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Benutzername: 
Monsieur
Wohnort: 
Amorbach

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 14.06.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


gut

Spuren der Vergangenheit
In "Seinetwegen" begibt die Schweizer Autorin Zora del Buono sich auf eine Spurensuche, um den Umständen näherzukommen, die zum Tod ihres Vaters geführt haben. Sie war noch ein Kleinkind, als Manfredi del Buono, ein vielversprechender Oberarzt, in einen Autounfall verwickelt wurde und wenige Tage später seinen Verletzungen erlag. Hingegen überlebte der Schuldige des Unfalls, ein junger Mann, der bereits mehrfach mit seiner rücksichtslosen Fahrweise auffällig geworden ist. Beim Gerichtsprozess kommt er vergleichsweise glimpflich davon, während Zora del Buono fortan als Halbwaise aufwächst. Ihre Mutter heiratet kein zweites Mal. In einer literarischen Form beschreibt die Autorin nun, in welchen Verhältnissen sie aufwuchs, was das Fehlen eines Vaters für sie bedeutete, und nähert sich überdies dem Mann an, der für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist - lange sind ihm nur seine Initialen, E.T., bekannt.
Ein vergleichbares autobiografisches Projekt ist mir nicht bekannt, dass eine Autorin den Versuch unternimmt, das Leben eines Fremden zu durchleuchten, der für den Tod des eigenen Vaters verantwortlich ist, darf als neuartig angesehen werden. Demnach war ich äußerst gespannt auf dieses Buch. Die Autorin findet durchaus eine geeignete Form, eigene Überlegungen, Fakten und Tatsachen, Anekdoten aus ihrem Leben, Essays und die Ergebnisse ihrer Recherchen miteinander zu verknüpfen. Obwohl der Text größtenteils aus Fragmenten und Schnipseln besteht, ist ein roter Faden zu erkennen. Auch ohne Kapitelüberschriften wirkt alles geordnet. Die Autorin setzt interessante Schwerpunkte, holt gelegentlich etwas aus, beispielsweise indem sie die Lebensumstände der Italiener in der Schweiz beschreibt wie sie es als Mädchen erlebt hat, bleibt ihrem Kurs jedoch stets treu. Sechzig Jahre nach dem verheerenden Unfall kommt sie E.T. immer näher. Wie ist er all die Jahre mit seiner Schuld umgegangen? Was für ein Leben hat er geführt?
Del Buono gelingt ein solider Text, keine Frage, aber kein Bravourstück. Vielleicht liegt es an meinen zu hohen Erwartungen an dieses Buch, dass es mich am Ende weniger abholen konnte, als erwartet. Trotz der Anstrengungen der Autorin, ihre Familie, ihren Vater und die Zeit, in der sie aufwuchs, zu beschreiben, entsteht nur ein blasses Bild von alledem. Vielleicht war das Thema am Ende doch zu persönlich, sodass del Buono sich scheute, unbekannte Leser tiefer in ihre Familiengeschichte einzuführen. Anstatt einer tiefgreifenden Analyse bieten die 200 Seiten des Buches daher nur einen knappen Abriss.

Bewertung vom 14.06.2024
Baskerville Hall - Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente
Standish, Ali

Baskerville Hall - Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente


sehr gut

Kinder- und Jugendbuchreihen über geheimnisvolle Internatsschulen sind ein beliebtes Thema von Autorinnen und Autoren und die Konkurrenz in diesem Genre ist daher gewaltig. Die amerikanische Autorin Ali Standish legt nun mit "Baskerville Hall: Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente" den Auftakt einer neuen Serie für Leser ab 10 Jahren vor. Die Besonderheit: die Figuren entstammen dem Universum des britischen Schriftstellers Arthur Conan Doyle, der sogar dem Ich-Erzähler seinen Namen, sowie sein familiäres Umfeld leiht. Ebenso bevölkern Figuren wie Dr. Watson, Moriaty und Sherlock Holmes dieses Kinderbuch, jedoch sind sie völlig neue Charaktere und haben nur wenig gemein mit ihren Vorbildern aus den Erzählungen Doyles.
Arthurs Geschichte beginnt damit, dass er auf dem Heimweg das Baby einer fremden Mutter davor bewahrt, von einem Pferdezugwagen überrollt zu werden. Seine selbstlose Rettungsaktion hat eine große Wirkung auf den weiteren Hergang seines Lebens, denn kaum Zuhause, trifft ein unerwartetes Schreiben bei ihm ein. Die geheimnisvolle Schule "Baskerville Hall" hat ihn kurzfristig für das kommende Schuljahr angenommen. Schon am nächsten Tag geht es los. Per Luftschiff wird Arthur nach England gebracht, wonach die Ereignisse sich überschlagen. Im Internat schließt er sowohl Freundschaft mit Pocket, Irene Adler, Jimmie Moriarty und Grover, macht sich aber auch den einen oder anderen Feind. Zudem wird er mehr und mehr in ein Abenteuer verstrickt, in dem ein Dinosaurierei, eine rätselhafte Maschine, Poltergeister, eine Einbruchsserie und der Geheimbund »Das Kleeblatt« eine tragende Rolle spielen.
Schon der Inhalt gibt vage Auskunft darüber, was man von der Geschichte zu erwarten hat. Der Held, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erhält durch den Besuch einer außergewöhnlichen Schule die Gelegenheit, über sich selbst hinauszuwachsen. Beim Lösen eines großen Mysteriums wird er tatkräftig von seinen eigenwilligen Freunden unterstützt. Wirklich neuartig ist an dieser Erzählung erst einmal nichts, daher spielt vor allem die Umsetzung der Autorin eine tragende Rolle. Und Standish meistert diese Aufgabe durchaus zufriedenstellend. Geschickt konfrontiert sie ihre Helden mit verschiedenen Rätseln, die zuerst keinerlei Verbindung zueinander aufweisen, sich am Ende jedoch zu einem zusammengehörigen Bild verdichten. Arthur und seine Freunde sind liebevoll gestaltet und eine junge Zielgruppe wird sich gewiss mit ihnen identifizieren können. Baskerville Hall als Handlungsort wird interessant beschrieben, man hat Lust in den nachfolgenden Bände dorthin zurückzukehren. Manchmal trägt Standish jedoch reichlich dick auf, beispielsweise wird Arthurs Reise mit dem Luftschiff völlig überzogen dramatisch geschildert. Ebenso gerät Arthur in einem viel zu schnellen Rhythmus von einer Konfliktsituation in die nächste. Selbst eine Schule wie Baskerville Hall wird seine Schüler wohl kaum beim ersten Rundgang durch seine Räumlichkeiten in einen Boxkampf verwickeln. An mancher Stelle darf es, auch im Hinblick auf den nachfolgenden Teil, gerne etwas mehr Realismus sein. Für sein Genre darf "Baskerville Hall" aber im allgemeinen für einen gelungenen Auftakt in eine neue Reihe angesehen werden.

