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Buecherundschokolade

Bewertungen

Insgesamt 135 Bewertungen
Bewertung vom 12.12.2023
Die schreckliche Adele und die Galaxie der Bizarren
Mr. Tan;Le Feyer, Diane

Die schreckliche Adele und die Galaxie der Bizarren


ausgezeichnet

Die Comicbände um die teuflische, kleine Adele sind wirklich kontrovers, düster und krawallig, nicht wirklich für Kinder geeignet, aber umso lustiger für die Eltern. Die kurzen Strips aus dem Leben des rothaarigen Mädchens handeln normalerweise von ihrem fiesen Streichen gegen Eltern, Mitschüler, Katzen und sind schon ziemlich schlimm. Doch in diesem Band geht es abgespaceter zu, er spielt nämlich im Weltraum. Eltern gibt es keine mehr, dafür eine mächtig miese Feindin für Adele. Am besten haben mir wieder mal die Zeichnungen gefallen, die mit wenigen Stilmitteln sehr ausdrucksstark ausgeführt sind. Mr. Tan bildet auch mit seiner neuen Partnerin Diane Le Feyer ohne Miss Prickly ein sehr gutes Team. Daher eine Empfehlung für Fans lustiger Comickost, die frech und dunkel daherkommt und dieses Mal sogar ziemlich verrückt und fantasiereich.

Bewertung vom 06.12.2023
Unsereins
Mahlke, Inger-Maria

Unsereins


ausgezeichnet

Lübeck ist 1890 zumindest nach eigener Auslegung der kleinste Staat des Deutschen Reichs, auch wenn es in puncto Fläche und Einwohnerzahl kleinere gibt. Doch mit dem Titel zweitkleinster Staat kann sich die stolze Hansestadt nicht zufriedengeben. Hier also spielt der aktuelle Roman von Inger-Maria Mahlke, der ein Gesellschaftsroman allererster Güte ist. Wir folgen Hausmägden, Ratsdienern, Pennälern, Senatoren auf ihren Wegen, ihren Intrigen und Geschäften. Und ganz besonders natürlich der Familie Lindhorst. Sie haben es zu etwas gebracht, sind eine einflussreiche, protestantische, kaisertreue Hansefamilie und trotzdem lässt man sie am Ende nicht vergessen, dass sie auch nach zwei Generationen noch den „Makel ihrer Herkunft“ tragen, also Juden sind. Der Antisemitismus des Kaiserreichs schlägt voll zu. Maßgeblich wird das Stigma vom Roman einen jungen Bekannten befeuert - des später bekanntesten Autors der Stadt Thomas Mann.

Mahlke hat einen furiosen Roman geschrieben, der den Leser zurückversetzt und mitnimmt. Ich wurde bis zuletzt gut unterhalten

Bewertung vom 28.11.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


ausgezeichnet

Alex Schulmans vorheriger Roman Verbrenn all meine Briefe war ein z. B. von Buchbloggern und Kritikern viel und gerne vorgestellter Roman, der irgendwie nicht so ganz zu uns durchgedrungen ist, obwohl er nicht uninteressant klang.

Daher hat es uns umso mehr gereizt, jedenfalls sein aktuell auf Deutsch erschienenes Werk zu lesen.

In Endstation Malma begegnen wir Menschen, die in einem Zug von Stockholm in die schwedische Provinz sitzen.

Eine Paar, dessen Ehe offenkundig zerrüttet ist. Ein Vater mit seiner kleinen Tochter, die eine Urne bei sich tragen. Und eine Alleinreisende, die mit einem Fotoalbum bewaffnet ist. Sie alle fahren nach Malma.

Man merkt schnell, dass die Zugfahrten nicht zeitgleich stattfinden, aber eng miteinander zusammenhängen.

Mehr soll hier nicht verraten werden.

Alex Schulman entfaltet eine faszinierende Geschichte, die einen großen Sog entfaltet und der ich mich kaum entziehen konnte.

Ich las große Teile des Buches auf einer morgendlichen Zugfahrt und musste im Zielbahnhof noch sitzen bleiben, weil ich das Kapitel nicht einfach abbrechen konnte…

Wenn man noch einen Kritikpunkt suchen müsste, dann vielleicht, dass einem manche Figuren näher kommen als andere, die wiederum eher schablonenhaft bleiben.

Aber das ändert nichts an der Feststellung, dass dieser Roman ein bereicherndes und gänzlich unkitschiges Vergnügen bedeutet, das ich nicht missen möchte.

