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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 507 Bewertungen
Bewertung vom 30.06.2025
Nacht über Soho
Atkinson, Kate

Nacht über Soho


sehr gut

NACHT ÜBER SOHO
Kate Atkinson

London in den 1920er Jahren:
Nellie Coker, auch bekannt als die Königin von Soho, ist die Inhaberin der berühmtesten Nachtclubs der Stadt. Mit allen Tricks und Mitteln sorgt sie dafür, dass trotz strenger Schankgesetze die Polizei außen vor bleibt. Ihren prominenten Gästen – Richter, Kronanwälte und andere einflussreiche Persönlichkeiten – liest sie jeden Wunsch von den Lippen ab. Es ist eine Zeit, in der man die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe vergessen will – eine schillernde, glitzernde Welt, in der das Vergnügen im Vordergrund steht. Doch zugleich ist es auch eine Zeit von Korruption und Bandenkriegen. Und mittendrin: Nellie, deren Imperium mehr und mehr ins Wanken gerät.

Inspektor Frobisher ermittelt in einer Serie grausamer Verbrechen: Immer wieder werden junge Frauen tot aus der Themse gezogen. Ihre Identitäten bleiben meist im Dunkeln, doch vieles deutet darauf hin, dass sie aus dem Milieu der Nachtclubs stammen – möglicherweise Tänzerinnen aus Nellies Etablissements.

Doch das ist nur ein Teil dieses vielschichtigen Romans. Denn Kate Atkinson stellt uns eine Fülle weiterer Figuren vor: Nellies sechs Kinder, Freda und ihre beste Freundin Florence, die von York nach London durchbrennen, um in Soho ihr Glück zu suchen, oder die sympathische Gwendolyn, die als Geschäftsführerin in Nellies Clubs eine entscheidende Rolle spielt. Alle erzählen ihre Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen – und genau das ergibt ein dichtes, atmosphärisch starkes Bild einer Welt voller Glanz, Gefahr und Geheimnisse.

Ich habe damals „Familienalbum" von Kate Atkinson sehr gemocht und wollte unbedingt noch ein weiteres Werk von ihr lesen. Auch in diesem Roman ist ihr Stil wieder etwas ganz Besonderes: detailreich, fein beobachtet und mit subtilem Humor. Ich hatte das Gefühl, selbst Gast in einem ihrer Clubs zu sein. In der ersten Hälfte nimmt sich die Autorin viel Zeit, um die zahlreichen Figuren einzuführen – das war einerseits hilfreich, wirkte aber stellenweise auch etwas langatmig. Gerade als ich überlegte, ob ich das Buch vielleicht doch zur Seite legen sollte, nahm die Handlung plötzlich Fahrt auf – und ich konnte kaum noch aufhören zu lesen.

Fazit:
Ein Roman mit kleinen Längen zu Beginn, aber brillant konstruiert und später unglaublich spannend. Ich mochte ihn sehr – eine klare Leseempfehlung!
4/5

Bewertung vom 25.06.2025
Psychopompos
Nothomb, Amélie

Psychopompos


gut

PSYCHOPOMPOS
Amélie Nothomb

Amélies Kindheit ist geprägt von ihrem Vater, der als Botschafter oder Konsul Belgien in verschiedenen Ländern vertritt. Die Familie lebt überwiegend in Südostasien. In Bangladesch widerfährt der jungen Amélie ein traumatisches Erlebnis, das ihr ganzes Leben verändert.

War sie zuvor ein wissbegieriges Mädchen, das sich für Vögel interessierte und jede Sportart ausprobieren wollte, zieht sie sich nun zurück. Die jugendliche Amélie verbringt ihre Zeit am liebsten zuhause, lernt Sprachen, verweigert das Essen und versenkt sich in griechische Mythologie.

Nach dem Tod ihres Vaters tritt er erneut in ihr Leben – als Psychopompos, als Seelenführer. In einer Art innerem Dialog hält sie Zwiesprache mit ihm und durchlebt dabei Erinnerungen, Mythen und metaphysische Gedankenwelten.

Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück. In Wellen konnte es mich begeistern und fesseln. Doch jedes Mal, wenn ich dachte, den roten Faden gefunden zu haben, schien er sich wieder aufzulösen. War es eine Hommage an den Vater? Ein Einblick in Amélies philosophische Welt, verknüpft mit griechischen Göttern und übernatürlichen Gesprächen mit Toten? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht müsste ich es ein zweites Mal lesen, um tiefer zu verstehen – oder ich warte einfach auf ihr nächstes Buch.

