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Quincyliest

Bewertungen

Insgesamt 102 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Daniela Dröscher hat einen großartigen, autobiographisch inspirierten Roman geschrieben, der in den 80er Jahren in einem kleinen Ort im Hunsrück spielt. Sie schreibt aus der Perspektive eines Kindes. Respektvoll und feinfühlig porträtiert sie ein Bild ihrer Mutter. Essayistische Einschübe aus Erwachsenensicht fügen der kindlichen Betrachtung eine etwas objektivere und auch kritische Sichtweise hinzu. Das Gewicht der Mutter ist das zentrale Thema, um das sich alles dreht. Aus Sicht des Vaters ist das Übergewicht für seine fehlenden Karrierechancen oder sein nicht so hohes Ansehen verantwortlich.
Der Roman ist vielmehr als nur eine Familiengeschichte, er deckt patriarchale Denkmuster und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten auf.
Dröscher erzählt beeindruckend, authentisch und glaubwürdig, genauso könnte es gewesen sein. Mich hat das Buch absolut begeistert. Es ist völlig zu Recht für den Deutschen Buchpreis nominiert. Auf weitere Werke der Autorin freue ich mich jetzt schon.

Bewertung vom 23.08.2022
Denk ich an Kiew
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Erin Litteken hat einen bewegenden Roman über ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Ukraine geschrieben. Unter der Herrschaft Stalins verhungerten Millionen Ukrainer in den dreißiger Jahren trotz voller Getreidespeicher im eigenen Land.
Die in der Vergangenheit angesiedelte Zeitebene des Romans erzählt die Geschichte Katjas, die in einem Dorf nahe Kiew aufwächst. Die Menschen leben bis zum Einzug von Stalins Truppen und der damit verbundenen Kollektivierung autark. Doch fortan bestimmen Hunger und Armut das Leben und den Alltag. Auch Katjas Familie ist betroffen und hat furchtbare Verluste zu verzeichnen.
In einer zweiten Zeitebene wird das Leben von Cassie und ihrer Familie erzählt. Cassie hat nach dem Tod ihres Mannes den Lebensmut verloren. Sie zieht mit ihrer Tochter zur an Demenz erkrankten Großmutter, deren Lebensgeschichte Geheimnisse birgt, die Stück für Stück ans Licht gelangen. Zum Schluss verbinden sich beide Geschichten zu einem Ganzen.
Die ständigen Zeitsprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart empfand ich als störend. Überzeugt hat mich vor allem die Geschichte Katjas. Authentisch und eindringlich werden die Geschehnisse geschildert, dagegen wirkt die Geschichte, die in der Gegenwart spielt, etwas blass.
Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen, er berührt und stimmt nachdenklich.

Bewertung vom 04.07.2022
Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2
Abel, Susanne

Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2


ausgezeichnet

Susanne Abel hat mit ihrem Debütroman "Stay away from Gretchen" die Bestsellerlisten gestürmt. Nun hat sie die Geschichte von Gretchen und ihrer Familie fortgeschrieben.
Tom Monderath, ein berühmter Fernsehmoderator, lebt in einer glücklichen Beziehung. Sein Vater Konrad steht in diesem Teil im Fokus. Konrads Schwester wurde von Nazi - Ärzten getötet, sein geliebter Bruder kehrt aus Rußland nicht mehr zurück, seine Eltern sterben bei einem Bombenangriff. Konrads einziger Verwandter ist ein Onkel, er kommt als Spätheimkehrer nach dem Ende des 2. Weltkrieges aus Rußland zurück. Konrad selbst war in amerikanischer Gefangenschaft. Der Onkel motiviert ihn, Medizin zu studieren, nach Abschluss des Studiums betreiben beide gemeinsam eine Praxis.
Im Verlauf der Geschichte gelangen dunkle Geheimnisse aus düsteren Zeiten deutscher Geschichte ans Tageslicht.
Susanne Abel erzählt diese Familiengeschichte mit historischem Hintergrund lebendig und authentisch. Ich fühle mich von Anfang bis Ende bestens unterhalten. Ihr ist eine spannende Fortsetzung gelungen, die ich gern weiterempfehle.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2022
Der Morgenstern / Der Morgenstern-Zyklus Bd.1
Knausgard, Karl Ove