Bewertung vom 02.06.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


sehr gut

Der Vietnamkrieg ist ein seltenes Subjekt der Literatur, da er von amerikanischen Autoren weitestgehend totgeschwiegen wird, während vietnamesische Schriftsteller hierzulande nur selten herausgegeben werden. Aber dank Nguyễn Phan Quế Mai und dem Insel Verlag gibt es nun einen beachtenswerten Roman zu diesem Thema, in dem die Autorin sowohl das Schicksal der Opfer, als auch der Täter aufzeigt. Dazu bedient sie sich mehrerer Erzählperspektiven. Zum einen begleitet der Leser den jungen Mann Phong, der Jahrzehnte nach dem Vietnamkrieg nach Amerika auszuwandern hofft, bei den Behörden jedoch vorerst abgewiesen wird, weil es ihn an Beweisen mangelt, dass er der Sohn eines amerikanischen Soldaten ist. Daraufhin begibt er sich auf die Suche nach seinem unbekannten Vater, der während des Krieges in Vietnam stationiert war. Quasi als Gegenstrang zu Phongs Geschichte kehrt Dan, ein ehemaliger Flieger von Kriegshelikoptern, nach Ho-Chi-Minh zurück, um Quỳnh ausfindig zu machen, mit der er während seines Kriegsaufenthalts eine Liebesbeziehung hatte, woraus eine gemeinsame Tochter hervorging. Jedoch hat er beide zurückgelassen. Die Geschichte von Quỳnh und ihrer Schwester Trang im Jahre 1969 ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil des Romans.
Es ist nicht schwierig zu identifizieren, was Nguyễn Phan Quế Mai mit ihrem Buch ausdrücken will, ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Schilderung von kleinen Einzelschicksalen, die dieser verheerende Krieg mit sich brachte. Die Auswirkungen sind für die Menschen auch noch in der Gegenwart spürbar. Besonders authentisch gelingt der Autorin dabei die Beschreibung des Lebens von Quỳnh und Tang, die für das Überleben ihrer Familie so einiges auf sich nehmen. Ebenfalls gut geraten ist die Figur des Dan, ein Kriegsveteran mit Gefühlen der Reue. Ihm dämmert die Sinnlosigkeit der amerikanischen Intervention in einen Krieg, den das Land Vietnam lieber selbst gelöst hätte. Dan sollte jedoch als ein Individuum angesehen werden und steht keineswegs als Sinnbild für die Gesamtheit der Vietnamveteranen. Wie eingangs bereits erwähnt, wird sich in den USA nur wenig mit diesem Krieg auseinandergesetzt, von Bedauern ist nicht nur im Kulturbereich wenig zu vernehmen. Mitunter wird der Vietnamkrieg sogar als Podium für eine amerikanische Heldengeschichte missbraucht – ein prominentes Beispiel ist hierfür "Forrest Gump". Als Vietnamesin begeht Nguyễn Phan Quế diesen Fehler nicht, in ihrem Text setzt sie sich gleichermaßen mit der Sichtweise der Täter und Opfer auseinander. Sie verweilt jedoch weitestgehend auf einer Mikroebene, das große Ganze der damaligen Kriegspolitik ist kein wesentlicher Teil des Romans.
Wie ein vielstimmiger Chor gibt "Wo die Asche blüht" den vergessenen Kindern des Vietnamkriegs eine Stimme, und ist nebenbei äußerst unterhaltsam zu lesen.