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Miro76
Wohnort: 
Österreich

Bewertungen

Insgesamt 150 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2023
Bis wir Wald werden
Mattausch, Birgit

Bis wir Wald werden


sehr gut

In Russland waren sie Deutsche, in Deutschland sind sie die Russen. So sitzen Babulya und Nanush und die ganze Hausgemeinschaft immer zwischen den Welten fest.

Birgit Mattausch lässt uns teilhaben am Leben im Hochhaus am Waldrand. Auch hier beginnen die Welten zu verschwimmen. Menschen werden zu Vögeln und erheben sich in die Lüfte, das Haus wird zur Araukarie und hebt seine Äste in den Himmel. Irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit spielt sich das Leben ab und in diesen Metaphern erfahren wir von der Zerrissenheit, der Wurzellosigkeit und der Verhaftung in einer verherrlichten Vergangenheit mit der die Menschen im Hochhaus ihren Alltag bewältigen.

In sehr poetischer Sprache, durchsetzt mit lyrischen Einschüben beschwört die Autorin eine Welt herauf, deren Zentrum Babulyas Küche ist und die ihre Geschichten an die nächste Generation weitergibt, bei Tee mit Marmelade.

Nun ist Babulya zu alt, um sich noch viel aus dem Bett zu bewegen und ihre Urenkelin Nanush hadert damit, dieses Erbe zu übernehmen. Sie kümmert sich hingebungsvoll um ihre Urgroßmutter, versucht aber gleichzeitig einen anderen Blick in die Zukunft. Kann dies gelingen, oder ist sie genauso verhaftet in Sibirien, wie der Rest ihrer Sippe?

Dieses kleine Buch steckt voller Bilder, die in Menschen zwischen den Welten wachsen und gedeihen. Wer mit lyrischer und metaphernreicher Sprache nichts anfangen kann, sollte davon lieber die Finger lassen. Wer sich darauf einlassen kann, findet eine bereichernde Geschichte, die den Geist beflügelt. Einziger Wermutstropfen ist, das es sehr fragmentarisch anmutet. Manchmal hätten ein paar Worte mehr der Geschichte gut getan.

Bewertung vom 08.10.2023
Wilde Jagd
Freund, René

Wilde Jagd


ausgezeichnet

Professer Quintus Erlach verbringt den Sommer in seinem Elternhaus in Stein am Gebirge. Nachdem seine Affäre offenbar wurde, hatte ihn seine Frau aus der gemeinsam Wohnung komplementiert, um bei einer Auszeit etwas Selbstfindung zu betreiben. Diese ertränkt der gute Professor leider in Wein und Bier, bis ihm die Pflegerin Evalina über den Weg läuft und ihn in eine haarsträubende Geschichte verwickelt.

Mit vermeintlich übersinnlichen Fähigkeiten überzeugt sie den Professor zur Mithilfe bei der Suche ihrer Vorgängerin, die vor einigen Monaten spurlos verschwand und zufällig die Schwester der Pflegerin war.

Und so stolpert der Professor in einen wilden Versuch ein Verbrechen aufzuklären und wird dabei selbst zum Gejagten. Gekonnt spielt der Autor mit versteckten Wahrheiten, vermeintlichen Zufällen und dubiosen Verdächtigen, so dass man als Leser*in schnell so verwirrt ist wie Erlach selbst.

Da sich die Ereignisse derart überschlagen, wird Quintus fast nebenbei seine Alkoholsucht los und beginnt sogar seinen Alltag zu strukturieren. Aus dem zerstreuten Lebemann wird ein verlässlicher Freund und nicht nur die Sympathien der Leser*innen fliegen ihm zu.

Mich konnte der Autor wieder einmal großartig unterhalten mit diesem Roman, der sich irgendwo zwischen Krimi und Unterhaltungsliteratur ansiedelt. Die Geschichte ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite und macht dabei so manche Wendung durch, um in einer wirklich interessanten Auflösung mit Mehrwert zu reüssieren. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung, vor allem auch für die düsteren Herbstabende die demnächst auf uns zukommen werden.

Bewertung vom 08.10.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Anni und Edith waren immer Freundinnen und haben es mit gegenseitiger Unterstützung durch die schweren Winter in den Kriegsjahren geschafft. Nun ist der Krieg vorbei, doch ihre beiden Männer kehren nicht nach Hause zurück. Die Zeiten sind noch immer schlecht in Unnenmoor. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Arbeit, Nahrung und Geld.

