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Insgesamt 163 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2021
Das Nest in meinen Zweigen
Taube, Anna

Das Nest in meinen Zweigen


ausgezeichnet

Mit diesem Buch können die Kleinsten den Lauf der Natur erfahren und gemeinsam wachsen. Auch mein 9jähriger Sohn war noch total begeistert.

Absolut zauberhaft

Wenn wir bei bei diesem absolut zauberhaften Pappbuch einen Baum durch die Jahreszeiten begleiten, dann sehen wir so viel mehr als nur ihre vier Entsprechungen Frühling, Sommer, Herbst und Winter, sondern auch die Zwischenstufen, die in ihren Nuancen die Natur lebendig werden lassen. Hier fliegen nicht schlicht „Vögel“ durch das Buch, sondern eine Vielfalt mit Rotschwänzchen, Eichelhäher, Stieglitz, Dompfaffen und vielen mehr. Und die Kinder bekommen diese lehrreiche Vielfalt ganz nebenbei mit. Manchmal fordert das Buch die jungen Mitlesenden auf, bestimmte Tiere oder Pflanzen zu suchen – alles im Fluss dieser wunderschönen Geschichte.

Bei den tollen Bildern von Illustratorin Carmen Saldaña sind die Tiere und Pflanzen in aller Prägnanz erkennbar. Und dazu gibt es in ihnen noch einiges über den Text hinaus zu entdecken. Gleichzeitig haben uns ihre Bilder richtig verzaubert.

Genauso zauberhaft sind die Texte von Anna Taube, voller Poesie und doch so einfach gehalten, dass auch die jüngsten Leser:innen ab 24 Monate ihre Freude an dem Buch haben werden. Und ältere Kinder und Erwachsene werden die wundervolle Sprache doppelt genießen können. Ich bin daher fest überzeugt, dass dieses Buch mehr als nachhaltig ist, weil es sich über viele Jahre hinweg lesen lassen wird.

Das ist toll!, war dann auch die Meinung meines 9jährigen Sohnes. Und wir haben dann gleich noch „Ich sehe was, das du nicht siehst“ damit gespielt. Genug zu entdecken gibt es ja.

Ich denke, ich werde „Das Nest in meinen Zweigen“ ab jetzt häufiger zu Geburt oder in der Kleinkindphase verschenken.
Denn hier gelingt, was bei Kinderbüchern je seltener gelingt, desto jünger die Leseschaft sein soll: Hier greifen Geschichte, Sprache, Illustrationen und Lehrreiches ganz zauberhaft ineinander.

Für dieses zauberhafte Pappbilderbuch vergeben mein Sohn und ich begeisterte 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 20.02.2021
Mega dumm gelaufen
Bertram, Rüdiger

Mega dumm gelaufen


ausgezeichnet

Das musst Du auch mal lesen!, findet mein Sohn

Mein 9jähriger Sohn findet:
Das musst Du auch mal lesen! Ich finde das Buch „mega“ lustig. Besonders lustig fand ich die vielen Ideen, wie die beiden Jungs versucht haben an Geld zu kommen. Ich fand auch spannend, ob sie das schaffen und damit den Pokal zurückbekommen. Die Szene in der Bibliothek und der Hund, der gerne Dackel frisst, und die Gewichtheberin waren weitere Highlights. Die Bilder sind auch so witzig. Es gab nix, was mir nicht gefallen hat.
Ich finde lustig, dass die so oft sagen: „Mega dumm gelaufen.“ Und als sie bei der Gewichtheberin sind. Ich konnte mich auch gut in beide Figuren reinversetzten. Auch, warum man sich vielleicht was ausdenkt, damit die anderen einen nicht mehr belästigen.
Am Ende ist übrigens doch nicht alles mega dumm gelaufen, denn am Ende ist alles mega super.

