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Ste

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Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 27.04.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


sehr gut

Geschichten, Geschichten und wieder Geschichten

Inhalt: Harvard in den 1990ern. Sam und Sadie waren in ihrer Jugend mal beste Freunde – doch dann hat Sadie etwas in Sams Augen Unverzeihliches getan. Mittlerweile ist Sam seiner ehemaligen besten Freundin fast zehn Jahre erfolgreich aus dem Weg gegangen. Doch plötzlich steht Sadie in einer U-Bahn-Station vor ihm, und drückt ihm nach einem kurzen Gespräch eine Diskette mit einem von ihr programmierten Computerspiel in die Hand. Zunächst zögert Sam, spielt es dann aber doch – und ist begeistert. So begeistert, dass er Sadie vorschlägt, gemeinsam Computerspiele zu produzieren.

Persönliche Meinung: „Morgen, morgen und wieder morgen“ ist ein Coming of Age-Roman von Gabrielle Zevin. Inhaltlich dreht sich der Roman um Freundschaft, die Liebe, Hoffnungen, Enttäuschungen, Erfolg und Scheitern. Dies alles spielt sich vor dem zeitlichen Hintergrund der 90er und 2000er ab, sodass sich viele popkulturelle Referenzen zu diesen Zeiten im Roman finden. Hauptaugenmerk ist dabei die Gaming-Szene dieser Jahre: Sam und Sadie haben in ihrer Kindheit/Jugend bereits viel gemeinsam gezockt; nun wollen sie ihr Hobby zum Beruf machen. Zu Beginn des Romans spielen dementsprechend auch eher technische Aspekte der Spieleentwicklung eine größere Rolle. Dies legt sich aber nach den ersten hundert Seiten: Verstärkt werden die Games, die Sam und Sadie programmieren, als Geschichten verstanden, deren Handlungsverläufe im Roman durchdacht, diskutiert und kritisiert werden (man könnte den Roman auch „Geschichten, Geschichten und wieder Geschichten“ nennen 🙃). Dementsprechend spielt das „Erschaffen“ von Erzählungen und Erzählwelten in „Morgen, morgen und wieder morgen“ eine große Rolle. Die auftretenden Figuren, allen voran Sadie und Sam, besitzen Ecken und Kanten: Mal kann man sich mit ihnen identifizieren, mal fällt – durch bestimmte Handlungen – das Sympathisieren schwer, früher oder später kann man aber immer ihr Verhalten zumindest nachvollziehen. Erzählerisch ist der Roman brillant: Hauptsächlich wird die Handlung von einem allwissenden Erzähler erzählt, der meist in die personalen Perspektiven von Sam und Sadie schlüpft und auch mal foreshadowing betreibt, allerdings finden sich immer wieder alternative erzählerische Kniffe. So begibt sich der Erzähler bspw. in einem Kapitel in eine Parallelwelt, in einem anderen Kapitel hingegen wird erzählerisch die Arbeitsweise von Sam und Sadie nachgebildet. Erzählerisch wie inhaltlich mein liebstes Kapitel ist „Der NPC“: Dies wird aus der Du-Perspektive erzählt, wodurch die Distanz zwischen Erzählfigur und Leser*in schrumpft; zugleich ist es hochemotional, tragisch und in Bezug auf das Tempo perfekt erzählt (ohne Witz: Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich beim Lesen dieses Kapitels keine Tränen in den Augen hatte). Wirklich ein kleines Meisterstück! Insgesamt ist „Morgen, morgen und wieder morgen“ ein anschaulich geschriebener, interessant erzählter Coming of Age-Roman mit einigen unerwarteten Wendungen. Zwar steht die Gamingwelt im Fokus, allerdings können auch Lesende, die eigentlich nichts mit Games am Hut haben, ihre Freunde an „Morgen, morgen und wieder morgen“ haben, da Spiele hier als Geschichten/Erzählungen (wie man sie auch in Büchern findet) verstanden werden.

