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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


gut

Man schwimme auf der anscheinend immer noch aktuellen Welle der Autofiktion mit, webe ein paar seltsam anmutende Betrachtungen über Sternbilder und nicht minder diffuse Referenzen an Lars von Triers Film "Melancholia" ein, kröne das Ganze mit einer Portion römischer Mythologie - und heraus kommt ein Roman, den die Jury mit dem Deutschen Buchpreis auszeichnet.

Ja, ich bezeichne hier etwas, aber ich kann diese Entscheidung wirklich nicht nachvollziehen. Zwar beginnt "Hey, guten Morgen, wie geht es dir?" mit einem vielversprechenden Plot und einem aktuellen Thema: dem Phänomen der Love-Scammer, eine Art moderner Heiratsschwindler, die über digitale Plattformen Vertrauen erschleichen und finanziell ausnutzen. Doch leider bleibt der Roman hinter seinen Möglichkeiten zurück und liefert ein eher unausgereiftes Leseerlebnis, das durch diverse Stil- und inhaltliche Entscheidungen zusätzlich erschwert wird.

Eine der größten Irritationen stellt für mich die inflationäre Verwendung von Namen aus der römischen Mythologie dar. Obwohl Namen wie "Juno" und andere mythologische Verweise durchaus ein literarisches Stilmittel sein können, um Charakterzüge zu unterstreichen oder tiefere symbolische Bedeutungen einzuführen, wirkt die Namensgebung in diesem Roman eher beliebig und wenig durchdacht. Die Symbolik bleibt oft unklar, und ohne ersichtliche Verbindung zur Handlung oder den Figuren scheint diese Referenz eher wie ein aufgesetztes Motiv, das unnötig überladen wirkt.

Auch die Gedanken der Protagonistin über Sternbilder und den Film "Melancholia" hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. An sich sind beides interessante Themen, doch leider fehlt es mir auch hier an einer Verknüpfung zum Kern der Geschichte. Diese philosophischen Exkurse wirken oft wie fremde Einschübe, die nicht zur Weiterentwicklung der Charaktere beitragen.

Protagonistin Juno bleibt leider erstaunlich statisch und eindimensional. Ihre Beziehung zu ihrem Ehemann, der an multipler Sklerose leidet, wird dabei vor allem durch ihre Erschöpfung und Überforderung bei der Pflege geschildert. Hier wird eine Chance verpasst, die emotionale Tiefe und die komplexen Facetten einer solchen Partnerschaft auszuloten. Die Perspektive ihres Mannes, seine Ängste und Sehnsüchte, hätten der Geschichte weitere emotionale Ebenen verleihen können. Stattdessen bleibt die Darstellung auf ein oberflächliches Bild von Pflege und Aufopferung beschränkt, hinzu kommt lediglich das prekäre Erwerbsleben vieler Künstlerinnen und Künstler.

Auch das Thema der Love-Scammer wird leider nicht voll ausgeschöpft. Es hätte Gelegenheit geboten, eine packende psychologische Spannung zu entwickeln und die schleichende Manipulation, die mit solchen Betrugsmaschen einhergeht, intensiv zu erforschen. Stattdessen bleibt der Plot recht oberflächlich, und die Dynamik zwischen Juno und dem Scammer wirkt fast schon stereotypisch. So bleibt die Handlung – trotz der Aktualität und des Potenzials des Themas – in einem mittleren Spannungsniveau stecken und lässt mich am Ende eher unberührt zurück.

Ich hatte eine tiefere Auseinandersetzung mit den Themen Pflege, Manipulation und emotionaler Erpressung gesucht, bekommen habe ich lediglich einen durchschnittlichen Roman mit jammerndem Grundrauschen.