Meine Erwachsenen-Meinung:
Rüdiger Bertram ist ein Meister der etwas überzogenen Situationen und Charaktere, die er mit liebevollem Blick beleuchtet und ernste Themen immer mitbedenkt. Hier geht es auch darum, auf welche Ideen Kinder kommen können, wenn sie geärgert werden, darum, wie Gerüchte entstehen, und dass es schön ist anderen zu helfen.
Mein 9jähriger Sohn und ich finden Betrams Bücher klasse und auch mit seinem allerersten Comic konnten wir wieder sehr viel kichern, lachen und uns freuen.
Jetzt sind wir beide absolute Vielleser:innen. Mein Sohn hatte den Comic wie ich in knapp 20 Minuten gelesen. Daher eignet sich das Buch besonders auch für Kinder, die (noch) nicht so viel lesen, damit sie Freude daran finden und stolz sein können, ein ganzes Buch „geschafft“ zu haben. Aber wir als Viellesende hatten genauso viel Spaß und das Buch soll hier im Bücherschrank zum Wiederlesen verbleiben.
Die beiden Hauptfiguren sind Jungs und vielleicht ist hier auch eher das Zielpublikum, mit der Gewichtheberin gibt es allerdings eine im Wortsinne starke, ungewöhnliche Frauenfigur.

Fazit:
Ein kurzweiliges, witziges Lesevergnügen in Comic-Form, das wir gerne weiterempfehlen. 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 20.02.2021
Annette, ein Heldinnenepos
Weber, Anne

Annette, ein Heldinnenepos


ausgezeichnet

Annette hatte Prinzipien, deren Imperative wurden ihr zum Antrieb und es stellt sich die Frage: Wann und wie leisten wir Widerstand?

Es ging ihr ums Prinzip. Oder auch Prinzipien.

Ein intensives Buch, das meiner Meinung den Deutschen Buchpreis 2021 würdig gewonnen hat. Neben der sensiblen Auseinandersetzung mit einem realen Person sticht besonders die Form hervor, die Anne Weber wählt: Ein Heldinnenepos ist nämlich nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch im formalen Sinne richtig. Wobei sie durchaus das Held:innen-Bild bricht. Oft ist es neben den Prinzipien nämlich der Zufall, der Annette an die entscheidenden Wendepunkte bringt.

Aber genau darum habe ich das Buch ja auch so gerne gehört: Annette ist so oft heldenhaft, riskiert ihr Leben, aber mit Marvel-Superheld:innen hat sie dennoch wenig zu tun. Weber schildert Annette als Mensch aus Fleisch und Blut. Viele ihrer Taten können wir bewundern, manchmal wundern wir uns vielleicht, aber ich fand sie immer nachvollziehbar. Und auch, wenn wir Vorbilder brauchen, es ist gut, dass wir heute, anders als bei früheren Epen so oft geschehen mit harten Männern häufig, niemand auf einen Sockel gestellt bekommen. Weber macht den Fehler nun eben NICHT bei einer Frau, sondern fühlt sich ein und macht ihre Heldin nahbar.

Gerade als Hörbuch hat die epische Form bei mir hervorragend funktioniert. Das ist insbesondere auch Sprecherin Christina Puciata zu verdanken. Den feinen Humor, die Selbstironie und -erkenntnis, die sich auf Protagonistin wie Autorin und Erzählhaltung, die das Buch ausmachen, verstärkt die Sprecherin auf den Punkt. Es ist zwar das erste, aber sicherlich nicht das letzte Buch, dass ich von Piciata hören werde.

Schon auf Anfang wird der Bogen zum Ende gespannt, auch auf der Metaphernebene. Eine kundige Finesse, von denen Weber so einige in Petto hat, die dieses Buch gleichzeitig zu einem intellektuellen Genuss machen.

„Geboren wird Annette in einer Sackgasse. Und das nicht bloß im übertragnen Sinne, wie wir alle.“

Annette suchte immer wieder Wege aus diesen Sackgassen hinaus. Nicht so sehr für sich, sondern für andere. Und so wurde sie zunächst schon in ganz jungen Jahren eine Kämpferin in der Resistance für die Kommunist:innen. Und später setzte sie sich für eine freies Algerien ein. Während die meisten wohl den Kampf gegen Nazis als legitim werten werden, könnte es bei Bomben gegen Kolonisatoren vielleicht schon eng werden. Auch, wenn sie die nicht legt, sondern nur als Fahrerin tätig wird und später als Ärztin und in der ersten algerischen Regierung. Die Frage, was wir als gerechtfertigt sehen, schwingt immer mit. Und Weber stellt gekonnt diese Frage immer wieder und macht Bezüge auf, wie Unterdrückung auf vielfältige Weise wirkt.