Diese düstere moorige Gegend im Norden Deutschlands bietet einen guten Nährboden für Aberglauben, Hexerei und Wunderheilerei.

Als nach Jahren Anni's Mann nach Hause kommt, beginnt es aber nicht bei ihr bergauf zu gehen. Otto hat seine Beine an der Front gelassen und ist generell schwer traumatisiert. Er findet sich nicht mehr ein im Alltag und beginnt zu trinken. In ihrer Verzweiflung sucht Anni nach einem Sündenbock und die rothaarige Edith wird zur Hexe und für alles Unglück verantwortlich gemacht. Der Spökenfritz weiß diese Situation für sich zu nutzen. Mit seinen Beschwörungen und Zaubereien treibt er die Familie endgültig in die Armut und als das Wunder immer noch ausbleibt, spitzt sich die Situation immer mehr zu.

Helga Bürstner hat sich mit diesem Roman einem spannenden Thema zugewandt. Viele Kriegsheimkehrer fühlten sich unverstanden mit ihrem posttraumatischen Stresssyndromen. Das Leben zuhause war auch nicht einfach und für Zimperlichkeit einfach kein Platz. Ein guter Nährboden für jene, die die Not der Gutgläubigen ausnutzen, denn ein Wunder hätten damals viele gut brauche können.

Das Thema ist spannend aufbereitet. Ich habe das Buch von der ersten Seite an gerne gelesen, aber ab der Mitte baut die Autorin enorm Spannung auf. Meine Sorge um Edith ließ mich fast hastig weiterlesen, denn das Gefühl, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen kann hat sich ebenfalls immer mehr zugespitzt.

Leider besitzt diese Geschichte noch immer Brisanz, denn mit der Hoffnung auf ein Wunder lässt sich auch heute noch gut Geld verdienen.

Bewertung vom 19.08.2023
Vertrauensübung
Choi, Susan

Vertrauensübung


gut

Die CAPA ist eine beliebte Talentschmiede und nur die begabtesten Jugendlichen ergattern einen Platz in der berüchtigten Highschool. Vor allem der Unterricht bei Mr. Kingsley fordert die Kids und alle wollen dem Lehrer gefallen. Besonders Sarah will unbedingt zum Inner Circle gehören und erkennt schnell, dass ihre Tränen bei ihm Interesse auslösen.

So findet sie sich immer wieder in seinem Büro, nach den Taschentüchern greifend, denn zum Heulen hat sie genug. Sie hat eine stürmische Beziehung zu einem Mitschüler in den Ferien angefangen, die gleich zu Schulanfang in die Brüche geht, obwohl sich beide lieben. Die Menge an Missverständnissen sind typisch Teenagerkram.

Mr. Kingsley scheint sich darin zu weiden und ruft beide immer wieder zu seinen berüchtigten Vertrauensübungen, die die Schüler*innen ihr Innerstes nach außen stülpen lässt. Dieses ganze Gefühlschaos wurde mir streckenweise etwas zu langatmig, aber dann wechselt der Ton abrupt.

Zwanzig Jahre später erzählt uns eine andere Person die Geschichte der Highschoolclique aus einer anderen Perspektive. Meine Neugierde war plötzlich wieder geweckt, doch auch hier wurde es mir etwas zu viel. Die Autorin gibt manchen Dinge zu viel Gewicht und manche Protagonisten sind so stark in ihrer Vergangenheit verhaftet, dass mir hier die Entwicklung fehlte.

Außerdem hat sie ihre Geschichte ausgesprochen literarisch verfasst. Mir persönlich ist es fast ein bisschen zu intellektuell. Es fordert die Leser*innen stilistisch, aber nicht inhaltlich. Auch der Schluss konnte mich nicht wirklich überzeugen. Der wirkte irgendwie komplett losgelöst vom Rest der Geschichte. Deshalb habe ich misch schlußendlich für 3 Sterne entschieden, obwohl ich das Buch streckenweise sehr gerne gelesen habe.

Bewertung vom 18.08.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


sehr gut

Alex verbringt den Sommer mit Simon in den Hamptons. Endlich hat sich es geschafft in die Welt der Schönen und Reichen. Fast glaubt sie schon, dass sie ihre Zügel etwas lockerer lassen kann und wirklich angekommen ist. Doch der Schein trügt und nach ein, zwei kleinen Fehltritten, wird sie prompt vor die Tür gesetzt.