Daher eine große, persönliche Empfehlung

Bewertung vom 07.11.2023
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


ausgezeichnet

Das Geraldine Brooks auf ihrem Autorinnenfoto mit ihrem Pferd posiert, ist keine Überraschung. Wer ihren neuen Roman „Das Gemälde“ liest, bemerkt schnell auch ihre Liebe für diese Tiere.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei das Gemälde auf dem Cover. Ein schwarzer Jockey führt sein braunes Rennpferd, zu Füßen ein kleiner Hund. Eine Idylle in malerischer Landschaft, mit dem bitteren Beigeschmack, dass der Junge ein Sklave ist und das Bild im Kentucky des Jahres 1850 entstanden ist.

Diesem Gemälde nähern wir uns nun auf verschiedenen Zeitebenen und multiperspektivisch an.

In der Jetztzeit stößt ein Kunstwissenschaftler mit eigener Rassismuserfahrung auf das Bild und ist sofort fasziniert.

Währenddessen muss eine junge, australische Wissenschaftlerin ein Pferdepräparat auf dem Dachboden des American Museum of Natural History hervorsuchen und gerät so an das berühmteste Rennpferd der amerikanischen Geschichte.

Im Jahr 1850 folgen wir dem Jungen Jarrett, der wie kaum jemand mit Pferden umzugehen weiß und dadurch große Bedeutung auf der Plantage erlangt. Doch er ist unfrei, ein Sklavenjunge. Seine einzige Hoffnung auf Befreiung ist das Rennpferd seines freien Vaters, dessen Erfolg ihm die Freiheit bringen soll.

Und wir folgen dem Urheber der Gemäldes, einem jungen Künstler, der eigentlich nur Pferde malen kann und in Kentucky um 1850 hautnah die Konflikte zwischen Befürwortern der Sklaverei und Abolitionisten miterlebt.

Geraldine Brooks hat einen mitreißenden Roman geschrieben, der Amerikas dunkler Geschichte des 19. Jahrhunderts eine Facette hinzufügt. Die Welt der Rennpferde, das Leben auf einer Plantage in Kentucky, aber auch den akademischen Betrieb Washingtons beschreibt die Autorin kenntnisreich und mit Freude am Detail.

Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt, auch wenn der Roman mit seinen fast 600 Seiten ein ganz schöner Wälzer ist. Daher eine klare Empfehlung für diesen historischen Roman

Bewertung vom 26.10.2023
Idefix und die Unbeugsamen - Weissnix weiß Rat
Uderzo, Albert;Goscinny, René

Idefix und die Unbeugsamen - Weissnix weiß Rat


ausgezeichnet

Die Fernsehserie um den pfiffigen Fox Terrier Idefix, der sein eigenes Spin-off aus dem Asterix-Kosmos bekommen hat, findet unsere ganze Familie sehr unterhaltsam. Daher war auch die Vorfreude auf diesen Comic groß. Schon auf dem Cover sieht man den Star mit seinen tierischen Freunden. Die Handlung ist schnell erzählt: Idefix und die Unbeugsamen müssen die Zerstörung Lutetias verhindern, dass ein römischer Feldherr abreisen will, um seiner verwöhnten Katze einen Palast zu errichten. Praktisch, dass der Uhu Weissnix das Rezept für den Zaubertrank kennt. Dumm nur, dass er zu Irrtümern neigt, der verwirrte Vogel. Es entspinnt sich eine lustige und spannende Geschichte, die liebevoll mit Bilder aus der TV-Serie/im Stil der Serie untermalt ist. Uns hat das Lesen und Anschauen viel Spaß gemacht. Für Fans und Freunde der Serie und Idefix ein sehr kurzweiliges Vergnügen und empfehlenswert

Bewertung vom 15.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Daniel Kehlmanns neuer Roman Lichtspiel widmet sich dem berühmten österreichischen Regisseur G. W. Pabst. In der Weimarer Republik ist er neben Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau & Ernst Lubitsch der bedeutendste Regisseur.

Er macht Greta Garbo berühmt, verfilmt die Dreigroschenoper & gilt als der „rote“, da sozialkritische, Pabst. Nach der Machtergreifung der Nazis versucht Pabst sich in Hollywood, kehrt aber nach Misserfolgen nach Frankreich zurück & wird schließlich mit seiner Familie bei einem Heimatbesuch 1939 vom Kriegsbeginn überrascht. Aus Österreich gibt es kein Entkommen mehr & die Nazis locken Pabst mit der Möglichkeit Filme zu machen.