Durch die Form bekommt die Geschichte etwas märchenhaftes. Das hilft es auch, die harten Fakten zu ertragen, die immer nur am Rande skizziert werden.

Eine Content Note in Bezug auf Shoah, Folter und Morde ist dennoch angebracht, auch, wenn hier nichts drastisch geschildert wird. Aber in der Skizzierung durchaus sehr emotional. Es ist eher der Fakt, DASS es passiert, denn wie genau es passiert ist. Zudem wird in einer historischen Einordnung das Z-Wort und in einem Zitat das N-Wort benannt.

Letzteres Zitat ist recht heftig. Aber hier werden wie häufig im Buch die Bezüge zwischen verschiedenen Diskriminierungen und Rassismen aufgemacht. Ich bin wirklich froh, dass es Menschen wie Annette immer wieder gab und gibt.

„Es ging ihr ums Prinzip. Oder auch Prinzipien.“

Die Fragen, wann etwas zu tun geboten ist, wird bei mir noch eine Zeitlang nachwirken.

Bewertung vom 20.02.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


sehr gut

Mit emotionalen Erinnerung an den eigenen Vater macht Helfer eine vergangene Zeit sehr unmittelbar erfahrbar. Sehr gerne gelesen.

Eine vergangene schwere Zeit und ein vergangenes Paradies

Durch viele positive Stimmen zu „Die Baggage“, Helfers Roman vor diesem hier, wollte ich endlich mal ein Buch der österreichischen Autorin lesen. Und mir hat „Vati“ nun auch sehr gut gefallen.

Besonders sticht die wunderschöne Sprache hervor.

„…nichts besaß er. Wirklich nichts. Das ich ich mir nur schwer vorstellen:dass einer gar nichts hat, wirklich nichts. Ich höre die Leute sagen: Wir standen vor dem Nichts – und dann stellt sich heraus, die Schuhe gehörten ihnen und die Socken und der Regenschirm und die Kappe auf dem Kopf auch. Im Falle meines Vaters, damals zukünftigen Vaters, hieß nichts: Nichts. Nicht einmal der Dreck unter den Fingernägeln gehörte einem, denn den hat man aus fremden Fenstern gekratzt.“

Neben der sprachlichen Finesse ist das Buch eine sehr private Erinnerung an Helfers eigenen Vater. Hommage wäre aber eines zu viel, denn Helfer gelingt das Kunststück, dass sie ihn nicht verklärt, sondern ihn zwar liebevoll, aber eben auch mit seinen Schwächen zeigt. Obwohl es rein formal gesehen von seiner Bildung nicht zutraf, war er ein Intellektueller, ein Buchliebhaber, einer, der wie ein Städter wirkte, trotz seiner armen Herkunft. Genau darüber wird er stolpern und auch seine Familie, denn dadurch wird die Vertreibung aus dem familiären Paradies beginnen, einem „Kriegsopfererholungsheim“, dem er als Leitung vorstand.

Nach dem Tod der Mutter wird der Vater beinahe lebensunfähig, auf alle Fälle aber unfähig, sich um seine vier Kinder zu kümmern. Seltener sind die Passagen der Reflexion, meist erinnert sich die Autorin sehr unmittelbar an ihre Familie. Manchmal ist ihr Blick kindlich und dann besonders schmerzlich. Dieses Leben ging nicht ohne Schmerzen und Verluste einher.

Ich konnte mich sehr einfühlen, vieles erinnerte mich auch an Erzählungen aus meinem Familienkreis, denn Helfer ist (beinahe) die Generation meiner Eltern (Jahrgang 1942 und 1944).
Vieles davon scheint so weit entfernt, wie aus einer anderen Welt. Und bei Helfers Biografie sind dann die Veränderung dieser Welt spürbar.

