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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
ElliP
Wohnort: 
Hessen

Bewertungen

Insgesamt 152 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2023
Corregidora
Jones, Gayl

Corregidora


sehr gut

Im Zentrum steht die schöne und faszinierende Ursa, eine geschundene Seele, eine junge, schwarze Bluessängerin, aufgewachsen in Armut und Elend, gewohnt an Gewalt und Ausbeutung, Missbrauch von Männern, auf der Suche nach Liebe und Selbstbestimmung.
Im Gesang verwirklicht sie sich, ihre Stimme wird über die Zeit immer spröder und rauer, sie gewinnt an Persönlichkeit durch die vielen belastenden Erfahrungen im Laufe der Zeit. Ursas Leben erinnert mich an die Biographie von Billie Holiday, die auch so vieles durchlebt hat und deren Schmerz sich in ihrem Gesang widerspiegelt.
Auch wenn der die Sprache sehr harsch, roh, brutal und immer wieder äußerst vulgär ist, passt es zu der Geschichte und wirkt trotzdem nicht wirklich obszön. Es stimmt traurig und die unglaubliche Verzweiflung und Ausweglosigkeit aus diesem Leben wird deutlich.
Ein furchtbares und tabubrechendes Vergehen in der Vergangenheit bietet die Grundlage für das Lebensgefühl Ursas: Junge schwarze Frauen, die nur als Sexualobjekte gesehen und immer wieder vergewaltigt wurden. Ein Vater, der vor seinen eigenen Töchtern nicht Halt macht, Männer ohne Gefühl, ohne Respekt, Frauen, die als Ware gesehen werden, nur dazu da, dem Sklavenbesitzer und den Freiern zu dienen. Dieses Wissen lässt kaum Hoffnung auf Veränderung zu, ein Kreislauf aus Gewalt, Sexualität, Verlangen und Sehnsucht ist der Tenor des Romans, den der traurige, sehnsüchtige Gesang des Blues widerspiegelt.
Das Nachwort der Autorin Gayl Jones, Professorin für Literatur, stimmt mich sehr nachdenklich und die Zitate und Erklärungen von anderen Schriftstellern, von Motivation und Anspruch, vom Willen nach Ausdruck und Gestaltung des gesprochenen Wortes sind einleuchtend und sinnstiftend. Die sprachlichen und inhaltlichen Wiederholungen, Schleifen - Call and Response - diese Parallelen zu den Stilmitteln des Blues finde ich großartig.
Die Autorin betont, dass sie nicht zum Mitleid anregen will, sondern in schonungsloser Sprache zeigen möchte, was die Realität alles beinhaltet. Besonders getroffen hat mich auch der Begriff "vergewaltigungsfarben", weil so vieles an Gewalt und grausamer Geschichte der Sklaverei dahintersteckt und eine Flut von qualvollen Bildern ausgelöst wird.
Ein wirklich besonderes Buch, das zum Nach- und Weiterdenken anregt, das die bittere Realität schonungslos darstellt, das Augen öffnet, die Schrecken der Vergangenheit und die immer noch aktuellen Auswirkungen auf die Betroffenen thematisiert.