Dabei hatte sie sich perfekt an Simons Rhythmus angepasst. Sie war sein anschmiegsames Kätzchen, dass ihn in Ruhe ließ, wenn er seine Ruhe haben wollte. Das ist wohl der Preis, wenn man sich derartig weit nach oben schlafen will. Denn Alex lebt davon, dass sie sich aushalten lässt und hat das zu ihrem Beruf gemacht.

Würde sie ausnahmslos Reich & Schön ausnehmen, wäre da ja noch gar nichts einzuwenden. Doch sie schreckt nicht davor zurück auch ihre Mitbewohner*innen, Hausangestellte oder einfache Jugendliche auszunutzen, wenn es ihr gerade zum Vorteil gereicht. Sie ist Meisterin der Manipulation und kann relativ gut in anderen Menschen lesen. Doch sie treibt es zu weit.

Als Leserin könnte ich fast Mitleid mit ihr haben, denn sie setzt sich in den Kopf Simon zurückzuerobern und deshalb muss sie eine Woche ausharren in den Hamptons - ohne Geld und ohne Unterkunft. Da sie aber so rücksichtslos mit ihren Mitmenschen umgeht, ist es schwierig Empathie für sie aufzubringen. Manchmal blitzt ein Funken Anstand bei ihr auf, nur um schnell wieder mit dem nächsten Diebstahl zunichte gemacht zu werden. Wie und warum sie zur Edelnutte oder professionellen Schnorrerin wurde, verrät uns die Autorin nicht.

Die fehlende Vorgeschichte lässt uns die Protagonistin nie wirklich greifbar erscheinen. Ihre Persönlichkeit versteckt sich hinter ihrem Zwang einen Weg in die Upper Class zu finden und dabei geht sie über Leichen. Sie scheint keine Moral zu kennen. Hat Sex wenn es nützlich ist, steht ständig unter Drogen und giert nach Macht und Geld. Sie scheint die Moral der Gesellschaftsschicht, in die sie so dringend möchte, so überspitzt verinnerlicht zu haben, dass ihre Persönlichkeit darin aufgegangen ist.

Bei der Lektüre war ich selbst überrascht, wie gerne ich die Geschichte dieser überaus unsympathischen Person gelesen habe. Ich muss gestehen, dass ich ihr etwas Unglück gegönnt hatte und an ein Happy End hatte ich sowieso nie geglaubt. Doch das gewählte Ende hat mich auch ein bisschen unzufrieden zurückgelassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe. Es lässt auf jeden Fall Interpretationsspielraum.

Da mich Emmy Cline mit ihrem Roman aber ausgezeichnet unterhalten hat, vergebe ich gerne 4 Sterne und empfehle es allen, die gerne einen kritischen Blick in die Welt der Superreichen werfen wollen.

Bewertung vom 14.08.2023
Die Unbändigen
Hart, Emilia

Die Unbändigen


sehr gut

Es scheint ein Fluch auf den Weyward-Frauen zu liegen, sodass sie immer wieder an Männer geraten, die ihnen nicht wohlgesonnen sind.

Da ist Altha im Jahre 1619, die in einer kleinen feuchten Zelle auf ihren Hexenprozess wartet. Ihre Mutter war bereits eine Heilerin und begann sich zu verstecken, vor der Wut eines Mannes, dessen Frau sie nicht heilen konnte, weil die Krankheit schon zu weit fortgeschritten war.

Jahre später (1942) lernen wir Violet kennen, die von ihrem Vater auf dem Gut festgehalten wird. Sie darf das Dorf nicht besuchen und hatte noch nie Kontakt zu gleichaltrigen, als die Familie Besuch vom unseligen Cousin Frederick bekommt. Dieser ist auf Fronturlaub und von der 16jährgen Violet ganz angetan.

Ihre Geschichte geht fast nahtlos über in Kate's Geschichte, die sich in einer erniedrigenden und gewaltsamen Beziehung befindet, der sie schließlich entfliehen kann, weil sie von Großtante Violet das Weyward-Cottage erbt. Erst dort beginnt sie aufzuatmen und ihre innere Stärke zu finden. Jahrelang wurde sie klein gehalten, jetzt besinnt sie sich auf ihr Erbe und beginnt Nachforschungen anzustellen.