Bewertung vom 25.04.2023
Wir Verratenen
Taysen, Jana

Wir Verratenen


ausgezeichnet

Ein vielschichtiger, schön geschriebener Roman, der sich durch lebendige Figuren auszeichnet

Vorab: „Wir Verratenen“ ist der finale Band der „Wir Verlorenen“-Trilogie. Es finden sich in der Rezension daher leichte Spoiler zu den Vorgängerbänden. Weiterlesen erfolgt auf eigene Gefahr 🙃

Inhalt: Die Gefahr scheint gebannt: Nach Jahren des blanken Überlebenskampfes hat Smilla den sicheren Hafen Brüssel gefunden. Dort versuchen die Überlebenden der Plage eine neue, friedliche sowie gerechte Gesellschaft aufzubauen. Doch: So sehr Smilla es auch wünscht, das Leben ist nicht mehr so unbeschwert wie noch vor der Plage. Die Traumata, die die letzten Jahre ausgelöst haben, zeigen sich, jetzt, wo die existenzielle Gefahr bewältigt ist, mit voller Wucht. Zugleich wird in jüngster Zeit auch die fragile Sicherheit, die in Brüssel herrscht, bedroht. Einerseits übt die Untergrundorganisation Magnolia Anschläge auf das Gemeinwesen aus, andererseits häufen sich mysteriöse Todesfälle in der Stadt…

Persönliche Meinung: „Wir Verratenen“ ist ein dystopischer Roman von Jana Taysen. Die Handlung des Romans ist in sich abgeschlossen und zu Beginn wird man kurz up to date gebracht, was in den vorherigen Bänden passiert ist, sodass man „Wir Verratenen“ auch ohne Kenntnis der Vorgänger lesen kann. Für ein tieferes Verständnis der Figurenbeziehungen ist es aber natürlich sinnvoll, die Bände chronologisch zu lesen (kennt man die Geschichten der Figuren, ist außerdem das Mitfiebern größer und bestimmte Situationen/Ereignisse treffen eine*n während des Lesens tiefer). Erzählt wird die Handlung – wie schon die Vorgänger – aus der personalen Perspektive von Smilla, die sich nun, gemeinsam mit Jera, Julius, Giorgio und Nadja, in Brüssel in (relativer) Sicherheit befindet. Allerdings hat der Überlebenskampf der vergangenen Jahre seine Spuren hinterlassen: Alte, schlecht verheilte (mentale) Wunden reißen unvermittelt auf und die Protagonisten müssen sich nun verstärkt mit psychischen Verletzungen auseinandersetzen. Die daraus resultierenden Konflikte (innerlich und zwischen den Figuren) werden anschaulich, authentisch und mit einer sehr großen Intensität nachgezeichnet. Ebenfalls sehr schön in Bezug auf die Figurenzeichnung ist, dass die Figuren nicht nach einem einfachen Schwarz-weiß-Schema funktionieren: Sie weisen insgesamt in ihren Gedanken und Handlungen Schattierungen auf, sodass sie sich nicht zwangsläufig nach „Gut“ und „Böse“ differenzieren lassen. So vielschichtig die auftretenden Figuren sind, so vielfältig ist auch die Handlung von „Wir Verratenen“: Der Roman vereint unterschiedliche Genres in sich. Es finden sich – neben der Dystopie – eine Liebesgeschichte, Elemente von Abenteuer- und Spannungsromanen, ein Hauch Coming of Age und Anleihen eines Gesellschaftsromans (das hört sich jetzt vielleicht alles nach „viel“ an, aber keine Sorge: Die unterschiedlichen Gattungselemente sind wohldosiert; die Handlung ist stimmig und nicht überfrachtet). Eine weitere Stärke des Romans ist seine diskursive Offenheit: Innerhalb von „Wir Verratenen“ werden einzelne Themenfelder (bspw. die Frage nach der „richtigen“ Gesellschaftsordnung) diskutiert, ohne – und das ist das Besondere – dass den Lesenden eine Meinung aufgedrängt wird; was er*sie über die Meinungen der Figuren denkt, wird letztlich ihm*ihr überlassen (der wirklich gelungene Epilog setzt hier quasi auf einer Metaebene nochmal eins drauf). Für Spannung innerhalb des Romans sorgen besonders die großen Fragen, wer hinter Magnolia steckt und was es mit den mysteriösen Todesfällen auf sich hat. Auf dem Weg zur Beantwortung dieser Fragen finden sich immer wieder unerwartete Wendungen, auf die ich hier aber nicht näher eingehen möchte 🙃 Der Schreibstil von Jana Taysen ist anschaulich, bildhaft und lässt sich sehr angenehm lesen. Insgesamt ist „Wir Verratenen“ ein vielschichtiger Roman, der eine spannende sowie emotionale Handlung besitzt und mit lebendig ausgestalteten Figuren auftrumpft – ein wirklich schöner Abschluss der „Wir Verlorenen“-Trilogie.

