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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 143 Bewertungen
Bewertung vom 28.06.2023
Ein Garten voller Bücher
Donati, Alba

Ein Garten voller Bücher


gut

Die Schriftstellerin Alba Donati schafft sich ihr kleines Paradies, die kleinste Buchhandlung der Welt, und schreibt ein Tagebuch, in dem sie von diesen 6 Monaten ihres Lebens erzählt. Sie erfüllt sich einen Traum und eröffnet eine Buchhandlung, allen Schwierigkeiten – italienischer Bürokratie, Corona, Geldmangel, größeren und kleineren persönlichen Problemen und Rückschlägen zum Trotz. Diese wahre Geschichte hat sicherlich auch Charme und Herz, genau wie die Autorin, wir nehmen Teil an den verwickelten Freundschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen im kleinen toskanischen Dorf Lucignana, das keine 200 Einwohner aufweisen kann. Und trotz allem verwirklicht Donati ihren größten Wunsch, lebt und liebt die Literatur und ihren Garten und pflegt außerdem ihre fast 100-jährige Mutter.
Ich muss dennoch gestehen, dass mich diese sprunghaften Geschichten um ihren Buchladen und die vielfältigen Beziehungen eher langweilen – am spannendsten sind für mich die abwechslungsreichen Bücherlisten am Ende jeden Kapitels. Immer wieder finde ich berühmte Werke, Bestseller, Klassiker, Unbekanntes, ergänze meine eigenen Leselisten, überdenke sie, streiche und füge hinzu. Inwieweit wurden diesen Listen bei der deutschen Übersetzung verändert und dem hiesigen Buchmarkt angepasst? Das wäre noch eine weitere interessante Frage.
Das Buch ist optisch geschmackvoll und großzügig gestaltet, aber der Inhalt kann leider nicht mithalten.

Bewertung vom 26.06.2023
Idol in Flammen
Usami, Rin

Idol in Flammen


sehr gut

Geschichte einer Obsession
Fan-Sein als Lebensinhalt, der Starkult steht im Zentrum von Akaris Leben – sie kennt alles von ihrem Idol, lebt für ihn, ist Superfan, arbeitet, um Fan-Artikel kaufen zu können und tut alles, um ihm anscheinend zu helfen, um ihm in ihrer Fantasie nah sein zu können. Der Zugang zur Welt ist extrem einseitig, ohne Freundschaften oder positive Beziehungen in der Realität. Sie lebt nicht vollständig, wenn sie sich nicht mit ihrem Idol beschäftigt, es ist wie ein Schwarz-Weiß-Film und die Farbe beginnt erst, wenn Masaki, Mitglied einer J-Pop-Gruppe, auftaucht – im Konzert, im Film, im Video, im Netz.
Den Abgrund ahnen wir, Akaris Familie hilft ihr nicht, kann ihr nicht helfen, da sie alle, Vater, Mutter, Schwester, so mit sich selbst beschäftigt sind und sie ihnen auch keine Möglichkeit bietet. Tatsächlich habe ich keine Idee, was die junge Frau retten könnte... sie müsste eine Therapie beginnen, Gespräche führen, erkennen, wie schlecht es ihr geht. Aber ohne Wunsch nach Veränderung verändert sich natürlich auch nichts...
Für mich war der Roman „Idol in Flammen“ von Rin Usami wie eine Novelle oder eine lange Kurzgeschichte - bedrückend, intensiv, auf wenigen Seiten wird atmosphärisch dicht die Gefühlslage der Protagonistin, ihre extreme Abhängigkeit von ihrem Idol beschrieben. Wir lernen sie nur in diesem einen, wichtigen Aspekt kennen, sonst bleibt sie eher eindimensional und wird nicht greifbar. Trotzdem war es für mich ein intensives Leseerlebnis - ich hatte nicht richtig Mitleid, da für mich dieses Verhalten so abstrus ist, aber dennoch war ihre Gefühlswelt nachvollziehbar und glaubwürdig beschrieben, eine krankhafte Obsession, Liebe zu einem unerreichbaren Idol, die Lebenswelt einer unglücklichen jungen Frau, die in ihre Wunschwelt flüchtet – kann es da noch einen Lichtblick geben?

