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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 14.07.2016
2° C
Rapley, Chris;Macmillan, Duncan

2° C


gut

„Ich setze meine Hoffnung auf die Ingenieure“

Seit 2014 führt Chris Rapley, zunächst in London und später in Hamburg, das diesem Buch zugrunde liegende Bühnenstück auf. "Ich finde es wichtig, dass Wissenschaftler neue Wege beschreiten, um die Ergebnisse ihrer Arbeit unter die Leute zu bringen“, sagt er in einem Interview. Diese Vorinformationen ergeben sich nicht unmittelbar aus dem Buch, sind aber für das Verständnis dessen Aufbaus wichtig zu wissen. Es handelt sich nicht um ein typisches wissenschaftliches und auch nicht um ein typisches populärwissenschaftliches Werk. „2° C“ ist eher die Präsentation eines Vortrages, in dem der Sachverhalt prägnant auf den Punkt gebracht wird.

Der Klimawandel ist real und heute spürbar. Als Professor für Klimawissenschaft ist Rapley ein Experte auf dem Gebiet. Das dynamische Gleichgewicht der Energie in unserem Klimasystem ist gestört. Das Meerwasser wird wärmer, das Eis der Polarkappen schmilzt, die Temperatur der Erdoberfläche steigt und der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre hat aktuell einen seit Menschengedenken noch nie da gewesenen Spitzenwert erreicht. Die Ursache liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit im menschlichen Handeln begründet. Die Auswirkungen sind existenzbedrohend.

Rapley lässt biografische Elemente in den Text einfließen. Die Umsetzung erfolgt in der Ich-Perspektive. Das verleiht dem Buch einen recht persönlichen Charakter. Dennoch dominieren die wissenschaftlichen Fakten. Rapley macht deutlich, dass selbst in seiner im Verhältnis zur Erdgeschichte kleinen Lebensspanne, große Veränderungen im Klima erkennbar sind. Der größte Teil des Temperaturanstiegs seit der vorindustriellen Zeit erfolgte in den letzten Jahrzehnten.

Selbst wenn die Kohlenstoff-Emissionen auf null begrenzt werden, senkt das die Temperatur noch nicht. Daran wird deutlich, dass zur Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen erforderlich sind. „Die Wissenschaft kann informieren, aber nicht urteilen, nicht entscheiden. Die Wissenschaft kann nicht sagen, was richtig und was falsch ist.“ (204) Doch, sie kann urteilen und sie kann auch sagen was richtig und was falsch ist. Das sollte die Wissenschaft nicht ausschließlich der Politik überlassen. Im Grunde genommen sieht der Autor das genauso, denn er schreibt: “Ich setze meine Hoffnung auf die Ingenieure.“ (194)

Das Buch ist angereichert mit Bildern und Grafiken. Eine Strukturierung in Kapitel ist nicht vorhanden, dennoch ist das Buch strukturiert aufgebaut. Leere und fast leere Seiten fallen auf und sind wohl ein Zugeständnis an die Form der Bühnenpräsentation. Potenzielle Leser sollten vorab einen Blick in das Buch werfen, um hinsichtlich des Aufbaus und des spärlichen Inhalts abschätzen zu können, ob das Buch die eigenen Ansprüche erfüllt. „2° C“ ist schnell gelesen, der Inhalt macht nachdenklich und liegt schwer im Magen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.07.2016
Der Nobelpreis
Eschbach, Andreas

Der Nobelpreis


ausgezeichnet

Gekaufter Ruhm

Andreas Eschbach erläutert zu Beginn seines Romans ausführlich die Entstehungsgeschichte und die Modalitäten für das Auswahlverfahren und die Vergabe des Nobelpreises. Das uralte höfische Zeremoniell beeindruckt Preisträger und Weltöffentlichkeit gleichermaßen. Eschbach bereitet die Leser mit diesem Einstieg auf das Unerhörte vor: Ist es möglich, die Preisvergabe zu manipulieren?

Damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Geschehnisse abspielen. Eschbach beschreibt ein Szenario, das die Vergabe der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung in einem anderen Licht erscheinen lässt. Entstanden ist ein lesenswerter spannender Psychothriller.

Professor Andersson, Mitglied der Nobelversammlung, wird Geld angeboten für die Wahl einer bestimmten Kandidatin. Er lehnt entrüstet ab. Daraufhin wird seine Tochter entführt. Bei seinen Nachforschungen wird Andersson schnell klar, dass es um ein viel größeres Komplott geht, in das Mitarbeiter der Polizei und zahlreiche Mitglieder des Nobelkomitees verstrickt sind. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Wer könnte Andersson helfen, die Erpresser ausfindig zu machen und seine Tochter zu befreien?

Eschbach schreibt flüssig und verständlich. Es handelt sich um eine durchgängige Erzählung. Im Laufe des Romans wechselt er von einer berichtenden Erzählform zu einer Ich-Form, ein Wechsel, der nur im ersten Moment verwirrt. Eschbach arbeitet zahlreiche Konflikte der Protagonisten einschließlich ihrer Vorgeschichten heraus, was den Roman besonders interessant macht. Die Beschreibungen der Handlungen und Beziehungen stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Der Roman ist zu empfehlen.

Bewertung vom 14.07.2016
Das Gold von Gotland
List, Berndt

Das Gold von Gotland


sehr gut

Freibeuter und „hanseatische Pfeffersäcke“

Im 14. Jahrhundert machten sich die Vitalienbrüder, Seefahrer der Nord- und Ostsee, als Freibeuter einen Namen. In späteren Zeiten kaperten sie Schiffe der Hansestädte, deren Händlern wegen des Handels mit Gewürzen der Name „Pfeffersäcke“ anhaftete. Sie wurden von ostfriesischen Häuptlingen unterstützt, die für die Schiffe der Freibeuter Ankerplätze zur Verfügung stellten und für die Vermarktung der Beute sorgten.

Einer der bekanntesten Vitalienbrüder war Klaus Störtebeker (1370-1401). Um ihn ranken sich zahlreiche Legenden. Für die Einen ist er ein ehrloser skrupelloser Pirat und für die Anderen ein Freiheitskämpfer, der sich für die Rechte der Armen eingesetzt hat. Auf Basis historischer Werke und verschiedener Legenden erzählt Berndt List eine fiktive Abenteuergeschichte, die den Geist der Vitalienbrüder zu neuem Leben erweckt.

Der Autor hat sich mit dem Leben der Menschen im Mittelalter beschäftigt. Auch wenn die Hintergrundbeschreibungen nicht mit einem Historienroman von Umberto Eco vergleichbar sind, so sind sie dennoch informativ und tragen zum Verständnis des harten Lebens im Mittelalter bei. Es fällt positiv auf, dass der Autor die Welt nicht in Gut und Böse einteilt, sondern eine differenzierte Sicht der gesellschaftlichen Verhältnisse beschreibt. Die Gier nach Geld und Macht zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten.

Der Roman ist spannend und man legt das Buch nur ungern aus der Hand. Und das Ende: Na ja, den Lesern wird eine große Portion Fantasie abverlangt.

Bewertung vom 13.07.2016
Die Stadt der Blinden
Saramago, José

Die Stadt der Blinden


ausgezeichnet

Wer schauen kann, der sehe

In einer unbekannten Stadt erblinden nach und nach immer mehr Menschen. Auch den freundlichen Helfern, die den Erblindeten zur Seite stehen, ergeht es nicht besser. Sie ereilt das gleiche Schicksal. Es ist keine gewöhnliche Blindheit, sondern die Welt erscheint den Probanden weiß.

Der Staat geht von einer Epidemie aus und reagiert mit Ausgrenzung. Die Blinden werden interniert und sich selbst überlassen. Wer sich den Anordnungen des Militärs widersetzt, wird erschossen.