Lichtspiel erzählt eine Geschichte von korrumpierter Kunst & korrumpierten Künstlern. Der Roman ist - typisch Kehlmann - sprachlich bestechend & hoch spannend.

Es finden sich groteske Szenen, etwa als Pabsts Ehefrau Trude, die die Nazis ablehnt & an der Situation zu zerbrechen droht, einen Buchclub mit den Gattinnen von NS-Bonzen beitreten soll, um ihrem Mann Vorteile zu verschaffen. Das Damenkränzchen diskutiert aufs Trivialste & lobhudelnd ausschließlich die seichten Romane des linientreuen Autors Karrasch. Jeglicher Versuch einen anderen Autor vorzuschlagen, wird auf absurde Weise abgelehnt. Schließlich wird Trude in den Zirkel aufgenommen & eine andere Leserin ausgeschlossen, weil sie einmal zu oft Hermann Hesse ins Spiel gebracht hat.

Währenddessen wird Pabst (fiktiver) Sohn Jakob zum überzeugten Parteigänger und zieht voll Freude in den Krieg.

Gleichzeitig schreibt Kehlmann aber auch Szenen, die einen schaudern lassen: KZ-Häftlinge, die als Statisten für Massenszenen bei Filmen herhalten müssen (was etwa in Leni Riefenstahls Film Tiefland traurige Realität war) & deren ausgezehrten Körper in historische Kostüme genäht werden.

Lichtspiel ist ein empfehlenswerter, auf historischen Tatsachen beruhender Roman über G. W. Pabst & die NS-Filmindustrie, in dem Daniel Kehlmann geschickt die Wirklichkeit weiterspinnt & großes Kino abliefert.

Bewertung vom 08.10.2023
60 Kilo Kinnhaken
Helgason, Hallgrímur

60 Kilo Kinnhaken


ausgezeichnet

Okay, ganz so viel wiegt dieser fast 700 Seiten dicke Schmöker dann doch nicht, aber das Wortspiel musste sein. Hallgrímur Helgason ist nicht umsonst einer der unterhaltsamsten isländischen Gegenwartsautoren, die irren Titel seiner Bücher weisen meist schon die Richtung: Es wird humorvoll. Das beweist er auch im zweiten Teil der historischen Romane um den Bauern Gestur, der die wechselvolle Geschichte Islands am Scheidepunkt zur Moderne um 1900 hautnah erlebt. Wir waren selbst schon in diesem wunderschönen Land und haben uns bei der Lektüre von 60 Kilo Kinnhaken kugelig gelacht. Der Autor hat einen ganz eigenen Stil und auch die vielen isländischen Namen und Orte mögen für manche Leser gewöhnungsbedürftig sein, aber wer sich auf das Buch einlässt, wird mit vielen Stunden Spaß belohnt. Daher eine glasklare Leseempfehlung von uns!

Bewertung vom 30.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Helga Bürster entwirft in ihrem Roman Als wir an Wunder glaubten das Panorama eines ostfriesischen Moordorfes kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Das Dorfleben in Unnermoor ist geprägt von Hunger, dem Fehlen der im Krieg gebliebenen Dorfbewohner und auch der vertuschten Erinnerung an das nahegelegene Außenlager eines KZ, in dem Dorfbewohner zu Tätern wurden.

Weltuntergangspropheten haben an diesem Ort in dieser hoffnungslosen Zeit ebenso wie Wunderheiler und Wanderprediger Hochkonjunktur. Der Aberglauben blüht.

Als Annis Mann 1949 den Weg zu ihr und dem behinderten Sohn Willi zurückfindet, ist er ein anderer, der Krieg hat ihm die Beine und zeitweise auch die Erinnerung genommen. Seine Gefühle gelten weniger seiner Frau, als vielmehr Edith, der hübschen Frau seines neben ihm im Schützengraben gestorbenen Freundes.

Für Edith braut sich derweil Unheil zusammen, als viele Dorfbewohner beginnen, die Witwe und ihre Tochter Betty für alles Schlechte im Dorf verantwortlich zu machen und sie als Hexen zu brandmarken. Denn der Glaube an Moorgeister und Hexerei sitzt tief…

Währenddessen zieht auch in Unnermoor der „Fortschritt“ in Form von Maschinen wie dem „Mammut“ ein, die das Moor trockenlegen und das Dorf radikal zu verändern beginnen.

Helga Bürster hat ein stimmungsvolles und authentisches Buch über eine Dorfgemeinschaft zwischen Orientierungslosigkeit und der Hoffnung auf einen Neuanfang, zwischen Aberglauben und Fortschrittsgläubigkeit geschrieben.

