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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 764 Bewertungen
Bewertung vom 08.08.2016
Tinnitus natürlich heilen
Hamann, Brigitte

Tinnitus natürlich heilen


sehr gut

„Ein Wurm bohre und brumme in seinem Kopf“ (Römischer Kaiser Titus)

Unter (subjektivem) Tinnitus wird ein Symptom verstanden, bei dem Betroffene Geräusche wahrnehmen, die keine äußere für andere Menschen wahrnehmbare Quelle besitzen. Es handelt sich um eine Volkskrankheit. Allein in Deutschland sind ca. drei Millionen Menschen betroffen. (15) Autorin Brigitte Hamann beschreibt physische und psychische Ursachen für Tinnitus.

Es gibt keine Wunderpillen gegen Tinnitus, aber Behandlungsmethoden, die die Auswirkungen reduzieren können, existieren schon. Hamann stellt zahlreiche Therapien strukturiert vor. Zur ersten Gruppe gehören übliche Behandlungsmethoden (Infusionen, Sauerstofftherapie, …), zur zweiten Gruppe zählen Selbsthilfemaßnahmen (Meditation, Musik- und Klangtherapie, ...) und die dritte Gruppe umfasst alternative Methoden (Tibetische Medizin, Hypnosetherapie, …). Letztlich geht es ohne fachkundige Unterstützung nicht.

Positiv ist, dass den Lesern eine Vielzahl von Therapieformen vorgestellt werden, die (negativ) den Eindruck erwecken, als ob es einfache Lösungen für das Problem Tinnitus gäbe. Eine Heilung ist nur in wenigen Fällen möglich. Viele Betroffene werden mit einer Linderung der Auswirkungen zufrieden sein müssen. Insofern klingen Titel und Klappentext zu optimistisch. Ich hätte es begrüßt, wenn Betroffene zu Wort gekommen wären, die die eine oder andere Therapieform angewandt haben bzw. Statistiken über Erfolge Auskunft geben würden. Auch dürfte es ohne fachkundige Beratung schwierig sein, bei der Vielzahl von Möglichkeiten, den individuell richtigen Weg zu finden.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2016
Die Physik der Unsterblichkeit
Tipler, Frank J.

Die Physik der Unsterblichkeit


weniger gut

Der Entwurf einer naturwissenschaftlichen Religion

Für sein Entwicklungsmodell des Universums benötigt Frank Tipler, Professor für mathematische Physik, keine vitalen Kräfte. Er erklärt den Menschen und die Strukturen der Welt mit den Mitteln der Physik. Religiöse Glaubensbekenntnisse wie „Auferstehung von den Toten“ und „Unsterblichkeit der Seele“ seien physikalische Ereignisse.

Tipler gilt als Experte auf dem Gebiet der globalen allgemeinen Relativitätstheorie. Mit diesem Buch verlässt begibt sich in den Bereich der Metaphysik. Er begründet die physikalische Omegapunkt-Theorie und verschneidet diese, entgegen den Warnungen seiner Fachkollegen, mit Begriffen und Vorstellungen der Theologie.

Die Omegapunkt-Theorie ist eine physikalische Theorie, die den weit in der Zukunft liegenden Endzustand des Universums behandelt. Der Omegapunkt ist das Gegenstück zur Anfangssingularität, die in der Kosmologie allgemein als Urknall bezeichnet wird. Der Begriff „Omegapunkt“ geht auf den Jesuiten Teilhard de Chardin zurück.

Eine physikalische Interpretation der Welt setzt voraus, dass man den Menschen als eine besondere Art von Maschine betrachtet, mit einem Gehirn als Träger der Informationsverarbeitung und der Seele als Software. Hierfür wird die Welt in Quanten zerlegt und auf dieser untersten Ebene der physikalischen Strukturen der Mensch als ein Bündel quantenmechanischer Zustände definiert.

