwas mehr als vier Jahre nach Wildes Tod – unter dem Titel „De profundis“ veröffentlicht.

Persönliche Meinung: „De profundis“ setzt sich thematisch mit zwei Schwerpunkten auseinander. Der erste Schwerpunkt ist die Beziehung, die Wilde und Douglas geführt haben. Wilde charakterisiert diese als hochgradig toxisch: Douglas habe Wilde permanent vom künstlerischen Schaffen abgehalten und ihn in parasitärer Weise finanziell sowie mental ausgebeutet. Mehrfach habe Wilde sich trennen wollen, doch es aus verschiedenen Gründen nicht geschafft. Dieser Part liest sich über weite Strecken wie eine Abrechnung, geht aber darüber hinaus: Wilde gibt nicht Douglas allein die Schuld an dem Defizitären der gemeinsamen Beziehung, sondern reflektiert im Laufe des Briefes auch seine eigenen Fehler. Der Ton des Briefes ist – trotz aller Schonungslosigkeit – tendenziell von Freundlichkeit geprägt. Der zweite Part des Briefes setzt sich mit dem künstlerischen Selbstverständnis Wildes auseinander, das sich durch die zweijährige Haft verändert hat. Wilde wolle sich der Demut zuwenden und den hedonistischen Lebensstil ablegen (auch Ideen für zukünftige schriftstellerische Projekte diskutiert Wilde hier). Zudem vergleicht er in einem Analogieverfahren das Leben Jesu mit dem eines Künstlers: Jesus wird in der Vorstellung Wildes zu einem romantischen, individualistischen Dichter. Durchzogen ist der Brief von Anspielungen auf und Zitation aus Werke(n) der Weltliteratur, deren Herkunft in der Diogenes-Ausgabe in einem Stellenkommentar geklärt wird. Der Erzählstil von „De profundis“ gleicht einem Monolog: Wilde schreibt seine Gedanken nieder, denkt aber immer eine (potenzielle) Erwiderung Douglas‘ mit. Abgerundet wird die Diogenes-Ausgabe durch ein Vorwort der Lyrikerin/Musikerin Patti Smith, in dem sie sich Oscar Wilde auf einer persönlichen Ebene annähert. Insgesamt ist „De profundis“ eine eindrückliche Offenbarung einer Künstlerpersönlichkeit – eine Offenbarung, die nicht nur aus der Tiefe des Gefängnisses, sondern auch aus derjenigen der Gefühlswelt stammt.

Bewertung vom 28.08.2023
Der See der verlorenen Träume
Groß, Josephine Katharina

Der See der verlorenen Träume


ausgezeichnet

Ein spannender Mysteryroman über ein Familiengeheimnis

Inhalt: Nachdem die Lyra, die als Regieassistentin am Royal Opera Haus in London arbeitet, erfahren hat, dass ihr Partner sie betrügt, ist sie am Boden zerstört. Um Abstand zu der Situation zu gewinnen, schlägt ihre Großmutter Millie vor, dass Lyra ihre drei Großtanten in Kanada besucht – ein Zweig der Familie, bei dem Millie einen Teil ihrer Jugend verbracht hat, der Lyra aber völlig unbekannt ist. In Kanada könnte es nicht schöner sein: Ihre Großtanten heißen Lyra freudig willkommen; ihr Anwesen, Evergreen Hall, ist wunderschön – doch nachts hört Lyra ein seltsames Kratzen im Haus, das sie auf die Spur eines wohlgehüteten Familiengeheimnisses bringt…