Bewertung vom 03.04.2023
Hinter Liebfrauen
Bekeschus, Mario

Hinter Liebfrauen


ausgezeichnet

Ein spannender Regionalkrimi mit viel Lokalkolorit und tollen Figuren

Inhalt: Eigentlich sollte sich Kommissar Wim Schneider nach überstandener OP auf Kur in Bad Harzburg erholen. Doch als eine Angestellte der Klinik auf ungeklärte Weise verunglückt, kann Wim die Füße nicht mehr stillhalten und beginnt im Geheimen seine Ermittlungen. Ein paar Dutzend Kilometer weiter nördlich ermittelt auch die braunschweigische Kommissarin Rosalie Helmer in einem neuen Fall: Ein Mann ist von einem Hochhaus gestürzt – und auch hier ist zweifelhaft, ob es sich tatsächlich um einen Unfall handelt…

Persönliche Meinung: „Hinter Liebfrauen“ ist ein Regionalkrimi von Mario Bekeschus. Nach „Gaußberg“ ist es der zweite Niedersachsen-Krimi um den Kommissar Wim Schneider. Da der Fall von „Hinter Liebfrauen“ in sich abgeschlossen ist, kann der Krimi auch ohne Kenntnis des ersten Bandes gelesen werden; für ein tiefergehendes Verständnis der Figurenbeziehungen ist es aber natürlich sinnvoll, die Bände chronologisch zu lesen. Grob gesagt, lässt sich der Krimi in zwei Handlungsstränge einteilen: Während Wim in Bad Harzburg den Tod der Angestellten der Kurklinik untersucht, versucht Rosalie in Braunschweig das Schicksal des gestürzten Mannes zu klären. Dabei gibt es zwischen den beiden Handlungssträngen immer mal wieder Berührungspunkte. Erzählt wird „Hinter Liebfrauen“ aus einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven. So werden, um nur ein paar zu nennen, die personalen Sichtweisen von Wim, Rosalie und Mads, einem neuen Kollegen von Rosalie, eingenommen (daneben spielen auch die Perspektiven von verschiedenen Figuren eine Rolle, die in unterschiedlicher Weise in den jeweiligen Fall involviert sind. Um wen genau es sich handelt, möchte ich hier nicht spoilern 🙃). Generell ist für mich eine große Stärke des Krimis, dass – neben dem eigentlichen Kriminalfall – auch das (Privat-)Leben der Hauptfiguren eine wichtige Rolle spielt. Dieses ist authentisch dargestellt und nicht immer konfliktfrei, was einerseits dazu führt, dass die Figuren eine größere Tiefe, Individualität und Lebendigkeit erhalten. Andererseits sorgt dies dafür, dass auf einer weiteren Ebene – zusätzlich zur eigentlichen Krimihandlung – Spannung(en) und ein Mitfiebern während des Lesens entstehen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven ist die Handlung zudem abwechslungsreich und besitzt ein schönes Tempo. Zu dem Fall (oder den Fällen?) von „Hinter Liebfrauen“ möchte ich gar nicht so viel vorwegnehmen. Nur: Er ist spannend, wendungsreich und besitzt einen schönen Komplexitätsgrad. Gleichzeitig berührt er ein Thema, das eine große gesellschaftliche Relevanz besitzt (zwecks Spoilervermeidung möchte ich hier nicht näher ins Detail gehen). Zudem trumpft „Hinter Liebfrauen“ mit einer gehörigen Portion Lokalkolorit auf: Beide Handlungsorte – Braunschweig und Bad Harzburg – werden in ihren Besonderheiten anschaulich beschrieben (kleine persönliche side note: Am coolsten fand ich, dass Wim im Harz eine Route wandert, die ich auch schon gewandert bin 😀). Der Schreibstil von Mario Bekeschus lässt sich angenehm und flüssig lesen, sodass man durch die Seiten von „Hinter Liebfrauen“ fliegt. Insgesamt ist „Hinter Liebfrauen“ ein spannender sowie komplexer Regionalkrimi, der mit schön ausgestalteten Figuren und Lokalkolorit auftrumpft.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.04.2023
Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen
Onda, Riku

Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen


sehr gut

Ein spannender, verschachtelter Roman mit vielen Wendungen

Inhalt: Aki und Hiro verbringen ihre letzte Nacht in der gemeinsamen Wohnung in Tokio. Lange verspürten sie eine tiefe Verbundenheit, doch diese zerbrach nach einer Bergwanderung: Ihr Bergführer verunglückte während der Wanderung auf unerklärliche Weise – und nun verdächtigen Aki und Hiro sich gegenseitig, einen Mord begangen zu haben. In der letzten Nacht in ihrer Wohnung wollen beide klären, was bei der Bergwanderung geschah, doch während ihres Gesprächs offenbaren sich noch ganz andere Wahrheiten…

