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Benutzername: 
Dreamworx
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 1369 Bewertungen
Bewertung vom 09.09.2020
Weil alles jetzt beginnt
Holmes, Linda

Weil alles jetzt beginnt


weniger gut

Keine Geschichte von bleibendem Wert
Die 32-jährige Evvie Drake hat endlich den Mut aufgebracht, ihren Sachen zusammengepackt und will aus dem Leben ihres Mannes verschwinden, als sie durch einen Anruf erfährt, dass ihr Ehemann, der allseits beliebte Arzt Timothy Christopher Drake, bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt ist. Evvie steht unter Schock, kommt es ihr doch wie es eine grausame Fügung des Schicksals vor. Während alle Welt denkt, Evvie trauere um ihren geliebten Mann, zieht diese sich immer mehr zurück und lässt nur noch ihren besten Freund Andy Buck an sich heran. Sein Vorschlag ist es auch, dass Evvie den ehemaligen Baseballstar Dean Tenney als Untermieter bei sich aufnimmt. Dean muss sich über den weiteren Verlauf seines Lebens klar werden und braucht dafür etwas Abgeschiedenheit. Evvie lässt Dean bei sich einziehen, die einzige Regel zwischen den beiden ist, dass sie sich nicht über ihre jeweiligen Probleme austauschen. Doch wie das mit Regeln so ist: sie sind schnell gebrochen, während Evvie und Dean sich immer näher kommen….
Linda Holmes hat mit „Weil alles jetzt beginnt“ einen ganz unterhaltsamen Roman vorgelegt, der eine emotionale und tiefgründige Geschichte verspricht, dies allerdings nicht halten kann. Der flüssige, gefühlvolle und teils humorige Schreibstil ermöglicht dem Leser zwar einen schnellen Eintritt in die Handlung, jedoch ist der Spannungsverlauf so niedrig angelegt, was schnell Langatmigkeit aufkommen lässt und zum Querlesen verleitet. Die immer wieder auftauchende Wiederholungen tun ihr Übriges dazu. Was als wohl als hochemotionale Geschichte mit Taschentuchalarm geplant war, entpuppt sich leider als kurzweilige, oberflächliche Lektüre, die man schnell abgehakt hat. Dabei hat die Autorin durchaus Themen parat, die es verdient hätten, tiefgründiger abgehandelt zu werden und so der Geschichte durchaus mehr Wert zu verleihen. Dinge einen übermächtigen Ehemann, der seine Frau unterdrückt und seine Macht ausspielt, oder das Belügen der Außenwelt werden hier nur kurz angerissen und hätten eigentlich mehr Raum einnehmen können, um die Geschichte glaubwürdiger und greifbarer zu machen. So bleibt es leider nur bei einer halbwegs durchschnittlichen Handlung, die keine besonderen Merkmale aufweist.
Auch die Charaktere sind in ihrer Ausgestaltung nicht so überzeugend, sie weisen zwar menschliche Ecken und Kanten auf, bleiben für dem Leser aber eher fremd, was das Mitfiebern und Mitfühlen nicht eben erleichtert. Evvie hat nicht nur einen Schicksalsschlag hinter sich, sondern schon vorher einiges ertragen müssen, so dass sie sich in sich zurückgezogen hat und ihrer Umwelt nur eine Fassade zeigt. Zudem neigt sie zum Klammern und suhlt sich auch etwas in ihrem eigenen Drama, was sie wenig anziehend wirken lässt, weil sie so saft- und kraftlos ist. Dean ist ein netter Kerl, der daran zu knabbern hat, dass seine Karriere ein so plötzliches Ende genommen hat. Er muss sich überlegen, wie es mit ihm weitergehen soll, aber er strahlt wenigstens etwas Lebensfreude aus. Evvies Freund Andy ist ein wirklicher Freund, auf den man sich verlassen kann. Auch seine Freundin Lori hat mehr Eindruck hinterlassen als die beiden Hauptprotagonisten.
„Weil alles jetzt beginnt“ ist ein halbgarer Liebesroman mit einer Story ohne Spannungsmomente oder Tiefgang. Die Geschichte ist zwar einigermaßen unterhaltsam, reicht aber nur zum Lückenfüller ohne bleibende Erinnerungsmomente, leider.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2020
... über uns die Dächer von Rom (eBook, ePUB)
Friese, Jani

... über uns die Dächer von Rom (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

"Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz." (Friedrich Hebbel)
Lehrerin Sofia König knabbert immer noch am Tod ihrer großen Liebe Noah, der schon zwei Jahre zurückliegt. Da ist ein Tapetenwechsel genau das Richtige. Sofia reist nach Rom und möchte dort für einige Wochen einen unbeschwerten Urlaub genießen. Als sie dem italienischen Künstler Adriano Vernese begegnet, ist sie wie vom Donner gerührt, denn er sieht nicht nur Noah sehr ähnlich, sondern verursacht bei Sofia auch Gefühle, die sie seit langem nicht mehr gespürt hat. Adriano erweist sich nicht nur als guter Führer durch seiner Heimatstadt Rom, sondern erobert nach und nach auch Sofias Herz, bis auf einem Fest bei Adrianos Familie Dinge ans Licht kommen, die sie völlig aus der Bahn werfen….
Jani Friese hat mit ihrem neuen Roman „über uns die Dächer von Rom“ eine wunderschöne warmherzige und berührende Geschichte vorgelegt, die den Leser in Herz und Seele trifft. Der flüssig-leichte, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser ein, gemeinsam mit Sofia in die ewige Stadt Rom zu reisen und dort eine Zeit zu erleben angefüllt mit der erfrischenden italienischen Lebensart, Sehenswürdigkeiten, Streifzügen durch die römischen Gassen sowie einer sich zauberhaft entwickelnden Romanze. Wer Rom bereits besucht hat, wird sich sofort dort heimisch fühlen und hat durch die gelungenen Beschreibungen ein wunderschönes Kopfkino bei der Lektüre. Während all dessen darf der Leser tief in Sofias Gedanken- und Gefühlswelt eintauchen, was ihn noch näher an die Protagonistin bindet. Mal tiefgründig, mal mit einer Prise Humor und Schlagfertigkeit lässt die Autorin den Leser an den Seiten kleben, während sie mit dem Thema Organspende auch ein wichtiges Thema anspricht, das aktueller den je ist. Überhaupt ist die Handlung vielschichtig, denn es geht auch um Betrug, Trauerbewältigung und Familiengeheimnisse, die Friese hier dem Leser allesamt als Gesamtpaket präsentiert.
Die Charaktere sind mit eingeständigen Eigenschaften liebevoll und lebendig in Szene gesetzt, realitätsnah und glaubwürdig wachsen sie dem Leser schnell ans Herz, was das Mitfühlen und Mitfiebern sehr leicht macht. Sofia ist eine unternehmungslustige junge Frau, die bereits einen Tiefschlag hinnehmen musste, dessen Wunde noch nicht verheilt ist. Sie ist intelligent, schlagfertig und weiß, sich zu behaupten. Adriano ist ein attraktiver und geheimnisvoller Herzensbrecher, wie man sich ihn wünscht. Er besitzt genau die richtige Mischung von spritzigem Charme gepaart mit italienischer Machoattitüde, bei der man als Frau schwach wird. Zudem verbirgt er ein Geheimnis, dass der Leser gemeinsam mit Sofia erst einmal enthüllen muss. Marita ist eine Mutter, die die Wünsche ihres Sohne respektiert und das Liebste verloren hat. Claudio ist ein Egoist erster Güteklasse, der sich nicht darum schert, wie sehr er andere mit seinem Tun verletzt.
„über uns die Dächer von Rom“ birgt eine Geschichte voller Emotionen, Tiefgründigkeit, Familiengeheimnissen, Spannung, Liebe, Romantik und genau dem richtigen Maß an Dolce Vita in einer der schönsten Städte der Welt. Einfach aufschlagen und das Kopfkino springt von selbst an. Wunderschön und absolut verdient mit einer Leseempfehlung ausgestattet!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2020
Winterleuchten am Liliensee
Büchle, Elisabeth

Winterleuchten am Liliensee


ausgezeichnet

„Glücklich allein ist die Seele, die liebt.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
1965. Lisa, vom Schicksal bereits oftmals gebeutelt, nimmt die Einladung ihrer vermeintlichen Patentante Charlotte Vogel an, die eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter war. So reist sie in den Schwarzwald an den Liliensee, um Charlotte und deren Familie kennenzulernen und vielleicht auch einiges über ihre eigene Vergangenheit zu erfahren. Schon bald haben die Vogels die junge Frau ins Herz geschlossen, und Charlotte sieht in ihr bereits eine potentielle Ehefrau für einen ihrer drei Söhne. Einzig der älteste Sohn Robert hat seine Vorbehalte gegenüber Lisa und begegnet ihr mit Misstrauen. Bei einer gemeinsamen Bergtour werden Robert und Lisa von einem Schneesturm überrascht und können sich in eine Hütte flüchten, wo sie nun gemeinsam festsitzen…
Elisabeth Büchle hat mit „Winterleuchten am Liliensee“ einen zauberhaften und anrührenden Winterroman vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an zu fesseln weiß. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil der Autorin lässt den Leser in den malerischen Schwarzwald reisen, wo er sich an Lisas Fersen heftet und ihr Schicksal verfolgt. Die farbenfrohen Schilderungen der Landschaft lassen nicht nur wunderschöne Bilder vor dem inneren Auge des Lesers entstehen, sondern erwecken ebenso die Protagonisten zum Leben, die einem recht schnell ans Herz wachsen. Während sich die Gedanken- und Gefühlswelt der einzelnen Charaktere dem Leser offenbaren, nimmt er Anteil an ihrer Vergangenheit und hofft mit ihnen auf einen glücklichen Verlauf für die Zukunft. Gerade Lisas Schicksal lässt den Leser nicht kalt, hat sie die Liebe ihrer Mutter schon als junges Mädchen entbehren müssen. Einzig ihre Großtante Camille brachte Farbe in ihr trauriges Dasein und verhinderte so, dass ihre Verzweiflung überhandnahm, doch ein richtiges Familienleben hat Lisa nie gekannt. Bei den Vogels wird ihr das einmal mehr schmerzlich bewusst, gleichzeitig genießt sie den dort gelebten Zusammenhalt und das liebevolle Miteinander. Mit dem vom Schnee aufgezwungenen Hüttenaufenthalt lässt die Autorin zwei Welten aufeinander prallen, denn da ist einerseits Lisa, die sich nichts mehr wünscht als zu einer Familie zu gehören und die bedingungslose Liebe erleben zu dürfen, während Robert andererseits durch schlechte Erfahrungen keine Frau näher an sich heranlassen will. In der nun auferlegten Zweckgemeinschaft, bei der Großvater Johann wohl seine Hand im Spiel hatte, müssen sich die beiden vertrauen, vielleicht gelingt es ihnen sogar, sich einander zu öffnen. Wunderbar poetisch spinnt die Autorin ihre Fäden und setzt sie in Bildern zusammen.
Die Charaktere sind liebevoll und lebendig in Szene gesetzt, mit menschlichen Ecken und Kanten können sie den Leser schnell für sich einnehmen, da sie glaubwürdig und realistisch wirken. Der Leser findet sich schnell in ihrer Mitte wieder, hofft und fiebert mit ihnen gemeinsam. Lisa ist eine zutiefst verletzte junge Frau, die all ihre Gefühle in die Kunst legt, sie hat sonst niemanden, dem sie sich mitteilen kann. Zurückhaltend, aber auch mit Humor gesegnet erobert sie sich schnell einen Platz im Leserherz. Charlotte ist eine warmherzige und gewiefte Frau, die für all ihre Lieben nur das Beste will. Georg ist ein offener und fröhlicher junger Mann, während sein Bruder Robert eher griesgrämig und argwöhnisch durchs Leben geht. Opa Johann ist eine Seele von Mensch mit dem gewissen Schalk im Nacken und immer für eine Überraschung gut.
„Winterleuchten am Liliensee“ besticht mit einer wunderbaren gefühlvollen Geschichte, die den Winter einziehen lässt und das Leserherz für Besinnlichkeit öffnet, denn Hoffnung, Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl strahlen hell aus der Handlung hell hervor. Absolute Leseempfehlung!