Bewertung vom 12.11.2024
Jeden Tag kreativ sein
Deuchars, Marion

Jeden Tag kreativ sein


sehr gut

"Jeden Tag kreativ sein" von Marion Deuchars ist ein inspirierendes Buch, anhand dessen man die eigene Kreativität spielerisch und mit einfachsten Mitteln entdecken kann. Die mehrfach ausgezeichnete schottische Illustratorin lädt ihre Leser*innen ein, den Alltag durch kreative Übungen und neue Perspektiven zu bereichern. Sie kombiniert dabei ihre eigene Erfahrung als Künstlerin mit leicht umsetzbaren Techniken und Anleitungen, die sich meines Erachtens vor allem an Anfänger richten.

Das Buch bietet rund 70 kreative Anregungen, die oft mit nur wenigen Minuten umzusetzen ist. Die Übungen reichen von einfachen Zeichentechniken über das Malen und Schreiben bis hin zu Achtsamkeitsübungen, die das Auge für Details schulen und helfen, eigene Ideen zu entwickeln. Durch die klare und humorvolle Anleitung schafft Deuchars es, Berührungsängste abzubauen und die Hemmschwelle für kreative Prozesse zu senken.

Ein großer Vorteil des Buches ist seine Vielseitigkeit. Deuchars bedient sich verschiedenster Materialien und Techniken, was das Experimentieren mit Farben, Formen und Texturen besonders spannend macht. Da wird einfach mal mit dem Wischmop auf dem trockenen Innenhof mit Wasser ein feuchtes (und vergängliches) Kunstwerk geschaffen. Oder aber man nutzt die Natur, sei es, um aus buntem Herbstlaub einen farbigen Kreis zu legen, oder sich aus Pflanzenteilen verschiedene Pinsel zu basteln, die die interessantesten Striche zaubern. Manches ist einem vielleicht so oder so ähnlich bereits begegnet, sicher hat Deuchars hier "das Rad nicht völlig neu erfunden". Aber sie hat mir den nötigen Kick versetzt, um selbst wieder aktiv kreativ zu sein, statt passiv zu konsumieren.

Die Gestaltung des Buches selbst ist ansprechend und folgt dem Credo der Autorin: Kunst darf Spaß machen und soll Menschen zum Ausprobieren ermutigen. (Wieso das Cover hingegen so schlicht und einfallslos daher kommt, wissen wohl nur Autorin und Verlag.)

Fazit: "Jeden Tag kreativ sein" ist ein guter Ratgeber für alle, die Lust haben, Kreativität in ihren Alltag zu integrieren, spielerisch und voller Neugierde.

Bewertung vom 28.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


sehr gut

Der aktuelle historische Roman von Julia Malye basiert auf einer faszinierenden und wenig bekannten Episode Anfang des 18. Jahrhunderts: der Entsendung von Frauen aus dem Pariser Asyl La Salpêtrière in die französische Kolonie Louisiana. Malye erzählt die Geschichte dreier Protagonistinnen – Charlotte, Pétronille und Geneviève – die gezwungen sind, sich in einem völlig fremden Land neuen Herausforderungen zu stellen.

Die Autorin beschreibt eindrucksvoll die Härten und Entbehrungen, die diese Frauen ertragen müssen, sowohl auf der gefährlichen Reise als auch bei ihrer Ankunft in der Wildnis Louisianas. Besonders gelungen ist ihre Darstellung der Komplexität weiblicher Beziehungen und die Entwicklung der Protagonistinnen von völlig unterschiedlichen Hintergründen hin zu einer Gemeinschaft, die durch geteiltes Leid und Hoffnung verbunden ist. Die verschiedenen Facetten von Mutterschaft, Freundschaft und Überlebenskampf stehen im Mittelpunkt, wobei Malye immer wieder betont, wie unvorbereitet diese Frauen auf das raue Leben in der Kolonie waren. Die authentische Atmosphäre des Romans und die unzähligen historischen Details haben mich förmlich in die Zeit des frühen Kolonialismus eintauchen lassen. Allerdings wirkte die Handlung durch die Überfülle an historischen Informationen streckenweise etwas überladen, und es war nicht immer leicht, sich ohne Personenregister in der Vielzahl an Figuren zurecht zu finden.

