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Benutzername: 
Jonas R
Wohnort: 
Göttingen

Bewertungen

Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 31.12.2019
Die zerbrochene Puppe (eBook, ePUB)
Vogt, Judith; Vogt, Christian

Die zerbrochene Puppe (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die zerbrochene Puppe ist ein großartiges Buch, das einfallsreich die Geschichte des Künstlers Naðan erzählt, dessen Frau – ein brillante Wissenschaftlerin – von lebenden Leichen ermordet wird. Anschließend wird auch noch ihr Körper gestohlen. Nachdem die Behörden aufgeben, verfolgt Naðan auf eigene Faust die Spur zum Drahtzieher. Unterstützt wird er durch die Porzellanpuppe, die seiner Frau gehörte, und die seit ihrem Tod zu ihm spricht.

Naðans Reise führt ihn durch ein alternatives Europa, dass nach einem Vulkanausbruch vor Jahrhunderten in eine tiefe Eiszeit geraten ist. Luftschiffe ziehen durch den Himmel, friesische Piraten sorgen für Angst und Schrecken, und das Gerücht geht um, dass jemand aus den Körpern von Verstorbenen künstliche Menschen herstellt. Naðan ist kein typischer Held, und das Autorenpaar beschreibt einfühlsam seine Verletzlichkeit, seinen Schmerz, aber auch seine Willenskraft und seine Gratwanderung am Rande des Wahnsinns. Die zerbrochene Puppe pendelt zwischen Phantastik und Horror, zwischen dem Elend des Protagonisten und der wild vorandrängenden Handlung, die uns zu faszinierenden Schauplätzen und interessanten Persönlichkeiten führt. Das alles ist anschaulich und schwungvoll geschrieben und macht Lust auf mehr. [Geheimtipp: Es gibt mehr, zum Beispiel den Roman „Die verlorene Puppe“ (also nicht die zerbrochene) und die Kurzgeschichtensammlung „Eis und Dampf“.]

Potenziell triggernde oder problematische Inhalte von "Die zerbrochene Puppe" sind laut der Homepage des Autorenteams: Gewalt, Horror, emotionales Trauma, Darstellung von Sex.

Bewertung vom 31.12.2019
Die verlorene Puppe
Vogt, Judith;Vogt, Christian

Die verlorene Puppe


ausgezeichnet

"Die verlorene Puppe" ist ein phantastischer Roman vom Ehepaar Judith und Christian Vogt, der in einem alternativen 19. Jahrhundert spielt, in dem eine Eiszeit herrscht. Er erzählt die Geschichte einer Zirkustruppe, deren Luftschiff von Fremden über den Atlantik entführt wird. Wie sich im Lauf der Zeit herausstellt, ist in diesem Zirkus aber nicht alles so, wie es scheint…

"Die verlorene Puppe" ist der zweite Roman der Vögte, der in der Welt von "Eis und Dampf" spielt.

Hauptfigur ist der Akrobat Ferenc, ein Roma aus dem Badi-Clan. Seine Zirkusgefährten sind ein bunter Haufen: Sie stammen nicht nur aus Europa, das unter dem Eis und der Kälte leidet, sondern zu ihnen gehören auch ein Inder (mit dem letzten Mammut der Welt), eine chinesische Trapezkünstlerin und eine zentralafrikanische (?) Messerwerferin. [Falls ihre Herkunft im Buch genauer benannt ist, habe ich es leider vergessen.] Ferenc ist zwar ein wagemutiger Draufgänger, aber hilflos verliebt in seine Trapezpartnerin Yue.

Als der Zirkus von seltsamen Fremden angegriffen und mitsamt seinem Luftschiff entführt wird, um über den Atlantik zu fliegen, steigt die Anspannung in der Truppe. Und welche geheimen Motive verfolgen einzelne der Zirkusmitglieder?