Die Menschheit wird den Weltraum kolonisieren, da biologisches Leben auf der Erde langfristig dem Untergang geweiht ist. Für die Kolonisierung des Weltraumes sind Sonden mit sich selbst reproduzierenden Konstrukteuren erforderlich, also Maschinen, die andere Maschinen generieren können.

Tipler ist der Auffassung, dass jedes System einschließlich des Menschen durch eine endliche Anzahl von Quantenzuständen hinreichend definiert ist und daher nichtbiologische Trägermedien denkbar sind, auf die die Informationen, die das Leben ausmachen, implementiert werden können.

Der Autor entwirft eine Computermetaphysik und erklärt damit die Auferstehung. Die physikalische Auferstehung besteht darin, dass Leben in den Computern der fernen Zukunft (nahe des Omegapunktes) emuliert wird. Dies betrifft nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die gesamte Welt.

Tipler verwendet in seiner Theorie ausschließlich Bausteine der Physik und vernachlässigt die Strukturen, mit denen Biologen, Neurologen oder Soziologen arbeiten. Durch Selbstorganisation emergieren in der Natur (aus den Grundbausteinen der Physik) neue Entwicklungsstufen bis hin zu lebenden Strukturen, die jeweils ihre eigenen Werkzeuge und Interpretationen benötigen. Diese Strukturen sind nicht physikalisch erklärbar. Tipler muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, eine extrem reduktionistische Position zu vertreten.

Wissenschaftliche Theorien gelten in ihrem eng umrissenen Definitionsbereich. Extrapolationen oder die Verknüpfung von unterschiedlichen Theorien führen zu verwässerten Ergebnissen. In diesem Sinne hat Tipler keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine naturwissenschaftliche Religion kreiert.

Ich hätte es begrüßt, wenn Tipler die Religion in einem separaten Kapitel behandelt hätte. Tiplers provokante These „Theologie wird ein Teilbereich der Physik“ beruht auf einem Kategorienfehler; damit überspannt er den Bogen. Mit seiner Theorie gibt es eine fantastische Theorie mehr auf dem Markt der Möglichkeiten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.08.2016
Kryptografie
Schmeh, Klaus

Kryptografie


ausgezeichnet

umfassend – verständlich – akuell - empfehlenswert

Das mit über 800 Seiten recht umfangreiche Werk ist grob gesehen in 6 Teile gegliedert. Die zentrale Frage des ersten Teils „Wozu Kryptografie?“ wird aktuell durch die Enthüllungen des US-Whistleblowers Snowden beantwortet [1]. Das Buch ist vor dessen Enthüllungen entstanden, der Name NSA kommt aber so oft vor, dass Autor Schmeh dieser Organisation am Schluss ein eigenes Kapitel widmet.

Klaus Schmeh ist von der Geschichte der Kryptografie fasziniert (724) und lässt einige Erkenntnisse über die Enigma und andere historische Verschlüsselungsmaschinen in sein Buch einfließen. Bereits bei diesen Erläuterungen wird deutlich, dass es oft die weichen Faktoren sind (Faktor Mensch), die dazu führen, dass der Code geknackt wird.

Ab dem zweiten Teil geht es ins Eingemachte. Schmeh beschreibt moderne Verschlüsselungsmethoden. Hierzu zählt z.B. der Data Encryption Standard (DES), an dessen Entwicklung die NSA beteiligt war. (82) Auch wenn es paradox klingt, erhöht die Offenlegung der Funktionsweise eines Verschlüsselungsverfahrens seine Sicherheit. (87)

Der Autor erläutert ausführlich den Aufbau symmetrischer und asymmetrischer Verschlüsselungsverfahren. Die Schwachstelle der symmetrischen Verschlüsselung ist das Schlüsselaustauschproblem. Beide Kommunikationspartner („Alice und Bob“) müssen den gleichen Schlüssel verwenden. Dieses Problem gibt es bei der asymmetrischen Verschlüsselung, die mit öffentlichen und privaten Schlüsseln arbeitet, nicht. Öffentlicher und privater Schlüssel hängen zwar voneinander ab, aber aus dem öffentlichen Schlüssel kann nicht der private Schlüssel abgeleitet werden.