Bewertung vom 24.09.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Was Agatha Christie für die englischsprachige Krimiwelt bedeutet, ist Seishi Yokomizo für die japanischsprachige. Er ist so eine Art Übervater des japanischen Kriminalromans. So cozy wie bei Agatha geht es zwar nicht zu, aber auch Yokomizos Hauptfigur, der Privatermittler Kosuke Kindaichi, hat so einige Marotten.

Zu Beginn der Handlung des gerade erscheinen Krimis Mord auf der Insel Gokumon hat er gerade seinen Militäreinsatz im 2. Weltkrieg hinter sich gebracht - man schreibt 1946 - und er sieht optisch wie ein ziemlicher Vagabund aus. Als letzten Dienst an einem sterbenden Kameraden soll er auf dessen Heimatinsel die Familie über den Tod informieren. Und was der Privatdetektiv erst mal für sich behält, er will die Halbschwestern des Freundes vor einem grausamen Tod bewahren, den sein Freund befürchtete. Doch kurz nach der Ankunft geschieht ein bizarrer Mord und Kindaichi ist der Hauptverdächtige…

Dem Autor ist auch mit seinem zweiten, 1948 in Japan erschienen Krimi um den listenreichen Ermittler Kosuke Kindaichi ein spannender Roman in einem sehr reizvollen Setting. Auf der (fiktiven) rauen Insel Gokumon (Höllentor), einem vormals ausgemachten Piratennest, auf der eine reiche Familie das Sagen hat und die weiteren Honoratioren der Priester, der Bürgermeister und der Doktor sind, ist vieles anders als man erwartet und das Böse schlummert im Alltäglichen. Ich fand gerade auch die Auflösung des Falls - ähnlich wie bei Die rätselhaften Honjin-Morde - überraschend und gut umgesetzt.

Daher eine klare Empfehlung für Krimifans (und solche die Haikus schätzen ;)

Bewertung vom 22.09.2023
Die weite Wildnis
Groff, Lauren

Die weite Wildnis


ausgezeichnet

Lauren Groff vermag es wie keine andere Autorin in vermeintlich historischen Romanen die Rolle und auch die nach wie vor prekäre Stellung von Frauen weltweit zu sezieren. Schon ihr vorheriger Roman Matrix über die Nonne Marie de France, die ein mittelalterliches, feministisches Utopia schafft, das ständig von Zerstörung bedroht ist, zeigte dies eindrucksvoll.

In ihrem neuen Roman Die weite Wildnis folgen wir Lamentatio Venal (welch demütigender Name), die im England des frühen 17. Jahrhunderts als vermeintliches „Hurenkind“ in einem brutalen Waisenhaus aufwächst und schließlich als Kindermagd in reichem Hause landet. Die Lady nennt sie nach ihrem kürzlich verstorbenen Haustier, einem Zwergaffen, und ungefähr so viel ist ihr Leben als Leibeigene auch wert.

Als ihre Herrschaften beschließen an der Kolonisierung Virginias teilzunehmen, muss sie mit ihnen den Atlantik überqueren und findet sich bald in elenden Verhältnissen wieder, als die Siedlung an Hunger und Seuchen zu Grunde zu gehen droht. Als sie ein scheußliches Unrecht beobachtet, begeht sie eine folgenschwere Tat und flieht in die Wildnis der Wälder Nordamerikas.

Die folgende Selbstbefreiung und Selbstermächtigung dieses Mädchens macht diesen Roman für mich zu einem der stärksten Bücher diesen Jahres. Auf ihre unnachahmliche Weise schafft es Groff mit ihrer distanzierten Sprache (nur indirekte Rede, keine direkten Dialoge) eindrucksvoll das Leid einer Frau in einer Welt zu schildern, die von sexualisierter Gewalt, Ausbeutung, Verelendung und Rassismus geprägt ist. Damit schreibt sie einen Roman, wie er gegenwärtiger nicht sein könnte.

Und auch eine anderer Aspekt in diesem Buch erwischt einen eiskalt: Die große Gefahr geht hier von Menschen aus, nicht von einer (zugegebenermaßen) unwirtlichen, winterlichen Landschaft voller Bären und Wölfe.

Ein überzeugender Roman, der nicht nur wegen seiner Unerbittlichkeit und der sprachlichen Qualität lange nachhallt und in dem Freiheit am Ende vielleicht Freisein (Unabhängigkeit) von anderen Menschen bedeutet.