Helfer ist Jahrgang 1947, die erste Nachkriegsgeneration. Sie bleibt allerdings sehr in ihren Familienerinnerungen, die großen Zusammenhänge kommen nur wenige Male vor. Das ist emotional zu lesen und auch sonst legitim. Für die 5 Sterne fehlte mir allerdings der weitere Blick, das Universelle, dass darüber hinausgeht, dass wir alle Menschen sind. Das fängt damit an, dass das I-Wort verwendet wird. Und zeigt sich für mich nicht zuletzt an der Erklärung des Titels selbst, mit der das Buch auch beginnt:

„Wir sagten Vati. Er wollte es so. Er meinte, es klinge modern.“

Da ist „Vati“ wohl einem Trugschluss aufgesessen mit der Modernität. Die Nationalsozialisten haben dieses Wort dem französisch anmutendem Papa oder Papi immer vorgezogen. Ein Gedanke dazu fehlt allerdings im Buch und ich glaube nicht, dass der Fakt so allgemein bekannt ist. Viele Themen schwingen mit, schon allein der Ort des „Kriegsopfererholungsheimes“, die Resonanzen musste ich dazu allerdings selbst suchen.

Fazit
Mit emotionalen Erinnerung an den eigenen Vater und die eigene Familie, macht Helfer eine vergangene Zeit, die noch nicht so lange vergangen ist, sehr unmittelbar erfahrbar. Ich habe ihren Roman sehr gerne gelesen und vergebe 4 von 5 Sternen.

Bewertung vom 04.02.2021
Hilfe, mein Kater kann sprechen! / Mirella Manusch Bd.1
Barns, Anne;Below, Christin-Marie

Hilfe, mein Kater kann sprechen! / Mirella Manusch Bd.1


gut

Hübsche Grundidee, tolle Illustrationen, aber die Durchführung konnte uns leider nicht abholen.

Abprallen an den Figuren

Die meisten fiktionalen Geschichten lesen mein Sohn und ich dann doch auch beim Vorlesen recht zügig. Auch bei diesem Buch sind wir zunächst flott gestartet, aber je länger wir gelesen haben, umso mehr ging uns der „Drive“ dabei verloren. War mein Sohn zunächst vom Buch noch ganz gepackt, hat er es nie zum Vorlesen herausgezogen, sondern stattdessen andere Bücher vorlesen lassen oder selbst gelesen. Das ist – wie immer – unsere ganz subjektive Meinung. Es gibt auch sehr positive Stimmen zum Buch. Uns konnte es nicht wirklich abholen und wir sind ganz froh, dass wir nun einen Haken dranmachen können.

Nachdem wir nun über zwei Jahre gemeinsam Rezensionen schreiben und selbstverständlich noch viel länger gemeinsam lesen, fand ich es total spannend, auf was mein Sohn mittlerweile alles achtet. Ich hatte noch ein paar Punkte (so fand ich einige Schilderungen nicht sehr stillfreundlich), überlasse das Wort aber meinem Sohn.

Mein 9jähriger Sohn findet:
Das einzige, was ich toll fand, waren die Illustrationen und die Grundidee.
Ansonsten fand ich das Buch nicht so toll, deswegen vergebe ich 2,5 Sterne. Es wurde alles zig Mal wiederholt, wie das mit den Zähnen ist und dem Vampirdasein, manches wurde auch zu detailliert erzählt, was mit der Zeit lahm wurde.
An die Figuren kam ich nicht wirklich ran. Das wäre wie bei Apollo 13, da haben die in der Kapsel Gewichte gebraucht, um nicht an der Atmosphäre beim Wiedereintritt abzuprallen. Beim Buch war es, als hätten sie das Gewicht nicht auf die Figuren verlagert, so prallen wir dann beim Lesen von den Figuren ab. Mirella war okay. Nur der Kater Lancelot war toll.
Was mich auch gestört hat, dass mehrmals gesagt wurde, dass Jungs nichts verstehen oder doof wären. Jungs können genauso gut nerven wie Mädchen. Aber manche Geschichten manche machen so große Unterschiede auf. Das nennt man „Gender“. Manolo, das andere Vampirkind, hätte man auch besser gestalten können, der war aber wirklich oft nervig. Eigentlich ist er eine Nebenfigur, aber dann hat zwei Mal Mirella beschützt. Das ist dann so Prinz rettet Prinzessin, und das ist ja auch lahm.