Bewertung vom 17.06.2023
Classical Piano Masterpieces. Piano Sheet Music Book with 65 Pieces of Classical Music for Intermediate Players (+Free Audio)
Levante, Christina

Classical Piano Masterpieces. Piano Sheet Music Book with 65 Pieces of Classical Music for Intermediate Players (+Free Audio)


ausgezeichnet

Reise durch die Welt der Musik
Diese 65 Klavierstücke sind tatsächlich Meisterstücke aus 5 Jahrhunderten, von den Barockgrößen Bach, Händel und Vivaldi über die Klassiker Mozart und Beethoven, dann über die Romantik von Schumann, Tschaikowski und Mendelssohn zu Debussy und Prokofjew und schließlich zum Jazz-Standard von Scot Joplin. Viele bekannte Stücke stehen neben unbekannteren Werken, was eine gelungene Mischung darstellt. Es sind Bearbeitungen z.T. schwierigerer Originalversionen oder auch von Streichquartetten, Teilen aus Sinfonien oder einzelne Variationen wie z.B. „Die Moldau“, ein Tanz aus dem Ballett „Romeo und Julia“ oder ein Abschnitt der „Mondscheinsonate“.
Für den Pianisten hat diese Sammlung alles, was das Herz begehrt – gut spielbare Sätze mit Hilfen beim Fingersatz, ein leicht lesbares Notenbild, einen mittleren Schwierigkeitsgrad, wunderschöne Musik, die zum Vorspielen bei unterschiedlichen Anlässen bestens geeignet ist. Die Stücke sind effektvoll gesetzt, das klare, übersichtliche Notenbild erleichtert das Spiel, und sie sind auch für das Vom-Blatt-Spiel bestens geeignet.
Als Zusatz gibt es die Möglichkeit, sich die Audio-Dateien, von einem professionellen Pianisten eingespielt, herunterzuladen, was beim Lernen und Üben helfen und unterstützen kann.
Eine klare Empfehlung, besonders auch für junge Menschen, die die Schönheit der „klassischen Musik“ gerade kennenlernen – diese Mischung kann bereichern und sie lädt zum Entdecken und Verzaubern ein.

Bewertung vom 16.06.2023
Die schlafenden Geister des Lake Superior (MP3-CD)
Aaronovitch, Ben

Die schlafenden Geister des Lake Superior (MP3-CD)


gut

Die Geschichte um die kluge und toughe Agentin Kimberley ist von Magie und Übernatürlichem geprägt – Eismonster, die plötzlich in der Kälte auftauchen, verzauberte Seenlandschaften, ein Hotel, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht und eine Expedition, bei der vor hunderten von Jahren ein großes Unglück passiert sein muss, denn keiner der Forscher ist je zurückgekehrt. Das FBI ist involviert, aber die Aktenlage sieht nicht gut aus; es gibt einen mysteriösen Anruf eines ehemaligen Agenten, eine Person verschwindet, Kreaturen, die entfernt an Tiere erinnern tauchen auf, die Natur spielt verrückt – da kann nur Kimberley helfen und mit ihrer unkonventionellen Herangehensweise, ihrem Mut und Charme überwindet sie viele Gefahren und Herausforderungen und auch das Herz kommt nicht zu kurz.
Die Geschichte ist spannend, voller Einfälle und ich mag die originelle Heldin, dennoch bin ich leider etwas enttäuscht, denn ich wurde nicht richtig gepackt. Der Erzählstil ist mir zu umständlich und langatmig, zu viele Details und Nebensächlichkeiten werden viel zu genau beschrieben. Diese Methode erinnert mich an Sherlock Holmes, aber da machen die genauen Beobachtungen einen Sinn und ergeben häufig des Rätsels Lösung.
Das Cover gefällt mir sehr gut - die Schrift ist schön, alt, verschnörkelt, etwas geheimnisvoll und dann gibt es viel zu entdecken, man muss genau hinsehen, dann erkennt man den röhrenden Hirsch, den heulenden Wolf, den grimmigen Geist aus Rauch in der Schneekugel, das untergehende Schiff und die Hand eines Skeletts, das den Kaffeebecher hält. Schön, witzig, etwas makaber – auf alle Fälle sehr gelungen.
Vielleicht ist dieser Fantasy-Krimi aber eher für Jugendliche geeignet, die den ersten Band schon gelesen haben, denn dann ist der Einstieg in die Geschichte und das Setting leichter.