Fazit:
Trotz des wunderbar poetischen Schreibstils konnte mich dieses Werk emotional nicht erreichen. Vielleicht spricht es eher Leser an, die sich der transzendentalen Ebene stärker verbunden fühlen.
3/5

Bewertung vom 23.06.2025
Mein magisches Museum und Vincent van Gogh
Funck, Anne

Mein magisches Museum und Vincent van Gogh


ausgezeichnet

DAS MAGISCHE MUSEUM UND VINCENT VAN GOGH
Anne Funck
Illustration: Daniel Sulzberg

Professor Emilio Dell’Arte steht kurz vor der Eröffnung seiner neuen Ausstellung – doch etwas stimmt nicht. Die Gemälde sehen plötzlich ganz anders aus!
Vincent van Gogh trägt auf seinem Selbstporträt auf einmal schwarze Haare statt rote, sein Hemd ist rot statt blau. Was ist da passiert? Die Farben auf Vincents Palette haben sich selbstständig gemacht! Sie wirbeln durcheinander, purzeln durchs Bild und mischen sich wild neu – Farbwichtel in Aktion!
Um das magische Chaos zu bändigen, bleibt dem Professor nur eine Möglichkeit: Er muss alles über Vincent van Gogh erfahren.

Der Leser taucht ein in das Leben des berühmten Malers: Vincent wurde 1853 geboren, hatte fünf jüngere Geschwister und eine besonders enge Beziehung zu seinem Bruder Theo, der ihn zeitlebens unterstützte – auch finanziell. Obwohl Vincent zu Lebzeiten nur ein einziges Bild verkaufte, glaubte Theo unerschütterlich an sein Talent.
Die frühen Werke Van Goghs zeigen das einfache Leben der Bauern – ganz anders als seine späteren, farbenfrohen Meisterwerke.
Kennst du die „Kartoffelesser“? Oder Vincents berühmte Sonnenblumen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit!

Dieses wunderbar illustrierte Buch bietet nicht nur einen spannenden Einblick in das Leben Van Goghs, sondern ist auch ein kreatives Mitmachbuch:
Kinder (und Erwachsene) lernen, wie man Erdfarben selbst herstellt, wie Farben gemischt werden und sogar, wie man ein Selbstporträt anfertigt.

Ich verspreche: Dein Kind (oder Enkelkind) wird nicht nur viel über Kunst lernen, sondern auch selbst kreativ werden wollen. Und du vielleicht auch!
Also – nichts wie ab in die Buchhandlung deines Vertrauens!

Ein zauberhaftes, informatives und interaktives Kunstbuch für kleine und große Leser.
4½/5

Bewertung vom 23.06.2025
Die Hummerfrauen
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


gut

DIE HUMMERFRAUEN
Beatrix Gerstberger

Das Schicksal verbindet drei Frauen – Ann, Julie und Mina – auf der Insel Stone Harbor vor der Küste von Maine. Auf den ersten Blick scheinen sie kaum Gemeinsamkeiten zu haben. Doch alle drei stehen mit beiden Beinen im Leben, arbeiten als Hummerfischerinnen und behaupten sich in einer männerdominierten Branche.

Die Autorin erzählt ihr Debüt auf zwei Zeitebenen:

Im Jahr 2000 flieht die 28-jährige Mina nach dem Tod ihres Bruders auf die Insel, auf der sie als Kind mit ihrer Familie unvergessliche Sommerurlaube verbrachte. Dort trifft sie auf die 72-jährige Ann, eine ehemalige Universitätsprofessorin. Einst zog Ann mit ihrer Lebenspartnerin nach Stone Harbor, um dem Tratsch der Kolleg*innen zu entkommen. Doch ihre Partnerin verließ sie, und seither lebt Ann allein – abgesehen von ihrem Hummer Mr. Darcy – in einem kleinen Haus am Meer. Ihre engste Vertraute ist Julie, 54 Jahre alt, die mit großer Klappe und jeder Menge Schlagfertigkeit versucht, sich gegen die rauen Männer der Fischerszene zu behaupten.

Die zweite Zeitebene spielt im Jahr 1982 – zur Hochphase des Hummerfangs, wenn Touristen die Insel überfluten. Minas Familie verbringt in diesen Jahren jeden Sommer auf Stone Harbor. Im Mittelpunkt steht Minas Mutter, die keine Gelegenheit auslässt, ihre Tochter zu kritisieren, während sie den Bruder Christopher in höchsten Tönen lobt. In dieser Zeit geschieht etwas, das das Leben aller Beteiligten für immer verändert.