8 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2020
Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis
Grill, Petra

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis


ausgezeichnet

"Zu Münchens schönsten Paradiesen zählt ohne Zweifel seine Wiesn." (Eugen Roth)
Das 31-jährige Schankmädchen Colina hat vor ihrem gewalttätigen Ehemann Reißaus genommen und ihren Sohn Max bei Freunden untergebracht. Mit List und Tücke ergattert sie eine Anstellung beim fränkischen Bierbrauer Curt Prank als Gouvernante für dessen 19-jährige Tochter Clara. Prank möchte unbedingt auf dem Münchner Oktoberfest an Einfluss gewinnen und ein kürzlich erlassenes Gesetz umgehen, Clara soll seine Eintrittskarte sein und eine arrangierte Heirat eingehen. Aber Clara denkt gar nicht daran, sich verschachern zu lassen. Deshalb flieht sie aus dem elterlichen Haus, was einem Skandal gleichkommt, während Colina aufgrund der Vernachlässigung ihrer Pflichten ihre Anstellung verliert und sich erneut als Schankmädchen auf dem Oktoberfest verdingen muss…
Petra Grill hat mit „Oktoberfest 1900-Träume und Wagnis“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der für die gleichnamige ARD-Serie als Vorlage dient, die noch in diesem Jahr ausgestrahlt werden soll. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil lässt den Leser 120 Jahre zurück in die Vergangenheit reisen, um im damaligen München auf Colina zu treffen, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Die Autorin stellt ihre Ortskunde mit einigem Lokalkolorit sowie guter historischer Hintergrundrecherche unter Beweis, beides verleiht der Geschichte eine gewisse Authentizität. So gibt Grill einen guten Einblick in die damalige Münchner Gesellschaftsschichten und deren Arbeits- und Lebensbedingungen sowie über die politische Lage. Colina muss sich als Schankmädchen so einiges gefallen lassen, sexuelle Belästigung gab es auch damals schon, wurde allerdings damals nicht thematisiert. Frauen waren Freiwild, entweder als Kellnerin, die sich während ihrer Arbeit begrapschen lassen musste, aber auch als junge Frau, die sich den Plänen des Familienoberhauptes zu fügen hatte. Zudem bestand der Lohn der Schankmädchen nur aus dem erworbenen Trinkgeld, der Wirt zahlte ihnen nichts, was viele zu verzweifelten Taten trieb. Ebenso interessant ist die Tatsache, dass auf dem Oktoberfest früher Wirtsleute mit Schanklizenz ihr Geschäft betrieben, die großen Brauereien allerdings nicht vertreten waren. Diese kauften nach und nach die Wirte auf, um deren Schanklizenzen für sich selbst zu nutzen und so das Oktoberfest nachhaltig zu verändern. Aus der damals gemütlichen Wiesn ist ein heute ein kommerzieller Riesenrummel geworden. Spannung erzeugt die Autorin nicht nur mit ihren lebhaften Protagonisten, sondern auch mit Todesfällen, die zu einiger Unruhe auf den Festwiesen führen. Mit wechselnden Perspektiven zwischen Colina und dem Polizisten Lorenz Aulehner wird nicht nur der Spannungsbogen immer weiter angehoben, sondern liefert dem Leser auch einen guten Einblick in die jeweilige Lebens- und Arbeitswelt.
Die Charaktere sind lebhaft und glaubwürdig zugeschnitten, ihnen wurde regelrecht Leben eingehaucht. Mit ihren menschlichen Zügen können sie den Leser schnell überzeugen, der sich ihnen gern anschließt. Colina hat das Herz am rechten Fleck, ist etwas ausgebufft, mutig und lässt sich so schnell nichts vormachen. Lorenz Aulehner ist ein ehrlicher, aufrichtiger Mann, der privat selbst seine Päckchen zu tragen hat. Clara ist eine verwöhnte junge Frau, die erst etwas naiv und weltfremd wirkt, um den Leser dann mit Stärke und Selbstbewusstsein zu überraschen. Aber auch Eder und Prank sowie einige andere tragen zum Unterhaltungswert der Handlung bei.
„Oktoberfest 1900-Träume und Wagnis“ ist ein unterhaltsamer historischer Roman angefüllt mit intriganten Machenschaften, Familiengeheimissen, Mord und viel Lokalkolorit, so dass der Leser sich auf einen interessanten Wiesnbesuch freuen kann. Verdiente Leseempfehlung!