​Äußerst bemerkenswert ist, dass Julia Malye "La Louisiana" sowohl auf Englisch als auch auf Französisch selbst geschrieben hat, ohne eine Übersetzung zu beauftragen. Dies ist eine relativ seltene Praxis unter Autor*innen und zeigt Malyes außergewöhnliche Sprachbeherrschung sowie ihr tiefes Verständnis beider Kulturen. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in ihrem persönlichen Hintergrund: Malye hat sowohl in Frankreich als auch in englischsprachigen Ländern gelebt und gearbeitet, was ihr eine einzigartige Perspektive auf beide Sprachwelten ermöglicht. Durch das eigenhändige Schreiben in beiden Sprachen kann sie sicherstellen, dass der Text in beiden Fassungen seine ursprüngliche Nuance und den beabsichtigten Tonfall behält, was bei Übersetzungen oft verloren gehen kann. Die deutsche Ausgabe wurde übrigens aus dem Französischen übertragen.

"La Louisiana" ist eine fesselnde Mischung aus Abenteuer-, Historien- und Gesellschaftsroman, die das Schicksal und den Überlebenskampf starker Frauen aus einer vergessenen Ecke der Geschichte ins Spotlight rückt.

Bewertung vom 20.10.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


weniger gut

Ich war etwas irritiert von diesem Roman, deutet der Klappentext doch an, dass es vor allem darum geht, zu welchen Grausamkeiten Kinder fähig sind. Schnell wird jedoch klar, dass sich die Geschichte vor allem um die erwachsene Pia dreht und darum, wie deren Erlebnisse in ihrer Kindheit sich auf ihre Partnerschaft und ihre Rolle als Mutter auswirken.

Die Story ist durchaus spannend, nicht zuletzt durch den Gegensatz der klaren, schnörkellosen Sprache einerseits und andererseits der Tatsache, dass sich Pia zunehmend als unzuverlässige Erzählerin entpuppt.

Allerdings mache ich der Autorin einen Vorwurf: Sie beschreibt Vieles, ohne zu werten. Dies ist in einem Roman auch nicht immer nötig. Wenn es jedoch um psychische und physische Gewalt an Kindern geht, ist es meines Erachtens nicht in Ordnung, derartige Übergriffe lediglich mit der eigenen schlimmen Kindheit der Täterin zu erklären. Lind lässt den Teufelskreis von Gewalt und Missbrauch in der Schwebe, ohne ihn wirklich zu hinterfragen oder zu durchbrechen. Hier verlange ich mehr, in der Realität, aber auch in der Fiktion. Es fehlt eine Reflexion oder zumindest ein Ansatz, der über das bloße Aufzeigen von Traumata hinausgeht. Das Gefühl bleibt, dass die Geschichte stehen bleibt, wo sie eigentlich hätte weitergehen müssen. Gerade angesichts der gravierenden Thematik wäre ein tiefergehender moralischer Diskurs wünschenswert gewesen.

Insgesamt ist "Kleine Monster" ein atmosphärisch dichter und spannender Roman, der jedoch mit seiner Zurückhaltung im Umgang mit ethisch herausfordernden Themen einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

Bewertung vom 18.10.2024
Gratulieren müsst ihr mir nicht
Polansky, Lilli

Gratulieren müsst ihr mir nicht


sehr gut

Lilli Polanskys autofiktionaler Debütroman ist eine schonungslose und bewegende Auseinandersetzung mit den Krankheiten, die ihr Leben grundlegend verändert haben. Protagonistin Lilli, zugleich Alter Ego der Autorin, muss bereits mit Anfang Zwanzig ein Herzschrittmacher eingesetzt werden, sie wird nur durch eine Notoperation vor dem Tod aufgrund einer Darmblutung gerettet, und schließlich leidet auch ihre Psyche unter der extremen Belastung, die all diese Erfahrungen mit sich bringen. Die darauffolgende Depression wird ebenso offen thematisiert wie die unfassbaren körperlichen Schmerzen.