Persönliche Meinung: „Der See der verlorenen Träume“ ist ein Mysteryroman von Josephine Katharina Groß, der sich um ein Familiengeheimnis dreht. Erzählt wird die Handlung aus den Perspektiven verschiedener Familienmitglieder auf drei unterschiedlichen Zeitebenen. Während der erste Handlungsstrang 1996 spielt, aus Lyras Perspektive erzählt wird und die Aufklärung des Familiengeheimnisses behandelt, spielt ein weiterer Erzählstrang zwischen 1939 und 1945. Dieser wird teils aus der Perspektive Millies, teils aus derjenigen Violets (einer Großtante) erzählt. Hier wird die Kindheit und das Erwachsenwerden von Lyras Großmutter und -tanten in Kanada thematisiert, wobei dieser Handlungsstrang von Coming of Age-Elementen durchzogen ist (besonders die (erste) Liebe und die Findung des eigenen Selbst spielen eine große Rolle). Zu dem dritten Handlungsstrang, der zeitlich zwischen den beiden genannten spielt, möchte ich mich lieber ausschweigen; die Spoilergefahr ist zu groß 🙃. Die drei unterschiedlichen Stränge werden im Wechsel erzählt, wobei dieser Wechsel (und die abschließende Zusammenführung) schön und stimmig komponiert ist. Neben Mystery, Coming of Age und Liebesgeschichte findet sich zudem in „Der See der verlorenen Träume“ mehrfach ein latenter Grusel: Dieser ist zwar eher leicht; es wird aber trotzdem eine Atmosphäre erzeugt, die bis ins Mark geht. Der Schreibstil von Josephine Katharina Groß ist anschaulich, bildhaft und lässt sich sehr flüssig lesen. Zudem ist „Der See der verlorenen Träume“ mit einigen schön atmosphärischen Illustrationen ausgestattet, die die handelnden Figuren sowie die Szenerie veranschaulichen. Insgesamt ist „Der See der verlorenen Träume“ ein spannender Mysteryroman, bei dem auch Lesende, die Coming of Age, Liebesgeschichten und Grusel mögen, nicht zu kurz kommen werden.

Bewertung vom 20.08.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


sehr gut

Ein solider Krimi

Inhalt: Um den letzten Wunsch eines verstorbenen Freundes zu erfüllen, reist der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi auf die abgelegene Insel Gokumon. Sein Freund, ein Mitglied der führenden Familie Gokumons, war sich sicher, dass nun, nach seinem Tod, das Leben seiner Schwestern in Gefahr sei. Kosuke solle alles daransetzen, diese zu beschützen. Tatsächlich begegnet Kosuke auf Gokumon einer verschworenen Gemeinschaft – und die Erfüllung des Wunsches ist schwieriger als gedacht…

Persönliche Meinung: „Mord auf der Insel Gokumon“ ist ein Kriminalroman des japanischen Autors Seishi Yokomizo (zuerst erschienen 1947/48). Zwar handelt es sich um den zweiten Krimi der Reihe um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi, allerdings kann man „Mord auf der Insel Gokumon“ auch ohne Kenntnis des Vorgängers „Die rätselhaften Honjin-Morde“ lesen: Die Fälle sind jeweils in sich abgeschlossen, das Figurenpersonal der beiden Krimis ist – bis auf zwei Ausnahmen – völlig verschieden und zwischen den Handlungszeiten der Krimis liegen mehrere Jahre (Band 1 spielt 1937, Band 2 kurz nach dem Zweiten Weltkrieg). Erzählt wird die Handlung von einem anonymen Ich-Erzähler, der sich als Chronist der Fälle Kosuke Kindaichis ausgibt und meist in die Rolle einer auktorialen Erzählinstanz schlüpft. Die Handlung des Krimis folgt einer typischen Whodunnit-Struktur: Auf der Insel geschehen mehrere Morde, wobei Kosuke mithilfe seiner Ermittlungen versucht, die Täterfigur zu identifizieren. Dabei werden für die Lesenden – durch unterschiedliche Verdächtige – mehrfach falsche Fährten gelegt. Die Handlung beginnt zudem gemächlich: Es wird sich Zeit gelassen, die handelnden Figuren und den Handlungsort vorzustellen; spätestens ab dem ersten Mord gewinnt der Krimi aber an Spannung. Die Auflösung des Falls ist einerseits sehr überraschend, andererseits für mich aber auch ein Stück weit zu konstruiert. Spoilerfrei gesagt: Mir geschahen ein paar Dinge zu zufällig und trotz der im gesamten stimmigen Auflösung blieben für mich einzelne Lücken offen. Der Schreibstil von Seishi Yokomizo ist unaufgeregt und sacht, wodurch er sich angenehm lesen lässt. Insgesamt konnte „Mord auf der Insel Gokumon“ für mich – in Bezug auf Prägnanz, Logik und Stimmigkeit – nicht ganz an „Die rätselhaften Honjin-Morde“ heranreichen; es ist allerdings dennoch ein solider und kurzweiliger Krimi.