Fazit:
Hübsche Grundidee, tolle Illustrationen, aber die Durchführung konnte uns leider nicht abholen: Zu redundant, zu wenig Konflikt, zu dröge letztendlich. 2,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 01.02.2021
Streulicht
Ohde, Deniz

Streulicht


ausgezeichnet

Wunderschöne Sprache, intensive Erinnerungen. Eindrucksvoll wie Ohde Standesdünkel, Klassismus und Rassismus vorführt.

Staubgeboren

In diesem Buch passiert scheinbar nicht viel. Und doch so viel, denn hier werden die Weichen gelegt, wie ein junger Mensch später die Welt wahrnimmt und – leider noch viel wesentlicher in unserer Welt – wie dieser von der Welt wahrgenommen wird. Diese Weichen liegen im Streulicht, vieles kann so gehen oder so. Aber es gibt ein Muster und Wahrscheinlichkeiten, nach denen die Freundin Sophie wohl einen anderen Lebensweg haben wird als das Mädchen mit dem geheimen türkischen Namen, obwohl sie den nur selten nennt. Eindrucksvoll ist an diesem Buch wie Ohde Standesdünkel, Klassismus und Rassismus vorführt.

„Es war keine Identität, die sich herausbildete, sondern eher wurde sie mir entzogen, verschwand im Keller der Schule, zwischen den bis in die Sechziger zurückreichenden Akten, weil ich die Einzige aus meinem Jahrgang war, die nicht auf eine höhere Schule wechselte und deren Akte deshalb nirgendwo hingeschickt werden musste. Sie lag oben auf einem staubigen Schrank, nachts kalt beleuchtet von den Laternen des Schulhofs.“

Kürzlich habe ich mal einen treffenden Gedanken gelesen: Wie langweilig es doch ist, immer und wieder davon zu lesen, wie sich mittelalte Männer in Büchern wehmütig an ihre eigene Jugend erinnern und sie verklären. Wie völlig entgegengesetzt das ist, wenn sich die Ohdes Protagonistin an ihre Jugend erinnert. Hier ist nichts verklärend. Wehmütig wurde mir dennoch ums Herz, weil Ohde uns ganz nah an ihre Protagonistin heranlässt.

„Ich war nicht schaumgeboren, sondern staubgeboren; rußgeboren, geboren aus dem Kochsalz in der Luft, das sich auf die Autodächer legte. Geboren aus dem sauren Gestank der Müllverbrennungsanlage, aus den Flusswiesen und den Bäumen zwischen den Strommasten, aus dem dunklen Wasser, das an die Wackersteine schlug, einem Film aus Stickstoff und Nitrat, nicht Gischt.“

Dies alles fasst Ohde in eine sehr poetische Sprache. Weil es ihre Protagonistin ist, deren Stimme wir hören, wird umso deutlicher, um wie viel Potential so viele Menschen in diesem Land durch die Strukturen gebracht werden.

CN / Content Note: Alkoholismus, Messie-Syndrom, Rassismus, schwierige Kindheit, körperliche Bestrafung der Mutter in deren Kindheit, Rassismus, Krebstod

Rassismus schlägt der Protagonistin erst in zweiter Linie entgegen, weil die türkischen Wurzeln der Mutter durch den deutschen Namen meist übertüncht werden. Doch immer wieder so Sätze der Freundin seit Kindheitstagen. Aber auch so wird oft das Gefühl vermittelt, dass sie nicht wirklich dazu gehört, schon wegen der einfachen Herkunft der Eltern. Der Vater ertränkt seine Verletzungen von früher im Alkohol, hortet Dinge an bis zum Messitum.

„Wenigstens ging er nur auf die Möbel los. Sie schätzte sich glücklich. Man konnte nicht davon ausgehen, dass es in der Welt etwas Besseres gab, man konnte es nicht einfach so einfordern. Das habe ich von ihr gelernt.“

So fein beobachtet wie schmerzhaft fand ich, wenn sich die Protagonistin mit ihren Freund:innen aus Kindheitstage vergleicht, obwohl, vielleicht mache ich das viel mehr beim Lesen selbst. Die Hochzeit der beiden bildet dann auch den Rahmen für die Erzählung. Die letzten 20, 30 Seiten versandeten für mich ein wenig vom Bogen. Das Buch als Ganzes habe ich sehr gerne gelesen.

