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Reiseweise

Bewertungen

Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 12.11.2023
Atalanta
Saint, Jennifer

Atalanta


sehr gut

Neuer Klassiker

Atalanta ist eine der wenigen Heldinnen, die wir aus den antiken Sagen kennen. Als Zögling der Jagdgöttin Artemis wächst sie in den Wäldern Arkadiens zur schnellsten Läuferin und besten Jägerin heran, bis Artemis sie beauftragt, die Argonauten unter Jason auf der Suche nach dem Goldenen Vlies zu begleiten.
Jennifer Saint erzählt die Geschichte von Atalanta auf eine recht klassische Weise, ohne die vielen inneren Monologe, wie sie zum Beispiel für Madeleine Millers Romane typisch sind. Saints Version der Sage ist eher auf die Handlung fokussiert, wobei sie an einigen Stellen ihren eigenen Fokus setzt und den bekannten Sagenstoff ausschmückt, an anderen Stellen aber auch verkürzt. Immer steht Atalanta im Zentrum der Geschichte. An einigen Stellen hätte man noch gern mehr über Atalantas Beweggründe erfahren und auch einige eigentlich spannende Nebencharaktere wie Medea oder Meleagros bleiben etwas unterkomplex beschrieben. Insgesamt aber eine gut zu lesende Version der Atalanta-Sage.

Bewertung vom 23.10.2023
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


ausgezeichnet

Ein starker Roman!

Im englischsprachigen Original heißt der Roman „Horse“, und dieser Titel passt viel besser als das deutsche „Gemälde“. Denn es geht nicht (nur) um ein Gemälde - eigentlich sogar um mehrere Gemälde - sondern um Lexington, das wohl beste amerikanische Rennpferd aller Zeiten. In Zeitsprüngen zwischen dem 19., 20. und 21. Jahrhundert erzählt die Autorin spannend und kenntnisreich die Geschichte von Lexington und seinem schwarzen Betreuer Jarret, die gewissermaßen die historischen Protagonisten darstellen. In der Jetztzeit übernimmt diese Rolle Theo, ein junger schwarzer Doktorand an der Georgetown University, der zufällig auf ein verschollenes Gemälde eines Pferdes stößt.

Der Autorin Geraldine Brooks gelingt es gekonnt, die Atmosphäre des Pferderennsports in den Südstaaten vor dem amerikanischen Bürgerkrieg einzufangen und sie schildert Rassismus, Sklaverei, Wetten und die vielschichtigen, widersprüchlichen Charaktere dieser Welt überzeugend. Ein lesenswertes Buch, auch für Menschen, die mit Pferden eigentlich nichts am Hut haben.

Bewertung vom 23.10.2023
Das Klugscheißerchen
Kling, Marc-Uwe

Das Klugscheißerchen


ausgezeichnet

Lustig und altklug

Tina und Theo Theufel - mit einem bzw. zwei TH im Namen, bitte! - dürfen noch auf dem Dachboden spielen, nachdem sie ihre Eltern - schon sehr alt, mit komischem Geschmack, denn wer bitte isst eklige Bete, wenn es auch Kroketten hätte geben können? - erfolgreich genervt haben. Als sie beim Spielen die Zahl der Weltmeere nicht korrekt nennen, erscheint das Klugscheißerchen, um sie zu verbessern. Dieses Wesen erscheint nur Menschen, die wirklich gut klugscheißern können. Ob es die Eltern auch sehen können…?

Der typische Sprachwitz von Marc-Uwe Kling kommt auch in dieser kurzweiligen Geschichte zum Tragen, auch wenn es nicht ganz so viel Sprachwitz gibt wie beispielsweise in den Geschichten über das Neinhorn. Die Zeichnungen sind aber auch gelungen und treffen den besserwisserischen Gesichtsausdruck der Kinder ebenso gut wie den erschöpften der Eltern.

Bewertung vom 22.10.2023
Büchermenschen
Vernet, Stéphanie;de Cussac, Camille

Büchermenschen


ausgezeichnet

Ein Schmuckstück!