Bewertung vom 10.04.2023
Räume des Lichts
Tsushima, Yuko

Räume des Lichts


sehr gut

Den Rahmen des Romans „Räume des Lichts“ von Yuko Tsushima bildet der Einzug bzw. der Auszug aus einer wunderbar lichtdurchfluteten Wohnung der namenlosen Protagonistin mit ihrer dreijährigen Tochter.
Im Zentrum steht die zutiefst unglückliche junge Frau, die nicht Herrin ihres Schicksals ist. Sie hinterfragt ihre desaströse Situation nicht, bekommt kaum Hilfe, kann nicht für sich und ihre Tochter sorgen. Es ist unendlich traurig, diese Hilflosigkeit zu erkennen, aber trotzdem stellen sich bei mir weder Mitleid noch Nähe zu ihr ein. Fremd, unpersönlich, undurchschaubar bleibt sie bis zum Schluss. Über ihre eigenen Interessen erfahren wir nichts. Sie wird nur im Rahmen ihrer defizitären Rolle als Mutter, als Angestellte, die jeweils Angst hat, den Ansprüchen nicht zu genügen, charakterisiert.
Das unaufgearbeitete Verhältnis zu dem Vater der Tochter nimmt eine dominante Rolle ein, er ist weder an seinem Kind noch an seiner Exfrau interessiert, taucht nicht zu den Mediationsgesprächen auf, bietet weder finanziell noch emotional seine Unterstützung an.
Eine Entwicklung der Figuren findet in diesem Roman nicht statt. Ich habe das Gefühl, dass Mutter und Tochter sich immer weiter voneinander entfremden und Überforderung, Wut, Schuldgefühle und Aggressionen die Basis der Beziehung bilden, eine Abwährtsspirale in das totale Desaster.
Lakonisch erzählt weist der Text eine eigenartige Schönheit in seiner Starre und Ereignislosigkeit auf: Die Geschichte einer Depression, die nur mithilfe von Liebe, Nähe und / oder psychologischer Unterstützung gelöst werden könnte.
Eros und Thanatos tauchen immer wieder auf, am Ende überwiegt allerdings das Todesmotiv. Der Tod ist omnipräsent, ob im Traum oder in der Realität, auf der Straße, in der Nachbarschaft, im Alltag. Gewalt- und Katastrophenphantasien peinigen die junge Frau und vermindern ihr ohnehin geringes Selbstwertgefühl.
Zum Schluss schließt sich der Rahmen, die Wohnsituation verschlechtert sich aus eigenem Antrieb, Enge, Dunkelheit, Perspektivlosigkeit und als Leserin kann ich nur traurig den Kopf schütteln - warum?
Das Nachwort skizziert das Leben und Werk der japanischen Autorin und bietet interessante Rückschlüsse auf die Rolle von alleinerziehenden Frauen im Japan der 70-er Jahre, Entstehungszeit des Romans, und es zeigt sich, dass die Aktualität leider immer noch punktuell gegeben ist.

Bewertung vom 10.04.2023
Vinz Solo
Beck, Sebastian

Vinz Solo


sehr gut

Vinz, ein junger, unglücklicher Mann auf der Suche nach seinem Platz im Leben. Er lebt in der bayrischen Provinz, weiß nicht, wohin die Reise gehen soll, verliert sich in Tagträumen und wäre am liebsten Rockstar. Stattdessen ist der Alltag durch Langeweile und Normalität geprägt, er spielt in einer Kirchenband, Highlights sind „Herr deine Liebe“ im Gottesdienst und Abende in der einzigen Dorfdisco „Trash“. Seine überschaubaren Wünsche sind ein Auto, eine neue Gitarre und endlich eine Freundin – aber diesem steht so vieles im Weg, so z.B. vor allem sein negatives Selbstbild: „Vinzenz Carl Bachmaier, dürrer Kerl mit Pflaumbart und Pferdeschwanz, Möchtegerngitarrist, Beziehungstrottel, unehrenhaft entlassener Oberministrant, Knackie, Looser, Abschaum, der Typ im Spiegel ekelte mich an.“
Der Roman erinnert an „The catcher in the rye“ – auch ein junger Mann auf der Suche, der sich treiben lässt, eigentlich nicht weiß, wo die Reise hingeht, unglücklich ist, aber auch mit seiner Umgebung so seine Probleme hat. Eine Coming-of-Age Geschichte, bei dem die Entwicklung des Anti-Helden im Zentrum steht, ein Roman voller Lokalkolorit, der aber mit einigen Veränderungen auch in Leer oder in der Eiffel spielen könnte, denn die Suche und das Unglück der Jugend ist allgemeingültiger Ausgangspunkt.
Die katholische Kirche nimmt einen großen Stellenwert ein, als Heimat, die Vinz verabscheut, die ihn aber auch gefangen hält und von der er sich nicht lösen kann. Und immer wieder begegnen uns ihre unterschiedlichen Vertreter, die Vinz beeinflussen wollen.
Sebastian Beck formuliert unglaublich wortgewandt und urkomisch aus der Perspektive von Vinz, immer wieder voller Humor und treffsicherer Pointen, ohne dabei ins Oberflächliche oder Derbe abzurutschen.
Am Schluss steht ein Glückstag – die Begegnung mit Lara: Für Vinz bedeutet das eine neue Frisur, neue Kleidung, ein Ohrring, alles seiner neuen Bekanntschaft zu verdanken. Die Hoffnung auf Veränderung steht im Raum und wir können Vinz nur das Beste für die Zukunft wünschen – er hat es verdient.