Schmeh verwendet zahlreiche Skizzen, um Sachverhalte zu verdeutlichen. So bringt er z.B. den Unterschied zwischen asymmetrischer Kryptografie und digitaler Signatur durch einfache Prinzipskizzen prägnant zum Ausdruck. (177, 202) Von der digitalen Signatur ist der Weg nicht weit zu Hashfunktionen, die dazu dienen, das Signieren zu vereinfachen.

In der Einleitung betont Krypto-Experte Schmeh die Bedeutung der praktischen Umsetzung der Kryptografie. (4) Diesem Anspruch wird er ab dem dritten Teil des Buches gerecht. Aber bevor er Software und Hardware zur Kryptografie beschreibt, stehen vorbereitend elementare Themen wie Standardisierungen, kryptografische Protokolle, Methoden der Authentifizierung und auch Angriffsmethoden auf Schlüssel an.

Die Implementierung von Krypto-Verfahren hat seine Tücken, wie Schmeh deutlich macht. Wenngleich die theoretischen Grundlagen der Kryptographie ausgereift sind, gibt es zu viele Fallstricke bei der Umsetzung. Auch ist es schwierig, die Qualität der Umsetzung zu beurteilen.

Ein besonderes Thema ist die Kryptografie im OSI-Modell. Der Autor beschreibt, welche Verschlüsselungen in welcher Schicht möglich bzw. sinnvoll sind. Dabei wird unter anderem erkennbar, dass die Anwender „Alice und Bob“ umso mehr Einfluss darauf haben was und wie verschlüsselt wird, je höher die Schicht ist.

Schmeh erläutert einige Anwendungen aus dem Alltag, die nicht nur für Administratoren wichtig sind. Hierzu gehören Geldkarten, Online-Bezahlsysteme, Gesundheitskarten, Kreditkartensysteme und elektronische Ausweise einschl. des elektronischen Personalausweises. Zu letztgenanntem Thema hätte ich mir mehr Informationen zu Anwendungen, Sicherheit, Verbreitung etc. gewünscht.

Es ist nicht leicht, ein Buch über ein trockenes Thema wie Kryptografie zu schreiben und das so aufzubereiten, dass der Inhalt unterhaltsam, präzise, tiefgehend, aber auch leicht lesbar ist. Klaus Schmeh ist das fast Unmögliche gelungen. Das Buch ist eine Fundgrube für IT-Leiter, Sicherheitsfachleute, Datenschützer und Administratoren. Es ist weniger ausgerichtet auf Programmierer und Mathematiker.

[1] Glenn Greenwald „Die globale Überwachung“

Bewertung vom 07.08.2016
Ruhm
Kehlmann, Daniel

Ruhm


gut

Ein Roman in Fragmenten – ein literarisches Experiment

Zu Beginn klingelt ein Mobiltelefon. Gleiches passiert am Ende der letzten Episode. Das ist kein Zufall. Daniel Kehlmann parodiert in diesem aus neun Einzelgeschichten bestehenden Roman (unter anderem) die Folgen der modernen Kommunikationstechnik auf unser Leben. Die Abhängigkeiten sind gewaltiger, als uns im Alltag bewusst ist.

Computertechniker Ebling wird zum Opfer eines technischen Fehlers. Aufgrund einer falschen Nummernzuordnung erhält er ständig Anrufe, die für einen gewissen Ralf bestimmt sind. Jedoch lässt sich Ebling nach kurzer Zeit auf das Spiel ein. Er entwickelt sich vom genervten passiven Opfer zum aktiven Gestalter einer Lebenswirklichkeit, die nicht die Seine ist. Mit dieser Geschichte gelingt Kehlmann ein humorvoller Einstieg in seinen verschachtelten Roman.

Fehler in der Technik können sich auch dramatisch auswirken. Maria Rubinstein, die in „Osten“ mit einer Journalistendelegation in Richtung China unterwegs ist, wäre nach einem Zwischenstopp froh, wenn sie überhaupt eine Verbindung hätte. Sie wird von der Reiseleitung vergessen und ist damit von der Außenwelt abgeschnitten.

