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Jonas R
Wohnort: 
Göttingen

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Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 12.09.2020
Deutschland Schwarz Weiß
Sow, Noah

Deutschland Schwarz Weiß


ausgezeichnet

Wir haben in Deutschland nicht nur ein Rassismusproblem, wir haben leider auch das Problem, dass weiße Deutsche das Problem gern leugnen. Es geht nicht nur um einige Einzelpersonen mit extrem menschenverachtenden Ansichten, sondern um weitverbreitete, alltägliche Meinungen und Verhaltensweisen, vor allem aber um ein System mit institutioneller Macht, an dem wir alle teilhaben, ob wir wollen oder nicht. Das ist *unser* Problem als weiße Bürger_innen, und wir sind in der Verantwortung, sowohl unser individuelles Fehlverhalten als auch die gesellschaftliche Schieflage zu korrigieren.

Noah Sows Buch deckt viele Facetten des deutschen Rassismus‘ ab. Es richtet sich vor allem an weiße Deutsche, öffnet den Blick für rassistische Vorurteile, erklärt Begriffe, geht auf die Geschichte des deutschen Rassismus‘ ein, und veranschaulicht an zahlreichen Beispielen, wie die Idee unterschiedlicher „Rassen“ immer noch unsere Gegenwart prägt und vergiftet. Sow verbindet dabei Sachinformationen mit trockenem Humor und Sarkasmus.

Besonders eindrücklich fand ich die Abschnitte, in denen sie hiesige Verhältnisse (z.B. Institutionen oder den Kulturbetrieb) mit den sprachlichen Mitteln rassistischer Exotisierung und Abwertung beschreibt. An manchen Stellen hat der bitter triefende Sarkasmus mich eher irritiert (meist, weil mich der Wechsel zwischen Sachinformationen und Sarkasmus überrumpelte).

Sow geht souverän mit Sprache um und lenkt ihr Publikum zielsicher durch die vielen Aspekte des rassistischen Deutschland, die die weiße Mehrheit immer noch auszublenden versucht. Zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart veranschaulichen die Wirkungen des rassistischen Systems, in dem wir stecken. Das Buch ist gut recherchiert; als jemand, der häufig Sach- und Fachtexte nutzt, haben mich die Quellen und Ergänzungen in Fußnoten gefreut. Seltsam finde ich, dass es sowohl arabisch als auch römisch gezählte Fußnoten gibt. Vielleicht rührt das aus den Überarbeitungen des Buchs in den zehn Jahren seines Bestehens her; der Sache tut es keinen Abbruch.

„Deutschland Schwarz Weiß“ nimmt für unser Land eine ähnliche Position ein wie Reni Eddo-Lodges „Why I‘m no longer talking to white people about race“ (2017) für Großbritannien. Meines Erachtens würde es unser Land weiterbringen, wenn wir mehr über den hiesigen Rassismus reden würden, und Sows Buch ist eine großartige Grundlage dafür.

Bewertung vom 02.08.2020
Queer_Welten 01-2020 - Das queerfeministische Phantastikmagazin
Juretzki, Annette;Nicolaisen, Jasper;Zabini, Anna

Queer_Welten 01-2020 - Das queerfeministische Phantastikmagazin


ausgezeichnet

Die erste Ausgabe des Magazins Queer*Welten erschien im Juni 2020, die nächste Ausgabe ist bereits für diesen Monat (August) angesetzt. Grundsätzlich soll alle drei Monate ein Heft herauskommen. Queer*Welten ist als Plattform für queerfeministische Fantasy und Science-Fiction geplant. Die Inhalte sollen also nicht unbedacht sexistische, patriarchale, heteronormative, rassistische u.a. Marginalisierungen wiedergeben, sondern die dahinterstehenden Gesellschaftsstrukturen reflektieren, hinterfragen und überwinden. Intersektionalität und Inklusion sind ebenso gefragt wie Own Voices, also Beiträge von Personen, die in ihren Identitäten selbst Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind.