Bewertung vom 21.01.2023
Rabenkinder / Morduntersuchungskommission Leipzig Bd.1
Poppe, Grit

Rabenkinder / Morduntersuchungskommission Leipzig Bd.1


ausgezeichnet

Ungewöhnlicher Pageturner: Beim Mauerfall Mord
Am 10. Nov. 1989, dem Tag nach dem Fall der Mauer, wird in Torgau, dem einzigen geschlossenen Jugendwerkhof in der DDR, die Leiche des ehemaligen Direktors gefunden. Die Anlage ist bis auf drei Jugendliche schon evakuiert worden, nur Tanja, Maik und Andreas leben noch auf dem Gelände, eingesperrt und überwacht, alle anderen Insassen konnten schon befreit oder verlegt werden. Im Durcheinander der Tage während des Mauerfalls gelingt ihnen aber die Flucht und sie tauchen unter.
Mord oder Suizid? Haben die drei Jugendlichen etwas damit zu tun? Ein Motiv hätten sie allemal, da der Direktor und die übrigen sogenannten Pädagogen und Erzieher ihnen das Leben durch Einzelhaft, Strafen für jede Kleinigkeit, Strafsport, Nahrungsentzug, Arrest und Schikanen immer wieder zur Hölle gemacht haben.
Die Ermittlerin Beate Vogt von der Morduntersuchungskommission aus Leipzig wird auf den Fall angesetzt und bekommt Unterstützung aus dem Westen durch Hauptkommissar Josef Almgruber aus Nürnburg, aber die Zusammenarbeit ist nicht immer ohne Probleme und Vorurteile gegenüber den Methoden und Denkweisen des jeweilig anderen und des Systems, das er / sie noch verkörpert. Außerdem mischt sich auch die Stasi noch ein und will den Fall übernehmen, was natürlich alles verkompliziert und eine stringente Ermittlung vereitelt…
Der erste Kriminalfall von Grit Poppe liest sich rasant und atemlos, die düstere Atmosphäre im Jugendwerkhof lässt unglaubliche Schrecken erahnen und ein System von Gewalt, Korruption, Sadismus hinter diesen Mauern wird erkennbar. Das unterschiedliche Ermittler-Duo lässt aber auch Momente der Heiterkeit zu, Ost trifft West, immer wieder stoßen die beiden an ihre Grenzen, lösen sich, gehen dann aber auch wieder aufeinander zu und merken, dass der Fall nur im Miteinander zu lösen ist.

Die Handlung sorgt immer wieder für Überraschungen, Beziehungen werden hinterfragt, unterschiedliche Perspektiven eingenommen. Sprachlich und inhaltlich abwechslungsreich zeigt Grit Poppe ihr Können, teilweise ganz in Krimimanier, kurz und prägnant, voller Spannung, dann gibt es aber auch wieder die poetischen Passagen voller Metaphern und Symbole, die die Geschichte ausmalen und bereichern. Geschichtliche Hintergründe, die Wendeereignisse, werden thematisiert, die turbulente Zeit der Wiedervereinigung dient als Hintergrund.
Ein wunderbarer Krimi, der viele Informationen über die Zeit und über das Leben in den Jugendwerkhöfen mit dem ungewöhnlichen Mordfall paart, eine Mischung aus Fiktion und Realität, die bestens unterhält, bei der alle Krimileser auf ihre Kosten kommen und die außerdem noch, so ganz nebenbei, aufklärt und Geschichte erfahrbar macht.