Polansky gelingt es, diese existenziellen Themen auf eine Weise zu erzählen, die mich tief berührt hat. Ihre Erzählweise ist brutal ehrlich und unverblümt in der Darstellung der körperlichen und seelischen Qualen. (Empfindsame Leser*innen seien gewarnt, es fließt mehr Blut als in manchem Splattermovie!) Dabei bleibt sie jedoch nicht in der Schwere gefangen: Mit einem überraschenden und wohldosierten Humor schafft sie es immer wieder, Leichtigkeit auch in düsterste Momente zu bringen. Diese Balance zwischen tiefem Schmerz und humorvollen Einschüben ist eine der großen Stärken des Romans und hebt ihn aus der Masse an Krankheits- und Bewältigungsliteratur hervor.

Außerdem punktet Polansky mit scharfer Kritik am Gesundheitssystem, die durch ihre eigenen Erfahrungen deutlich an Authentizität gewinnen. Sie zeigt die Schwächen und Mängel bei Diagnostik und Behandlung auf, mit denen viele Betroffene zusätzlich zu ihren Krankheiten zu kämpfen haben, und lässt damit Raum für eine größere gesellschaftliche Debatte.

Ein Schwachpunkt des Romans sind allerdings die ausführlichen Rückblicke auf Lillis Kindheit, vor allem ihre Erlebnisse im Kindergarten und in der Schule, die stellenweise etwas langatmig wirken.

Trotzdem ist „Gratulieren müsst ihr mir nicht“ ein starkes und eindrucksvolles Debüt, das nicht nur die persönlichen Krisen der Protagonistin beleuchtet, sondern auch anderen Betroffenen Trost und Verständnis bieten kann. Polanskys Debütroman ist ein mutiges Werk, das zeigt, wie es gelingen kann, selbst zwischen dunkelsten Momenten einen Funken Hoffnung und Humor zu finden.

Bewertung vom 16.10.2024
Tanjas Schlonz der Woche
Rösner, Tanja

Tanjas Schlonz der Woche


sehr gut

Tanja Rösner moderiert mit ihrem Kollegen Tobi Kämmerer die hr3 Morningshow, in der sie regelmäßig selbst kreierte Frühstücksgerichte vorstellt. Mit "Tanjas Schlonz der Woche" sind nun erstmals 25 Rezepte in Buchform erschienen. Mit einem Augenzwinkern präsentiert Rösner ihr Konzept des "Schlonz", kreative Rezepte, die ohne großen Aufwand einen süßen Start in den Tag ermöglichen.
Das Besondere an diesem Buch ist die Vielfalt an süßen Frühstücksideen, die allesamt schnell gemacht sind, aber dennoch raffiniert wirken. Man hat die Wahl zwischen "Ready to go-Schlonz", der morgens in wenigen Minuten schnell frisch zubereitet ist, und dem "Overnight-Schlonz", der schon am Vorabend gemacht und morgens nur noch aus dem Kühlschrank geholt wird. Für Morgenmuffel wie mich, denen eigentlich jeder Handgriff einer zu viel ist, ist dies die perfekte Lösung! Von Pumpkin Porridge, Karotten Overnight Oats über Mango-Chia-Pudding bis hin zu Smoothie oder Shake – hier kommt jede Naschkatze auf ihre Kosten.
Der humorvolle und bodenständige Schreibstil der Autorin verleiht dem Buch eine persönliche Note, und man hat beim Lesen das Gefühl, als würde man eine Freundin um ihre besten Frühstückstipps bitten. Ein kleiner Kritikpunkt ist, dass das Buch ausschließlich süße Rezepte enthält. Wer nach herzhaften Frühstücksideen sucht, wird hier nicht fündig. Doch für Fans süßer Speisen ist "Tanjas Schlonz der Woche" eine wahre Fundgrube an Inspiration und Genuss.
Auch die Ausstattung hat mich überzeugt: Jedes Rezept ist mit einem ganzseitigen Farbfoto illustriert, die Speisen sind hübsch und eher rustikal angerichtet, nicht übertrieben gestylt. Das Format (knapp DIN A5) ergibt ein handliches, kleines, aber feines Büchlein.
Insgesamt ist es eine tolle Wahl für alle, die morgens gerne süß in den Tag starten und nach einfachen, aber köstlichen Frühstücksrezepten suchen.