Bewertung vom 18.08.2023
Das Summen unter der Haut
Lohse, Stephan

Das Summen unter der Haut


ausgezeichnet

Ein atmosphärischer Roman über einen Sommer, der unendlich wirkt

Inhalt: Der Sommer in Hamburg 1977. Der 14-jährige Julle verbringt die Zeit mit seinen Freund*innen im Freibad. Mit dabei ist auch Axel, der erst vor Kurzem neu in die Klasse gekommen ist und zu dem Julle sich hingezogen fühlt. Über den Sommer freunden sich Axel und Julle an – und entdecken ein Geheimnis, das sie zusammenschweißen wird: eine abgebrannte Hütte, deren Überbleibsel Rätsel aufgeben.

Persönliche Meinung: „Das Summen unter der Haut“ ist ein queerer Coming of Age-Roman von Stephan Lohse. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive von Julle. Im Roman spielt Julles Gedankenwelt eine große Rolle: Er ist sich seiner Homosexualität bewusst, doch fragt er sich permanent, ob diese von seinem Vater, seiner Mutter oder seinen Freund*innen akzeptiert werden wird, wenn er sich ihnen offenbart. Dieser innere Konflikt wird authentisch dargestellt sowie gefühlvoll und empfindsam nachgezeichnet. Daneben spielen auch weitere Themen des Erwachsenwerdens in „Das Summen unter der Haut“ eine Rolle. So werden u. a. die Bewusstwerdung/Wahrnehmung des Selbst mit all seinen Wünschen, der Umgang mit Trauer/Verlust, die (erste) Liebe und verschiedene Arten von Freundschaften thematisiert. Die Nebenhandlung um die abgebrannte Hütte erinnert ein Stück weit an „Die Leiche“ von Stephen King: Es handelt sich um das Abenteuer der Jugend, bei dem es weniger um die Klärung des Rätsels geht als vielmehr um den Weg (mit all seinen Implikationen), den die Freunde zur Klärung des Rätsels gehen. Das Handlungssetting des Romans, die 1970er Jahre, werden durch zeitgenössische Produkte und Verhaltensweise authentisch dargestellt. Sehr gut hat mir auch der angenehme und flüssige Schreibstil von Stephan Lohse gefallen: Genutzt werden eher kurze Sätze, die teilweise assoziativ – an einen Bewusstseinsstrom erinnernd – verbunden werden, sodass man den Gedanken und Gefühlen Julles eindrücklich nachspüren kann. Insgesamt ist „Das Summen unter der Haut“ ein atmosphärischer, mit einem Hauch Melancholie ausgestatteter Coming of Age-Roman über einen Sommer, der unendlich wirkt.

Bewertung vom 14.08.2023
Talus - Die Runen der Macht
Grimm, Liza

Talus - Die Runen der Macht


sehr gut

Eine gelungene Fortsetzung

Vorab: „Talus – Die Runen der Macht“ ist der dritte Band der „Talus“-Reihe. In der Rezension finden sich daher leichte Spoiler zu den ersten beiden Bänden der Reihe.

Inhalt: Nach dem Fall des Würfels Talus hat sich die magische Welt unterhalb Edinburghs verändert: Während die Tarotleger an Macht gewannen, versiegten die Kräfte der Elementarhexen. In dieser neuen Ordnung versucht der Tarotleger Maxwell die Rätsel seiner Vergangenheit zu entschlüsseln. Die Runenhexe Jessica hingegen begibt sich auf die Suche nach Talus, um mithilfe des Würfels ihren Herzenswunsch zu erfüllen. Währenddessen sucht ihre Freundin Emily, eine Kräuterhexe, nach einem Heilmittel für ihre Schwester, die unter einer rätselhaften Krankheit leidet…