Emilie Hart hat diesen Roman recht einfach strukturiert. In kurzen Kapiteln lesen wir in der immer gleichen Reihenfolge von Altha, Violet und Kate bis sich das ganze in eine lineare Geschichte fügt. Die kurzen Kapitel erhöhen den Lesefluss und halten die Leser*innen bei jedem Erzählstrang am Ball. Die Geschichte ist spannend, berührend und emotional. Ein bisschen magischer Realismus fließt mit ein, denn die Frauen haben alle eine besondere Gabe, der sie schlussendlich ihre Unabhängigkeit verdanken.

Ungerechtigkeit, Schuld und Selbstjustiz sind ebenfalls Themen, die diese Geschichte behandelt und diesbezüglich stimme ich nicht ganz mit der Autorin überein. Die Auflösung des Ganzen konnte mich nicht überzeugen, obwohl ich das Buch sehr gerne gelesen habe. Es hat mich gut unterhalten und ich empfehle es auch gerne weiter als spannenden Sommeroman ohne großen Mehrwert.

Da gute Unterhaltung in ansprechendem Stil geboten werden, vergebe ich gerne 4 Sterne!

Bewertung vom 23.07.2023
Hotel Silence
Ólafsdóttir, Auður Ava

Hotel Silence


sehr gut

Jonas hat entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen. Nur das Wann und Wie sind noch nicht geklärt. Im Mai soll es passieren und eine 5 sollte auch beim Tag vorkommen, der 5. oder 15. wären gut. Doch dann wird ihm klar, dass ihn wahrscheinlich seine Tochter findet, wenn er sich zuhause umbringt. Besser fremden Menschen seine Leiche zumuten!

Kurzerhand beschließt er eine Reise zu machen. Mit wenig Gepäck und seinem Werkzeugkoffer reist er in ein kriegsgebeuteltes Land. Die Kämpfe sind vorüber, aber das Land ist noch voller Minen und der Tod lauert abseits der gängigen Wege.

Im Hotel Silence bezieht er ein Zimmer und merkt schnell, dass hier vieles einer Reparatur bedarf. Nachdem er in seinem Zimmer Dusche und Schrank gerichtet hat, bittet ihn die Hotelbesitzerin gegen Kost und Logis für ihn zu arbeiten. Sie hat das Hotel von ihrer Tante übernommen und will es gemeinsam mit ihrem Bruder wieder auf Vordermann bringen.

So kommt es, dass Jonas alle möglichen handwerklichen Tätigkeiten übernimmt und sich ganz nebenbei das Vertrauen der Stadtbewohner erarbeitet. Er kommt den Menschen näher und beginnt sich mit den Wunden und Narben auseinanderzusetzen. In diesem Land voller Leid und Tod kommen ihm seine eigenen Sorgen plötzlich wesentlich weniger tragend vor. Er setzt sich mit persönlichen und kollektiven Narben auseinander und beginnt langsam wieder einen Sinn im Leben zu finden, um sich am Ende wieder für andere öffnen zu können.

Stilistisch ist das Buch sehr ansprechend. Vieles wird nur kurz angerissen in sehr aussagekräftigen kurzen Sätzen oder starken Bildern. Nur der erste Teil des Buches hat mir nicht so gut gefallen. Jonas dreht sich in seinen Gedanken mehrmals im Kreis und die Autorin bleibt sehr wage, was seine Selbstmordabsichten betrifft. Dadurch kann man als Leser*in kaum nachvollziehen, warum er zu diesem Schluss gekommen ist.

Jonas Reise wiederum hat mich vollends überzeugt. Von welchem Land hier die Rede ist, verrät die Autorin nicht. Dadurch bekommt die Geschichte einen Hauch von Allgemeingültigkeit. Alle Kriege sind schrecklich und alle Menschen leiden darunter, egal welche Hautfarbe sie haben oder welcher Religion sie angehören. Das persönliche Leid verschwindet nicht, angesichts des kollektiven Leids, aber die Gewichtung verschiebt sich. Das hat die Autorin wunderbar eingefangen und hätte es nicht so lange Anlaufzeit gebraucht, bis mich das Buch fesseln konnte, wäre es ein Highlight geworden. So muss ich leider einen Stern abziehen.