Persönliche Meinung: „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“ ist ein Spannungsroman der japanischen Autorin Riku Onda. Der gesamte Roman hat die Struktur eines Kammerspiels: Er spielt in einer Nacht an einem begrenzten Handlungsort – der leergeräumten Wohnung – und kommt mit wenigen Figuren aus. Erzählt wird die Handlung wechselweise aus den Ich-Perspektiven von Aki und Hiro, deren Gespräch einen Hauptteil der Handlung ausmacht. In diesem blicken sie auf den Tag des Unglücks zurück, befruchten sich permanent gegenseitig, sodass bei ihnen Erinnerungen auftauchen, die sie bis dato verdrängt hatten. Diese Erinnerungen führen dazu, dass der (ohnehin schon fragile) Zustand ihrer Beziehung immer wieder neu hinterfragt bzw. definiert wird. Die Handlung des Romans entfaltet sich zunächst eher behutsam, bis es nach ca. 50 Seiten zur ersten größeren Wendung kommt; danach nimmt der Twist-Takt zu. Zudem zeichnet sich der Roman durch eine latente Spannung aus, die besonders durch den uneindeutigen und unterschwellig bedrohlichen Charakter der Beziehung von Aki und Hiro aufkommt. Man kann sich die Handlung insgesamt wie eine Matrjoschka-Puppe vorstellen: Augenscheinlich wollen Aki und Hiro nur klären, wie es zu dem Unfall kam, doch jede Antwort/Erkenntnis führt zu einer neuen Frage, die die beiden beantworten müssen – bis sie sich letztlich zum wahren Kern vorgearbeitet haben. Die Richtung, in die sich die Handlung bewegt, ist dabei völlig unvorhersehbar. Der Erzählstil von „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“ ist angenehm behutsam; er bildet das vorsichtig tastende Verhalten von Aki und Hiro perfekt ab. Insgesamt ist „Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen“ ein spannender, kammerspielartiger Roman, der besonders durch seinen verschachtelten Aufbau und seine unerwarteten Wendungen besticht.

Bewertung vom 28.03.2023
Wolfskinder
Buck, Vera

Wolfskinder


ausgezeichnet

Ein fesselnder und atmosphärischer Thriller

Inhalt: Jesse und Rebekka sind in Jakobsleiter, einer versteckt in den Bergen liegenden Siedlung, großgeworden. Das Leben dort scheint aus der Zeit gefallen: Die Dorfbewohner sind Selbstversorger, tiefreligiös, lehnen jedweden technischen Fortschritt ab und leben mit den Widrigkeiten der Natur. Den beiden Jugendlichen ist während ihrer gesamten Kindheit eingebläut worden, dass in der Stadt das „Böse“ lauere. Doch anders als für Jesse ist Jakobsleiter für Rebekka zu eng geworden; trotz aller Warnungen will sie in die Stadt. Aber: Ehe Jesse und Rebekka ausführlich über Rebekkas Plan reden können, ist sie plötzlich spurlos verschwunden. Und damit ist sie nicht die Einzige. Immer wieder verschwinden in den Bergen rund um Jakobsleiter Frauen, wie die Journalistin Smilla recherchiert hat. Allerdings schenkt ihr niemand glauben; ihre Rechercheergebnisse werden als Phantastereien abgetan – bis sie auf Beweise stößt, die ein wohlgehütetes Geheimnis offenbaren...