Fazit
Sprachlich gelungen, intensive Erinnerungen. Deniz Ohde ist damit für mich sehr verdient auf der Short List des Deutschen Buchpreises gelandet. Ich empfehle das Buch sehr gerne allen, die Gefallen an ruhiger, poetischer Literatur finden. 4,5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 13.01.2021
Queenie
Carty-Williams, Candice

Queenie


ausgezeichnet

Stark Roman und tolle Heldin. Bitte Content Note beachten für diese intensive Lektüre, die intersektionalen Feminismus lebendig macht.

Am liebsten hätte ich Queenie dauernd in den Arm genommen…

…leider hätte Queenie das aber wohl nicht zugelassen. Nicht mal von ihren engsten Freundinnen und auch nicht von ihrer Familie. Dennoch oder vermutlich genau deswegen ist mir die junge, kluge Schwarze Frau aus London sehr schnell ans Herz gewachsen. Trotz vieler leichter Passagen, vor allem am Anfang, hat sie ein ganz schönes Päckchen zu tragen und über lange Zeit schlittert sie von einer toxischen Begegnung in die nächste.

Ich mag solche Vergleiche eh schon immer nicht, aber wer also nach dem Verlags-Slogan eine Schwarze Bridget Jones erwartet, den möchte ich warnen: Ja, Queenie kann zwar sehr selbstironisch sich und die Welt betrachten, aber hier wird es weitaus ernsthafter als bei Bridget.

CN / Content Note: Rassismus, Depression, sexualisierte & häusliche Gewalt, Verlust einer Schwangerschaft

Es hat mir beim Lesen immer wieder die Kehle zugeschnürt, denn Queenies Erlebnisse sind ernst. Aber da schafft Candice Carty-Williams eine ganz eigene Figur, so dass sie irgendwelche Vergleiche auch gar nicht nötig hat: Sie schafft eine feministische Heldin, die mit all dem kämpft, was Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung ausmacht. Ohne diesen Blick könnte Queenie vielleicht naiv wirken, aber sie ist gefangen in ihren Erfahrungen, so dass sie sich immer wieder in toxische Verhältnisse und selbstdestruktives Verhalten verstrickt.

So oft dachte ich mir: „Queenie, lauf weg, du brauchst diese Typen nicht!“ Und gleichzeitig habe ich sie so verstanden, warum sie so handelt. Ihr Selbstbewusstsein so zerstört, dass sie sich darauf einlässt. Und doch kommt es zu keiner Schuldumkehr, warum sie sich immer dieses Typen aussucht.

„»Ich seufzte tief. »Warum kann ich nicht einfach ein Happy End haben, Kyazike?«
»Machst du Witze, Fam?« Kyazike lachte. »Denkst du, das Leben ist ein Film? Und selbst wenn es einer wäre, Fam, wir sind schwarz. ›Egal, in welcher Schattierung‹«, ahmte sie meine Stimme nach, »wir wären die Ersten, die sterben müssen.«“

All ihre Erlebnisse sind eingebettet in Queenies Rassismus-Erfahrung, denn diese verstärkt, wie mies so von diesen Typen behandelt wird. Und als weiße Frau habe ich wieder einiges über intersektionellen Feminismus nachspüren können.

Absolut toll geschrieben war das Buch schmerzlicher als ich bei der Buch-Promo gedacht habe. Aber umso mehr ist mir diese junge Frau ans Herz gewachsen. Umso mehr war dieses Buch eine wichtige Erfahrung, die hoffentlich Frauen hilft, sich selbst aus solchen Verstrickungen befreien zu können. Dann gab es endlich Lichtblicke und es war eine Freude Queenie dabei zuzusehen, wie sie endlich wachsen konnte.

„»Ich lerne aus meinen Fehlern. Das nennt man Entwicklung.«“

Queenie, ihre Freundinnen-Runde und ihre Familie sind mir so sehr ans Herz gewachsen.