Bewertung vom 21.01.2023
Unten
Ilisch, Maja

Unten


ausgezeichnet

Die begrenzte Welt
Ein Horrorszenario – jeder lebt auf seinem Stockwerk ohne Kontakt nach oben oder unten in die jeweiligen anderen Stockwerke, in seiner kleinen, überschaubaren Welt, kontrolliert von der allseits gegenwärtigen Hausverwaltung, die überall ihre Augen hat. Ein System der Überwachung, Fremdbestimmung und Gängelung, Raum für Freiheit, Lebensfreude und Kreativität bleibt kaum. Doch Nevo und ihre Freundin nutzen die wenigen Möglichkeiten, um die Hausverwaltung zu hintergehen und sich kleinere Übertretungen zu leisten, suchen den toten Winkel der Kamera, spielen Fangen, sind vergnügt und erfreuen sich an der gegenseitigen Gesellschaft. Diese heimlichen Momente des Glückes währen allerdings nicht lang – beim Verstecken vor den gefürchteten Aufpassern, die Schrecken und Panik verbreiten, verschwindet Juma im Wäscheschacht und kommt nicht mehr zurück. Neben ihrer Mutter, die den ganzen Tag bei der Arbeit verbringt und nie Zeit für Nevo hat, ist Juma die wichtigste Person in ihrem Leben.
Deshalb überwindet sie ihre Angst und macht sich auf die Suche nach ihrer besten Freundin. Das Abenteuer beginnt, das sie in neue Stockwerke, und gleichzeitig neue Welten bringt. Die Angst vor der ominösen Hausverwaltung und deren scheinbar grenzenlose Macht vereint alle Bewohner. Gefahren und Schrecken lauern überall und es gilt, diese auf ihrem Weg zu ihrer Freundin und gleichzeitig auch zu sich selbst zu überwinden und zu bestehen.
Ein beglückendes, spannendes Jugendbuch von Maja Ilisch, das auch sprachlich verzaubert, poetisch, treffend, voller origineller Einfälle. Eine wunderbare Heldin, die Aufgaben und Abenteuer in einer ihr fremden Welt besteht, die durch verschiedene Begegnungen reift, unterschiedliche Perspektiven kennenlernt, sich weiterentwickelt, ihre eigenen Ängste überwindet und in eine fantastische Welt eintaucht, bei der nichts so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint – ein modernes, kluges Märchen mit einer Botschaft, die zum Nachdenken anregt und eine Leseempfehlung für alle, die sich gerne eine neue Welt voller Spannung, Kreativität, Freundschaft und Mut erlesen.

Bewertung vom 05.01.2023
Nicht aus der Welt
Köhler, Anne

Nicht aus der Welt


ausgezeichnet

Was wäre wenn…
Das Hotel für besondere Menschen – eine Parallelwelt zur Insel der besonderen Kinder – steht im Zentrum des Romans von Anne Köhler. Dieses Hotel ist keins, das Profit anstrebt, das Werbung macht oder besonders angesagt sein möchte. Im Gegenteil: Ein Sehnsuchtsort - ein Ort der Zuflucht, des Rückzugs, der Menschenfreundlichkeit – Agape als Lebensmotto. Der Mensch als Ganzes wird angenommen, in seiner Eigenart und Schrulligkeit akzeptiert und es wird nicht Heilung wie in einem Sanatorium angestrebt, sondern eine Bejahung des menschlichen Makels und eine Linderung von Qual oder Unannehmlichkeiten der Realität.
Die Gäste sind handverlesen, man such nicht das Hotel auf, sondern wird von dem Besitzer Valentin auserwählt und darf dann an diesem wunderbaren Ort seine Ruhe finden. Diverse Charaktere mit besonderen Bedürfnissen leben hier selbstvergessen, von der Welt nicht weiter behelligt.
So kommt auch Hempel, der zögerliche Student ohne Traum, in dieses Hotel, das ihm Rettung vor seinen eigenen abstrusen Ideen und Plänen bringt. Er trifft dabei eher zufällig auf die Gäste Friederike, die unglückliche Mutter, und Linda, deren Höhenangst maßgeblichen Einfluss auf ihre Zufriedenheit hat. Dieses ungeplante Aufeinandertreffen hat ungeahnte Folgen auf das Weitere Zusammenleben im Hotel und die drei erleben ein Abenteuer, das alles andere als absehbar ist und das ihr Leben verändert.
Ein unterhaltsamer, einfühlsamer Roman, leichtfüßig und voller origineller Ideen – wer wäre nicht gerne einmal ein Gast in diesem wunderbaren Hotel, das die eigenen Bedürfnisse so perfekt befriedigt? Die Akzeptanz des Einzelnen mit all seinen Widersprüchen, das So-Sein als Status Quo ist ein wunderbarer Gedanke, den man viel öfter in der realen Welt zulassen sollte, in der er es vor allem um Selbstoptimierung, Erfolge und Weiterentwicklung geht.