8 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2020
Am Himmel drei Sterne
Freiberger, Maya

Am Himmel drei Sterne


ausgezeichnet

"Die größten Menschen sind jene, die anderen Hoffnung geben können." (Jean Jaurès)
Während des Zweiten Weltkrieges und auch in der Zeit danach wurden Kriegsgefangene und Angehörige von Minderheiten von den Russen in Arbeitslager deportiert, um dort zu arbeiten. So ergeht es im rumänischen Siebenbürgen 1945 auch Selma, ihrer Schwester Irma und Freundin Gisela, als sich Rumänien den Alliierten anschließt und somit die Deutschen in ihrem Land zum Abschuss freigibt. Die drei jungen Frauen müssen eine furchtbare Reise unter menschenunwürdigen Bedingungen hinter sich bringen, in deren Folge Irma schwer krank wird. Selma hat Angst um Irma und versucht alles, um ihre Schwester zu beschützen. Sie hat nur einen Gedanken, sie müssen aus dem Lager fliehen, um zu überleben. Ein Russe namens Efrem unterstützt sie dabei...
Maya Freiberger hat mit „Am Himmel drei Sterne“ einen sehr berührenden Roman basierend auf Tatsachen aus dem eigenen Umfeld vorgelegt, der dem Leser ein weiteres düsteres Kapitel als Folge des Zweiten Weltkrieges vor Augen führt. Der flüssige, farbenfrohe und einfühlsame Schreibstil nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise, wo er an der Seite von Selma, Irma und Gisela das erschütternde Schicksal der Deportierten in den russischen Arbeitslagern hautnah miterlebt. Durch die bildhafte Erzählweise wird beim Leser ein sehr lebendiges Kopfkino in Gang gebracht. Die unmenschlichen Zustände in den russischen Gulags sowie die düstere und ausweglose Atmosphäre wirken erdrückend und machen regelrecht atemlos, während man sich selbst die Frage stellt, ob man solch ein Märtyrium durchgestanden hätte. Da flößt es einem geradezu Respekt ein, wie Menschen unter diesen Bedingungen durchhalten konnten, ihre Hoffnung bewahrten und vor allem auch den Mut fanden, sich gegen diese Zustände zur Wehr zu setzen, um endlich wieder frei zu sein, egal zu welchem Preis und auch andere dabei in ihre Gedanken miteinbezogen. Während der Lektüre wird der Leser durch eine Achterbahn der Gefühle geschickt und fragt sich dabei, wieviel Grausamkeit und Menschenverachtung man überhaupt überleben kann. Der Spannungsbogen zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte und wartet auch mit einigen Wendungen auf.
Die Charaktere sind liebevoll mit glaubwürdigen Eigenschaften ausgestattet und in Szene gesetzt, wodurch sie realistisch sowie lebendig wirken und dem Leser die Möglichkeit eröffnen, sich ihnen anzunähern und ihr Schicksal zu teilen. Selma ist eine starke und mutige junge Frau, die sich nicht unterkriegen lässt. Sie ist hilfsbereit, fürsorglich und vor allem mit einem gesegnet: unerschütterlichem Optimismus, der nicht nur ihr durch die schreckliche Zeit hilft. Irma ist eher zurückhaltend, zart besaitet und vor allem mit einer wenig robusten Konstitution geschlagen. Die Schwestern eint ein enges Band der Liebe. Aber auch Gisela, Efrem und Johannes sowie einige andere Protagonisten verleihen der Handlung mit ihren Auftritten Spannung und runden die Geschichte ab.
„Am Himmel drei Sterne“ ist eine Geschichte über den Überlebenskampf von zwei Schwestern und die Hoffnung, endlich in Freiheit leben zu können. Spannend mit viel Empathie und Gefühl erzählt, hält es die Erinnerung an die damals Geknechteten wach und lässt im Kopf des Lesers einmal mehr den Wunsch aufkommen, dass sich solche Dinge niemals wiederholen werden. Absolute Leseempfehlung!