Seitens der Herausgeberinnen enthält die erste Ausgabe ein Vorwort (in dem das Konzept beschrieben und zu Einsendung von Beiträgen aufgerufen wird) und einen „Queertalsbericht“, der eigentlich von Veranstaltungen berichten sollte und corona-bedingt statt dessen auf einige Bücher hinweist. Vom Vorwort und dem Queertalsbericht eingerahmt finden sich drei Kurzgeschichten, ein Gedicht und die Übersetzung des ersten Teils eines zweiteiligen Essays.

Die erste Geschichte, „Nebelflor“ von Annette Juretzki, ist vermutlich mein persönliches Highlight des Heftes. Fantasy, Gespenstergeschichte und Murder Mystery in eins, erzählt Juretzki die Geschichte von Korja, einer Kriegerin, die ihrem Gespür für ruhelose Geister in ein Dorf folgt. Die mehrschichtige Story ist elegant aufgebaut und führt uns als Publikum gekonnt an ihre Protagonistin heran.

Jasper Nicolaisens Gedicht „Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffs Plastilon“ war insgesamt weniger mein Ding. Es handelt sich um bunten, quirligen Space-Trash, sprachspielerisch bis zum Anschlag aufgedreht und als Zu-Bett-Geh-Gedicht für Kinder präsentiert. So weit, so gut! :) Insgesamt war mir der Text zu unausgewogen.

Lena Richter (eine der Herausgeberinnen) erzählt in „Feuer“ von Tarnik, der unter heftiger Wut leidet, die ihn manchmal unkontrollierbar wie ein inneres Monster anfällt. Davongelaufen, stößt er unerwartet auf eine verletzte Amazone. Mir gefällt die Kurzgeschichte gut: Geschicktes Worldbuilding, gekonntes Abholen und Mitnehmen der Leserschaft, und an manchen Stellen wird mit wenigen, unscheinbaren Worten ziemlich viel geleistet.

„Die Heldenfresserin“ von Anna Zabini ist die letzte Kurzgeschichte des Hefts. In ihr diskutiert und verhandelt Penthesilea als Ich-Erzählerin verschiedene Erzählweisen ihrer Geschichte. Schonungslos kontrastiert Zabini die Grausamkeiten und Willkürlichkeiten des Mythos mit unserem Bild glanzvoller Heroen. Sie klaubt vom blutigen Schlachtfeld auf, was bei dieser Heldenkonstruktion auf der Strecke bleibt, und sucht nach Alternativen, in denen Penthesilea ein Eigenleben entwickelt.

Queer*Welten soll in jeder Ausgabe auch einen nonfiktionalen Text enthalten, und in dieser Ausgabe ist es der erste Teil eines Essays von James Mendez Hodes über „Orks, Briten und den Mythos der Kriegerrassen“. Mendez hat diesen zweiteiligen Essay über den Einfluss rassistischer Bilder auf die Orks in Tolkiens Werk 2019 auf seinem Blog veröffentlicht (Orcs, Britons, and the Martial Race Myth); es ist zu hoffen, dass er nun in der deutschsprachigen Phantastik Aufmerksamkeit findet.

Die drei Herausgeberinnen Judith Vogt, Lena Richter und Kathrin Dodenhoeft haben herausragende Arbeit geleistet. Ich begrüße auch die Entscheidung, den Texten Inhaltswarnungen voranzustellen. Layout und Gestaltung gefallen mir, lediglich die Bindung (Klammerheftung bei 55 Seiten der verwendeten Papierstärke) halte ich für eine Schwachstelle (dass innerste Blatt hat sich in meinem Exemplar bereits aus einer der zwei Klammern gelöst). Angesichts des günstigen Preises, zu dem das Zine angeboten wird (7,99€) kann ich darüber aber auch nicht meckern.