Fazit
Eine intensive, gelungene Leseerfahrung. Diese beinhaltet auch schmerzliche Elemente (bitte Content Note beachten), die das Buch für mich umso stärker gemacht haben. 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 03.01.2021
Fake Facts
Nocun, Katharina;Lamberty, Pia

Fake Facts


ausgezeichnet

Kundige Führung durch den Kaninchenbau der Verschwörungsmythen

Flache Erde, außerirdische Echsenwesen als Mächtige der Welt, QAnon – es ist ziemlich leicht sich über Verschwörungsmythen und ihre Anhängenden lustig zu machen. Ich muss gestehen, dass ich diesem „Phänomen“ meist auch nur mit bitterem Humor und Sarkasmus begegnen kann. Damit schieben wir aber die Probleme, die ganz real und ganz gefährlich aus solchen Verschwörungsmythen entstehen, von uns weg. Stattdessen sollten wir uns alle damit auseinandersetzen, darum kann ich dieses hervorragende Buch nur empfehlen. Erst recht, da durch Corona-Leugnung Verschwörungserzählungen befeuert wurden und werden.

Katharina Nocun und Pia Lamberty schaffen dabei das Kunststück, dass sich „Fake Facts“ trotz dieses ernsten, bitteren Themas sehr angenehm und flüssig liest. Obwohl ich mich zunächst vor dem Buch gedrückt habe – ich hatte befürchtet, dass es meine Laune wegen des Themas sehr drücken wird – habe ich es recht flott gelesen.

Schon nach wenigen Seiten hatte mich das Buch am Haken, am Haken mit einem stimmigen Einstieg, der Beispiele bringt und Problemfelder aufmacht. Dann:

„Lassen Sie uns zunächst noch einmal einen Schritt zurückgehen und bei der zentralen Frage beginnen: Was genau ist eine Verschwörungserzählung?“

Nocun und Lamberty erklären und geben dem Lesenden einen Fahrplan durch die verschiedenen Bereiche der Verschwörungsmythen und -erzählungen und behandeln dabei Antisemitismus, Leugnung der Klimakrise, Angreifen der Medien, gegen Freimauern und Illuminaten, scheinbar witzige Aspekte wie flache Erde oder Echsenmenschen, rechtsextreme und faschistische, welche aus dem linken Spektrum… Viele dieser Verschwörungsmythen weisen Querverweise und unheilige Allianzen auf. Nocun und Lamberty verknüpfen sie bei ihrer Darstellung sehr gekonnt, ohne dass Redundanzen entstehen.

Die beiden Autorinnen räumen zudem mit dem Mythos auf, dass Verschwörungsmythen erst durch die digitalen Medien entstanden wären:

„Viele Fakes und Verschwörungserzählungen erreichen erst durch das Internet ein Millionenpublikum. Die Schuld für die Verbreitung allein den neuen Medien zuzuschieben wäre jedoch zu kurz gegriffen. Bereits im Jahr 1835 bescherte eine sechsteilige Serie über angebliche Entdeckungen von Leben auf dem Mond der New York The Sun eine Rekordauflage.12 Die ersten in großem Stil verbreiteten Spekulationen über eine Verschwörung rund um die Ermordung von John F. Kennedy wurden in namhaften europäischen Zeitungen abgedruckt. Trotzdem hat sich insbesondere durch das Aufkommen der großen Internetplattformen wie Google, YouTube und Facebook in den letzten Jahren einiges verändert.“

Im Buch werden auch psychologische Hintergründe behandelt, die erklären, warum Menschen ihr Heil in Verschwörungserzählungen suchen. Egal, wie absurd das zunächst erscheinen muss:

„Beim Glauben an Verschwörungserzählungen handele es sich um ein kohärentes Weltbild – die Verschwörungsmentalität. Konkret heißt das: Wer an eine Verschwörungserzählung glaubt, stimmt auch meistens weiteren Erklärungen dieser Art zu. (…) Diese Annahme trifft sogar auf Verschwörungserzählungen zu, die sich gegenseitig logisch ausschließen. Ein Forschungsteam aus Großbritannien konnte 2012 zeigen: Wer glaubt, Prinzessin Diana sei vom britischen Geheimdienst umgebracht worden, geht paradoxerweise auch eher davon aus, dass sie noch lebt.“

Am Ende gibt es noch ein Kapitel, bei denen die Lesenden bei ihren Gesprächen mit Menschen umgehen können, die Verschwörungserzählungen aufgesessen sind. Einfach ist das nicht, aber es ist Teil einer wichtigen Zivilcourage.