Der Schreibstil der Autorin ist leicht und flüssig – ich flog nur so durch die Seiten. Auch die drei Protagonistinnen mit ihrem rauen Charme konnten mich für sich gewinnen. Die Geschichte beginnt vielversprechend und spannend – ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Doch leider flaute die Handlung ab dem zweiten Drittel merklich ab. Vieles war vorhersehbar, und das Ende konnte mich leider gar nicht überzeugen. Es wirkte gehetzt, einige Erzählstränge blieben offen, und die zentrale Frage – was mit Jack passiert ist und warum – wurde letztlich gar nicht aufgelöst. Auch kleinere Details störten mich. So passt ein Satz wie „wir haben abgehangen“ einfach nicht in die 80er-Jahre – damals sagte man „wir haben gespielt“ oder „wir haben uns getroffen“. Punkt.

Alles in allem ist es ein netter Roman, den man gut und leicht weglesen kann – eine schöne Urlaubslektüre am Meer. In diesem Sinne: eine Empfehlung mit Einschränkungen.
3,5/5

Bewertung vom 19.06.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

DER GOTT DES WALDES
Liz Moore

Kommt man in diesem Frühjahr oder Sommer an diesem Buch vorbei?
1961:
Der achtjährige Bear van Laar verschwindet während der großen Sommerparty seiner Eltern spurlos in den Wäldern der Adirondacks. Die Familie – reich, einflussreich, wohnhaft in einem imposanten Anwesen im Naturreservat – startet gemeinsam mit den Gästen eine panische Suche. Doch dabei werden entscheidende Spuren zerstört. Erst mit Verzögerung werden Feuerwehr und Polizei eingeschaltet, aber alle Suchaktionen bleiben erfolglos. Bear bleibt verschwunden.
Seine Mutter Alice van Laar zerbricht an dem Verlust. Alkohol und Valium helfen ihr, den Tag zu überstehen.

14 Jahre später:
Wie jeden Sommer findet auf dem Gelände des Naturreservats das exklusive Camp Emerson statt. Zum ersten Mal nimmt auch Barbara van Laar, die 13-jährige Tochter des Bankiers, daran teil. Ganz freiwillig hat sie sich entschieden, ihre Ferien mit Überlebenstraining, Lagerfeuer und Spielen zu verbringen.
Unter der Leitung ihrer ehemaligen Babysitterin T.J. Hewitt, die das Sommercamp leitet, beginnt Barbara, als eigensinnig und schwer erziehbar verschrien, aufzublühen.
Doch am letzten Abend des Camps verschwindet sie spurlos.
Soll sich die Tragödie von damals etwa wiederholen? Zumal ein Serienmörder, der es auf junge Mädchen abgesehen hat, gerade in Richtung der Wälder von Adirondack unterwegs ist…

Meine Güte, war das Buch spannend!
Ich habe die letzte Nacht mit Lesen verbracht. Eigentlich werde ich ja nach drei Seiten müde – aber hier wurde ich immer wacher.
So spannend und so anders! Der Aufbau des Buches mit seinen wechselnden Perspektiven, erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln, intensiviert das Leseerlebnis enorm.
Hinzukommen die Rückblenden zum Fall Bear, in denen immer neue Details ans Licht kommen.
Einzelne Fragmente verweben sich ganz zum Schluss zu einem großen Ganzen.


Also noch einmal die Frage: Kommt man in diesem Frühjahr/Sommer an diesem Buch vorbei? AUF GAR KEINEN FALL!
Bitte lest dieses Buch. Ihr werdet es lieben!
5/5

Bewertung vom 18.06.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

BEEREN PFLÜCKEN
Amanda Peters

1962:
Jedes Jahr kommt der nordamerikanische indigene Lewis mit seiner Familie von Nova Scotia nach Maine, um bei der Beerenernte zu helfen. Auf der Plantage von Mr. Ellis organisiert und koordiniert er die Helfer. Seine vier älteren Kinder unterstützen ihn tatkräftig bei der Arbeit, während die jüngste Tochter, die vierjährige Ruthie, bei ihrer Mutter bleibt. Diese sorgt für die Verpflegung der Erntehelfer.
Mittags versammelt sich die Familie zum Essen am großen Stein, bevor die Jungen noch ein schnelles Bad im See nehmen, ehe die Arbeit weitergeht.
Doch eines Tages, nach dem gemeinsamen Mittagessen, ist Ruthie plötzlich verschwunden – nur einen kurzen Moment war man unachtsam. Eben noch hatte sie mit ihrem Bruder Joe auf dem großen Stein gesessen.
Trotz tagelanger Suche bleibt das kleine Mädchen unauffindbar. Die Polizei zeigt kaum Einsatz – für ein „indianisches Mädchen“ lohnt sich der Aufwand offenbar nicht. Ruthie bleibt verschwunden.