Persönliche Meinung: Puh, ich habe jetzt lange darüber gebrütet, wie ich die Rezension am besten schreiben kann, ohne zu viel zur Handlung zu verraten. Mein Inhaltsteaser zu „Wolfskinder“ greift nämlich eigentlich zu kurz. Die Handlung ist viel komplexer und vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat. Denn: „Wolfskinder“ wird in mehreren, sich abwechselnden Handlungssträngen aus fünf verschiedenen Ich-Perspektiven erzählt. Eigentlich würde ich gerne zu jedem Handlungsstrang etwas schreiben, weil jeder Strang seinen ganz eigenen Reiz und eine besondere Spannungskurve besitzt; das würde allerdings zu sehr spoilern. Seht mir daher nach, wenn ich im Folgenden inhaltlich etwas vage bleibe. Ist nur zu eurem besten 🙃 Also dann, los geht’s. „Wolfskinder“ ist ein Thriller von Vera Buck, der durch seine unterschiedlichen Handlungsstränge eine fesselnde wie abwechslungsreiche Lektüre ist. Die zwei Haupthandlungsstränge drehen sich jeweils um die Suche nach einer vermissten Person: Während Jesse sich auf der Suche nach Rebekka befindet, treibt Smilla ein „Cold Case“ um: Vor 10 Jahren ist ihre beste Freundin Juli verschwunden, als die beiden in den Wäldern um Jakobsleiter campten. Die Handlung ist – über die einzelnen Handlungsstränge hinweg – sehr spannungsreich: Viele der auftretenden Figuren sind undurchsichtig, scheinen irgendein Geheimnis zu verbergen, sodass die Zahl der potentiellen Verdächtigen in Bezug auf die Vermisstenfälle hoch ist. Auch Jakobsleiter und die die Siedlung umgebenden Wälder sind geheimnisumwittert: Irgendwas scheint mit dieser Siedlung nicht ganz richtig zu sein, ohne dass man es (zu Beginn) wirklich greifen könnte. Zudem durchzieht die gesamte Handlung ein Hauch Mystery. Das Erzähltiming in „Wolfskinder“ ist wirklich perfekt: In bester slow burn-Manier erfährt man nach und nach immer mehr über Jakobsleiter, die Figuren und die Vermisstenfälle, ohne dass auf einen Schlag zu viel preisgegeben wird. Dementsprechend überraschend ist auch die Auflösung der Handlung, die mit einem (zweifachen) Twist besticht. Der Schreibstil von Vera Buck ist anschaulich und bildreich, sodass während der Lektüre eine dichte Atmosphäre der Düsternis und Bedrohlichkeit entsteht. Insgesamt ist „Wolfskinder“ ist ein fesselnder Thriller, der mit undurchsichtigen Figuren, einer düsteren Atmosphäre und einem tollen Erzähltiming auftrumpft.

Bewertung vom 24.03.2023
Haus der Stimmen
Carrisi, Donato

Haus der Stimmen


ausgezeichnet

Ein Thriller mit Sogwirkung, den man kaum beiseitelegen kann

Inhalt: Eigentlich ist Pietro Gerber Kinderpsychologe; mit erwachsenen Patient*innen hat er noch nie gearbeitet. Umso verwundeter ist er, als er plötzlich einen Anruf von einer Kollegin aus Australien erhält, die ihn bittet, eine ihrer Patientinnen zu übernehmen: die 30-jährige Hanna Hall. Hanna ist davon überzeugt, als Kind einen Mord begangen zu haben, doch ihre gesamte Kindheit hat sie nur verwaschen in Erinnerung. Nach anfänglichem Zögern nimmt Pietro Hanna als Patientin an. Gemeinsam reisen die beiden per Hypnose in Hannas Kindheit – doch schnell wird deutlich: Die Therapie wird nicht nur das Leben von Hanna verändern…

Persönliche Meinung: „Haus der Stimmen“ ist ein Thriller von Donato Carrisi. Es handelt sich um den Auftakt einer neuen Reihe, die sich um den Psychologen Pietro Gerber dreht. Erzählt wird die Handlung aus zwei Perspektiven: der personalen Perspektive Pietros und der Ich-Perspektive Hannas. Pietros Perspektive spielt dabei (hauptsächlich) in der Gegenwart. Hier wird einerseits thematisiert, welchen Einfluss die Therapiesitzungen mit Hanna auf ihn haben (die Grenzen zwischen Patient und Psychologe verwischen immer mehr), andererseits spielt in diesem Erzählstrang noch ein weiterer kleiner Fall von Pietro eine Rolle (zu dem ich hier nichts spoilern möchte). Hannas Perspektive ist in der Vergangenheit angesiedelt: Es handelt sich um ihre unter Hypnose getätigte Erzählung ihrer Kindheitserlebnisse. Die Spannungskurve von „Haus der Stimmen“ ist sehr hoch. Dies hängt einerseits mit der Figur Hanna zusammen. Denn: Sie weist Züge einer unzuverlässigen Erzählerin auf, sodass man sie bis zuletzt nicht wirklich einschätzen kann. Sind ihre Abweichungen von der Wahrheit in einem schweren Trauma begründet? Oder verfolgt sie mit ihren Abweichungen eine eigene Agenda, deren Ziel nur sie weiß? Von Hanna scheint permanent eine gewisse Bedrohung für Pietro auszugehen, ohne – und das ist atmosphärisch klasse umgesetzt – dass man die Bedrohung hundertprozentig greifen könnte. Außerdem werden innerhalb der Handlung verschiedene Spannungselemente perfekt gesetzt: Immer wieder finden sich kleinere und größere „Irritationsmomente“, durch die man das zuvor Gelesene neu beurteilt; kaum eine Figur scheint das zu sein, was sie vorgibt (dies gilt neben Hanna besonders für Pietro selbst). Zudem zeichnet sich „Haus der Stimmen“ mit einer Vielzahl unerwarteter Wendungen aus, die in einem großen Twist am Ende der Handlung kulminieren. Der Schreibstil von Donato Carrisi ist sehr flüssig und lässt sich angenehm lesen. Insgesamt ist „Haus der Stimmen“ ein Thriller, der mit einer fesselnden, wendungsreichen und ausgeklügelten Handlung auftrumpft – ein Thriller mit Sogwirkung, den man kaum beiseitelegen kann.