Bewertung vom 30.08.2024
Maifliegenzeit
Jügler, Matthias

Maifliegenzeit


weniger gut

Matthias Jügler setzt sich auch in seinem neuesten Roman mit den Spätfolgen der DDR auf unsere heutige Gesellschaft auseinander. Und da ich der Meinung bin, dass wir auch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten leider weit davon entfernt sind, uns als Bevölkerung wirklich zusammengehörig zu fühlen, nutze ich gerne auch diese literarische Gelegenheit, die sich mir (als Wessie) bietet, um mehr über das Leben in der DDR zu erfahren.

Das Thema des Romans ist keine leichte Kost. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Mann, dessen Kind nach der Geburt für tot erklärt wurde, offenbar aber in Wirklichkeit ohne Wissen der Eltern zur Adoption frei gegeben wurde. Jügler überzeugt in der Darstellung des Vaters, der eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebt. Er verliert nicht nur seinen Sohn, sondern auch seine Ehefrau, weil er nicht wie diese an einen vorgetäuschten Säuglingstod glaubt. Später macht er sich dennoch - erfolglos - auf die Suche nach seinem Kind und gibt auf, bis der Sohn als erwachsener Mann plötzlich anruft. All dies ist berührend, eindringlich und glaubhaft.

Zwei Dinge stören mich jedoch enorm: Zum einen ist dies, dass sich der Autor in seinem Nachwort knapp und eindeutig positioniert, er stellt vorgetäuschte Kindstode zum Zweck der Zwangsadoption als Fakt dar, obwohl dies bis dato trotz wissenschaftlicher Forschung in keinem Fall erwiesen ist. Damit schadet er in meinen Augen diesem wichtigen Thema leider. Und zum anderen - und dies wiegt noch deutlich mehr - umfassen knapp die Hälfte des ohnehin schmalen Büchleins detaillierte Abhandlungen übers Angeln. Sicherlich gekonntes Nature Writing, aber weder hat es mich unterhalten, noch konnte ich den Sinn hierbei bzw. den Bezug zum eigentlichen Thema der Geschichte herstellen.

Bewertung vom 30.08.2024
Lonely Planet Kinderreiseführer Komm mit nach Barcelona (Lonely Planet Kids)
Lonely Planet Verlag

Lonely Planet Kinderreiseführer Komm mit nach Barcelona (Lonely Planet Kids)


ausgezeichnet

Als großer Barcelona-Fan habe ich die wunderschöne katalanische Hauptstadt bereits mehrfach bereist und kenne die meisten der gängigen Sehenswürdigkeiten gut.

Umso mehr konnte mich der Lonely Planet Reiseführer für Kinder begeistern. Denn hier bin ich auf viele interessante Ecken und Geschichten der spanischen Metropole gestoßen, die mir bis dato unbekannt waren und die ich während meines nächsten Aufenthalt in Barcelona erkunden möchte.