Ich bin gespannt auf die kommenden Ausgaben und kann Queer*Welten uneingeschränkt allen empfehlen, die Lust auf gute, vielseitige Fantasy und Science Fictio

Bewertung vom 01.08.2020
Ace in Space
Vogt, Judith C.; Vogt, Christian

Ace in Space


ausgezeichnet

Ace in Space ist ein SF-Roman über draufgängerische Raumschiffpilot*innen, Megacorporations, die ihre ökonomischen Interessen mit ihrem privaten Militär durchsetzen, und eine unabhängige Gemeinschaft, deren Leben von solch einem Konzern bedroht ist. Es ist eine Zukunft voller Social Media, die Draufgänger dazu treibt, immer waghalsigere Stunts zu streamen, um aus der eigenen Risikobereitschaft (Selbst-)Wert zu schlagen.
Die Protagonistin Danai ist von ihrem Heimatkonzern desertiert und will bei ihrer Mutter untertauchen. Mama Marlene leitet die Gang der Daredevils – Jockeys, die ihre Kompetenz im Cockpit auf Social Media posten und für Sponsoren arbeiten. Social-Media-Aufmerksamkeit ist nun ausgerechnet das Letzte, was Danai gebrauchen kann, die mit ihren Flugkünsten sofort für Aufsehen sorgt. Als die Daredevils sich bereit erklären, einer kleinen Siedlung auf dem Mond Valoun II gegen Angriffe zu helfen, die sie von ihrem Rohstoff-Claim vertreiben sollen, wird alles komplizierter. Und gefährlicher.
Dass Danai sich unerwartet wiederfindet zwischen Kian, einem der Daredevils, und seiner Ex-Freundin Neval, die auf Valoun II lebt, verhilft dem actiongeladenen Roman obendrein zu romantischen – und erotischen – Spannungsmomenten.
Die Integration von sozialen Netzwerken in den Roman – nicht nur als Element des Settings und Funktion für die Charaktere und Handlung, sondern auch im Text als hellgrau unterlegte Absätze mit Posts und Kommentaren – finde ich ebenfalls sehr gelungen. Genug, um die Social-Media-Welt darzustellen, aber nicht so viel, als dass von der „Offline“-Handlung abgelenkt würde. Sahnehäubchen ist, dass Ace in Space nicht vergisst, dass Konflikte nicht einfach durch Pew-Pew gelöst werden, sondern auch durch gemeinschaftlich anerkannte Instanzen wie Gerichte. Dabei wird anerkannt, dass die Judikative nicht unabhängig und automatisch gerecht ist, sondern dass es geschickter Schachzüge bedarf, um nicht von den mächtigen Konzernen, die die Spielregeln überwiegend unter sich ausmachen, ausgebeutet zu werden.
Sowohl die Cockpit- und Kampfszenen als auch die zärtlichen Augenblicke sind gut geschrieben und fügen sich zu einem größeren Ganzen. Denn natürlich kann die Action nicht für sich allein bestehen – es muss etwas geben, für das es sich zu kämpfen lohnt. (Abgesehen vom Mink-Öl.) Besonders gut gefällt mir an dem Roman die Repräsentation queerer Charaktere und Beziehungen. Weitere Stärken, die sich der feministischen, inklusiven Grundhaltung des Autor*paars verdanken: Darstellung von Kind-Eltern-Beziehungen außerhalb der klassischen Kernfamilien-Vorstellung, und rücksichtsvolle Einbeziehung kultureller Unterschiede zwischen den Charakteren, die nicht nur Staffage bleiben. Last but not least sei das Stottern der Protagonistin hervorgehoben, dass mit Respekt und gespeist aus persönlichen Erfahrungen behandelt wird.
Als Sprachfan freuen mich außerdem die diversen Neologismen des Jockey-Slangs und der sprachliche Humor, der hier und da aufblinkt.

Fazit:
Ace in Space bietet intelligente und unterhaltsame Science Fiction. Das Setting ist vielseitig und macht Lust auf das (beinahe) gleichnamige Rollenspiel „Aces in Space“, dass ebenfalls im Ach je Verlag erscheint.