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.09.2020
Menschliche Dinge
Tuil, Karine

Menschliche Dinge


ausgezeichnet

Zwei Seiten einer Medaille
2016. Der 70-jährige Politik-Journalist Jean Farel ist schon lange für seine TV-Sendungen berühmt und lebt mit seiner 27 Jahre jüngeren Ehefrau Claire, einer ebenfalls bekannten und nicht gerade öffentlichkeitsscheuen Feministin in Paris, während der 21-jährige Sohn Alexandre in Kalifornien an der Stanford Universität studiert. Während Jean bei einer exklusiven Abendveranstaltung vom französischen Präsidenten für besondere Verdienste den Orden der Ehrenlegion überreicht bekommt, feiert Alexandre mit Studienfreunden ausgelassen eine Party, die zur Folge hat, dass die Welt der Farels mit dem Auftauchen der Polizei vor ihrer Haustür am nächsten Morgen in Stücke fällt…
Karine Tuil hat mit „Menschliche Dinge“ einen intelligenten und hochspannenden Roman vorgelegt, in dem sie mit ihrer Geschichte die heutige Gesellschaft sehr genau und kritisch unter die Lupe nimmt und deren Eigenschaften wiederspiegelt. Angelehnt an die großen Sexismus-Skandale der Gegenwart wirkt die Handlung sehr glaubwürdig und gewährt dem Leser nicht nur Einblick hinter die Kulisse in das Gefüge der Familie mit all ihren Gedanken und Gefühlen, sondern auch in den sehr öffentlich ausgetragenen Umgang der Gesellschaft mit den Vorkommnissen. Dabei schwankt man als Leser immer zwischen zwei Seiten hin und her, denn aus der Sicht der Männer ist es neben Macht und Geld ein Spiel um Selbstgerechtigkeit und Selbstdarstellung, während es bei den Frauen oftmals Selbstbestimmung, verletzter Stolz oder auch verschmähte Liebe ist. Beide Seiten sind durch die Natur der Menschen durchweg nachvollziehbar, wenn auch nicht zu goutieren. Mit wechselnden Perspektiven gelingt es der Autorin, die unterschiedlichen Auffassungen des Vorfalls an den Leser zu bringen, der dazu „verdammt“ ist, selbst abzuwägen, auf welcher Seite er steht. Doch so einfach ist es dann doch nicht, denn aufgrund unserer jeweiligen Erziehung und Position in der Gesellschaft neigt man leider nur zu oft dazu, sich auf eine Seite zu schlagen und sich eine Meinung zu bilden, ohne der Gegenseite genug Gehör geschenkt zu haben. Gerade diese Tatsache führt dazu, dass ganze Existenzen allein auf Hörensagen zerstört werden und die Betroffenen fortan als personae non gratae in dieser Gesellschaft gelten. Tuil hat ihren Spannungsbogen gemächlich angelegt, zieht aber im Verlauf der Handlung die Fäden immer mehr an, so dass der Leser bis zum Ende an den Seiten klebt.
Die Charaktere sind sehr glaubwürdig und authentisch inszeniert, so dass sie wie aus der Realität gegriffen wirken. Jederzeit kann man als Leser auf sie treffen, ob sie einem sympathisch sind, ist eine andere Frage. Jean Farel hat sich sein Ansehen und Ruhm hart erarbeitet, was ihm eine gewisse Aura der Arroganz sowie Egoismus verleiht. Er fühlt sich überlegen und unantastbar, ist kein Kostverächter, denn das Eheleben mit Claire ist Fassade. Claire ist ebenfalls erfolgreich, doch wird sie am Ende ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht, da sie zwar nach außen gepredigt, aber innerlich das Gegenteil getan hat. Alexandre ist ein intelligenter und fleißiger junger Mann, der dem Druck seiner Eltern gerecht werden möchte, doch seine Unsicherheit und Sensibilität ihm dabei im Weg stehen. Aber auch Mila und ihre Mutter sowie weitere Protagonisten runden mit ihren Auftritten diesen Roman ab.
Mit „Menschliche Dinge“ ist Karine Tuil eine meisterhafte Gesellschaftsstudie der heutigen Zeit in Romanform gelungen, die dem Leser noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Es gilt beide Seiten einer Medaille zu betrachten und Raum für Möglichkeiten miteinzubeziehen, bevor man vorschnell ein Urteil fällt. Die kontroverse Betrachtung des Umgangs zwischen Männern und Frauen ist heutzutage wichtig, um dauerhaft an sich zu arbeiten und Werte zu leben. Absolute Leseempfehlung!