Die Comicfiguren Amelia und Marco nehmen die Leser*innen auf 16 höchst vielseitige Touren mit, egal ob das Herz für Sport oder Kunst schlägt, man auf Straßenfeste gehen oder Parks besuchen möchte, typische Leckereien sucht und sich gerne gruselt - hier ist Abwechslung garantiert. Schon das erste Durchblättern macht großen Spaß, denn Autorin Moira Butterfield hat zahlreiche Funfacts recherchiert. Etwa dass die in der "Carrer dels Corders" ansässigen Seilmacher einerseits von vielen gemieden wurden, da sie die Henkersschlaufen für Hinrichtungen herstellen mussten. Andererseits wurden sie oft heimlich von Verwandten der zum Tode Verurteilten bestochen, um ein extra dünnes Seil zu fertigen. Denn wenn das Seil bei der Vollstreckung riss, wurde der Verurteilte begnadigt.

Das Buch ist eine tolle Mischung aus Top-Sehenswürdigkeiten (z.B. das Olympiastadion), weniger Bekanntem (die Kletterstange Cucaña auf der plaça Nova) und interessanten Hintergrundinfos (der jüngste Teilnehmer der Olympiade 1992 war erst 11 Jahre alt).

Wirklich gelungen ist auch das moderne, witzige und übersichtliche Layout, das durch viele liebevolle und kindgerechte Details auffällt.

Fazit: Ein sehr schöner Reiseführer nicht nur für Kinder, sondern für alle, die Lust haben, Barcelona sowohl anhand der gängigen Sehenswürdigkeiten auch abseits davon zu erkunden. Ich werde ihn meiner erwachsenen Tochter schenken, die seit ein paar Jahren dort lebt.

Bewertung vom 28.08.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


gut

Der zweite Roman von Julia Phillips spielt in einer wunderschön anmutenden, abgelegenen Umgebung, auf den San-Juan-Inseln vor der Küste des US-Bundesstaates Washington. Ein Bär taucht vor dem Haus der Familie auf und bringt das Leben der jungen Frauen gehörig durcheinander. Schnell wird klar, dass der Fokus der Geschichte auf der komplizierten, ungesunden Beziehung der beiden liegt, die seit Jahren ihre todkranke Mutter pflegen und dabei auch noch die finanzielle Belastung stemmen müssen.

Ich habe mich sehr schwer mit dem Buch getan, weit über die Hälfte zieht es sich sehr schleppend dahin und ich konnte über beide Protagonistinnen nur heftig den Kopf schütteln. Über die eine, weil sie letztlich nur auf den Tod der Mutter wartet und darauf hofft, im Anschluss daran mit dem Erlös durch den Verkauf des Hauses auf dem Festland ein neues, besseres Leben beginnen zu können. Und über die andere, weil sie wider jede Vernunft immer wieder den Kontakt zum Bären sucht und sich so einem wildlebenden Raubtier schutzlos ausliefert. Was ich Phillips jedoch zugute halte ist, dass sie mich lange gekonnt hinters Licht geführt hat: (ACHTUNG, SPOILER!) Erst spät habe ich gemerkt, dass eine der Schwestern eine unzuverlässige Erzählerin war. Das rasante Ende ist nicht schlecht, doch kann es nicht darüber hinwegtrösten, dass das Gesamtkonstrukt des Romans nicht funktioniert. Der Geschichte ist ein Zitat aus dem Grimmschen Märchen "Schneeweißchen und Rosenrot" vorangestellt, in dem ebenfalls ein Schwesternpaar Besuch von einem Bären bekommt. Nur hat der Bär im Märchen eine deutliche Symbolik, während mir diese hier im Roman verschlossen blieb. Wofür steht er, für animalische Sexualität, für eine Naturgewalt, für eine Herausforderung, die es zu meistern gilt? Letztlich passt alles nicht.

Und auch mit dem deutschen Titel bin ich nicht glücklich. "Cascadia" ist die englische Bezeichnung für die geografische Region Kaskadien im pazifischen Nordwesten Nordamerikas. Ein Ausdruck, der im Deutschen kaum geläufig ist. Um wie viel besser ist da der Originaltitel: Bear. Hier fällt mir die Doppeldeutigkeit auf, zum einen natürlich der Bär, zum anderen bedeutet das Verb "to bear" ertragen, und die Protagonistinnen müssen ja in der Tat einiges ertragen. Ich als Leserin auch, leider.