Bewertung vom 18.04.2020
Spiele-Comic Krimi: Sherlock Holmes - An der Seite von Mycroft

Spiele-Comic Krimi: Sherlock Holmes - An der Seite von Mycroft


gut

„An der Seite von Mycroft“ ist der fünfte Spiele-Comic aus der Krimi-Serie, geschrieben und gezeichnet von CED und Boutano.

Dieser Spiele-Comic enthält drei Fälle, in denen Sherlock Holmes gemeinsam mit seinem Bruder Mycroft ermittelt. Beim Lesen/Spielen kann man selbst entscheiden, ob man als Sherlock oder als Mycroft unterwegs ist – in bestimmten Situationen bekommt Sherlock Zusatzinformationen, in anderen Situationen erfährt Mycroft mehr.

Die drei Fälle behandeln einen Mord in Indien unter britischer Kolonialherrschaft, einen Diamantenraum in einem Hotel in Südfrankreich, und einen mysteriösen Todesfall auf einem großen Passagierschiff. Als durchgehende Aufgabe versucht man, möglichst viele Porträts von Queen Victoria zu finden. Durch kleine, ergänzende Rätsel, die für das Aufklären der Fälle unerheblich sind, wird der Spielcomic aufgelockert; außerdem ermöglichen sie, mehr Porträts der Queen aufzuspüren.

Die Fälle sind nicht völlig offensichtlich. Ihre Lösung wird erschwert dadurch, dass viele Details nicht zu Ende gedacht sind. So sind die Motive der Schuldigen nicht in allen Fällen klar oder nicht stimmig. Inkonsequent ist auch, dass in manchen Bildern winzige Details sehr wichtig sind, in anderen aber achtlos (?) Elemente eingebaut sind, die schlicht unlogisch sind. Das schmälert leider den Spaß beim Rätseln.

Mein Tipp: Nicht über Motive nachdenken, sondern lediglich über den Tathergang, und auch dabei annehmen, dass sowohl die Schuldigen als auch die übrigen Verdächtigen sowie manche Bilddetails nicht konsequent gehandhabt sind.

Bewertung vom 18.04.2020
Die Granden von Pandaros (eBook, ePUB)
Sullivan, James A.

Die Granden von Pandaros (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Die Granden von Pandaros“ handelt von den Köpfen zweier Schattenkonzerne. Cosima Aberson und John A. Glennscaul sind waghalsige, gierige, hochintelligente Bosse, die sich noch aus Jugendzeiten kennen, aber seit vielen Jahren eine hasserfüllte Fehde zwischen ihren halbkriminellen Unternehmen ausfechten. Nachdem sie zwei Jahre gemeinsam auf einem halbzerstörten Frachter in der Einsamkeit des Alls festsaßen, werden sie von Yuka Manderton, Captain des Luxus-Raumschiffs Inanna, gerettet. Die Granden planen eine fulminante Rückkehr zu ihren jeweiligen Schattenkonzernen und sind dafür sogar bereit, noch ein wenig länger zusammenzuarbeiten. Als sie mitbekommen, dass auf der großen Auktionswoche, die auf der Inanna stattfindet, ein wertvolles KI-Modul gestohlen wird, entwenden sie den Dieben unbemerkt ihre Beute und machen sich davon. Dadurch allerdings haben sie auf einen Schlag mehrere mächtige Verfolger am Hals – und in ihren Schattenkonzernen ist natürlich auch nicht mehr alles wie vor zwei Jahren. In die Ecke gedrängt, müssen John und Cosima sich etwas Besonderes ausdenken – und ringen gleichzeitig weiter mit gegenseitigem Misstrauen und ihren Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit.