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2020
Das Glück in vollen Zügen
Kirsch, Lisa

Das Glück in vollen Zügen


sehr gut

"Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme." (Friedrich Schiller)
Marie Brunner hat sich zusammen mit Hündin Dexter in einem Bauwagen mit Blick auf den Ammersee auf dem Grundstück ihrer Mutter eingerichtet, um einerseits unabhängig und andererseits in der Nähe ihrer Mutter zu sein, die den Tod ihres Ehemannes noch nicht ganz verkraftet hat. Jeden Tag fährt Marie mit der S-Bahn nach München rein, um dort ihren Traumjob als Produktdesignerin auszuüben, was ihr eigentlich nichts ausmacht. Schrecklich nervig während der täglichen Fahrt ist nur der Typ, der mit seinen lautstarken Telefonaten immer den ganzen Wagon unterhält. Sein Job bei BMW lässt Johannes Schraml nicht viel Freizeit, nebenbei muss er sich noch um seinen 72-jährigen Vater Horst kümmern, der unter Alzheimer leidet und nicht mehr ganz allein zurechtkommt. Deshalb ist Johannes auch bei ihm eingezogen. Die Tussi, die ihn in der S-Bahn immer so grimmig ansieht, findet er eigentlich ganz niedlich, denn sie wäre genau sein Typ. Als sie plötzlich nicht mehr die tägliche Fahrt mit ihm teilt, steht Johannes vor der Frage, wie er sie finden soll, vielleicht über eine Dating-App?
Lisa Kirsch hat mit „Das Glück in vollen Zügen“ einen warmherzigen und tiefgründigen Roman als Debüt vorgelegt, der wie mitten aus dem Leben gegriffen wirkt. Der locker-flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil mit einer Prise Witz lässt den Leser ab den ersten Zeilen zwischen den Seiten abtauchen und das Kopfkino anspringen, um Marie und Johannes durch ihren Alltag zu begleiten und ihnen bei ihrem Handeln und Tun über die Schulter zu sehen. Durch die wechselnden Perspektiven zwischen Johannes und Marie erhält der Leser ein gutes Gesamtbild sowie Einblick in die Gedanken- und Seelenwelt der Protagonisten. Interessant sind die Gedankengänge und Schlussfolgerungen der beiden, wenn der jeweils andere telefoniert und sie einige Bruchstücke der Gespräche erhaschen. Dies kann man tagtäglich selbst immer wieder beobachten auf dem Weg zur Arbeit. Die Menschen reden immer weniger miteinander, lieber starren und hacken sie auf ihren Mobilgeräten herum. Sowohl Marie als auch Johannes haben privat ihre Päckchen zu tragen, die sich in gewisser Weise sogar ähneln, denn beide kümmern sich liebevoll um die eigenen Eltern, was einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch nimmt. Da bleibt neben einem Job nicht viel Zeit für eigene Interessen oder Verabredungen, wobei sich Marie und Johannes doch mehrmals über den Weg laufen. Die anrührenden Szenen aus den beiden Leben gehen ans Herz, machen nachdenklich und lassen den Leser seitenlang hoffen, dass diese zwei Seelen endlich den Sprung wagen. Das Ende kommt leider etwas überhastet und lässt den Leser etwas überrumpelt zurück.
Die Charaktere sind mit individuellen Ecken und Kanten liebevoll und lebendig gestrickt, so dass sie wie Phoenix aus der Asche vor dem inneren Auge des Lesers erscheinen, der sich ihnen schnell annähert und mit ihnen bangt, hofft, zweifelt und fiebert. Marie ist mit ihren 31 Jahren eine offene und selbstbewusste Frau. Sie trägt das Herz auf der Zunge, ist freundlich, extrovertiert und hilfsbereit. Innerlich aber sehnt sie sich nach einer Schulter zum Anlehne und jemanden, der ihre Sorgen mit ihr teilt. Johannes ist fleißig, fürsorglich, eher zurückhaltend und hat zu viel Respekt vor der eigenen Courage. Aber auch die Eltern, Freunde und Nachbarn der beiden bringen frischen Wind in die kurzweilige Geschichte.
„Das Glück in vollen Zügen“ ist ein unterhaltsamer Liebesroman, der sich durch die Probleme seiner Protagonisten ganz nah am heutigen Zeitgeist orientiert und deshalb sehr realitätsnah und authentisch wirkt. Ein schönes und abwechslungsreiches Kopfkino mit verdienter Leseempfehlung!

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2020
Zwei fremde Leben
Goldammer, Frank