Die Ordnung bricht allmählich zusammen und aus einer einst kultivierten Gesellschaft entwickelt sich ein Horrorszenario. Das gilt nicht nur für die Gewalt des Machtapparates gegenüber den Bürgern, sondern auch für die Verhältnisse der Blinden untereinander im Internierungslager.

Die Blindheit dient dem Autor als Metapher für eine tiefgehende geistige Blindheit. Die Gesellschaft löst sich auf und die Menschen verlieren ihre Moral. Aber ein Hoffnungsschimmer bleibt: So wie auch Diktaturen eine Gegenkraft erzeugen, gibt es unter den Blinden eine Sehende. Sie wird zur Leitfigur und zum Hoffnungsträger einer Gruppe von Blinden.

José Saramago, portugiesischer Literaturnobelpreisträger, stellt die Frage nach dem Kern des Menschseins, nach Gut und Böse und dem, was sich hinter der kultivierten Fassade verbirgt. Dies ist ihm auf beeindruckende Weise gelungen.

Bewertung vom 13.07.2016
Die Schöpfung
Lauxmann, Frieder

Die Schöpfung


sehr gut

Philosophische Wege zum Erleben der Welt

Frieder Lauxmann erläutert zu Beginn seine Motivation für das Buch. Er bemängelt, dass Naturwissenschaften, Philosophie, Religion und Dichtung keine Gemeinsamkeiten erkennen, sondern zunehmend getrennte Wege gehen. Er resümiert, dass das materialistische Denken Probleme schafft, die mit diesem Denken nicht gelöst werden können. Insofern ist die Frage auf dem Buchrücken „Ist die Welt ein Zufallsprodukt oder ist sie eine sinnerfüllte Schöpfung?“ zumindest für den Autor eine rhetorische Frage. Dieser hat die Frage für sich selbst längst beantwortet, wie auch am Buchtitel deutlich wird.

Der Hauptteil des Buches besteht aus den drei Teilen „Zufall – Der Nichts- und Alleskönner“, „Auf der Suche nach dem schöpferischen Geist“ und „Die Nähe des unfassbaren Schöpfers“, die jeweils in kurze Einzelkapitel gegliedert sind. In jedem dieser Kapitel beleuchtet der Autor Fragen zur Weltentstehung aus unterschiedlichen Perspektiven. Auf diese Weise entsteht ein übersichtlicher Querschnitt an Auffassungen zum Thema. Die Kapitel sind mit Zitaten berühmter Personen der Menschheitsgeschichte überschrieben.

Neben der um objektive Erkenntnis bemühten naturwissenschaftlichen Forschung, gibt es subjektive Erfahrungen (Glaube, Hoffnung, Liebe, Selbsterkenntnis), die außerhalb des Rahmens der Naturwissenschaften liegen, aber den Menschen ebenso bestimmen, wie die die intersubjektive Wirklichkeit beschreibende Physik, Chemie und Biologie.

Der Autor verfügt über ein umfangreiches Querschnittswissen. Es ist ihm in diesem philosophischen Lesebuch gelungen, verschiedene Welterklärungsmodelle für eine breite Leserschaft verständlich aufzubereiten. Im Ergebnis wird der Entwurf einer ganzheitlichen Schöpfungsethik erkennbar.

Bewertung vom 13.07.2016
Digitaler Burnout
Markowetz, Alexander

Digitaler Burnout


sehr gut

Smartphone Zombies - Schattenseiten der digitalen Welt

„Wenn wir durchschnittlich alle 18 Minuten – und manche sogar noch öfter – unser Smartphone benutzen, ist das nicht mehr normal. Unser Nutzerverhalten droht eindeutig aus dem Ruder zu laufen.“ (30) Markowetz bringt das Problem auf den Punkt. Wie kommt es zu diesen Verhaltensweisen? Was können wir dagegen tun?