An diesen Fragmenten des Romans wird erkennbar, dass es Autor Kehlmann nicht nur um das Versagen der Technik, sondern auch um Identitätsprobleme geht. Schauspieler Ralf Tanner weiß, was damit gemeint ist. Von einem Tag zum anderen bekommt er keine Anrufe mehr, weil die Telefongesellschaft die Anschlüsse falsch zugeordnet hat (siehe Querverbindungen zu „Stimmen“ und „Wie ich log und starb“). Sein Leben gerät aus den Fugen. Er wird zum mittelmäßigen Imitator seiner Selbst.

Eine besondere Rolle spielt der Schriftsteller Leo Richter, der in mehreren Episoden vorkommt und mindestens eine davon („Rosalie geht sterben“) selbst verfasst hat. Dies ist eine ernste Geschichte über eine todkranke ältere Frau, die sterben möchte. Seltsam ist, dass Protagonistin Rosalie Konversation mit dem Autor, also mit Leo Richter, führt. Kehlmann experimentiert mit den Erzählebenen, Realität und Fiktion werden vermischt.

Die Vermischung der Ebenen wird in der letzten Episode „In Gefahr“ auf die Spitze getrieben. Elisabeth und Leo Richter verreisen (wie auch in der ersten Episode „In Gefahr“) und treffen Lara Gaspard, eine Romanfigur von Leo Richter. Was ist Fantasie, was ist Realität? Zur Verwirrung trägt auch ein dünner Mann mit Hornbrille und fettigem Haar bei, der zweimal als Fahrer auftaucht, einmal real und einmal fiktiv in einer Geschichte von Leo Richter (S. 68 u. 185).

„Ein Beitrag zur Debatte“ wirkt auf mich nicht authentisch. Die Geschichte ist zwar unterhaltsam, jedoch klingt der Slang konstruiert. Es ist nicht die Jugendsprache, sondern Kehlmanns Vorstellung von der Jugendsprache, die hier umgesetzt wurde. Dieses Experiment ist nur mäßig gelungen.

„Ruhm“ ist laut Buchbeschreibung ein Roman in neun Geschichten. In einem Interview sprach Daniel Kehlmann von einem Roman, der aus jeweils abgeschlossenen aber eng zusammengehörenden Episoden besteht. Jede Geschichte außer der letzten funktioniere auch für sich allein.

Es gibt zahlreiche Verknüpfungen zwischen den Geschichten, jedoch überwiegt die Fragmentierung. Der Roman bietet reichlich Stoff für Interpretationen, aber er fesselt nicht. Dazu sind die Einzelgeschichten zu weit auseinander, das Gesamtwerk zu konstruiert. Abweichung von der Norm, wohl durchdachte Struktur und Variationen im Stil reichen nicht aus, es muss auch Atmosphäre geschaffen werden, wie sie eher in einem durchgängigen Gesamtwerk möglich ist.

Positiv bleibt festzuhalten: Der Roman fordert heraus. Identität ist ein großes Thema. Kehlmann betreibt ein Versteckspiel, welches man ergründen möchte. Wo liegen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Wie sind die Erzählebenen aufgebaut? Wo liegen die Verbindungen zwischen den Episoden?

Bewertung vom 07.08.2016
Der Junge, der Träume schenkte
Di Fulvio, Luca

Der Junge, der Träume schenkte


sehr gut

"Kleines, man nennt sie die Diamond Dogs"

Titel und Titelbild suggerieren einen anderen Inhalt und haben mich im ersten Drittel des Buches irritiert. Die Geschichte spielt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Das junge italienische Mädchen Cetta wird vergewaltigt und zieht mit ihrem Baby nach New York. Ihren Lebensunterhalt verdient sie (zwangsläufig) mit Prostitution. Sie und ihr Kind Christmas führen ein hartes entbehrungsreiches Leben. In der Lower East Side ist Gewalt an der Tagesordnung.