Bewertung vom 02.06.2023
Clementine
Walden, Tillie

Clementine


gut

Endzeitstimmung, jeder gegen jeden – ein Szenario wie aus einem Horrorfilm.
Es wird gestochen, gebissen, geheult und gestöhnt, gepfählt und es tropft Blut. Die letzten Tage sind gekommen, die Erde ist von Zombies bevölkert und nur noch wenige Menschen existieren, immer auf der Hut vor ihren entsetzlichen Feinden. Clementine, die jugendliche Heldin des Romans, hat eine Aufgabe zu erfüllen, und wir begleiten sie auf ihrer Reise in den Norden, ohne zu wissen, was es dort gibt, wen sie treffen möchte, ohne Verständnis für die Gefahren, in die sie sich begibt. Warum bleibt sie nicht in der kleinen Stadt, ein sicherer Hafen mit Menschen, die ihr wohlgesonnen scheinen?
Aber es gibt noch mehr Fragen, die offen bleiben. Wieso? Warum? Wie hat sie ihren Unterschenkel verloren und warum hat sie diese seltsame Prothese? Was ist mit ihrer Familie passiert? Was will sie im Norden? Was für ein Ziel verfolgt sie?
Es geht unglaublich düster in dieser Graphik-Novel zu und Lichtblicke gibt es kaum. Die Zeichnungen von Tillie Walden sind sehr eindrücklich und gekonnt gestaltet, aber sie zeigen auch jeden Schrecken im Detail, auf jeder Seite wird gekämpft und gelitten und der Tod wartet nur auf seinen Augenblick. Das subtile Grauen, das wir aus H. P. Lovercrafts Romanen kennen, zeigt sich hier nicht. Auch das wohlige Gruseln eines E. A. Poes hat mich bei dieser Lektüre nicht erfasst – stattdessen nur Gewalt, Brutalität, Grimm und Niedertracht. Nihilismus auf jeder Seite des Buches – das ist mir zu viel, eine Geschichte wie ein Splattermovie – nichts für schwache Nerven!