Markowetz, Professor für Informatik an der Uni Bonn, beschäftigt sich im Rahmen eines Projektes mit diesen Fragen. Die ständigen Unterbrechungen durch digitale Medien führen dazu, dass wir uns nicht mehr auf eine Sache konzentrieren können. Das Smartphone, welches Markowetz in diesem Buch thematisiert, ist in diesem Sinne nur ein Beispiel für moderne Technik, die zur Fragmentierung des Berufslebens und der Freizeit führt.

Im ersten Teil des Buches untersucht der Autor, warum wir es überhaupt zulassen, ständig unterbrochen zu werden und warum Smartphones eine so große Anziehungskraft ausüben. Ein Fragebogen hilft, das eigene Suchtverhalten einzuschätzen. Das Buch wäre unvollständig, wenn Markowetz nicht auch Lösungen anbieten würde, die im zweiten Teil des Buches zu finden sind.

Das eingangs beschriebene Nutzerverhalten, vergleichbar mit einer Daueralarmbereitschaft, ist rational nicht erklärbar. Es kommen irrationale unbewusste Automatismen ins Spiel, die an Spielsucht erinnern. Bereits die Erwartungshaltung führt dazu, dass im Gehirn Dopamin freigesetzt wird und der Mensch einen Glücksrausch erlebt. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit, die wiederum Voraussetzung für das Entstehen des Digitalen Burnouts ist.

Die enormen technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte führen nicht zu einem Produktivitätsschub. Dieses Phänomen ist als „Produktivitätsparadoxon“ bekannt und beschäftigt mittlerweile zahlreiche Wissenschaftler. „Die 53 täglichen Unterbrechungen, die Smartphones verursachen, haben unseren Alltag und unsere Arbeit in unzählige kleine Zeiteinheiten fragmentiert.“ (60) Dadurch erreichen wir nur noch selten den Zustand, den Psychologen „Flow“ nennen. Gemeint ist ein fast schon meditatives Versinken in die Arbeit unter Ausblenden der Umgebung. Dieser Zustand ist wichtig, um komplexe intellektuelle oder kreative Aufgaben lösen zu können.

Multitasking bleibt Computern vorbehalten, das menschliche Gehirn ist überfordert, wenn mehrere Dinge gleichzeitig erledigt werden sollen. Langjährigen Multitaskern droht eine chronische Aufmerksamkeitsstörung. Das steht in Einklang mit Ausführungen des bekannten Hirnforschers Manfred Spitzer, auf den sich Markowetz bezieht. Eine wichtige menschliche Eigenschaft besteht darin, Prioritäten zu setzen und das ist eine erste Möglichkeit, der digitalen Versuchung zu widerstehen.

Einstein spielte Geige und Newton döste am helllichten Tag. Diese Art von Muße fehlt in der heutigen Zeit. Daher wundert es nicht, dass aktuell zahlreiche Bücher über Achtsamkeit, eine Art Konzentration auf das Hier und Jetzt, auf dem Markt zu finden sind. Auf diesem Gebiet besteht in unserer reizüberfluteten multimedialen Welt Handlungsbedarf.

Markowetz beschreibt in seiner „digitalen Diät“ Wege, wie wir unser Verhalten ändern können. Die Abschaltung firmeneigener Mailserver nach Feierabend ist da nur ein Beispiel von vielen. Statt geistiger Überfrachtung proklamiert er Reduktion und bewusstes Leben. Zunächst ist Selbsterkenntnis gefragt. Das eigene Verhalten im Umgang mit Smartphones (und anderen digitalen Medien) muss reflektiert werden.

Das Buch enthält vermeidbare Wiederholungen, ist aber informativ und aktuell. Es handelt sich um ein populärwissenschaftliches Buch, in dem der Autor auf anschauliche Art und Weise die Schattenseiten der digitalen Welt darstellt. Kritisiert wird nicht die Technik an sich, sondern der sorglose unreflektierte Umgang mit dieser Technik.