Der Bezug zum Titel wird erkennbar, als Christmas heranwächst und seine (fiktive) Gang "Diamond Dogs" gründet. Er hat Talent, wie in einem Gespräch mit Gangsterboss Arnold Rothstein deutlich wird. "Ich kann Geschichten erzählen. Das ist das Einzige, worin ich wirklich gut bin ... Geschichten, an die die Leute glauben. Die Leute träumen nämlich gern." Christmas übersteht diese Begegnung, aber nicht alle Jungs überleben den Straßenkampf.

Der Roman hat viele Facetten und so geht es nicht nur um Straßenkampf, Vergewaltigung und Schutzgelder, sondern auch um die besondere (Liebes-)beziehung zwischen Ruth und Christmas. Die Lebensgeschichten von Ruth und Christmas sind voller Dramatik und ihre Charaktere markant, geformt von den besonderen Lebensumständen. Mit Sal und Bill gibt es weitere Protagonisten, die (auf unterschiedliche Weise) einen Wandel durchmachen. Beides sind Menschen voller Tiefe, jedoch unterscheiden sie sich wie Tag und Nacht.

Autor Luca Die Fulvio versteht es, die Spannung auf einem mittleren Level zu halten. Insbesondere warten die Leser gespannt darauf, ob es noch einmal zu einer Begegnung zwischen dem psychopatischen Kriminellen Bill und Ruth kommt. Christmas nutzt Chancen, die ihm geboten werden und macht was aus seinem Talent. Seine Entwicklung hat aber auch unnatürliche Züge. Es hätte dem Buch nicht geschadet, weniger dick aufzutragen.

Auch am Ende des Buches bin ich noch der Meinung, dass das Titelbild nicht zum Roman passt. Das Bild suggeriert einen anderen Inhalt. Insbesondere assoziiert man mit diesem Bild nicht die vielen Gewaltdarstellungen, die im Buch beschrieben werden. Dennoch handelt es sich um einen lesenswerten Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch einen Eindruck vermittelt, mit welchen Widrigkeiten Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu kämpfen hatten.

Bewertung vom 06.08.2016
Die Zeit
Haber, Heinz

Die Zeit


gut

Die unvorstellbaren Zeiträume der Evolution

Heinz Haber gehörte in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren zu den bekanntesten Autoren populärwissenschaftlicher Bücher; bekannt war er auch durch zahlreiche naturwissenschaftliche Fernsehsendungen. Sein Schwerpunkt lag bei der Vermittlung der Grundlagen der Astronomie. In seinem Spätwerk „Die Zeit“ setzt er sich mit der Evolutionstheorie auseinander. Wie der Titel bereits andeutet, thematisiert er die unvorstellbaren Zeiträume von Milliarden von Jahren als Dreh- und Angelpunkt für die Wahrscheinlichkeit und letztlich Plausibilität der Evolutionstheorie.

Das Buch ist in 10 Kapitel gegliedert und angereichert mit zahlreichen Grafiken. Die Texte sind verständlich und machen neugierig. Autor Haber versteht es, schwierige Sachverhalte populärwissenschaftlich aufzuarbeiten. Ein Quellenverzeichnis sowie ein Stichwortverzeichnis mit Begriffserläuterungen fehlen. Lediglich ein Bildnachweis befindet sich am Ende des Buches.

Das Buch ist 25 Jahre alt und Habers Thesen entsprechen in Teilbereichen nicht (mehr) dem aktuellen Stand der Naturwissenschaften. Allgemein anerkannt ist, dass es in der Erdgeschichte mehrere Massensterben gab, deren Ursachen nicht bekannt sind. So auch vor ca. 60 Millionen Jahren, als die Saurier ausgestorben sind. Haber zweifelt daran, dass ein Meteoriteneinschlag für das Aussterben verantwortlich ist (S. 73 u. 145). Auch favorisiert Haber die Expansionstheorie der Erde (s.a. sein Buch „Unser blauer Planet“ aus dem Jahr 1965), die heute an Bedeutung verloren hat (S. 95 u. 99). Sein Zeitraffer, die Projektion der Erdgeschichte auf 1 Jahr, ist auch aus heutiger Sicht faszinierend.