Persönliche Meinung: „Talus – Die Runen der Macht“ ist ein Fantasyroman von Liza Grimm. Da die Handlung von „Die Runen der Macht“ die Handlungsfäden des zweiten Bandes („Talus – Die Magie des Würfels“) aufgreift, ist es sinnvoll, die Reihe chronologisch zu lesen. Erzählt wird „Die Runen der Macht“ wechselweise aus den personalen Perspektiven von Maxwell, Jessica und Emily. Während Jessica und Emily bereits Auftritte in den vorherigen beiden „Talus“-Bänden hatten, ist Maxwell eine neue Figur im „Talus“-Universum. Anders als die ersten beiden „Talus“-Bände, die meist in Edinburgh gespielt haben, sind die Handlungsorte von „Die Runen der Macht“ die magischen Höhlen unter Edinburgh. Das Worldbuilding ist dabei wirklich toll: Jede Höhle ist individuell gezeichnet und besitzt unterschiedliche Regeln, nach denen das Leben in der jeweiligen Höhle funktioniert. Sehr schön sind auch die verschiedenen Querverweise zu den ersten beiden „Talus“-Bänden. So werden im dritten Band einerseits die Charakterentwicklungen/Geschichten von Jessica und Emily zu einem schönen Ende geführt, andererseits trifft man einige alte Bekannte aus den ersten beiden Bänden wieder. Diese treten – was besonders spannend ist – teilweise in Rollen auf, die man nach dem Ende des zweiten Bandes nicht unbedingt vermutet hätte. Die Handlung von „Die Runen der Macht“ entfaltet sich zunächst behutsam, steigert aber kontinuierlich die Spannung, da man nie so genau weiß, auf welcher Seite die auftretenden Gruppierungen stehen. Zudem finden sich einige überraschende Wendungen. Das Ende der Handlung ist insgesamt stimmig, allerdings wurde es für mich etwas zu rasch erzählt (dieses Gefühl hatte ich besonders beim Showdown). Der Schreibstil von Liza Grimm ist anschaulich, bildhaft und lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Talus – Die Runen der Macht“ ein schön geschriebener Fantasyroman, der die im zweiten Band noch eher offen gelassenen Handlungsfäden stimmig aufgreift und zu einem gelungenen Ende führt.

Bewertung vom 13.08.2023
Die Empfänger
Leuchtenberger, Michael

Die Empfänger


ausgezeichnet

Eine Sammlung atmosphärischer Grusel- und Horrorgeschichten

„Die Empfänger“ ist eine Kurzgeschichtensammlung von Michael Leuchtenberger, die elf Geschichten versammelt. Die Kurzgeschichten lassen sich schwerpunktmäßig im Bereich des Horrors/Grusels ansiedeln, wobei in jeder Geschichte unterschiedliche Gattungselemente genutzt werden. So finden sich eher klassische Gruselgeschichte („Am Ypsilon links“, „Der Denunziant“, „Exponat 55a“, „Die Klagesteine“) neben („Survival“)-Horrorgeschichten („Wo ist Lex?“, „Wildwasser“, „Unausweichlich“). Zusätzlich finden sich vier Geschichten, die sich dem Gruselspektrum im weiteren Sinne zuordnen lassen, allerdings nicht völlig in diesem aufgehen. So handeln bspw. „Cosima“ und „Die Kapsel“ von alltäglichen Situationen: Während in „Cosima“ das Schauder- und Rätselhafte eines unverhofften Aktenfundes thematisiert wird, behandelt „Die Kapsel“ auf eindringliche Weise introspektiv eine Autofahrt. „Die Stunde ist um“ hingegen besitzt einen experimentellen Charakter und beschreibt episodenartig eine Szene, die sich an einem bestimmten Platz zuträgt. „Kohlmanns Spielwaren“, in der ein magisches Artefakt im Mittelpunkt steht, zeichnet sich durch schöne Stephen King-Vibes und eine Spur Coming of Age aus. Jeder Geschichte sind interessante Insights nachgestellt, in denen Michael Leuchtenberger Einblicke in den Entstehungsprozess der jeweiligen Geschichte gibt. Die Handlungsorte der Kurzgeschichten sind sehr abwechslungsreich: So besucht man – um nur einzelne Handlungsorte zu nennen – u. a. ein Museum, einen Jahrmarkt sowie einen Escape Room (im weiteren Sinne); zugleich finden sich aber auch eher alltägliche Handlungsorte wie das Büro oder das Auto. Zeitlich spielen die Geschichte meist in der Gegenwart bzw. jüngsten Vergangenheit. Ausnahmen bilden hier „Die Stunde ist um“, deren Handlung zeitlich nicht genau festgelegt ist, und „Die Klagesteine“, welche Anfang des 19. Jahrhunderts spielt. Eine große Stärke der Geschichten ist ihre jeweilige atmosphärische Dichte: In jeder Geschichte wird erzähltempomäßig perfekt ein subtiler Grusel aufgebaut, der – mal eher in Richtung Mystery, mal in Richtung Horror tendierend – nahezu ohne Blutvergießen daherkommt. Der Schreibstil von Michael Leuchtenberger ist angenehm, anschaulich und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt versammelt „Die Empfänger“ elf atmosphärisch dichte, abwechslungsreiche Grusel-/Horrorgeschichte, die erzählerisch perfekt austariert sind und daher auch nach der Lektüre noch längere Zeit nachhallen.