Bewertung vom 13.07.2016
Die Musik der Primzahlen
Du Sautoy, Marcus

Die Musik der Primzahlen


ausgezeichnet

Die Geschichte der Primzahlforschung

Marcus du Sautoy beschreibt in dem populärwissenschaftlichen Buch „Die Musik der Primzahlen“ die Entwicklung der Primzahlforschung von der Antike bis in die Gegenwart. Sautoy bezeichnet Primzahlen als die „Atome der Arithmetik“. In dieser Metapher kommt ihre Bedeutung als Fundament der Zahlensysteme prägnant zum Ausdruck.

Ist es dem Autor gelungen, dieses eher trockene Thema aus dem Bereich der Zahlentheorie (Arithmetik) so interessant darzustellen, dass eine breite Leserschaft angesprochen wird?

Das Buch enthält Biographien zahlreicher berühmter Mathematiker, Erläuterungen zu mathematischen Zusammenhängen und interdisziplinäre Verbindungen zur Physik, Informatik und Musik. Der Autor verzichtet weitgehend auf Formeln. Die wenigen im Buch beschriebenen Funktionen, Reihen und Grafiken sind für das Verständnis des Themas unverzichtbar.

Bereits die alten Griechen haben die Eigenschaften der Primzahlen analysiert und herausgefunden, dass es unendlich viele davon geben muss. Pythagoras fand bei Klangexperimenten mit unterschiedlich gefüllten Tonkrügen eine Beziehung zwischen einfachen Brüchen und harmonischer Musik. Der Begriff Sphärenmusik hat hier seinen Ursprung.

In späteren Jahrhunderten haben Mathematiker wie Leonhard Euler und Carl Friedrich Gauß die Primzahlforschung weiterentwickelt und neue Erkenntnisse über die Eigenschaften der Primzahlen gewonnen. Einen Höhepunkt erreichte die Primzahlforschung durch die Arbeiten des Mathematikers Bernhard Riemann.

Riemann hat die Eigenschaften der sogenannten Zeta- Funktion, einer durch eine Reihe definierten komplexwertigen Funktion, untersucht und einen Zusammenhang mit den Primzahlen und damit zwischen Analysis und Arithmetik erkannt. Es gibt eine Beziehung zwischen der Anzahl der Primzahlen und den Nullstellen der Zeta- Funktion. Riemann vermutete, dass alle nichttrivialen Nullstellen dieser Funktion auf einer Geraden liegen. Der Beweis dieser „Riemannschen Vermutung“ wird von Kennern als der Heilige Gral der Mathematik bezeichnet. Ein Beweis für die Riemannsche Vermutung steht bis heute aus.

Primzahlen waren über Jahrhunderte Gegenstand theoretischer Betrachtungen ohne praktische Anwendung. Das änderte sich im Zeitalter weltweit vernetzter Computer. Die besonderen Eigenschaften der Primzahlen haben die Methoden der Kryptographie geprägt. Die RSA- Verschlüsselung nutzt für ihr System die Erkenntnis aus, dass große Zahlen nicht auf einfache Weise in Primfaktoren zerlegt werden können. Der Schlüssel zum Verschlüsseln (Primzahlprodukt) kann daher veröffentlicht werden, ohne Gefahr zu laufen, dass der Schlüssel zum Entschlüsseln (Primfaktoren) von irgendeinem Hacker berechnet werden kann.

Im Kapitel „Von geordneten Nullstellen zum Quantenchaos“ werden Verbindungen zur Physik dargestellt. Der Mathematiker Hugh Montgomery und der Physiker Freeman Dyson haben erkannt, dass zwischen der Verteilung der Primzahlen und den Energieniveaus schwerer Atome ein Zusammenhang besteht. Diese Verbindung zur empirischen Wissenschaft lässt die Schlussfolgerung zu, dass Primzahlen mehr sind als nur ein theoretisches Konstrukt der Mathematiker.

Die Ausführungen im Buch sind interessant, weitgehend verständlich und lesenswert. Dem Autor ist es gelungen, die Faszination, die von ungelösten Problemen der Mathematik ausgeht, zu vermitteln. Gibt es etwas zu kritisieren? Vielleicht hätten die Erläuterungen zur „Riemannschen Vermutung“ kürzer gefasst werden können, weil dieses Thema einfach zu komplex für eine populärwissenschaftliche Darstellung ist.