Bewertung vom 20.07.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


ausgezeichnet

Bei Will und Rosie funkt es eigentlich auf den ersten Blick. Am Lagerfeuer haben sie sich lange unterhalten und Will merkt zum ersten Mal, dass er vielleicht mehr von einem Mädchen möchte, als nur mit ihr ins Bett. Auch Rosie fühlt sich zu diesem Freund ihres Zwillingsbruders Josh hingezogen. Doch je näher sich die beiden kommen, umso mehr zieht sich Josh zurück und wird immer abweisender. So kommt es zur ersten Trennung von Will und Rosie, bevor alles richtig beginnt.

Die Zwei scheinen füreinander bestimmt, doch die Umstände wollen es nicht. Erst trennt sie ein kleines Unglück, dann ein ganz großes, das ihre weiteren Leben überschattet. Immer wieder treffen die beiden aufeinander, immer wieder stehen sie sich sofort sehr nahe und immer wieder steht ihnen etwas im Weg. Und immer sind diese Gründe nachvollziehbar.

Die Autorin spielt hier ein bisschen mit dem Schicksal und manchmal verhalten sich die beiden nicht unbedingt klug, doch sie sind anfangs Teenager, später Studenten und erst am Ende richtig erwachsen. Dazwischen liegt ein Weg voller Trauer, Aufarbeitung und Selbstfindung.

Die Figuren sind charakterstark gezeichnet und es ist schön, ihnen bei ihrer Entwicklung zu folgen. Auch in die Nebenfiguren hat die Autorin Herzblut gesteckt. Wir begegnen tollen Menschen, die die beiden immer wieder ein Stück weiter bringen. Beide haben ihre Päckchen zu tragen und müssen einen Weg finden, trotz ihrer Verlusten ein erfülltes Leben zu führen.

Ich habe diese Geschichte regelrecht verschlungen. Es ist eine ganz große Liebesgeschichte mit viel Drama, aber auch ein Entwicklungsroman mit tiefgründigen Gedanken und anspruchsvollen Themen. Und die Autorin kommt ganz ohne Kitsch aus!

Bewertung vom 19.07.2023
Elternhaus
Mank, Ute

Elternhaus


sehr gut

Sanne ist die älteste von drei Schwestern. Sie war immer eine Macherin. Voller Tatendrang hat sie ihr Leben in Angriff genommen und ist immer den geraden Weg gegangen. Erst heiraten, dann Hausbau und Kinder. Immer im Heimatort.

Petra ist ein typisches mittleres Kind. Zuhause unverstanden und immer irgendwie übersehen hat sie das Dorf früh gegen die Stadt eingetauscht. Sie lebt ein aufregendes Leben. Gutes Einkommen, tolle Wohnung, keine festen Bindungen.

Und Gitti ist das Küken. Sie durfte immer ein bisschen mehr als die beiden Großen. Die Eltern waren nicht mehr so streng und Gitti ist zwar bodenständig, aber auch ein bisschen flatterhaft.

Als die Mutter erkrankt, kümmert sich Sanne aufopferungsvoll um die Eltern und merkt, dass sie schön langsam immer mehr Hilfe brauchen. Haus und Garten beginnen ihnen über den Kopf zu wachsen und so beschließt Sanne eine altersgerechte Wohnung für die Eltern zu suchen.

Leider vergisst sie dabei, dass sie nicht das einzige Kind ist. Beide Schwestern stehen vor vollendeten Tatsachen und müssen sich mit dem Verlust des Elternhauses auseinandersetzen. Sanne fühlt sich maßlos überfordert mit der Verantwortung und kommt schlecht mit dem Auszug der Kinder zurecht. Außerdem läuft die Ehe nicht mehr richtig rund. Sie kommuniziert nicht. Weder mit den Schwestern, noch mit ihrem Mann.

Die Geschwisterkonstellation fand ich sehr gut dargestellt. Ich bin selbst mit zwei Schwestern aufgewachsen und kann mich hier gut identifizieren. Auch die Problematik mit den alternden Eltern und dem Elternhaus, das viel Arbeit bedeutet ist mir bestens bekannt. Spannend fand ich auch, dass sie alle im Elternhaus in ihre angestammten Rollen zurückfallen.