Fazit:
Ausgezeichnet aufbereitet informieren die beiden Autorinnen über ein wichtiges Thema. Wir alle müssen uns mit „Verschwörungsmythen“ und ihren Anhänger:innen beschäftigen, weil hier Gefahren für unsere Demokratie und Gesellschaft lauern. Bitte unbedingt lesen! 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 02.01.2021
Das schwarze Schaf
Roeder, Annette

Das schwarze Schaf


ausgezeichnet

Lustig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Dazu wundervoll geschrieben und tolle Bilder. Ein Jahreshighlight 2020.

Tolle freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte

Hier haben wir wieder als 3-Generationen gelesen (wir lesen der Oma zur Corona-Unterhaltung vor) und waren total begeistert zum Jahresabschluss noch ein echtes Highlight gefunden zu haben.

Heute stelle ich meine Eltern-Meinung ausnahmsweise mal ganz kurz vorneweg:
Bei diesem Buch passt einfach alles. Sprachlich findet Annette Roeder eine wundervolle Form für dieses Kinderbuch. Das ist wirkliche Kinderliteratur. Und dann sind die Protagonisten einfach so wundervoll und es ist herzerwärmend, wie sich die Freundschaft zwischen Schaf Texel und Maulwurf Winnewurp entwickelt. Auch auf der tieferen Bedeutungsebene gibt es einiges zu entdecken. Dazu die tollen Ideen im Kleinen und die humorvollen Illustrationen von Stefanie Jenschke, die die Handlung pointiert zeigen. Ein echtes Highlight!

Unsere Oma sagt:
Das war lustig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Ich wusste erst zum Schluss hin, wer die Tat begannen hat. Da sind wir richtig auf falsche Fährten geführt worden. Es gibt so viele unterschiedliche Protagonist:innen, die alle so lustig sind und die mir schnell ans Herz gewachsen sind. Vorneweg das schwarze Schaf, das nicht schwarz ist, sondern weiß, was an sich schon zu einer ersten Irritation und dann zum Nachdenken führt. Und der Maulwurf, der fast blinde, der alle rettet am Schluss.

Mein fast 9jähriger Sohn findet:
Mir hat „Das schwarze Schaf“ gefallen, weil ich ganz nah an die Figuren, vor allem Texel (das Schaf) und Winnewurp (Maulwurf) rankam. Manche Vermutungen haben sich bei dem Buch auch als falsch herausgestellt, was mir sehr gefallen hat. Weil jede:r Detektiv:in macht Deduktion, wie die das hier nennen, und die kriegen das auch mal nicht hin, dass man beim ersten Anlauf gleich die Richtigen findet. Es war an vielen Stellen richtig, richtig, richtig, richtig, richtig spannend. Und an manchen Stellen so spannend, dass wir am Kapitelende einfach weiterlesen musste. Und am Ende wurde es nochmal richtig spannend.

Oma: Ja, ja.

Kind: … weil wir hätten das von der Spannung her nicht ausgehalten. Und es hat mir einfach gut gefallen. Die Bilder waren auch gut.

Oma: …die waren lustig!

Kind: Was mir auch gut gefallen hat, dass das Schwitzerdeutsch von Widder Waliser hinten auch nochmal übersetzt wird. Falls man das nicht verstanden hat.

Mama: Was war das denn für Euch? Ein Krimi, eine Tiergeschichte? Oder eine Freundschaftsgeschichte?

Oma: Ein freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte.

Kind: Ich finde alles irgendwie!

Fazit:
Wundervolles Kinderbuch. Wann gibt es eine Fortsetzung? 5 von 5 Sterne von allen 3 Generationen für diese freundschaftliche Krimi-Tier-Geschichte.