Wenn man das Buch aktuell liest, muss man wissen, dass einige Hypothesen überholt sind. Es ist daher nicht als alleinige Informationsquelle geeignet. Auf der anderen Seite verstand es Haber wie kaum ein anderer Wissenschaftler, Themen für ein breites Publikum auf anschauliche Art und Weise aufzubereiten. Ich kann das Buch aus heutiger Sicht nur dann empfehlen (immerhin ist es für unter einem Euro zu haben), wenn man sich mit den behandelten Themen weiter beschäftigt und auch andere Bücher bzw. Informationsquellen zu Rate zieht.

Bewertung vom 06.08.2016
Das können Sie glauben!
Kuzmany, Stefan

Das können Sie glauben!


gut

Eine kritische Analyse religiöser Heilsversprechen

Stefan Kuzmany beschreibt einen Marktplatz der Religionen. Jeder kann frei nach dem Titel „Das können Sie glauben!“ selbst entscheiden, wo er sich zugehörig fühlt. Der Autor, Redakteur bei der taz, geht undogmatisch an das Thema ran. Er beschreibt seine Untersuchungen als Selbstversuch und so ist auch sein Buch aufgebaut. Den Weg seiner Ermittlungen zeichnet er nach. Seine Ausführungen erheben nach eigener Aussage keinen Anspruch auf Wahrheit oder normative Aussagekraft.

Zu den Hauptthemen gehören Islam, Christentum, Judentum, Buddhismus und Scientology. In einem sechsten Kapitel werden in Kurzform weitere Glaubensrichtungen beschrieben. Hinsichtlich der realen Verbreitung hätte dem Hinduismus ein eigenes Kapitel gewidmet und Scientology im sechsten Kapitel untergebracht werden können. Aus dem Blickwinkel der Aufklärung kann ich den Autor verstehen, dass er (im Interesse der Leser und Leserinnen) anders vorgegangen ist.

Seine Ausführungen sind ironisch, aber nicht zynisch, aufklärerisch und nicht fanatisch, humorvoll, aber auch kritisch. Es geht nicht nur um die Frage „Was will ich von der Religion?“, sondern auch darum „Was will die religiöse Institution von mir?“ Heilsversprechen haben ihren Preis. Der Autor beneidet Menschen, die an etwas glauben. Jedoch haben ihn die Angebote nicht überzeugt. Überzeugt haben ihn Menschen aus seinem Umfeld, die einfach nur mit Hingabe und guter Laune ihren Job tun.

„Das können Sie glauben!“ ist unterhaltsam und stellenweise ironisch. Die Gebrauchsanleitung auf den Seiten 11 u. 12 sollte man vorher lesen. Denjenigen, die Religionen nicht aus einer kritischen Distanz heraus betrachten können, würde ich das Buch nicht empfehlen. Umfassende Informationen (ohne Ironie) finden interessierte Leser z.B. in „Die fünf Weltreligionen“ von Helmuth von Glasenapp.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.08.2016
Ein Regenschirm für diesen Tag (eBook, ePUB)
Genazino, Wilhelm

Ein Regenschirm für diesen Tag (eBook, ePUB)


sehr gut

Alltag eines Lebenskünstlers

Kann man seinen Lebensunterhalt mit dem Probelaufen von Luxusschuhen bestreiten? Wilhelm Genazinos Protagonist ist ein Lebenskünstler, der auf diese Art und Weise sein Geld verdient. Auf seinen stundenlangen Streifzügen durch die City einer Großstadt befindet sich der 46-jährige Erzähler auf einer ständigen Gratwanderung zwischen Absturz und Überleben und beobachtet dabei seine Umwelt auf eine nicht alltägliche Weise. Seine Wahrnehmung ist fixiert auf die kleinen Dinge des Lebens. Dies können Tauben sein, die durch eine Unterführung fliegen, eine Arbeiterfrau, die Wäsche aufhängt oder ein Junge, der in einem Brunnen mit seinem Segelboot spielt.