Nur die Wortlosigkeit zwischen den Geschwistern kam mir etwas überzeichnet vor und passt eher zur Elterngeneration. Die Kriegsgeneration hat häufig nicht viel über Befindlichkeiten gesprochen. Vielleicht ist es realistisch, dass das so weitergetragen wird. Mich hat es bei der Lektüre manchmal richtig geärgert und Sanne hätte sich einigen Ärger ersparen können.

Trotzdem gibt es interessante Entwicklungen bei den Eltern und den Schwestern und auch wenn am Ende nicht alles geklärt ist, ist doch ein Weg nach dem Umbruch erkennbar. Rollenmuster wurden aufgebrochen und neue Wege werden plötzlich gangbar. Das Ende mit diesen Wendungen hat mich schließlich wieder versöhnt mit der Geschichte. Deshalb vergebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 09.07.2023
Flüchtige Freunde
Caritj, Anna

Flüchtige Freunde


sehr gut

Leda hat in ihrem Verbindungsschwestern, den Psi-Deltas, eine Art Ersatzfamilie gefunden. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt und ihre Mutter ist vor einigen Jahren einer Krankheit erlegen. Diesen Verlust hat sie nie aufgearbeitet. Sie trägt den Schmerz in sich, fest verkapselt und weigert sich, darüber zu sprechen.

Manchmal ertränkt sie ihren Kummer in Alkohol und vertreibt ihre Einsamkeit mit schnellem Sex auf ausgelassenen Partys. Auch an Halloween lässt sie nichts anbrennen. Vor allem, weil der beliebte Mädchenschwarm Ian an ihr interessiert scheint. Ziemlich angetrunken legt sie eine kurze Frischluftpause im Vorgarten ein und lernt dort ein Mädchen im Schwanenkostüm kennen. Dieses Mädchen, Charlotte, steigt zu einem Jungen in den Wagen und das nächste, was Leda bewusst wahrnimmt, ist ihr verkatertes Aufwachen am Vormittag. Ihre Lippe ist blutig, ihr Kleid zerrissen. Totaler Filmriss.

Doch Sorgen macht sie sich erst, als sie erfährt, dass Charlotte vermisst wird. Sie beginnt zu überlegen, ob sie Sex hatte, ob dieser einvernehmlich war, mit wem sie die Nacht verbracht hat und wie sie schlussendlich nach Hause gekommen ist.

Während am Campus "Findet Charlotte" Aktionen starten, verstrickt sich Leda immer mehr in ihrem Filmriss. Sie jagt Erinnerungen nach und verbindet Charlottes Verschwinden mit ihren eigenen Erlebnissen. Akribisch versucht sie zu recherchieren, wie Charlottes letzte Tage verlaufen sind, denn sie verspricht sich selbst Heilung, wenn sie Charlotte findet.

Dieses Gedankenkonstrukt zieht uns Leser*innen in seinen Bann und dadurch denkt man fast automatisch an ein Verbrechen und es kommt auch die Frage auf, ob nicht vielleicht sogar Leda darin verwickelt ist. War sie die letzte, die mit der Vermissten gesprochen hat?

Dieser Roman startet wie ein typischer Collegeroman mit den kleinen und größeren Nöten der Student*innen, ausgelassenen Partys, Liebesgeschichten und Freundschaftsbelange. Mit den Ereignissen wird das Ganze zu einem Spannungsroman mit Rästelraten was wie wann und mit wem passiert sein könnte. Dieser Mittelteil ist der Autorin aber nicht so optimal gelungen. Leda verstrickt sich in ihre eigenen Sorgen und Nöten und dreht sich dabei mehrmals im Kreis. Fast hatte ich das Gefühl, der Roman ist zum Stillstand gekommen. Streckenweise habe ich ziemlich ungeduldig weitergelesen und gehofft, dass sich endlich wieder was tut. Und dann wird die Geschichte zu einem Entwicklungsroman. Leda beginnt tatsächlich ihr Trauma aufzuarbeiten und geht geläutert aus diesem Drama hervor. Das Ganze ging dann doch ziemlich schnell.

Trotz dieser Kritikpunkte ist der Autorin ein spannendes Debüt gelungen. Das Buch hat mich die meiste Zeit gut unterhalten. Auch wenn alles anderes gekommen ist, als erwartet, fand ich Figuren gut gezeichnet und die Story ansprechend. Den nächsten Roman von Anna Caritj werde ich bestimmt auch wieder lesen!