Bewertung vom 31.12.2022
Dorn, Susanne;Schmeis, Britta;Ludwig, Michaela

"My Black Skin: Lebensreisen"


ausgezeichnet

Ein Schmuckstück, ein wunderschönes Buch mit Biographien, Einblicken, Geschichten, Wünschen, es erzählt von den erfolgreichen Lebensreisen der Helden unserer Zeit, ergänzt mit faszinierenden Portraits.
Dieses Buch zeigt die Vielfalt des Lebens auf. Voller Achtung vor dem Individuum, voller Liebe wird der Mensch zum Thema mit all seiner Qual und Mühe, mit seinen Brüchen, seinem Schicksal, aber vor allem auch mit seiner Schönheit und Zufriedenheit, Freiheit und seinem Lebensglück. Das Besondere an dem Buch ist die Auswahl der Personen – people of colour in Deutschland, die als Rollenmodel junge Menschen inspirieren und ihnen Mut machen können. Helden, die Konfrontationen, Hürden und Schwierigkeiten überwunden haben, LehrerInnen, ProfessorInnen, ErfinderInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen – Menschen, die ihr Leben in die Hand genommen, sich den Schwierigkeiten gestellt haben, oft auch mit Diskriminierung und negativen Vorurteilen zu kämpfen haben oder hatten, die sich den Herausforderungen aber gestellt haben und erfolgreich ihren Weg gegangen sind.
Wunderbare Biographien, die sich z.T. wie ein Romanauszug lesen. So z.B. die Lebensgeschichte von Saliya Kahawatte, die erst als Autobiographie veröffentlicht und später als Verfilmung unter dem gleichnamigen Titel „Mein Blind Date mit dem Leben“ am 26. Januar 2017 in die deutschen Kinos kam. Oder die Geschichte vom Sternekoch Anthony Sarpong, der als Erstklässler aus Ghana ohne Kenntnisse der Sprache nach Deutschland kam und sich seinen Weg nach oben bahnte – über Stationen in Kasachstan, Spanien und Israel, um dann mit seiner eigenen Familie wieder nach Deutschland zurückzukommen, und mittlerweile ein gefragter Sternekoch mit eigenem Restaurant und vielen Angestellten ist.
Dieses Buch sollte gelesen werden, besonders auch jungen Menschen kann es Mut machen, Hoffnung geben, Vorbilder und eigene Möglichkeiten aufzeigen. Die „Protagonisten“ berichten von ihren Schwierigkeiten, die sie überwunden haben und das verbindende Thema ist die Bewältigung und Bejahung des Lebens trotz aller Widrigkeiten, die Schönheit des Lebens, die Suche nach Zufriedenheit und dem Lebensglück.

Bewertung vom 02.12.2022
Codename: Sempo
Neuenkirchen, Andreas

Codename: Sempo


gut

Eine außergewöhnliche Biografie eines japanischen Diplomaten, der sich für die Rettung Tausender von Juden während des dritten Reiches eingesetzt hat.
Chiune Sugihara - eine Heldengeschichte: Das Leben eines Mannes, der weltgewandt, klug, elegant im In- und Ausland verkehrt hat, diverser Sprachen mächtig war, ein Lebemann, der die Annehmlichkeiten des Wohlstands, des Geistes und des Körpers geschätzt hat, der Offenheit, Menschlichkeit und Arbeitseifer an den Tag gelegt hat und durch sein couragiertes Auftreten zum Held unter der Nazidiktatur, zu einer Ausnahmefigur geworden ist. Fast gänzlich unbekannt in Deutschland hat er sich über seine Auftraggeber und seine Regierung hinweggesetzt und geschätzt 6000 – 10000 Juden das Leben gerettet, indem er ihnen Reisedokumente nach Japan ausgestellt hat.
Sein Leben wird von seiner Herkunft, seinem Elternhaus, der Kindheit, seiner Schulzeit, seiner Ausbildung, seinen beiden Ehen mit der schillernden Russin Klaudia und der liebevollen Japanerin Yukiko bis zu den eigenen Kindern aufgerollt, die einzelnen Stationen seines häufig wechselnden Aufenthalts werden detailliert beschrieben.
Seine Lebensgeschichte, besonders die Zeit im Ausland, liest sich spannend, seine Spionagetätigkeiten, die immer wechselnden Standorte als Angehöriger der japanischen Botschaft werden prall mit Leben gefüllt bis zu dem Augenblick, als er im großen Chaos und unter Gefahr die besagten Dokumente der riesigen Menge verzweifelter Juden ausstellt.
Auffällig ist, dass der Autor Andreas Neuenkirchen immer wieder vorausdeuten möchte, Gegenwart mit Zukunft verknüpft, aus der Perspektive des Biografen Rückschlüsse zieht. Das hilft, Ereignisse und Handlungen einzuordnen, ist aber auch nicht unbedingt notwendig - das kann immer nur im Nachhinein als Deutung und Interpretationshilfe herangezogen werden. Der Schreibstil wird in seinem Fluss immer dann eher unterbrochen, wenn zu viele Erklärungen, Deutungen oder Belege in Klammern gegeben werden. Dann wird die Biografie zum Sachbuch, das sich absichern möchte, das Rechercheergebnisse veröffentlicht, den Leser bevormundet und das Lesevergnügen eindämmt. Und selbstverständlich ist eine reale Lebensgeschichte rückblickend immer ganz anders zu bewerten und zu betrachten, da wir den geschichtlichen Ausgang bereits kennen.
Nichtsdestotrotz ist diese Biografie ein wichtiger Beitrag über ein (fast) vergessenes, außergewöhnliches Leben eines Mannes, der immer wieder Mitgefühl zeigt, sich als Menschenfreund erweist und der es verdient hat, dass man sich seiner erinnert.