Bewertung vom 24.03.2023
Gib mir deine Angst
Konen, Leah

Gib mir deine Angst


ausgezeichnet

Ein fesselnder Psychothriller mit zwei unzuverlässige Erzählerinnen

Inhalt: Eigentlich wollte Sam mit ihren beiden Freundinnen Margaret und Diana einen entspannten Wochenendausflug in die Adirondacks machen. Alle drei hatten vor Kurzem unschöne Trennungen erlebt und möchten sich von dem Stress, den diese mit sich brachten, erholen. Doch an einer Tankstelle endet die Fahrt unfreiwillig; der Wagen steht still – ausgerechnet in Catskill, wo Sams Ex-Mann mit seiner neuen Partnerin wohnt. Da die Autoreparatur erst am nächsten Tag fertig ist, müssen Sam, Margaret und Diana wohl oder übel die Nacht in Catskill verbringen. Das Beste aus der Situation machend, besuchen die drei das Eamon’s, eine Bar vor Ort. Doch als Margaret und Sam am nächsten Morgen verkatert im Ferienhaus wach werden, ist Dianas Bett unbenutzt – und kurze Zeit später wird eine Leiche in der Nähe des Eamon’s gefunden…

Persönliche Meinung: „Gib mir deine Angst“ ist ein Psychothriller von Leah Konen. Erzählt wird die Handlung wechselweise aus den Ich-Perspektiven von Sam und Margaret, deren Sorgen und Ängste um ihre verschwundene Freundin anschaulich dargestellt werden. Spannung entsteht im Thriller besonders dadurch, dass viele der Figuren Geheimnisse in sich verbergen, sodass man als Lesender nicht genau weiß, wem man vertrauen kann. Das gilt vor allem für die beiden Ich-Erzählerinnen Margaret und Sam: Beide erzählen ihren Freundinnen nicht alles, verdrehen in bestimmten Momenten die Wahrheit und besitzen dadurch jeweils Züge einer unzuverlässigen Erzählinstanz. Dementsprechend schwierig ist es während der Lektüre, die beiden „richtig“ einzuschätzen; vor dem Hintergrund ihrer Verheimlichungen ist man permanent unsicher, wozu die beiden noch fähig sind. Für weitere Spannung sorgen einige in der Handlung platzierte falsche Fährten, die oft mit unerwarteten Wendungen einhergehen. Der Erzählstil von Leah Konen ist sehr flüssig und fesselnd, sodass man einerseits nur so durch die Seiten des Buches fliegt, andererseits den Thriller kaum beiseitelegen kann. Das Ende des Thrillers trumpft mit einem zweifachen Twist auf, der mir insgesamt gut gefallen hat – gleichzeitig blieb für mich aber die Hintergrundgeschichte einer Figur, die bei der Auflösung eine große Rolle spielt, etwas zu sehr im Dunkeln. Insgesamt ist „Gib mir deine Angst“ ein spannender, fesselnd geschriebener Psychothriller, der mir besonders aufgrund seiner beiden unzuverlässigen Erzählerinnen gefallen hat.

Bewertung vom 20.02.2023
Wer die Hölle kennt / Alex Stern Bd.2
Bardugo, Leigh

Wer die Hölle kennt / Alex Stern Bd.2


ausgezeichnet

Eine gelungene Fortsetzung

Vorab: Da es sich bei „Wer die Hölle kennt“ um den zweiten Band der „Alex Stern“-Reihe handelt, finden sich in der Rezension leichte Spoiler zu „Das neunte Haus“, dem ersten Band der Reihe.