James A. Sullivan entführt uns in eine Abenteuergeschichte vor Weltraumkulisse. Actionszenen und elaborierte Raubzüge/ Heists wechseln mit ruhigeren Abschnitten, in denen die Figuren ihr Verhalten und ihre Beziehungen im Gespräch ausloten. Futuristische Gadgets und politisch-soziale Vorstellungen bilden so etwas wie die Hintergrundmusik. Sie vereinen sich im Motiv der KIs: Mächtiger künstlicher Intelligenzen, deren Einfluss zahlreiche Aspekte der Zukunft durchdringt, wie Sullivan sie uns präsentiert. Die KIs haben dabei deutlich übermenschliche Züge, werden aber doch als Persönlichkeiten beschrieben. Überhaupt ist die tiefe Menschlichkeit eine der Stärken des Romans, der sich nicht in Futuristik und Technikbegeisterung verliert, sondern seine Figuren und ihre Motivationen in nachvollziehbaren Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen begründet. Gut finde ich auch, dass Sullivan Details wie ein bedingungsloses Grundeinkommen und Schutz der Privatsphäre als Grundpfeiler der zukünftigen Gesellschaft einflicht. Auch, dass zumindest beiläufig queerfreundliche Aspekte vorkommen, ist positiv.

Mir gefällt außerdem, dass Sullivan zwar mit dem Motiv der entzweiten Freunde spielt, die verbitterte Feinde werden, um schließlich doch wieder aufeinander zuzugehen, dass er aber nicht ins Abgelutschte abrutscht, sondern Cosima und John bis zum Schluss die Freiheit lässt, an Misstrauen und Rivalität festzuhalten. Er widersetzt sich damit dem Klischee, es gäbe ein simples Rezept, um Feindschaft zu überwinden (z.B. „zwei Jahre gemeinsam auf einem im Weltall treibenden, defekten Frachter“). Die Kooperation zwischen den Hauptfiguren bleibt fragil und bedarf des Vertrauensvorschusses. Ihre Vorgeschichte wird Stück für Stück gekonnt entfaltet.
Sullivan hat ein gutes Händchen für schöne Szenenübergänge. An etlichen Stellen haben mich die eleganten Wechsel erfreut, ohne dass die Anschlüsse je gekünstelt gewirkt hätten. Weniger überzeugt hat mich hingegen die Art, in der John sehr rational über sich, Cosima und ihr beider Verhalten räsoniert, obwohl das Thema wie auch die jeweiligen Gesprächssituationen belastend und stressig sein dürften. Trotzdem gefällt mir, dass der Roman dem Dialog über charakterliche Eigenschaften und Verhalten immer wieder Raum gibt.
Wer eine spannende Abenteuergeschichte mit Elementen von Heists und Thrillern im Weltall lesen möchte und Freude an intelligent beschriebenen sozialen Beziehungen hat, dem kann ich „Die Granden von Pandaros“ empfehlen.

Bewertung vom 09.03.2020
Wasteland
Vogt, Judith C.;Vogt, Christian

Wasteland


ausgezeichnet

„Wasteland“ von Judith und Christian Vogt ist ein temporeicher post-apokalyptischer Roman, dessen dystopische Welt auch Ansätze einer Utopie birgt. Die Geschichte um zwei junge Menschen, die ums Überleben kämpfen, zusätzlich aber auch noch einem Rätsel auf der Spur sind, ist spannend geschrieben.

Im Jahr 2064, in dem die Geschichte spielt, leidet die Welt immer noch an den Folgen eines Krieges etwa 25 Jahre zuvor, in dessen Zuge auch Kampfstoffe eingesetzt wurden, die die bewohnten Gebiete tödlich verseuchten. Noch immer sind viele Regionen Todeszonen. Wer überleben will, bewegt sich in den unverseuchten Bereichen. Hier herrschen Gangs wie die Brokes, mit toxischem Dominanzgebaren und Freude an Gewalttätigkeit. Außerdem gibt es religiöse Gruppen, die auf diejenigen herabsehen, die an andere Wahrheiten glauben als sie selbst. Als eine utopische Oase im Ödland wird der Handgebunden-Markt gezeigt, an den die eine Hauptfigur, Laylay, per Motorrad mit ihrem Vater reist. Hier lebt Zeeto, der andere Protagonist, in einer inklusiven Gemeinschaft, die von Solidarität und Toleranz geprägt ist. Die Leute vom Markt bezeichnen sich selbst als „Hoper“, die Mitglieder der Gangs erhalten hingegen „Toxxer“ als Fremdbezeichnung.