Bewertung vom 05.06.2023
Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1
Bonetto, Andrea

Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1


sehr gut

Ein spannender Krimi mit schönem Italien-Flair

Inhalt: Commissario Vito Grassi ist ein waschechter Römer. Doch als sein Vater, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, plötzlich verstirbt und ihm ein kleines Rustico in Ligurien hinterlässt, entscheidet Vito, dort sein Glück zu versuchen. In Ligurien angekommen, erwartet ihn nicht nur die rätselhafte Toni, die, ihm unbekannt, seit Längerem im Rustico seines Vaters lebt: Direkt an seinem ersten Tag wird er als leitender Ermittler in einem neuen Fall eingesetzt. Eine Frau wurde tot in einem alten Eisenbahntunnel nahe der Küste gefunden; scheinbar verunfallt – wäre da nicht ein Detail, das Rätsel aufgibt…

Persönliche Meinung: „Abschied auf Italienisch“ ist ein Kriminalroman von Andrea Bonetto, der den Auftakt einer neuen Reihe um den Commissario Vito Grassi bildet. Erzählt wird die Handlung aus der personalen Perspektive von Vito. Die Handlung des Krimis entfaltet sich behutsam: Zunächst lernt man die einzelnen Figuren (neben Vito und Toni u. a. die neuen Kolleg*innen Vitos) sowie die ligurische Landschaft, in dem der Krimi spielt, näher kennen. Eine große Stärke des Krimis ist dabei seine Atmosphäre: Durch sprachliche Einsprengsel, bestimmte Figuren (mit besonderen Eigenarten) und malerische Beschreibungen der Cinque Terre kommt ein wirklich schöner Italien-Flair auf, sodass man am liebsten sofort ins Auto steigen und die Küste Liguriens entlangfahren möchte. Der Fall, in dem Vito ermittelt, ist spannend aufgebaut und lädt zum Miträtseln ein: Man ist während der Lektüre immer auf Augenhöhe mit Vito, sammelt gemeinsam mit ihm nach und nach neue Informationen und geht Hinweisen nach, sodass sich schrittweise ein Gesamtbild ergibt. Die Auflösung lässt sich daher ab einem bestimmten Punkt erahnen; wie genau/warum alles zusammenhängt, ist allerdings überraschend. Eine besondere Note erhält der Krimi zudem durch Kompetenzgerangel, das sich im Roman zwischen den einzelnen Organisationen des italienischen Polizeisystems entwickelt. Daneben spielt auch das Privatleben der einzelnen Figuren innerhalb der Handlung eine wichtige Rolle: Während bspw. der Tod seines Vaters Vito mehr belastet, als er sich eingestehen möchte, hat Toni eine ganz eigene Geschichte mit der italienischen Polizei. Der Schreibstil von Andrea Bonetto ist bildhaft und lässt sich angenehm lesen. Insgesamt ist „Abschied auf Italienisch“ ein spannender Kriminalroman mit einem schönen Italien-Flair.