Zwei fremde Leben


sehr gut

Ein Mutterherz gibt niemals auf
1973 freut sich Ricarda Raspe mit ihrem Verlobten in Dresden auf die Geburt ihres ersten Kindes, doch dann erlebt Ricarda einen Alptraum, denn nach einer angeblichen Totgeburt wird ihr aufgrund von DDR-Vorschriften der Abschied von ihrem Kind nicht gewährt. Ricarda ist völlig verzweifelt, glaubt sie doch nicht daran, dass ihr Kind nicht mehr lebt, sondern verdächtigt ihren eigenen Vater, ihr Kind von ihr fern zu halten, indem er es zur Adoption freigegeben hat. Polizist Thomas Rust, dessen Frau ebenfalls kurz vor der Entbindung steht, bekommt Wind von der Sache und folgt seiner Spürnase, doch wird es für ihn bald sehr gefährlich, stochert er doch in Dingen herum, die die Stasi unbedingt bedeckt halten will. 17 Jahre später im Jahr 1989 sucht die junge Claudia Behling ihre leibliche Mutter. Kommt am Ende doch zusammen, was von Beginn an zusammengehörte?
Frank Goldammer hat mit „Zwei fremde Leben“ nicht nur den optimalen Titel für seinen Roman gefunden, sondern spiegelt mit einer mitreißenden Handlung die Zustände in der damaligen DDR wieder, deren Bürger immer wieder von der Stasi manipuliert und malträtiert wurden. Der flüssige, bildhafte und fesselnde Schreibstil bugsiert den Leser mit wenigen Worten auf eine Zeitreise in die jüngste Vergangenheit. Der Autor spielt im Verlauf seiner Handlung mit wechselnden Zeitebenen, so dass der Leser sowohl Ricarda und ihr Leben kennenlernt als auch das Leben der jungen Claudia. Die Verzweiflung Ricardas, ihre unablässige Suche nach ihrem Kind sowie ihre dadurch zerbrechende Ehe und ihre Einsamkeit sind sehr anschaulich beschrieben. Bewundernswert dabei ist, wie sehr sie an ihrer Überzeugung festhält, obwohl sie nie wirklich beweisen kann, dass ihre Vermutungen stimmen. Auch die Sicht auf Claudia lässt den Leser nicht kalt. Das junge Mädchen steht innerhalb ihrer Familie ständig unter Druck, das Verhältnis zur Mutter ist besonders schwierig. Ihr Ausbruch aus dieser Zwangsjacke ist nachvollziehbar, ihre Abwanderung in den Westen nach dem Mauerfall praktisch vorhersehbar. Obwohl die Geschichte die damaligen Verflechtungen der Stasi sehr gut wiedergibt und die Handlung einiges an Spannung verspricht, kommt diese leider nicht wirklich zum Tragen. Zu sehr liegt das Hauptaugenmerk auf den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR. Dabei beinhalten die Themen Kindesentzug und Zwangsadoption einiges an Sprengstoff, der hier leider nicht richtig zur Zündung kommt.
Die Charaktere sind mit ihren menschlichen Ecken und Kanten recht lebendig und glaubwürdig in Szene gesetzt, jedoch bleibt der Leser immer am Rand und baut keine große Nähe zu ihnen auf, was dem Lesevergnügen aber nicht schadet. Ricarda ist eine liebende und verzweifelte Mutter, deren Leid gut zu spüren ist. Ihre ausdauernde Suche nach ihrem Kind fordert nicht nur viele Opfer von ihr, sondern auch all ihre Kraft, um nicht in völlige Mutlosigkeit zu versinken. Da wünscht man sich als Leser geradezu, dass ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt werden, damit sie endlich zur Ruhe kommt und ihrem eigenen Kind in die Augen blicken kann. Thomas Rust ist ein intelligenter, ehrlicher Mann mit einem Pokerface, zudem mit einer besonderen Spürnase und der nötigen Neugier ausgestattet, die sich auch nicht ausschalten lässt, als sich die Gefahr über ihm zusammenbraut. Claudia ist auf der Suche nach ihren Wurzeln. Das Verhältnis zu ihren Adoptiveltern ist schwierig, so richtig zuhause fühlt sie sich nicht. Die Suche nach ihrer leiblichen Mutter zwingt sie dazu, schnell erwachsen zu werden und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
„Zwei fremde Leben“ ist eine beeindruckende Geschichte, die sich so bestimmt auf die eine oder andere Weise so zugetragen hat. Noch heute gibt es viele Frauen, die nach ihren verschwundenen Kindern suchen. Ein unterhaltsamer und nachdenklich stimmender Roman, dem leider die Spannung etwas verloren geht. Verdiente Empfehlung

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


sehr gut

"Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon." (Jean de La Fontaine)
Die indische Diplomatentochter Jaya lernt in den 80er Jahren in dem amerikanischen Banker Keith Olander ihren zukünftigen Ehemann kennen. Die beiden gründen eine Familie, bewohnen ein eigenes Haus im Dunstkreis von London und krönen ihr Glück mit den zwei Kindern Karina und Prem. Doch an einem Nachmittag, als die Kinder allein zuhause sind, zerbricht das gemeinsame Glück mit einem Schlag und nichts ist mehr wie zuvor. Der Schicksalsschlag hinterlässt bei jedem Familienmitglied seine Spuren und zerreißt ihre vormals enge Verbindung untereinander in Stücke, so dass sie nur noch nebenher und nicht miteinander leben. Was wird da eine erneute Tragödie bewirken?
Shilpi Somaya Gowda hat mit ihrem Buch „Was uns verbindet“ einen anrührenden Roman vorgelegt, der sich mit der Bewältigung einer Tragödie innerhalb einer Familie beschäftigt und dabei alle Mitglieder sehr genau unter die Lupe nimmt. Der flüssige, einfühlsame und fesselnde Erzählstil gewährt dem Leser schon mit dem spannenden Prolog Einlass in die Familie Olander, wo er sich als unsichtbarer Gast niederlässt und die einzelnen Protagonisten genauestens unter die Lupe nehmen kann. Die Autorin zeichnet ein rundum zufriedenes Familienidyll, das von einer Sekunde auf die andere vor die Hunde geht. Geschickt und gleichzeitig behutsam entblättert sie die Veränderungen, die bei den einzelnen Familienmitgliedern auftreten, um auf ihre jeweils ganz eigene Weise mit dem Schicksalsschlag umzugehen und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Während Jaya sich plötzlich ihrer indischen Wurzeln besinnt und ihr Heil in der Religion und Meditation sucht, vergräbt sich Keith nicht nur in die Arbeit, um zu vergessen und zu verdrängen, sondern sucht sich amouröse Abenteuer, um überhaupt etwas zu fühlen. Tochter Karina dagegen plagt sich mit Schuldgefühlen und leidet allein vor sich hin, denn ihre Eltern sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ihr Halt und Trost zu spenden. Sie versucht den Schmerz nicht nur durch Selbstverstümmelung zu übertreffen, sondern schließt sich auch einer fragwürdigen Gemeinschaft an, um nicht mehr allein zu sein. Unterschiedliche Perspektiven, Kulturvergleiche sowie überraschende Wendungen machen diese Geschichte durchweg berührend und spannend.
Die Autorin beweist mit ihren Charakteren eine gute Beobachtungsgabe, denn sie sind mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet lebendig und glaubwürdig in Szene gesetzt. Der Leser leidet, bangt und hofft mit ihnen. Jaya ist zu Beginn eine glückliche und offene Frau, die sich im Verlauf immer mehr nur noch auf sich selbst konzentriert und ihr Seelenheil in der strengen Ausführung ihrer Religion sucht. Keith, vormals ein fröhlicher und zufriedener Mann, setzt seine Ansprüche an sich immer höher, verarbeitet seinen Schmerz durch immer mehr Arbeit und der Jagd nach Erfolg. Karina, die eng mit ihrem Bruder Prem verbunden war, verändert sich von einem unternehmenslustigen Mädchen in eine von Schuld gepeinigte Seele, die jegliches Gespür für sich selbst verloren hat. In ihrer Verzweiflung und noch etwas kindlichen Naivität ist sie leicht zu beeinflussen, sehnt sie sich doch nach Liebe und Gemeinschaft.
„Was uns verbindet“ ist ein eindringliches, emotionales, trauriges, aber auch Hoffnung spendendes Buch, das nicht die Familie und den Zusammenhalt thematisiert, sondern auch die Trauer und den unterschiedlichen Umgang mit ihr sowie die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Verdiente Leseempfehlung!