Jahre später:
Norma wächst überbehütet bei ihrer Mutter in Boston auf. Sie darf das Grundstück nicht verlassen und sich auch nicht mit Klassenkameradinnen treffen. Am liebsten ist es ihrer Mutter, wenn Norma im Haus bleibt und mit ihrer Puppe spielt – selbst dann noch, als sie längst dem Puppenalter entwachsen ist.
Norma wird von Albträumen geplagt. In ihnen sieht sie sich mit einem Bruder namens Joe spielen. Immer wieder hört sie die Stimme einer Frau, die sie "Mama" nennt – doch dieses Bild passt nicht zu der Frau, mit der sie lebt.
Fragen zu ihrer anderen Hautfarbe werden abgeblockt. Fotos aus ihrer Babyzeit gibt es angeblich nicht mehr – sie seien bei einem Brand zerstört worden. Wenn Norma nachhakt, bekommt ihre Mutter „Kopfschmerzen“ – und das Thema ist beendet.
Immer wieder gibt es Hinweise darauf, dass Normas Eltern nicht ihre leiblichen sind. Doch es wird Jahrzehnte dauern, bis sie der Wahrheit auf den Grund kommt.


Amanda Peters ist mit diesem Buch ein beeindruckendes Debüt gelungen. Besonders der lebendige, einfühlsame Schreibstil und der durchdachte Aufbau haben mich begeistert. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Joe und Norma erzählt. Als Leser weiß man früh, dass Norma in Wahrheit die verschwundene Ruthie ist – dennoch bleibt es spannend, wie sich die beiden Erzählstränge langsam aufeinander zubewegen.
Mich hat das Buch absolut überzeugt. Es ist authentisch, bewegend und von einer tiefen emotionalen Kraft. Ich konnte es kaum aus der Hand legen – besonders das Ende hat mich sehr berührt.

Fazit:
Highlight! Ein Debütroman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln konnte.
Ganz große Leseempfehlung!
5+/5

Bewertung vom 17.06.2025
Strandgut
Myers, Benjamin

Strandgut


sehr gut

STRANDGUT
Benjamin Myers

Wie durch ein Wunder bekommt der 70-jährige Earlon „Bucky“ Bronco eine Einladung nach Scarborough in England – zu einem Weekender Soulfestival.
Zunächst hält er das Ganze für einen schlechten Scherz. Schließlich kennt heute kaum jemand seine Musik, geschweige denn seinen Namen. Die zwei Songs, die er in jungen Jahren aufgenommen hat, sind längst in Vergessenheit geraten – zumindest in Amerika. Doch die Einladung ist echt: gut bezahlt, Flugticket inklusive.

Bucky, unser liebenswerter Protagonist, nimmt das Angebot an – obwohl er physisch als auch psychisch am Ende ist. Man könnte sagen, Bucky ist ein Wrack: Er lebt allein, pendelt zwischen Bett und Apotheke, betäubt sich mit Opiaten und Alkohol. Eine neue Hüfte könnte er dringend brauchen, doch die Kosten sind für ihn untragbar. Und ausgerechnet an dem Tag, an dem sein Auftritt stattfinden soll, jährt sich der Todestag seiner geliebten Frau May.

Trotz aller Zweifel tritt Bucky die Reise an. Am Flughafen in England wird er von Dinah abgeholt, einer warmherzigen Frau in ihren Fünfzigern, die ihn während der Tage in York begleitet. Doch kaum hat er sich eingerichtet, merkt er, dass er seine Tabletten im Flugzeug vergessen hat.

Von Dinah erfährt er, dass seine Songs in England Kultstatus haben. Für viele gilt er als der „King of Soul“, und man erwartet sehnsüchtig seinen Auftritt.
Zwischen Dinah und Bucky entsteht schnell eine stille, berührende Verbindung – zwei verlorene Seelen, die sich gegenseitig Halt geben.