Bewertung vom 29.05.2023
Die schlafenden Geister des Lake Superior
Aaronovitch, Ben

Die schlafenden Geister des Lake Superior


ausgezeichnet

Ein spannender und kurzweiliger Fantasyroman

Inhalt: Kimberley Reynolds, Spezialagentin des FBI für übernatürliche Geschehnisse, ist auf dem Weg nach Eloise, Wisconsin: Ein ehemaliger Kollege, der dort lebt, hat rätselhafte Ereignisse gemeldet, reagiert allerdings nicht mehr auf Kontaktaufnahmen. In Eloise angekommen, trifft Kimberley auf die Zerstörungen eines eigentlich unmöglichen Schneesturms – und der Exkollege ist spurlos verschwunden…

Persönliche Meinung: „Die schlafenden Geister des Lake Superior“ ist ein Urban Fantasy-Kurzroman von Ben Aaronovitch. Die Handlung spielt im „Die Flüsse von London“-Universum, ist aber ein Spin-off der Hauptreihe um Peter Grant, sodass man den Roman auch ohne Kenntnis der Reihe lesen kann. Protagonistin und Ich-Erzählerin der Handlung ist die FBI-Agentin Kim Reynolds, die schon den ein oder anderen Auftritt in der „Die Flüsse von London“-Reihe hatte und nun – nach den Begegnungen mit Peter Grant – die Expertin für übernatürliche Zwischenfälle beim FBI ist. Ähnlich wie in den Peter Grant-Romanen vermengt sich auch in „Die schlafenden Geister des Lake Superior“ Fantasy mit Krimi: So ermittelt Kim nicht nur im Fall des verschwundenen Exkollegen, sondern versucht außerdem herauszufinden, warum das Wetter in Eloise verrücktspielt – wobei beide Fälle mit einer schönen Portion Fantasy angereichert sind. Die Fantasy tendiert dabei diesmal leicht in Richtung Horror (Ohne zu viel spoilern zu wollen: Es gibt einige wirklich atmosphärische Szenen mit einem schönen Grusel). Was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat: Durch die Perspektivierung von Kim wird das Universum der „Die Flüsse von London“-Reihe wieder ein Stück größer und erhält ein paar neue, interessante Aspekte hinzu. Die Handlung besitzt durch einige rätselhafte Momente eine schöne Spannungskurve und endet mit einem überraschenden Twist. Der Schreibstil von Ben Aaronovitch ist gewohnt flüssig und anschaulich; im Vergleich zu den Peter Grant-Romanen aber ein bisschen lakonischer, was ich aber nicht weiter schlimm fand. Insgesamt ist „Die schlafenden Geister des Lake Superior“ ein kurzweiliger und spannender Fantasyroman, der eine schöne Ergänzung der „Die Flüsse von London“-Reihe ist.

Bewertung vom 28.05.2023
Die letzten Hexen von Blackbird Castle
Bachmann, Stefan

Die letzten Hexen von Blackbird Castle


ausgezeichnet

Ein spannender Phantastik-Jugendroman, der eine dichte Atmosphäre besitzt

Inhalt: Das Leben der zwölfjährigen Zita Brydgeborn ändert sich schlagartig, als plötzlich eine Vogelscheuche über die Gartenmauer steigt und ihr einen Brief übergibt: Sie soll die Alleinerbin von Blackbird Castle sein, einem riesigen Schloss, das einsam auf einer Bergkuppe liegt. Dort angekommen, erwarten sie aber nicht nur zwei Diener, die bestimmte Dinge nicht sagen können, eine Nachlassverwalterin, die sie nicht ausstehen kann, und einige Geheimnisse, die im Gemäuer von Blackbird Castle schlummern – Zita erfährt außerdem, dass sie eine Hexe ist…