Bewertung vom 04.11.2022
Gleich unter der Haut
Obermanns, Berthe

Gleich unter der Haut


ausgezeichnet

Und die Leute würden denken, dass wir glücklich sind…

Das Cover erinnert an Egon Schiele - der verletzliche Körper im Zentrum, die Person ohne Gesicht - namenlos? Austauschbar? Poetisch, fragil, berührend, dramatisch, intim, und genau dazu passt auch das Debüt von Berthe Obermanns. Ein faszinierender, etwas sperriger, offener, schmerzhafter und tiefgründiger Roman, der die Spuren der Vergangenheit auslotet; Traumata bilden das Zentrum, lassen keine Unbeschwertheit zu und ein Tabubruch steht der Heilung im Weg.
Nach dem Verlust der Eltern müssen sich die Geschwister Nora und Niklas um die demente Großmutter kümmern, obwohl sie doch mit ihrem eigenen Leben nicht im Einklang leben können. Die Ansprüche der Wirklichkeit sind kaum zu bewältigen, aber die Zweisamkeit schenkt ihnen immer wieder neuen Auftrieb und sie klammern sich aneinander in ihrer Trauer. Da tritt die faszinierende, unergründliche Lou mit ihrer Sprachlosigkeit, ihren Schmerzen und ihren eigenen Albträumen in Niklas Leben. Werden sie es gemeinsam schaffen, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden? Ist Heilung möglich? Gewollt?
Können diese verstörenden Erlebnisse der Vergangenheit überwunden werden und kann die Seele gesunden? Was hält die menschliche Psyche aus? Wo beginnt die Reise in den Abgrund und kann sie aufgehalten werden?

Ein außergewöhnliches, bildgewaltiges Leseerlebnis, das in die Tiefen der menschlichen Seele führt, lange nachhallt und einen starken Eindruck hinterlässt.

Bewertung vom 15.10.2022
Die Welt durch Wörter sehen
De Cesco, Federica

Die Welt durch Wörter sehen


ausgezeichnet

Federica de Cesco, die Grande Dame der Jugendliteratur, gibt eine Kostprobe ihres Könnens in dieser liebevoll bestückten Sammlung von Romanauszügen, Geschichten, Anekdoten, Gedanken und Impressionen – eine wunderbare Art, ihre Vielfalt zu präsentieren und Lust auf weitere Werke zu entfachen.
Sie hat Mitgefühl, Wärme, Liebe für ihre Figuren, Verständnis besonders für die jungen Mädchen, die ihre Wege gehen, man kann sich in die Situation hineinversetzen, mitfiebern und neue, wunderbare Welten entdecken. Und die Erzählerin wirkt dabei so sympathisch, voller Lebensklugheit und Humor, mit ihrer Intensität und ihrer Poesie kann sie nicht nur Jugendliche in Atem halten und verzaubern – eine Leseempfehlung für Liebhaber ihrer Werke und für alle, die sich noch auf Entdeckungsreise begeben möchten. Ich bedauere es, dass ich als Jugendliche ihre Geschichten nicht kennengelernt und verschlungen habe. Diese Sammlung ist zum Schmökern, zum Vorlesen und zum Entdecken, zum Eintauchen und zum Teilen.
Ein wunderbares Geschenk für Menschen mit Sinn für das Schöne, Wahre & Poetische.