Bewertung vom 13.07.2016
Schutzgebiet (eBook, ePUB)
Steinaecker, Thomas von

Schutzgebiet (eBook, ePUB)


sehr gut

Glückssucher in Afrika

In diesem Roman beschreibt Nachwuchsautor Thomas von Steinaecker das Zusammenleben einer bunten Gruppe Auswanderer, deren Wege sich in Benesi, einer Festung in der deutsch-afrikanischen Kolonie Tola, kreuzen. Der Roman spielt im Jahre 1913 und endet mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges.

Die Protagonisten sind gestrandete Existenzen aus teilweise wohlhabenden Elternhäusern. Sie konnten in ihrer Heimat keine Anerkennung finden und suchen ihr Glück nun fernab von zu Hause in Afrika.

Der Roman integriert Kultur, Exotik, Menschenkunde und Romantik. Die Handlung besteht darin, unter widrigen Umständen die Infrastruktur von Benesi zu verbessern. Hierzu zählen der Aufbau der Stadt, die Aufforstung der Steppe und die Errichtung einer Schutztruppe.

Auf einer tieferen Ebene ist es ein psychologischer Roman mit grotesken Zügen. Es sind die ausführlichen Vorgeschichten der Protagonisten und die intensiven Charakterstudien, die die Leser überzeugen.

Die Bewohner von Benesi leiden an Selbstüberschätzung und Realitätsferne. Sie halten ihre Festung für den Nabel der Welt. Ins Bild passt, dass der Schiffbrüchige Henry Peters in die Rolle seines verstorbenen Chefs Gustav Selwin schlüpft, so als wäre die Aufgabe des Selbst der Eintrittspreis für Benesi.

Die Mentalität der Ureinwohner Afrikas und die preußische Ordnung stehen sich in der Festung diametral gegenüber. In der Beziehung zwischen der geheimnisvollen Käthe Gerbers und Henry Peters knistert es vor Spannung, wenn sie sich begegnen.

„Schutzgebiet“ steht m.E. nicht nur für die Festung Benesi, sondern auch für die Illusionen ihrer Bewohner, die es vor der Realität zu schützen gilt. Alles in allem ein lesenswerter Roman.

Bewertung vom 13.07.2016
Exponentialdrift (eBook, ePUB)
Eschbach, Andreas

Exponentialdrift (eBook, ePUB)


gut

Ein literarisches Experiment

Bei diesem Werk handelt es sich um einen Fortsetzungsroman, der von September 2001 bis Juli 2002 in der FAZ erschienen ist.

Die Eigenarten einer Folgegeschichte werden deutlich. Der Roman besteht aus vielen kurzen Kapiteln, bei denen der Spannungsbogen jeweils zum Ende der Kapitel einen lokalen Höhepunkt erreicht. Man ist gespannt auf die Fortsetzung. Aber der Gesamtkontext leidet unter der Stückelung, die Geschichte wirkt unscharf, es mangelt an Kontinuität.

Dabei ist der zugrunde liegende Plot großartig und hätte Eschbach daraus einen Roman in einem Guss verfasst, wäre dieser sicher meisterlich geworden, wie die anderen Romane, die man von ihm kennt.

Das Ende kommt abrupt und hat wohl damit zu tun, dass das Experiment nach einem Jahr beendet wurde.

Die Metainformationen über die Entstehung des Romans sind aufschlussreich und lesenswert. Die Leser werden in den Werdegang des Romans einbezogen. Sie erhalten Informationen über Eschbachs Arbeitsweise.