Dieses aufwendig gestaltete Werk - ein Teil Bilderbuch, ein Teil Sachbuch - ist ein wahres Schmuckstück für alle, die gern lesen und vor allem für die, die gerne wissen wollen, welche Schritte passieren, bevor man tatsächlich ein schönes Buch in den Händen hält. Die liebevollen Zeichnungen illustrieren die Produktionsschritte eines Buches ebenso wie dessen Nutzung und die Texte bieten viel Hintergrundwissen über die Entstehung von Büchern - und einiges an netten, kleinen Anekdoten. Da dies durchaus komplexes Fachwissen ist, ist das Buch nichts für sehr junge Leser:innen, aber für solche mit etwas Erfahrung und besonders viel Begeisterung fürs Lesen.
Die Übersetzung aus dem Französischen ist hervorragend und gut an den deutschsprachigen Markt angepasst, z.B. bei den Verweisen auf deutsche Buchpreise oder die Besonderheiten deutscher Bibliotheken.

Bewertung vom 03.10.2023
Baustellen der Nation
Banse, Philip;Buermeyer, Ulf

Baustellen der Nation


ausgezeichnet

Deutschlands dringendste Reformen

In ihrem Buch, das auf den Themen und Diskussionen des bekannten Podcasts basiert, schildern die beiden Autoren ebenso schlüssig wie kenntnisreich, welches die drängendsten Reformbedarfe des Landes sind und wie man ihnen begegnen könnte. Dabei reicht die thematische Breite von der Föderalismusreform über die Ausfinanzierung und Umstrukturierung der Deutschen Bahn bis hin zum Bürokratieabbau. Jedes Problem wird erläutert, mit einer Vielzahl von Zahlen unterfüttert und mit den Reformvorschlägen bekannter Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler:innen ergänzt, um dann eigenen Vorschläge zu formulieren.

Dabei werden, da es sich ja um die „Baustellen der Nation“ handelt, vor allem jene Probleme betrachtet, die durch Veränderungen im politischen, wirtschaftlichen und bürokratischen System Deutschlands behoben werden müssen. Teilweise wird weniger, teilweise mehr staatliches Eingreifen gefordert. Teilweise stimmt man den Ideen zu, teilweise nicht - immer jedoch sind sie gut recherchiert und stimmig argumentiert. Ein interessanter Diskursbeitrag!

Bewertung vom 29.09.2023
Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2
Jürgensen, Dennis

Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2


gut

Skandinavischer Krimi in Norddeutschland

Mehrere alte Menschen werden in Schleswig-Holstein brutal ermordet. Alle sitzen im Sessel, sind gefesselt und eine tote Taube liegt auf ihrem Schoß. Die Polizei tappt im Dunkeln, weswegen das dänisch-deutsche Dreamteam der Kommissare Lühmann und Teit der Fall übertragen wird. Bald schon verfolgen sie eine Spur, die sie überraschenderweise in die Machenschaften der DDR-Stasi führen wird…

Der Krimi ist kurzweilig und die beiden Kommissare sind stimmig gezeichnet, auch ihre Zusammenarbeit ist interessant beschrieben. Der Spannungsbogen nimmt zum eher abrupten und nicht besonders ausgefeilten Ende der Ermittlungen leider oftmals ab, insgesamt ist es aber eine unterhaltsame Geschichte. Auffällig ist, wie gut beschrieben die vielen norddeutschen Orte sind, in denen der Krimi spielt - von Flensburg über Neumünster bis Hamburg stimmen Beschreibungen der Örtlichkeiten, Straßennamen und Regionalzeitungen. Ein Krimi, der wie gemacht scheint für eine Verfilmung für das NDR-Abendprogramm.

Bewertung vom 23.09.2023
Mord im Christmas Express
Benedict, Alexandra

Mord im Christmas Express


weniger gut

Der Nachtzug von London nach Fort William in Schottland fährt trotz Schneesturm kurz vor Weihnachten los und die kürzlich pensionierte Kommissarin Roz macht sich mit ihm auf den Weg zu ihrer Tochter, die in den Wehen liegt. Mit ihr im Zug sind eine Reihe Passagiere, die unterschiedlicher kaum sein könnten - und dann passiert der erste Mord. Roz ermittelt, während der Zug im Schnee steckt und deckt Geheimnisse auf.