Persönliche Meinung: „Die letzten Hexen von Blackbird Castle“ ist ein phantastischer Jugendroman von Stefan Bachmann. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive Zitas, die wir bei ihrer Ausbildung zur Hexe begleiten (das Hexensein funktioniert im Roman etwas anders als üblich, was eine schöne Abwechslung zu altbekannten Hexenmotiven ist). Gleichzeitig erkundet man während der Lektüre gemeinsam mit Zita Blackbird Castle. Denn: Dort passieren einige merkwürdige Geschehnisse, deren Ursprung Zita ans Licht bringen möchte. Eine große Stärke des Romans ist seine Atmosphäre: In bildhafter, mit schönen Vergleichen und Metaphern gespickter Sprache werden hier viele dichte, leicht schaurige Szenerien entworfen (Ich will hier jetzt nicht zu viel spoilern, welche Orte Zita aufsucht. Nur: Man findet in „Die letzten Hexen von Blackbird Castle“ quasi alles, was das Gothic novel-Herz begehrt, allerdings so verpackt, dass es sich auch für jüngere Lesende eignet). Was mir ebenfalls gut am Roman gefallen hat, sind die vielen originellen phantastischen Elemente: Klar, bestimmte Motive, Gegenstände etc. hat man irgendwie so schon mal gelesen, aber es findet sich über die gesamte Handlung hinweg doch recht viel Anderes und Neues. Die Handlung entfaltet sich zunächst behutsam, gewinnt dann aber, durch leichte Mysteryelemente und Gruselmomente, immer mehr an Spannung. Die Handlung schließt zudem mit einem überraschenden Twist, der schön aufgebaut wird. Der Schreibstil von Stefan Bachmann ist anschaulich, reich an satten Bildern und lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Die letzten Hexen von Blackbird Castle“ ein spannender Phantastik-Jugendroman, der erzählerisch mit einer dichten Atmosphäre auftrumpft.

Bewertung vom 02.05.2023
Die Zentrale / Laura Jacobs Bd.2
Etzold, Veit

Die Zentrale / Laura Jacobs Bd.2


ausgezeichnet

Eine spannende Fortsetzung

Inhalt: Nachdem die Bankerin Laura Jacobs einen Komplott bei der BWG Bank entdeckt hat, wird sie von der Chefetage zum Hauptquartier der Bank beordert, um dort mit bei der restlosen Aufklärung des finanziellen Skandals behilflich zu sein. Doch je länger Laura sich mit den Finanzen der Bank beschäftigt, desto deutlicher wird: Der von ihr entdeckte Komplott ist nur die Spitze des Eisbergs…

Persönliche Meinung: „Die Zentrale – Allein gegen das System“ ist ein Thriller, der in der Finanz- und Bankenwelt spielt. Es handelt sich um den zweiten Band der „Laura Jacobs“-Reihe, die mit „Die Filiale“ begonnen hat. Da „Die Zentrale“ inhaltlich auf „Die Filiale“ aufbaut, ist es sinnvoll, die Bände chronologisch zu lesen (fängt man mit „Die Zentrale“ an, spoilert man sich für den ersten Band). Erzählt wird die Handlung aus der personalen Perspektive von Laura Jacobs in vielen, eher kurzen Kapiteln, sodass sich der Thriller flott lesen lässt. Auch kommt es innerhalb der Handlung zu mehreren Wechseln des Handlungsortes, wodurch der Thriller vergleichsweise temporeich ist. Der „Thrill“ des Buches ist nicht effektheischend, sondern schön subtil: Laura hat es mit einer anonymen „Macht“ zu tun, die sich blinde Flecke des Bankensystems zunutze macht und meisterhaft darin ist, ihre Spuren zu verwischen. Daher verliert sich Laura mehrfach in den Irrwegen des Systems und steht plötzlich vor Sackgassen. Außerdem weiß man während der Lektüre nie so genau, wem Laura tatsächlich trauen kann, wodurch sich eine latente Spannung durch den Thriller zieht. Der Schreibstil von Veit Etzold ist angenehm und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Die Zentrale“ ein thematisch aktueller und spannender Thriller, der mit einigen unerwarteten Wendungen auftrumpft.