Eschbachfans werden das Buch sowieso lesen, anderen Lesern würde ich andere Bücher von Eschbach empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.07.2016
Schnitt!
Van de Laar, Arnold

Schnitt!


ausgezeichnet

Eine abenteuerliche Reise durch die Geschichte der Chirurgie

Arnold van de Laar, praktizierender Chirurg, führt ausführlich in das Thema ein. „In diesem Buch versuche ich, als Chirurg kritisch und ohne magische Verklärung die Geschichte meines Fachs anhand berühmter Patienten, berühmter Chirurgen und erstaunlicher Operationen zu erzählen.“ (21) In dieser Einführung deutet sich bereits an, dass der Autor ein begabter Wissensvermittler ist. Er erzählt nachfolgend die Entwicklung der Chirurgie anhand von 28 Einzelschicksalen auf lesenswerte Art und Weise.

So kann der Leser nur staunen über die Courage des Amsterdamer Schmieds Jan de Doot, der im 17. Jahrhundert lebte und sich seinen Blasenstein eigenhändig heraus geschnitten hat. Die Anfänge der Anästhesie waren noch in weiter Ferne und gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Während de Doots zu seiner Zeit nicht auf qualifizierte Chirurgen zurückgreifen konnte, hätten dem großen Entfesselungskünstler Harry Houdini 1926 mit seiner akuten Blinddarmentzündung geeignete operative Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, statt in diesem Zustand mit Kräfte raubenden Entfesselungstricks vor Publikum aufzutreten.

Über den Mord an Präsident Kennedys ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien, u.a. hinsichtlich der Schusskanäle bzw. der Frage, ob ein Täter oder mehrere Täter geschossen haben. Van de Laar beschreibt die Verletzungen und die Behandlungen Kennedys und beseitigt dabei zumindest diesen Widerspruch in der Legendenbildung. Besonders hart getroffen hat es den Chirurgen Malcom Perry, der innerhalb von 2 Tagen sowohl Kennedy als auch dessen mutmaßlichen Mörder Lee Harvey Oswald operieren musste.

Während die Operationsteams in den Fällen Kennedy und Oswald chancenlos waren, hätte die Krankengeschichte des Schah Mohammad Reza Pahlavi auch anders ausgehen können. An dieser Geschichte wird deutlich, dass auch berühmte Chirurgen nicht immer fehlerfrei arbeiten. Aber die Fehler liegen manchmal auch bei den Patienten; der große Musiker Bob Marley hätte länger leben können, wenn er auf seine Ärzte gehört hätte.

„Die Evolution funktioniert nach dem Prinzip, dass Nachfahren mit dem zurechtkommen müssen, was ihnen die Vorfahren mitgegeben haben.“ (115) Aus diesem Grund hat auch die Umstellung auf den aufrechten Gang Folgen für die Physis des Menschen. Hierzu gehören Anfälligkeiten für Krampfadern, Hämorrhoiden und Leistenbruch. Der Autor erklärt, warum das so ist. Die Erkenntnisse der Evolutionsforschung haben Einzug gehalten in die Medizin.

„Operieren ist schön, aber die Verantwortung wiegt bleischwer.“ (17) Damit beschreibt van de Laar die Situation aus dem Blickwinkel eines Chirurgen. Während früher die Kunst darin bestand, besonders schnell zu arbeiten, damit der Patient nicht während der OP aufsprang und schreiend weglief, kommt es heute insbesondere auf Präzision an und dank Anästhesie sind die Voraussetzungen dafür auch gegeben.

Zu jedem Kapitel gibt es eine separat kenntlich gemachte Seite, die nicht zum Fließtext gehört und auf der medizinische Grundlagen erklärt werden. Es werden dort Begriffe oder Verfahren erläutert, die für das jeweilige Kapitel von Bedeutung sind. Die letzten Seiten des Buches enthalten Visionen für die Zukunft, ein Glossar medizinischer Begriffe und ein Quellenverzeichnis.

Medizinische Berichte können trocken, langweilig und schwer verdaulich sein oder unterhaltsam, spannend und allgemeinverständlich, wie die Geschichten von Arnold van de Laar. Das Verhältnis zwischen Historie, Fallbeschreibung, Medizin und Folgerungen ist ausgewogen, sodass man das Buch nur ungern zur Seite legt.