Bewertung vom 02.06.2023
Dunkelzeit
Flanagan, Erin

Dunkelzeit


ausgezeichnet

Eine Kleinstadt im Nirgendwo in den USA, jeder kennt jeden, man feiert, trinkt und arbeitet gemeinsam, teilt Freundschaften, gemeinsame Erlebnisse, die Highlights des Jahres, Erntedankfest, Weihnachten, Taufe und Konfirmation, aber auch Neid, Missgunst und Eifersucht. Atmosphärisch dicht wird in Erin Flanagans Kriminalroman „Dunkelzeit“ diese Gemeinschaft beschrieben, die sich elementar aufeinander verlässt, die aber auch immer wieder mit den eigenen Sehnsüchten und Träumen, die nicht erfüllt werden können, zu kämpfen hat.
In dieser Situation verschwindet plötzlich Peggy, Teenager und Milos Schwester, verliebt, sportlich, hübsch, angehimmelt von vielen, Cheerleaderin und It-Girl. Die ganze Stadt wird aus ihrer Lethargie gerissen und schnell legt man sich auf den Schuldigen fest: Hal, ein junger Mann, der nicht der Norm entspricht, geistig beeinträchtigt ist und dem man jetzt alles zutraut. Es ist einfach, einen Täter im Blick zu haben, jeder scheint mit dieser einfachen Lösung zufrieden zu sein. Aber es gärt im Untergrund, Gräben tun sich auf und die Außenseiter Alma und Clyle versuchen, ihrem Schützling beizustehen und der Wahrheit ans Licht zu verhelfen. Aber was ist wahr? Vorurteil? Was ist gesicherte Realität? Nicht nur Hal verstrickt sich in Lügen und Widersprüche. Nichts ist mehr, wie es einmal war, die Idylle ist zerstört.
Dieser Krimi beschreibt die Charaktere detailliert und eindrücklich und die vergessenen Träume und Wünsche der Protagonisten spielen eine wesentliche Rolle: unerfüllte Mutterschaft, missglückte Emanzipationsversuche, aggressives Machoverhalten. Besonders die Frauen haben es in dieser traditionellen, unterschwellig frauenverachtenden Umgebung schwer. Und trotzdem halten diese nicht zusammen, sondern begegnen sich eher als Konkurrenz und beäugen sich skeptisch als Rivalinnen.
„Dunkelzeit“ ist kein typischer Thriller, dafür aber eine interessante Charakter- und Gesellschaftsstudie, spannend und unterhaltsam, sprachlich anspruchsvoll.
Ein aufschlussreicher Blick auf die fehlende Emanzipation der 80-ger Jahre auf dem Land in den USA, traurig, trostlos, männerdominiert - ich würde es Peggy, Alma und den vielen anderen wünschen, dass sie ihre Träume verwirklichen und neuen Wege wagen könnten.

Bewertung vom 13.05.2023
Schreibwelten
Johnson, Alex

Schreibwelten


ausgezeichnet

Eine wunderschöne, besondere Form der Büchergeschichte bzw. der Geschichte der Autoren über 500 Jahre Weltliteratur, die Alex Johnson in seinem Werk „Schreibwelten“ verfasst. Ein Sachbuch, das alle Vorstellungen von einem Sachbuch sprengt, eher ein Teppich aus 1001-Nacht, gewebt aus bunten Farben, Illustrationen, unterschiedlichen Ornamenten und Bildern. Geschichten werden erzählt, es wird bestens unterhalten, man möchte tiefer eintauchen in diese vergnüglichen, skurrilen und erstaunlichen Anekdoten über Autorinnen und Autoren vor allem aus dem englischsprachigen Raum. Und am liebsten möchte man gleich „Mrs. Dalloway“, „The Picture of Dorian Grey“, „Lolita“ oder „Ullyses“ aus dem Regal ziehen und mit dem Schmökern und Wieder-Entdecken beginnen.
Die Liebe und Leidenschaft zur Literatur, zum Entstehungsprozess von Romanen, die Besonderheiten beim Schreiben stehen im Zentrum und man möchte verweilen, überspringen, eintauchen, entschlüpfen, sehen, staunen. Das Sammelsurium regt zum Blättern und Vertiefen ein, kein Buch, das von vorne bis hinten in einem durchgelesen werden sollte, sondern ein Buch wie ein Spaziergang, wie eine Reise, bei dem Abkürzungen und Pausen gewählt und gewährt werden können.
Das Buch regt die Sinne und den Intellekt auf wunderbare Weise an, da es die Liebe zum Schreiben und zum Buch zum Thema macht, bekannte Größen vor allem der angelsächsischen und amerikanischen Literaturgeschichte stehen neben einigen Franzosen, einem Russen und einem berühmten zeitgenössischen Japaner. Leider sind keine deutschsprachigen AutorInnen dabei – aber vielleicht wäre das ein großartiges neues Projekt?
Augen und Herzen werden geöffnet und der Horizont erweitert - eine klare Stöber- und Leseempfehlung für alle Bücherfreunde!