Inhalt: Alex und Dawes versuchen das Unmögliche: Sie wollen in die Hölle reisen, um ihren Freund Darlington zu retten, der dort seit einem Jahr festgehalten wird. Dafür müssen sie allerdings zunächst den Ort finden, von dem der Einstieg in die Hölle gelingen kann – was eines der bestgehütetsten Geheimnisse Yales ist. Doch damit nicht genug: Auf dem Campus geschehen Morde, bei deren Aufklärung Alex behilflich sein muss – und plötzlich nimmt auch noch ein unliebsamer Protagonist aus Alex‘ Vergangenheit Kontakt mit ihr auf…

Persönliche Meinung: „Wer die Hölle kennt“ ist ein (Urban)-Fantasyroman von Leigh Bardugo. Er schließt direkt an die Handlung des Vorgängerbandes „Das neunte Haus“ an, sodass es sinnvoll ist, die Reihe chronologisch zu lesen (Man kann den Roman auch ohne Kenntnis des Vorgängers lesen, da alle für das Verständnis nötigen Informationen genannt werden. Allerdings spoilert man sich für die Handlung des ersten Bandes stark). Erzählt wird der Roman bis auf einige wenige Kapitel aus der personalen Perspektive von Alex, die bei Lethe nun unfreiwillig die Rolle des Vergil einnehmen muss. Im Vergleich zum ersten Band ist die Handlung von „Wer die Hölle kennt“ stringenter und linearer. Es existieren weniger Nebenhandlungen (diese nehmen zudem einen kleineren Raum ein); der Fokus liegt auf der Rettung Darlingtons aus der Hölle. Dadurch ist „Wer die Hölle kennt“ zwar nicht so komplex wie „Das neunte Haus“, gleichzeitig aber auch nicht so verwirrend (Zu Beginn von „Das neunte Haus“ hatte ich permanent das Gefühl, nicht alles komplett zu verstehen, was die Lesefreude geschmälert hat. Dieses Gefühl kam bei „Wer die Hölle kennt“ nicht auf). Die Handlung von „Wer die Hölle kennt“ knüpft die offenen Fäden des Vorgängerbandes stimmig und ausgeklügelt weiter (Besonders die spezielle Rolle Darlingtons ist hier klasse). Auch wird sich verstärkt auf einzelne Figuren konzentriert, die bereits im ersten Band aufgetreten sind: Diese Figuren spielen nun eine größere Rolle, wodurch sie insgesamt lebendiger und facettenreicher wirken. Innerhalb der Handlung finden sich einige Krimielemente, viele Rätsel und mehrere Wendungen, sodass „Wer die Hölle kennt“ eine packende Lektüre ist. Das Ende des Romans ist zwar insgesamt nicht ganz so twistig und einschneidend wie das des ersten Bandes, aber trotzdem überraschend. Der Erzählstil von Leigh Bardugo lässt sich flüssig lesen und ist bildhaft sowie detailliert. Insgesamt ist „Wer die Hölle kennt“ eine gelungene und stimmige Fortsetzung von „Das neunte Haus“, die mir im Großen und Ganzen noch eine Spur besser als der erste Band gefallen hat.

Bewertung vom 03.01.2023
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender und wendungsreicher Krimi

Inhalt: Das traditionelle Neujahrsschwimmen im walisischen Cwm Coed wird durch einen Todesfall überschattet: Im See Llyn Drych treibt die Leiche des bekannten Sängers Rhys Lloyd. Da die Leiche vom anderen – englischen – Ufer des Sees stammt, bekommt die walisische Polizistin Ffion Morgan mit Leo Brady einen englischen Kollegen zur Seite gestellt. Schnell stellt sich heraus: Lloyd hat es sich in der Vergangenheit mit vielen Leuten mehr als verscherzt; fast jede*r im Dorf hat ein Motiv für die Tat und die Zahl der potentiellen Verdächtigen ist hoch. Erschwerend kommt hinzu, dass Ffion fast ihr Leben lang in Cwm Coed gelebt hat, wodurch ihr manchmal die nötige Distanz zum Fall fehlt…