Von diesem Ausgangspunkt erzählen die Vögte ihre Abenteuergeschichte schillernd und temporeich. Die Haupthandlung wird durch kurze Auszüge aus dem Fahrtenbuch eines anderen Luftschiffs unterbrochen, wodurch wir in knapper Form von den Protagonisten des vorangegangenen Romans erfahren, die auf ein neues Abenteuer aufgebrochen sind und schließlich auch für die Haupthandlung relevant werden.

Während in der "zerbrochenen Puppe" (dem ersten Roman) die einzelnen Kapitel im Untertitel durch Ausdrücke aus der Malerei charakterisiert werden, geschieht dasselbe in der "verlorenen Puppe" durch Vergleiche mit Zirkusnummern bzw. Attraktionen aus der Schaustellerei. Der Kniff funktioniert sehr gut, und auch wenn ich den Wunsch verstehe, im Titel an den ersten Roman anzuschließen, hätte ich einen Titel wie „Der entführte Zirkus“ oder etwas Ähnliches passender gefunden. Denn die namengebende Puppe spielt zwar eine wichtige Rolle, aber über lange Zeit dominieren doch andere Themen die Handlung.

Von solch kleiner Krittelei abgesehen: "Die verlorene Puppe" hat mich gut unterhalten. Es war für mich zwar kein „page turner“, den ich nicht hätte aus der Hand legen können, und auch mit dem fulminanten Schluss bin ich nicht ganz warm geworden. Aber mir wurde nie langweilig, und ich habe den Einfallsreichtum und die Sprache der Vögte genossen. Mir gefällt außerdem, wie sie einerseits marginalisierte Personen zu Handlungsträgern machen, Stereotype aufbrechen und sowohl eurozentrische Gewissheiten als auch andere „privilegierte“ Überzeugungen unserer Zeit hinterfragen, andererseits ein actionreiches, pulpiges Abenteuer erzählen. Nicht zuletzt mag ich daran, dass wichtige und spannende Themen wie nationale Rivalitäten, imperiale Interessen und Machtpolitik, künstliches Leben, Schicksal und Entscheidungsfreiheit, und die problematische Ausnutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse für militärische Zwecke angerissen werden.

Die Autoren nennen auf ihrer Homepage als potenziell triggernde oder problematische Inhalte des Buchs: Horror, Gewalt, Verdrängung, Menschenopfer, Rassismusdarstellung (speziell Roma), Darstellung von Sex, Chinadoll-Trope. Das würde ich ergänzen um Tod, Selbstmord, Sklaverei, Gehirnwäsche/mentale Programmierung (mittels fiktiver Technologie).

Zufrieden bin ich auch mit der verlagsseitigen Gestaltung des Buchs: Layout & Typographie (wovon ich wenig Ahnung habe), Korrektorat und Lektorat, die Gestaltung des Einbands, das Begleitmaterial (Personenverzeichnis und Karte) und die Bindung des Softcovers überzeugen mich. Schade, dass der Verlag Feder & Schwert 2019 in finanzielle Probleme geriet! Ich wünsche mir, dass solche Bücher weiterhin durch gute Verlagsarbeit betreut und publiziert werden können.

Bewertung vom 21.09.2017
Wurzelbehandlung
Donkor, Esther

Wurzelbehandlung


sehr gut

"Wurzelbehandlung" ist in erster Linie ein Reisebericht, in zweiter Linie Selbstreflexion über das Leben als Schwarze in Deutschland, ausgegrenzt in der eigenen Heimat und fremd in der Heimat des Vaters. Unprätentiös, ehrlich, kritisch und selbstkritisch fragt das Buch nach Identität und Vorurteilen (in Deutschland und in Ghana), aber widmet sich auch den Unterschieden in den Lebenswelten und im Konsumverhalten. Dabei ist es nicht belehrend oder schwülstig, sondern angenehm und kurzweilig zu lesen. Wer Freude hat am Perspektivwechsel, am Hinterfragen von Gewohnheiten und Überzeugungen, die wir meist gar nicht so recht wahrnehmen, dem kann ich das Buch empfehlen.