Das Worldbuilding ist effektiv und leichtfüßig mit der Story verflochten, indem wir die Geschichte kapitelweise aus der Sichtweise je einer der beiden Hauptfiguren erzählt bekommen. Aspekte der Welt werden nach und nach eingeführt, wenn es sich organisch ergibt. Zeetos Ich-Erzählung ist in der Gegenwartsform geschrieben, Laylay berichtet in der Vergangenheitsform. Vereinzelt tritt als dritte Erzählperspektive noch eine Nebenfigur hinzu: Root, eine Art Tech-Priester der Brokes. Seine Kapitel sind nicht in der ersten, sondern in der dritten Person geschrieben. Durch die Perspektivwechsel kommt keine Langeweile auf, und die Beschreibung der Welt ist nie Selbstzweck, sondern dient stets der Handlung. Zusätzlich wird sie hier und da mit einer Portion Meinung der jeweiligen Erzählstimme gesalzen.

Der Roman hat mir sehr gut gefallen. Die Handlung ist reich an Action und Tempo, das Setting ist mit vielen guten Ideen unterfüttert – von Aussagen über die Tier- und Pflanzenwelt bis hin zu Beschreibungen der über die Apokalypse hinweg geretteten Technologie. Die Geschichte wird abwechslungsreich und mit Witz und Wucht erzählt, die Vögte halten sich nicht zurück. Das Finale empfand ich allerdings als zu hektisch und überladen. (Ähnlich ging es mir mit der Verlorenen Puppe, einem anderen Roman des Schreibteams: Auch hier waren mir, bildlich ausgedrückt, die Regler am Schluss zu rasant hochgedreht.) Ganz sicher bin ich nicht, aber vermutlich ist mir die Steigerung des Tempos jeweils zu abrupt. Für andere mag genau das ein Pluspunkt sein. Der Schwenk zurück zu mehr erzählerischer Ruhe im kurzen, letzten Teil des Romans ist wiederum gelungen.

Schön finde ich Symmetrien wie die Tatsache, dass im ersten Teil Zeeto hinter Laylay auf dem Motorrad sitzt, das Baby zwischen ihnen. Am Schluss hingegen sitzt Zeeto vorn, Laylay hinten, das Baby wieder zwischen ihnen. Gefallen hat mir auch der sprachliche Humor und die leicht nerdig angehauchten Anspielungen, die in den Roman eingestreut sind. Beispielsweise freu ich mich darüber, dass auch in der Postapokalypse noch Rollenspiele gespielt werden. :)

Einige weitere Highlights, beliebig herausgepickt:
- Die Aussagen über Liebe auf S. 236f. (Auch Zeetos Begründung, warum er Laylay liebt: S. 238).
- Die Sexszene mit allen „unpassenden“, unerotischen Gedanken und Elementen: Großartig!
- Das G-Max
- Root wird im Futur II gesprochen haben. Simpel, schräg, geniale Idee.

Bewertung vom 31.12.2019
Eis und Dampf (eBook, ePUB)
Krzywik-Groß, Mike; Demirtel, Eevie; Rauchfuß, Marcus; Vogt, Christian; Exter, Torsten; Holzhauer, Stefan; Mützlitz, Henning; Lange, Christian; Schweikert, Stefan; Vogt, Judith C.; Wiesler, André; Karschnick, Ann-Kathrin

Eis und Dampf (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schöne Sammlung von abwechslungsreichen Kurzgeschichten, die die Vielfalt der Steampunk-Welt auskosten, die das Autorenehepaar Judith & Christian Vogt mit ihrem preisgekrönten Roman "Die zerbrochene Puppe" geschaffen haben. Verschiedene Autor*innen entführen uns in ein alternatives 19. Jahrhundert, in dem die Nordhalbkugel seit dem Mittelalter von einer Eiszeit geplagt wird. Figuren und Themen des genannten Romans werden wieder aufgegriffen, aber auch viele neue Charaktere und Schauplätze eingeführt. Die Geschichten sind ideenreich und unterhaltsam geschrieben.