Persönliche Meinung: „Die letzte Party“ ist ein Kriminalroman von Clare Mackintosh. Die Handlung des Krimis spielt am fiktiven walisischen See Llyn Drych, durch den sich die walisisch-englische Grenze zieht. Während sich auf walisischer Seite bereits seit unzähligen Jahren das Dorf Cwm Coed befindet, war auf englischer Seite nur Wald – bis dort vor Kurzem auf Betreiben von Rhys Lloyd „The Shore“ gebaut wurde, ein luxuriöses Feriendomizil, das den Bewohnern von Cwm Coed ein Dorn im Auge ist. Die Spannungen zwischen Cwm Coed und The Shore sind schön ausgestaltet und sorgen – zusätzlich zum Mordfall – für Konfliktpotential innerhalb der Handlung. Erzählt wird der Krimi aus einer Vielzahl von (personalen) Sichtweisen: Neben den Hauptperspektiven der beiden Ermittelnden Ffion und Leo werden immer wieder die Perspektiven verschiedener Dorfbewohner/Bewohner von The Shore eingenommen. So schlüpft man u.a. in die Perspektiven von Rhys, seiner Frau Yasmin, seinem Geschäftspartner Jonty, der Postbotin Ceri, dem lokalen Bootsverleiher Steffan, Seren (der Schwester von Ffion) und Mia (einer Freundin von Ffion). Aber keine Sorge. Trotz der Vielzahl der Perspektiven verliert man nicht den Überblick: Jeder Perspektivwechsel wird deutlich markiert. Außerdem werden die Perspektivwechsel in „Die letzte Party“ sehr stimmig eingesetzt. Oftmals erlebt man während der Lektüre eine Szene doppelt – aus zwei unterschiedlichen Perspektiven –, sodass Dinge, die (scheinbar) eindeutig waren, plötzlich wieder hinterfragt werden müssen. Die Handlung wird auf drei Zeitebenen erzählt. Den Haupthandlungsstrang bilden die Ermittlungen von Leo und Ffion. Ein zweiter Handlungsstrang spielt an Silvester – auf der titelgebenden letzten Party, die Rhys nicht überleben wird. Der dritte Handlungsstrang erzählt die Anfänge von The Shore und liefert hintergründige Konfliktpunkte. Sukzessiv lernt man auf den unterschiedlichen Zeitebenen die verschiedenen Figuren (besser) kennen, sodass sich, je weiter die Lektüre voranschreitet, mehr und mehr ein Gesamtbild von Cwm Coed und The Shore ergibt. Die Spannungskurve des Krimis ist hoch, was besonders daran liegt, dass jede der handelnden Figuren ein Geheimnis mit sich trägt; jede Figur ist auf eine eigene Art undurchsichtig, wodurch es zu einigen unerwarteten Wendungen kommt. Dementsprechend knifflig und offen ist auch die Frage nach der Täterfigur. Diese Frage wird in „Die letzte Party“ mit einem überraschenden, kaum zu erahnenden Twist beantwortet. Der Schreibstil von Clare Mackintosh ist anschaulich und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Die letzte Party“ ein spannender und wendungsreicher Kriminalroman mit vielen undurchsichtigen Figuren und einem überraschenden Ende.

Bewertung vom 30.12.2022
Liebe in Zeiten der Follower
Leßmann, Max Richard

Liebe in Zeiten der Follower


ausgezeichnet

Eindrücklich, emotionsgeladen und nachhallend

„Liebe in Zeiten der Follower“ ist ein Gedichtband von Max Richard Leßmann, der rund 150 Gedichte versammelt. Leßmann hat in den vergangenen vier Jahren täglich ein Gedicht auf Instagram gepostet; in „Liebe in Zeiten der Follower“ finden sich seine liebsten Gedichte – quasi ein best of. In diesen Gedichten, die mal kürzer, mal länger sind, gelingt Leßmann etwas Besonderes: Er verpackt große Emotionen in konziser Weise eindrücklich. Inhaltlich drehen sich die Gedichte um das Erwachsenwerden, das Verschwinden von Personen aus dem eigenen Leben, Versagensängste, Gedankenkarusselle, Introspektionen des Selbst und nicht zuletzt: die Liebe. In die Gedichte eingeflochten finden sich außerdem immer auch kluge Gedanken, Überlegungen und Beobachtungen über das Leben. Besonders das Thema „Liebe“ nimmt einen großen Raum im Gedichtband ein. Der Liebe wird dabei in all ihren Facetten nachgespürt – als Seelenverwandtschaft, Geborgenheit und Begehren, zugleich aber auch als unerfüllt und schmerzhaft. Je nach Thema differiert der Ton des jeweiligen Gedichts: So sprühen einige Gedichte vor Zuversicht und Hoffnung; andere sind eher sehnsüchtig und melancholisch. Die Aufmachung des Gedichtbandes ist hochwertig: ein kompaktes Hardcover, in dem jede Seite andersfarbig gestaltet ist (so wie die Posts auf Leßmanns Instagram-Kanal). Insgesamt ist „Liebe in Zeiten der Follower“ ein Gedichtband mit vielen eindrücklichen, nachhallenden und emotionsgeladenen Texten, die zum Nachdenken anregen.

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