Bewertung vom 06.05.2023
°C - Celsius
Elsberg, Marc

°C - Celsius


sehr gut

Rasanter Umweltthriller, ein multiperspektivischer Pageturner, der die Schrecken einer Zukunftsvision beleuchtet.
Mit einem fulminanten Einstieg beginnt der Roman: Ufos am Himmel, die einem Science-Fiction-Film zu entspringen scheinen, verwirren und erschrecken die ganze Welt, sobald einzelne kleine Videos von Beobachtern online gestellt werden. Nichts ist mehr, wie es war, alles wird sofort unterbrochen und der Notstand eingeleitet. Kann ein Weltkrieg in letzter Minute gerade noch verhindert werden?
Die Frage steht zwangsläufig im Raum, wie aussichtslos und gefährlich die reale Situation ist: Auf welches Szenario steuern wir zu, was kann jede(r) einzelne noch tun, um den Supergau zu verhindern.
Der Roman beleuchtet die unterschiedlichen Interessen von Milliardären, UNO-Wissenschaftlern, Politikern, Generälen, Klimaaktivisten und Unternehmern
fesselnd und über weite Strecken liest er sich rasant und schnell. Ich liebe dieses bunte Stimmengewirr, diese unterschiedlichen Perspektiven vom Mount Everest, aus Amerika, Deutschland, Demonstranten, Polizei, der Präsident der Vereinigten Staaten, Verteidigungsminister, Wissenschaftler und Journalisten kommen zu Wort. Teilweise wird allerdings zu detailverliebt und wissenschaftsorientiert beschrieben, was genau beim großen Sonnenschirm, eine Form des Geo-Engeneering, passiert, zu viele Fakten und Aufklärung, worunter die Fiktion, das Emotionale, Mitreißende, der Plot des Thrillers, etwas leidet.
Aber dennoch werden viele Anstöße zum Nachdenken gegeben, Augen geöffnet, Aufklärung betrieben und auf hohem Niveau unterhalten. Der Roman liefert spannende Unterhaltung plus Wissensvermittlung, was sicherlich besonders für naturwissenschaftlich interessierte Leser reizvoll ist. Fiktion plus Realität stehen im Zentrum sowie die allgegengewärtigen, weltumspannenden Gefahren im Rahmen der Klimakrise, die die Krise zwischen den Atommächten verschärft.
Fundiert recherchiert bietet Erfolgsautor Marc Elsberg einen aktuellen Sci-Fi-Thriller, bei dem es um das Große und Ganze geht und unsere Zukunft zur Debatte und auf dem Spiel steht – spannend, informativ und gekonnte Unterhaltung mit dem Gedankenspiel „Was wäre wenn...“.