Der Morgenstern / Der Morgenstern-Zyklus Bd.1


ausgezeichnet

In seinem neuen Roman erzählt K. O. Knausgard aus der Sicht von 9 verschiedenen Menschen, deren Beziehungen zu anderen grundsätzlich problematisch sind. Er berichtet wie gewohnt detailliert und lebensecht aus dem Alltagsleben der Protagonisten. Düster ist die Stimmung, denn es geschehen merkwürdige Dinge, Vögel kreischen anders als sonst, Massen von Tieren versammeln sich. Die Welt ist aus den Fugen geraten, doch die Menschen machen einfach immer so weiter wie bisher.
Knausgard veranschaulicht damit, wie wir mit Krisen umgehen: wir sehen die Anzeichen von Veränderung z.B. hinsichtlich des Klimas, aber trotzdem läuft alles wie gewohnt weiter.
Knausgard erzeugt in seinem Roman eine schwelende Atmosphäre des Unheils und der Ungewissheit. Es erscheint ein neuer Stern am Himmel, Morgenstern wird er genannt, was hat er zu bedeuten? Quälend ist die Ungewissheit. Die Apocalypse bleibt jedoch aus. Vorerst.
Knausgard erzählt zwar immer noch vom Alltäglichen, aber diesmal spannt er den Bogen zu den wirklich wichtigen, existentiellen Fragen wie etwa die nach der Existenz Gottes. Mit diesem großartigen Werk ist ihm wirklich etwas Neues gelungen. Er erzählt realistisch und plastisch trotz der eingebauten fiktiven Elemente. Die melancholische Grundstimmung ist echt und nachvollziehbar. Der Sprung weg vom Alltäglichen hin zu den existentiellen Fragen ist ihm perfekt gelungen.
Auf die weiteren Romane aus der Reihe darf man gespannt sein.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.04.2022
Wo die Wölfe sind
McConaghy, Charlotte

Wo die Wölfe sind


sehr gut

Charlotte McConaghy hat einen spannenden Roman zu einem aktuellen Thema geschrieben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Wolfsbiologin Inti Fynn, sie begleitet zusammen mit einem Team die Wiederansiedlung von Wölfen in den schottischen Highlands. Wölfe sind für das ökologische Gleichgewicht notwendig, doch Probleme mit der einheimischen Bevölkerung, die meist von der Schafzucht lebt, sind vorprogrammiert. Die Menschen haben Angst um ihre Tiere und tatsächlich werden tote Nutztiere aufgefunden.
Im Verlauf der Handlung werden Rückblenden aus der Kindheit der Hauptakteurin eingebaut. Inti besitzt ein sehr enge Verhältnis zu ihrer Zwillingsschwester. So manches Geheimnis wird gelüftet.
Der Roman ist vielschichtig aufgebaut, zentrales Thema ist die Wiederansiedlung der Wölfe, aber auch verschiedene Beziehungsgeschichten, in denen Gewalt eine Rolle spielt, werden erzählt. Das Ende war für meinen Geschmack zu gewollt dramatisch erzählt. Insgesamt war es für mich ein fesselndes Buch, das ich gern gelesen habe.

Bewertung vom 22.03.2022
Für diesen Sommer
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


sehr gut

Das hübsch anzusehende Cover hat mich direkt angesprochen. Sommer, Sonne, Meer. Doch ganz so idyllisch und harmonisch geht es in dem neuen Roman von Gisa Klönne nicht zu.
Sie hat eine realistische Familiengeschichte geschrieben, in der es Höhen, aber auch viele Tiefen gibt. Im Mittelpunkt der Handlung steht Franziska. Sie ist ein rebellischer Teenager mit klaren, politischen Ansichten. Streit ist vorprogrammiert. Ihre ältere Schwester ist die Vernünftigere aus Sicht der Eltern. Sie ist es auch, die sich um den alternden Vater kümmert. Doch dann kommt alles ganz anders, plötzlich ist es Franziska, die den kranken Vater betreuen muss. Die Beziehung der beiden gestaltet sich schwierig. So manches düstere Familiengeheimnis gelangt ans Licht.
Gisa Klönne schreibt gekonnt, ihre Figuren sind authentisch und lebendig. Die beührend erzählte Familiengeschichte konnte mich fesseln, jedoch empfand ich die zeitlichen Sprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit etwas störend.
Insgesamt fühlte ich mich aber beim Lesen gut unterhalten, jedoch wird mir das Buch nicht allzu lange in Erinnerung bleiben.