In seinem Umfeld gibt es zahlreiche gescheiterte Existenzen. So zum Beispiel Herrn Habedank, der sich für einen passablen Fotografen hält und letztlich Prospekte verteilt oder Frau Dornseif, eine einfallslose Animateurin ohne Zukunft. Er selbst muss eine gewaltige Honorarkürzung hinnehmen. Probleme hat er damit nicht. Ein Blick in die Zukunft ist bei seinem Lebensstil ohnehin verpönt. Manchmal hat er Angst davor verrückt zu werden.

Man kann ihn trotz seiner Melancholie nicht als erfolglos darstellen. So führt seine eher scherzhafte Äußerung, er sei Leiter eines Institutes für Gedächtnis- und Erlebniskunst dazu, dass er eine Kundin zufrieden stellen kann. Sein Vorsprechen für Herrn Habedank beim Generalanzeiger bewirkt, dass er selbst einen Auftrag erhält. Aber letztendlich bleibt er Schuhtester und morgen ist auch noch ein Tag. Es sind der seltsame Charakter und die Merkwürdigkeiten des Alltags, die dem Werk Leben einhauchen.

Bewertung vom 06.08.2016
Gekaufte Journalisten
Ulfkotte, Udo

Gekaufte Journalisten


ausgezeichnet

Wie unsere Leitmedien funktionieren

In „Meinungsmacht“ [1] analysiert Uwe Krüger die Kommunikationsnetzwerke, in die Journalisten unserer Leitmedien eingebunden sind. Die direkten Verbindungen zur Wirtschaft, zur Politik und zu diversen Elitezirkeln bezeichnet Krüger in seiner wissenschaftlichen Arbeit als hoch problematisch. (148) Er fordert, dass "Qualitätsjournalismus den Elitendiskurs transzendieren sollte". (263)

Udo Ulfkotte bezieht sich u.a. auf Krüger und untermauert dessen wissenschaftliche Untersuchungen durch zahlreiche praktische Beispiele und eigene Erfahrungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Ulfkotte reinen Tisch macht und seine eigenen Verstrickungen einfließen lässt. "Ich selbst ... war ein Täter." (36) Ohne diese Zugeständnisse wäre er unglaubwürdig und angreifbar.

„Unsere besten Journalisten lügen auf Kommando, wenn die Politik es will.“ (258) Und das ist keine Verschwörungstheorie, sondern wird vom Autor anhand von Beispielen belegt. Jedoch sollte keine Verallgemeinerung vorgenommen werden, wie Ulfkotte auch selbst einräumt. (29) Das umfangreiche Quellenverzeichnis (24 Seiten) sticht ins Auge. Der Autor kann belegen, was er behauptet. Da eine Klagewelle droht, ist eine saubere Recherche auch zwingend notwendig. Wie fundiert diese ist, wird die Zukunft zeigen.

Mein seit Jahren vorhandener Eindruck, dass man die Wahrheit nur noch im Kabarett erfährt, wird durch die haarsträubenden Ausführungen über unsere Medien bestätigt. Korruption, gepaart mit fehlender Einsicht, sind kein Einzelfall. Hofberichterstattung statt investigativer Journalismus gehören zum Geschäft. Entsprechendes gilt für den durch GEZ-Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Die Verantwortlichen unser Leitmedien haben ihre Entscheidung getroffen, wessen Interessen sie vertreten und von wem sie sich bezahlen lassen und die Bürger werden ihre Entscheidung treffen, ob sie noch bereit sind, für diese Medien Geld auszugeben. Die Krise ist hausgemacht. Dabei ist, wie im Internet erkennbar, eine große Nachfrage vorhanden nach unabhängiger kritischer Berichterstattung.

[1] „Meinungsmacht“ von Uwe Krüger, ISBN 978-3-86445-143-0

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.