Bewertung vom 01.05.2023
Polnischer Abgang
Hoffmann, Mariusz

Polnischer Abgang


sehr gut

Kurz nach der Wende kommt Jarek, ein 14-jähriger Pole, mit seinen beiden Eltern aus einem polnischen Dorf nach Deutschland – unser Held, Ich-Erzähler, Sympathieträger, Sprachrohr und Vermittler. Durch seinen relativ neutralen Blick werden die Absurditäten und die Unverhältnismäßigkeit der Bürokratie, die Schikanen und Probleme, Schwierigkeiten und auch die skurrilen Momente deutlich und ich habe mit dem Kopf geschüttelt, gelacht oder war verärgert über das, was die Familie erleben musste und war immer dicht am Geschehen.
Eine durchweg sympathische, warmherzige Familie, die ihren Sohn liebt, die sich in Deutschland ein besseres Leben erhofft und vieles daransetzt, sich zu integrieren und den Sprung in die neue Welt zu schaffen.
Aber ein Geheimnis gibt es trotzdem und das hat mit Oma Agnieszka zu tun, die schon früher nach Hannover ausgesiedelt ist. Aber warum? Ohne es ihrem Mann oder ihren Söhnen mitzuteilen, war sie eines Tages verschwunden und Jarek vermisst seine resolute und tatkräftige Oma sehr. Warum nutzt die Familie jetzt ihre Einladung, um selbst auszuwandern, fährt dann aber gar nicht zu ihr in den Norden, sondern erstmal nach Hamm, dann nach Unna.
Auf der Reise begegnen ihnen ganz unterschiedliche Menschen, mit denen sie z.T. ihr Leben teilen, auf engstem Raum gemeinsam wohnen, um sich dann aber kurz später wieder aus den Augen zu verlieren.
Themen sind Auswanderung, das Fortgehen und das Ankommen, die Suche nach Sicherheit und der Wunsch nach einem besseren Leben in Freiheit, wirtschaftlichem Erfolg und ohne Repressionen, es geht auch um Diskriminierung, Vorurteile und Erwachsenwerden, um Liebe und Freundschaft, Familie, Zusammenhalt, alte Zwänge und neue Möglichkeiten.
Der Roman liest sich flüssig und spannend, mir macht das Lesen unglaublich viel Spaß – der Duktus ist lustig und voller Situationskomik, aber natürlich werden immer wieder düstere Themen angesprochen und aus Kinderperspektive erklärt bzw. beschrieben. Mir öffnen sich die Augen und viele von den Problemen werden für mich erst jetzt deutlich erkennbar, ein Buch, das Grenzen überwinden und Verständnis für die Schwierigkeiten und Unabwägbarkeiten en passant vermitteln kann.

Bewertung vom 23.04.2023
Nach einem Traum
Schad, Gina

Nach einem Traum


gut

Es ist, was es ist...
Eine App, mithilfe derer man immer weiß, wo der Partner sich gerade befindet – Notwendig? Sinnvoll? Wichtig? Für Paare, die sich vertrauen oder eher für Paare, die an der Treue des anderen zweifeln?
Diese App wird auch Thema im Roman „Nach einem Traum“ von Gina Schad und regt in jedem Fall zum Nachdenken an.
A la Brecht – „Arm das Land, das Helden nötig hat“, kann man Parallelen ziehen: „Arm die Liebesbeziehung, die eine solche App nötig hat“. Aber ist es überhaupt Liebe, was Marie und Simon miteinander verbindet? Muss Liebe körperlich gelebt werden? Kann sie sich auf mehrere Partner verteilen? Hat sie im Roman eine Zukunft?
Marie kann sich ein Leben ohne Simon nicht mehr vorstellen, ihre Gedanken kreisen ständig um ihn und sie vernachlässigt Freundschaften, Hobbys und schlägt sogar ein verlockendes Jobangebot in einer anderen Stadt aus. Das ist eine einseitige, toxische Liebe, die jeder Hoffnung auf Verwirklichung in der Realität entbehrt. Wir verhält sich der idealisierte Simon, der mit Frau und Familie immer betont, sein jetziges Leben nicht verändern oder gefährden zu wollen, andererseits ihr aber immer wieder auch Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft macht und sie mit seiner Zeit und Aufmerksamkeit beschenkt.
Dies ist ein moderner Lieberoman, bei dem die Frage nach der Trennung bzw. dem Happy-End ständig wie ein Damokles-Schwert über Marie hängt, ein moderner Briefroman, bei dem Kurz-Botschaften über das Handy ein Großteil der Kommunikation ausmachen.
Genauso verkürzt, nebensächlich, unverfänglich wie die Messages ist auch der emotionale Gehalt des Kurzromans.
Mein Mitleid mit Marie und Simon hält sich in engen Grenzen, eine Identifikation stellt sich selten ein und unerfüllte Sehnsucht nach Nähe, Kommunikation und wahrer Begegnung bilden die emotionale Grundstimmung. Flüssig und interessant zu lesen lässt mich dieser Kurzroman trotzdem etwas ratlos zurück. Die Protagonisten handeln allesamt unvernünftig, sie schaden sich selbst und stehen ihrem Glück im Weg. Es gibt keine Entwicklung der Charaktere und auch kein fulminantes Ende am Schluss, eventuell eine Warnung vor den unbegrenzten Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, aber das ist mir zu wenig.