Die erste Hälfte des Romans hat mich nicht überzeugt, die zweite Hälfte nahm sprichwörtlich mehr Fahrt auf. Die Charaktere sind teils interessant, oft aber sehr klischeehaft gezeichnet, da man den Bösewichten immer „in den Augen“ ablesen kann, dass sie böse sind. Außerdem ist die Beschreibung des Verlags für das Buch denkbar unglücklich: Es ist kein „Mord im Orientexpress“-hafter Krimi mit verschrobenen Charakteren. Vielmehr geht es um Opfer häuslicher Gewalt und Sexualverbrechen, die sowohl kontinuierlich angedeutet als auch explizit thematisiert werden. Das sollte man wissen, bevor man dieses Buch kauft.

Bewertung vom 19.09.2023
Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit
Schmidt, G.Z.

Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit


sehr gut

Zeitreisen in New York

Adam ist ein schüchterner Junge. Er hilft in der Bäckerei seines Onkels aus und besucht manchmal die Leute im Obdachlosenheim - Freunde hat er keine. Doch dann begegnet er eines Tages einem mysteriösen Mann und findet eine Schneekugel - und findet sich unversehens als Zeitreisender wieder, der das New York der 1960er ebenso wie der 1920er bereist.
Die Geschichte ist spannend erzählt und die Autorin baut geschickt kleine Andeutungen ein und beschreibt Objekte und Menschen, die man plötzlich in anderen Zeitreiseabschnitten wiederentdeckt. Auch das Paradox von Zeitreisen wird so erklärt, dass es der Geschichte keinen Abbruch tut und logisch erscheint. Bisweilen fallen etwas holprige Übersetzungen aus dem amerikanischen Original auf, ansonsten ist der Roman aber kurzweilig und die Charaktere sympathisch. Manche hätte man gerne noch genauer kennen gelernt, insgesamt aber ein gutes Debüt.

Bewertung vom 17.09.2023
Kajzer
Kaiser, Menachem

Kajzer


ausgezeichnet

Über seinen Großvater wusste Menachem Kaiser kaum etwas, obwohl sie den gleichen Namen tragen - eigentlich nur, dass dieser als Einziger seiner Familie die Shoah überlebt hat. Als er aus beruflichen Gründen in Schlesien ist, wo sein Großvater geboren wurde, beschließt er aber, das Haus dessen Kindheit aufzusuchen. An diesem emotionalen und geographischen Startpunkt beginnt für Kaiser eine mehrjährige Reise durch Polen, Deutschland und Israel, auf der er versucht, der Geschichte seines ihm so unbekannten Großvaters näher zu kommen.
Diese Reise nimmt so viele unerwartete Wendungen und streift so viele überraschende Themen, dass das Buch mehr ist als die anfangs erwartete Spurensuche eines jungen Mannes nach den Wurzeln seiner Familie. Es ist ein Werk über die Auswirkungen der Shoah auf jüdische Traditionen und den Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen in Polen, vor allem aber über die Frage, wie wir uns erinnern, wie wir Familiengeschichte erzählen, welche Verbindungen zu Orten über Generationen bestehen und was es heißt, auf der Suche danach sich selbst zu finden. Ein wichtiges, nachdenklich stimmendes Buch!

Bewertung vom 14.08.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Auf Katria leben die Menschen vom traditionellen Thunfischfang, schon seit Jahrhunderten, länger, als die Erinnerung zurückreicht. Einmal im Jahr findet die Tonnara statt, die der Mittelpunkt des gesamten Insellebens ist - sie ist der Kern aller Traditionen, des Aberglaubens, der Gedanken und Gefühle der Inselbewohner, sie schafft Arbeitsplätze und stiftet Identität und Zusammenhalt. Doch wie lange kann die Tonnara dies noch leisten?
Germania Fabianos melancholische und eindrückliche Geschichte über die Insel Katria und ihre Bewohner:innen reicht von 1960 bis 2012 und erzählt von den Veränderungen, den Traditionen, dem Auf und Ab des Meeres, den schwindenden Thunfischschwärmen, den kommenden und gehenden Tourist:innen und Geflüchteten. Die Charaktere werden eindrücklich beschrieben und die Melancholie und Schönheit der kleinen Mittelmeerinsel ist überzeugend dargestellt. Ein nachdenklich stimmendes kleines Buch!