Bewertung vom 14.03.2022
Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
Matthiessen, Susanne

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn


sehr gut

Susanne Matthiessen knüpft in ihrem neuen Roman an ihr erstes Buch "Ozelot und Friesennerz" an. Sie beginnt ihr Buch mit einer Reflexion über die Zeit des Lockdowns auf Sylt, die Insel ist verlassen und menschenleer. Touristen bleiben aus, es entsteht eine völlig neue Situation für die Einheimischen. Leere Strände und Straßen geben ein ungewohntes Bild ab.
Dann schlägt die Autorin einen zeitlichen Bogen von der Pandemie ausgehend zu den 80er Jahren. Matthiessen schreibt über die Zeit ihrer Jugend, anekdotenhaft berichtet sie über ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen innerhalb ihres Freundes- und Familienkreises, sie greift aber auch bedeutsame, allgemeine Themen auf.
Matthiessen hat einen scharfsinnigen Blick für das Wesentliche, sie erzählt gekonnt und mitunter auch gewitzt. Ich habe ihr Buch gern gelesen, an einigen Stellen war es mir jedoch zu sehr "Report" und zu wenig Roman. Auch das Cover hat mich nicht wirklich überzeugen können.

Bewertung vom 02.03.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


ausgezeichnet

Christian Bommarius erzählt chronologisch nach Monaten geordnet über das spannende und ereignisreiche Jahr 1923.
Bunt gemischt sind seine Anekdoten, Porträts und Erzählungen. Es wird episodenhaft über viele Schriftsteller aus der Zeit kurz berichtet, bspw. über Stefan Zweig, Hans Fallada, Thomas Mann oder auch Bertolt Brecht. Die Texte sind eine Mischung aus Wissenswertem und Bedeutsamem und stets unterhaltend. Das Sachbuch enthält viele historisch relevante Fakten, aber auch über Alltägliches wird berichtet. Die extrem steigende Inflation wird anhand des Brotpreises, der Monat für Monat erwähnt wird, besonders deutlich.
Das Hyperkrisenjahr wird von Bommarius sehr anschaulich geschildert, er hat ein vielschichtiges und realistisches Panorama der Zeit entworfen und konnte damit voll und ganz überzeugen.

Bewertung vom 02.12.2021
Oh, William!
Strout, Elizabeth

Oh, William!


ausgezeichnet

Lucy Barton ist in den Romanen von Elisabeth Strout eine zentrale Figur, sie ist auch in dem neuen Roman der Autorin die Hauptakteurin. Lucy war in ihrer ersten Ehe mit William verheiratet, sie haben zwei gemeinsame Töchter. Nach ihrer Scheidung trennen sie sich gütlich und bleiben auch danach enge Vertraute und miteinander verbunden. Lucy erzählt in verschiedenen Anekdoten und Geschichten aus ihrer Vergangenheit, sie schildert die schwierigen Verhältnisse ihrer Kindheit, erinnert sich an ihre Mutter und natürlich erzählt sie episodenhaft über William. Strout ist eine genaue Beobachterin, ihre Gedanken sind feinfühlig und tiefgründig. Auch in diesem Roman stellt sie ihr großes erzählerisches Können unter Beweis. Sie schreibt über Alltägliches in einem Plauderton und unterhält den Leser damit excellent. Es ist nicht ihr stärkstes Buch, aber doch ein empfehlenswerter Roman für ein Wochenende.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2021
Die Überlebenden
Schulman, Alex

Die Überlebenden


sehr gut

Alex Schulman erzählt in seinem Debütroman die Familiengeschichte der Brüder Nils, Benjamin und Pierre.
Die drei Brüder waren zuletzt vor zwanzig Jahren in dem Ferienhaus am See, wo sie in ihrer Kindheit die Sommer verbracht haben. Sie kehren als Erwachsene an den Ort der Kindheit zurück, um der Mutter ihren letzten Wunsch zu erfüllen.
In Rückblenden erfährt man das Erlebte aus der Kindheit, schnell wird klar, dass es sich um keine intakte Familie handelt. Die Mutter war Alkoholikerin, emotional instabil, die Kinder müssen um ihre Aufmerksamkeit buhlen. Der Vater verhält sich aggressiv. Die schwierigen Familienverhältnisse verändern sich aufgrund eines tragischen Unfalls weiter zum Negativen. Die Brüder entfremden sich, finden aber nach dem Tod der Mutter wieder einen Weg zueinander.
Schulman hat einen bewegenden und emotionalen Roman geschrieben, der mich gefesselt hat. Allerdings ließ die Handlung auch oft viel Interpretationsspielraum zu. Insgesamt war es für mich ein gutes Buch.