Bewertung vom 28.08.2024
Seit er sein Leben mit einem Tier teilt
Kirchhoff, Bodo

Seit er sein Leben mit einem Tier teilt


weniger gut

Kirchhoffs jüngster Roman lässt mich sehr ambivalent zurück. Einerseits ist da die fraglos beeindruckende sprachliche Brillanz des Romanciers. Seine atmosphärischen Beschreibungen der hochsommerlichen Hitze am See, die sich letztlich in einem Gewitter entlädt, das biblische Ausmaße annimmt, das ist durchaus großes Kino. Diese Naturbeschreibungen sind zweifelsohne stark und dicht, und man spürt förmlich die aufgeladene Luft, die über der Landschaft liegt. Doch hier beginnt auch das Problem: Kirchhoff zieht eine sehr plakative Verbindung zwischen den Naturereignissen und den inneren Zuständen seines Protagonisten Schongauer, einem alten, zurückgezogen lebenden Mann, der nach dem Tod seiner Frau mit seinem Hund in Isolation lebt.

Diese Parallelen wirken mitunter zu erzwungen, besonders deutlich in der Szene, in der während eines tobenden Gewitters plötzlich eine sexuelle Begegnung zwischen Schongauer und einer deutlich jüngeren Journalistin stattfindet. Diese Symbolik, die zu stark aufgeladen wirkt, könnte man als Holzhammer-Methode bezeichnen – es fehlt an subtilen Nuancen, und das überdeutliche Ineinandergreifen von äußeren und inneren Ereignissen wirkt manchmal schlicht übertrieben.

In Bezug auf die Handlung bleibt vieles unbefriedigend: Die Motivation der Journalistin, ausgerechnet Schongauer interviewen zu wollen, bleibt nebulös, ebenso wie ihr sexuelles Interesse an ihm. Immer wieder hatte ich den Eindruck, dass es sich weniger um eine nachvollziehbare Entwicklung der Figuren handelt, sondern eher um eine Projektion von Wünschen und Vorstellungen des Autors. Die biografischen Ähnlichkeiten zwischen Kirchhoff und seinem Protagonisten sind nicht zu übersehen, was den Verdacht aufkommen lässt, dass hier Altherrenfantasien eine literarische Bühne erhalten haben.

Die zweite weibliche Figur, eine junge und attraktive Reisebloggerin, die ebenfalls in Schongauers Leben tritt, trägt weiter zu dem Eindruck bei, dass die Darstellung der Frauenfiguren im Roman stereotyp und übermäßig idealisiert ist. Die Tatsache, dass sie sich auf Anhieb mit dem griesgrämigen Schongauer versteht, wirkt ebenso unglaubwürdig wie die plötzliche Ferndiagnose von Herzproblemen durch den Ehemann der Journalistin via Telefon.

Trotz der Vielzahl an literarischen und künstlerischen Anspielungen, die den Text durchziehen, vermag auch dieser intertextuelle Reichtum den Roman nicht zu retten. Kirchhoffs Interpretation der "Versuchung des Heiligen Antonius" als ewige Bedrohung des Mannes durch das Weibliche erscheint dabei einseitig und misogyn.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Kirchhoff sprachlich zwar brilliert und eine dichte Atmosphäre zu schaffen weiß, jedoch inhaltlich nicht überzeugt.Kirchhoff hat einmal erklärt, es gehe ihm beim Schreiben „stets um eine Versöhnung von Sexualität und Sprache“. Nun, für mich ist diese Versöhnung hier leider nicht gelungen, stattdessen bleibt der Eindruck eines larmoyanten alten Mannes, der im Grunde die weibliche Psyche nicht versteht und sie daher auf klischeehafte Muster reduziert.

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