Benjamin Myers erzählt diese Geschichte ganz langsam, beinahe zögerlich.
In den ersten hundert Seiten passiert sehr wenig, aber genau das schafft Raum für feine Beobachtungen und liebevoll gezeichnete Figuren. Besonders Dinah wächst einem mit ihrem trockenen Humor ans Herz – ich musste mehr als einmal lachen.

Die zweite Hälfte, vor allem das Ende, ist berührend und versöhnlich.
Schön sind auch die atmosphärischen Beschreibungen – ich hatte das Gefühl, selbst im Hotel Majestic abgestiegen zu sein, den leicht muffigen Geruch in der Nase.

Besonders bewegt hat mich der Brief, den der Autor vor Erscheinen des Buches an alle Buchhändler*innen geschrieben hat. Und sollte ich je nach Yorkshire kommen, nehme ich seine Einladung zu einer Tasse Tee garantiert an. ❤️

Fazit:
Ein stilles Buch über zweite Chancen, Musik und Menschlichkeit.
Empfehlenswert für alle, die ruhige, detailverliebte Romane mögen.
3½/ 5

Bewertung vom 17.06.2025
Der Club
Würger, Takis

Der Club


ausgezeichnet

DER CLUB
Takis Würger

Was für ein geniales Buch!
Ich bin eingetaucht in die Welt der Cambridge-Studenten, habe mich zwischen ihnen treiben lassen – und war gleichzeitig abgestoßen von ihrer Selbstherrlichkeit und ihrem Snobismus. Ja, stellenweise war ich regelrecht angewidert davon, wie sie mit vollen Händen Papis Geld verprassen, ohne je etwas Eigenes im Leben erreicht zu haben.

Takis Würger erzählt eindrucksvoll von einem fiktiven Verbrechen, begangen von Studenten einer Elite-Universität – und doch beschlich mich beim Lesen das ungute Gefühl, dass diese Geschichte der Realität näherkommt, als uns lieb ist.

Unser junger deutscher Protagonist Hans hat früh seine Eltern verloren. Er ist ein stiller, anständiger Junge, der nie viele Freunde hatte. Statt durch die Straßen zu ziehen, zog er sich lieber mit einem Buch zurück. Nur beim Boxen blüht er auf – hier zeigt er Stärke, Mut und Emotion.

Eines Tages lädt ihn seine Tante Alex nach London ein. Hans ist überrascht, denn nach dem Tod seiner Eltern hatte sie ihn nicht aufgenommen, sondern ins Internat geschickt – ein Vertrauensbruch, den er nie ganz überwunden hat. Doch nun bittet sie ihn um einen Gefallen: Er soll sich um ein Stipendium an der Elite-Uni Cambridge bemühen – und dort versuchen, in den berüchtigten Pitt Club aufgenommen zu werden. Ein exklusiver Zirkel, der nur wenigen Auserwählten offensteht. Hans soll dort herausfinden, wer hinter den Verbrechen steckt, die sich in den Kreisen der privilegierten Mitglieder ereignen.

Was für ein spannendes Buch!
Ach, ich wiederhole mich … also lest es einfach selbst. Ich konnte es jedenfalls nicht aus der Hand legen und habe es an nur einem Tag verschlungen.

Große Leseempfehlung für ein weiteres Buch aus der Feder Takes Würger.
5/5

Bewertung vom 15.06.2025
Die Rettung
McConaghy, Charlotte

Die Rettung


ausgezeichnet

DIE RETTUNG
Charlotte McConaghy

Kennt ihr diese Bücher, bei denen ihr die letzte Seite umblättert, das Buch zuschlagt – und euer ganzer Körper bebt, weil euch Gänsehaut überzieht?
Hier kommt so ein Buch:

In einer Zeit der Waldbrände, Überschwemmungen und der allgegenwärtigen Bedrohung durch den Klimawandel lebt Dominic Salt mit seinen drei Kindern auf einer abgelegenen Insel mitten im Ozean – bewohnt nur von Forschenden, Robben, Albatrossen und Pinguinen.
Shearwater liegt irgendwo zwischen Australien und der Antarktis.
Die Insel droht überschwemmt zu werden, täglich steigt der Wasserspiegel, als eine schwer verletzte Frau an den Strand gespült wird – halb erfroren, dem Tod näher als dem Leben.
Dominic und seine Kinder pflegen die Fremde gesund.
Während er ihr misstraut, schließt sein jüngster Sohn Orly sie sofort ins Herz – er vermisst seine verstorbene Mutter und sieht in der Frau eine Art Ersatz.
Doch Dominic hat andere Sorgen: Der Meeresspiegel steigt unaufhaltsam, die Funkanlage wurde sabotiert und das gesamte Forschungsprojekt steht auf der Kippe.