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2020
Leben mit Auschwitz
Treuenfeld, Andrea von

Leben mit Auschwitz


ausgezeichnet

"Antisemitismus ist keine Meinung. Er ist eine Perversion." (Jacques Chirac)

"Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluß für bearbeitet oder für beendet zu erklären."
(Noach Flug - Auschwitzüberlebender)

Das 1845 von Heinrich Beta formulierte „Arbeit macht frei“ wurde von den Nazis in zynischer Weise als Willkommensgruß für die Ankömmlinge im Konzentrationslager Auschwitz gewählt, um dort ihre Gefangenen unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit heranzuziehen, sie zu foltern, zu quälen, auszuhungern und vor allem zu töten. Vor 75 Jahren, am 27. Januar 1945 wurden die Konzentrationslager von Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit, die dort noch 7.000 Inhaftierte antrafen, die bis dahin den Holocaust überlebt hatten. Welchen Verlauf hat deren Leben danach genommen? Wie konnten sie nach all dem Gräuel ein neues Leben beginnen und vor allem, wie haben sie das Erlebte verarbeitet? Wie gehen die Nachkommen mit dem Wissen um?

Andrea von Treuenfeld geht in ihrem Buch „Leben mit Auschwitz“ diesen Fragen nach, die vor allem die Nachfahren, in diesem Fall die Enkelgeneration der ehemals Inhaftierten, betrifft. Sowohl mit Pragmatismus als auch mit ausgesprochenem Feingefühl und Respekt lässt die Autorin anhand von persönlichen Geschichten den Leser an den unterschiedlichsten Schicksalen teilhaben, wobei sie hervorhebt, welchen Stellenwert und Einfluss Auschwitz in deren heutigem Leben auf ihr Handeln und Tun hat. Die ehemalig Inhaftierten haben die Erlebnisse oftmals in sich verschlossen, nicht nur aufgrund der Grausamkeiten, die sie erlebt haben, sondern auch, weil sie oftmals als einzige ihrer Familien überlebt haben, sich vielleicht sogar schuldig fühlten, noch am Leben zu sein. Sie haben die Zeit tief in ihren Seelen vergraben, um irgendwie mit ihrem Leben weiterzumachen. Doch die heutige Enkelgeneration ist offen, neugierig, hartnäckig, stellt Fragen und ist interessiert an den eigenen Wurzeln. Die Erlebnisse ihrer Großeltern kommen nun ans Tageslicht und die Enkel versuchen, diese Vergangenheit aufzuarbeiten, richten ihr Leben darauf aus und spüren nach, welchen Einfluss diese Dinge auf ihr Leben haben. Beispielhafte Familiengeschichten wie die von Rebecca de Vries, Daniel Langbein oder den Geschwistern Faessler stehen für aufwühlende Erlebnisse und mutige Menschen, deren Leben eng mit den Schicksalen ihrer Großeltern verbunden sind.

Mit „Leben mit Auschwitz“ hat Andrea von Treuenfeld ein einzigartiges Buch vorgelegt, dass sich nicht nur Familienschicksalen des Holocaust annimmt, sondern auch Hoffnung macht durch die intelligente und offene Aufarbeitung der jungen Generation, dass Auschwitz zwar nie vergessen, sich aber auch nie wiederholen wird. Sehr empfehlenswert!

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