Als die Fremde wieder zu Kräften kommt, beginnt sie Fragen zu stellen – über die Insel, über die spurlos verschwundene Forschermannschaft, die vor Ort sein sollte.
Aus anfänglichem Misstrauen wächst langsam eine Verbindung. Geheimnisse kommen ans Licht, Beziehungen vertiefen sich – und dann nimmt alles eine völlig unerwartete Wendung.

Was für ein Buch!
Ich habe den neuen Roman von Charlotte McConaghy sehnsüchtig erwartet – und wurde nicht enttäuscht. Schon ihre beiden vorherigen Werke haben mich tief beeindruckt.

Langsam und atmosphärisch entfaltet sich die Geschichte. In typischer McConaghy-Manier verknüpft sie persönliche Schicksale mit drängenden Umweltfragen: Artensterben, steigende Meeresspiegel, verheerende Waldbrände – und das alles ohne erhobenen Zeigefinger.
Und dann wird es plötzlich so spannend, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Ich habe wieder viel gelernt – und gleichzeitig das Gefühl gehabt, das Salz des Meeres auf der Haut zu spüren.
Ein dichter, kraftvoller Roman, der mich tief bewegt hat.

Da ich das Buch nicht nur lesen, sondern auch hören durfte, möchte ich euch auch das Hörbuch ans Herz legen: Elisabeth Günther verleiht der Geschichte mit ihrer Stimme eindrucksvolle Präsenz.

Fazit:
Große Lese- und Hörempfehlung für dieses (Hör-)Buch – ebenso wie für seine beiden Vorgänger. Für mich war es ein weiteres Lesehighlight aus der Feder McConaghys.
5+/5

Bewertung vom 10.06.2025
Vergiss mich
Schulman, Alex

Vergiss mich


ausgezeichnet

VERGISS MICH
Alex Schulman

„Ich wurde zwischen Mamas und Papas Launen eingequetscht und lernte, dass es am besten war, zu schweigen. Ich bin still und vielleicht auch traurig, seit ich dreizehn war." (S. 122)

In Alex Schulmans neuestem autobiografischen Buch steht seine Mutter Lisette Schulman im Zentrum. In eindringlichen Rückblicken erzählt der Autor von ihrer Entwicklung – von einer einst liebevollen Mutter hin zu einer vom Alkohol gezeichneten Frau.

Jung ist sie, als Lisette den deutlich älteren Mann – Schulmans Vater heiratet. Gemeinsam bekommen sie drei Söhne. Doch mit den Jahren verändert sich etwas: Lisette beginnt zu trinken. Dieses Problem wird jedoch in der Familie nie offen benannt. Stattdessen hört man im Hause Schulman immer wieder denselben Satz: „Mutter fühlt sich heute nicht, sie ist krank.“
Ihre Ausbrüche, ihre Launen, ihr verletzendes Schweigen – all das wird kommentarlos hingenommen. Die Kinder werden zu feinfühligen Seismografen der mütterlichen Stimmung, bemüht, zu besänftigen, zu retten, zu verstehen. Doch meist vergeblich.
Trotz fehlender Nähe, Zärtlichkeit oder Zuspruch geben die Kinder die Hoffnung auf die Liebe ihrer Mutter nie auf.

Auch Jahrzehnte später hat sich kaum etwas verändert. Lisette trinkt mehr denn je, begegnet ihrem Sohn und seinen Töchtern mit Kälte und Missachtung. Und doch buhlt der erwachsene Alex weiter – um Aufmerksamkeit, um eine Verbindung, um ein Stück Anerkennung.

Dieses Buch ist keine leichte Lektüre. Es ist schmerzhaft, ehrlich und tieftraurig. Ein Porträt einer Frau, die – geprägt von ihrem Vater, dem Schriftsteller Sven Stolpe – offenbar nie gelernt hat, was Liebe und Empathie bedeuten.
Ich empfinde großen Respekt für Alex Schulmans Frau, die diese zerstörerische Mutter-Sohn-Dynamik über lange Zeit miterlebt hat.
„Vergiss mich“ ist kein Wohlfühlbuch. Aber Schulmans lebendiger, eindringlicher Schreibstil hat mich durch die Seiten getragen.

Fazit:
Ein aufwühlendes, lesenswertes Buch, das ich wärmstens weiterempfehle.
5/5 Sterne