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Adelebooks
Wohnort: 
Bremen

Bewertungen

Insgesamt 129 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2024
Bella und die Böllersum-Bande
Gothe, Karin

Bella und die Böllersum-Bande


ausgezeichnet

Die Kinderrevolution der Räuberknotenbande

Bella und die Böllersumbande ist ein moderner Kinderroman im Stil der Kinder von Bullerbü. Die 10 Jährige Bella wohnt im kleinen Dorf Böllersum und ist Anführerin der wenigen dort wohnenden Kinder. Als die kleine Dorfschule auf Anordnung der Landrätin geschlossen werden soll, schmieden Bella und die Bande einen Plan und starten ihre eigene Kinderrevolution zum Erhalt ihrer Schule. Von einer lautstarken Demonstration, einer kreativen Protestaktion auf dem Marktplatz bis zur Schulbesetzung lassen die Kinder dabei kaum eine Protestform aus. Werden sie für ihr Engagement belohnt werden? Und was macht so eine fordernde Situation mit der Freundschaft der Bande?

Die Geschichte der Bande um Bella ist kindgerecht erzählt. Jedes Mitglied hat unterschiedliche Eigenschaften und auch im Familienhintergrund sind diese divers, ob Timo, der musikalisch Begabte, dessen Mutter früh verstorben ist oder Frieda, deren Vater aus Marokko stammt. Bella selbst ist ein selbstbewusstes, kluges Mädchen mit lauter Flausen im Kopf und ungemein sympathisch. Sehr schön ist die Übersicht zu Beginn des Buches, in der alle Kinder vorgestellt werden.

Ganz nebenbei werden immer wieder auch ernste Themen mit thematisiert und fließen in die Handlung ein, wie die Landflucht und das „Aussterben“ einiger Regionen oder der Umgang mit Tod und Trauer am Beispiel von Bellas Opa.

Ich hätte mir noch eine Erklärung dazu gewünscht, dass die Kinder unterschiedlichen Alters und Klassenstufen offensichtlich gemeinsam unterrichtet werden. Während dies früher üblich war, ist dies ein Konzept, das Kinder heute in der Regel nicht mehr kennen. Auch, dass Bellas Eltern angeblich schon ins Bett gegangen sind, bevor ihre 10 Jährige Tochter nach Hause kommt, ist sicher etwas unglaubwürdig, selbst in einem Kinderbuch.

Der Roman ist eher textlastig, wird jedoch ab und zu mit gelungenen Illustrationen ergänzt. Als Selbstlesealter würde ich daher unabhängig vom eigentlichen Alter des Kindes, das Buch frühestens ab dem zweiten Lesejahr empfehlen.

Bella und die Böllersumbande ist ein empowernder Kinderroman über Freundschaft mit einer starken kleinen Heldin.

Bewertung vom 03.03.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


weniger gut

Eine nette Idee, stilistisch und inhaltlich eher schwach und wenig wertschätzend

Ein kauziger alter Mann auf seiner letzten großen Reise, die auch eine Reise in die Vergangenheit ist. Ein geheimnisvoller Brief, der an eine alte Liebe erinnert. Eine Busfahrt, die zur Erinnerungsreise an ein ganzes Leben wird, wie sich herausstellt, mit gar nicht zu gewöhnlichen Erlebnissen. So gut, so vielversprechend klingen die Ausgangsbedingungen des Romans.

Mich konnte der weitere Verlauf und die Umsetzung jedoch leider nicht überzeugen. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch war mir insgesamt zu viel gewollt an Heinz Labensky.

Im Dialog mit Mitreisenden lernen wir auf einer langen Busreise von Erfurt nach Warnemünde, Labensky und sein Leben, und so vermutlich die Intention der Autoren, auch ein wenig die DDR kennen. In erster Linie ist dies jedoch ein Bild, wie offensichtlich die Autoren auf die DDR blicken. Auf den ersten Seiten hatte der Wohnort Labenskys in Erfurt mein Interesse geweckt, nur um dann festzustellen, dass das Autorenteam wohl nie am Bahnhof in Erfurt war, wenn sie von unten einfahrenden Zügen schreiben, während in Erfurt die Bahnhofshalle unterhalb der Gleisen liegt, die Züge somit oben fahren, und auch der Busbahnhof ganz anders angeordnet ist als im Roman. Auch die übrigen Anekdoten um Bernsteinzimmer, die RAF, etc. konnten mich nicht wirklich erreichen und wirkten bewusst konstruiert, um geschichtliche Personen und Ereignisse einfließen zu lassen.

Die Charakterisierungen und Beschreibungen Labenskys wirkten auf mich überzeichnet und nicht besonders wertschätzend. Die vielfachen Rezensionen und der Klappentext, die darin eine warmherzige Darstellung sehen, sind für mich leider nicht nachvollziehbar. Da schreibt ein Autor, der selbst auf dem Buchtitel Wert auf seine akademischen Titel legt, über seinen Protagonisten dieser sei gripsmäßig so hell wie ein Tunnel. Falls das komisch sein soll, ist es leider nicht mein Humor. Insgesamt wird ein Klischee eines alten, leicht verwahrlosten, eigenbrötlerischen Mannes, grau in grau, entworfen und das nicht aus einer emphatischen, zugewandten Haltung heraus, sondern von oben herab, zu humoristischen Zwecken - der kauzige alte Ossi, der zeigen soll, dass man im Osten ja doch was erleben konnte, auch wenn er gripsmäßig eher so hell wie ein Tunnel ist.

Auch stilistisch konnte ich mit den vielen seltsam gestelzten Bildern und Vergleichen, wie etwa - schwitzt wie Pudding beim Picknick - wenig anfangen.

Ich habe gerade zwei hervorragende Romane, von Constanze Neumann und Sabine Rennefanz gelesen, die sich thematisch mit der DDR auseinandersetzen. Dagegen war im Vergleich Heinz Labensky leider eine Enttäuschung.

Bewertung vom 03.03.2024
Das Jahr ohne Sommer
Neumann, Constanze

Das Jahr ohne Sommer


ausgezeichnet

Das kleine graue Land oder über ein Leben in zwei Welten, die sich nicht zusammenfügen lassen

Was bedeutet es die alte Heimat zu verlassen und komplett neu anzufangen? Was bedeutet es, wenn dem Verlassen eine gescheiterte Flucht und ein Gefängnisaufenthalt vorangegangen ist? Was bedeutet es, wenn die Flucht endgültig ist und es kein zurück gibt? Was bedeutet es seine Heimat zu verlieren, aber auch in der neuen Heimat seltsam fremd zu bleiben? Über dieses Leben in einem steten Dazwischen erzählt Constanze Neumann in das Jahr ohne Sommer.

Erzählt wird die Geschichte von der namenlosen Ich-Erzählerin, beginnend ab etwa ihrem sechsten Lebensjahr. In kurzen, dichten Sätzen beschreibt die Autorin den Alltag in der DDR und die zunächst gescheiterte Flucht einer Familie. Deutlich wird, dass die Flucht nicht nur Auswirkungen auf das Kind, sondern auch den Rest der Familie hat. Die Bedrückung spiegelt sich gekonnt im Sprachstil wider und fängt so die eigentümliche Stimmung ein. Die Eltern werden in Haft genommen und von der BRD nach fast 2 Jahren freigekauft. Die Tochter lebt nach einem kurzen Aufenthalt im Kinderheim bei der Großmutter, bis das Kind nach langem Ringen zu den Eltern in die BRD ausreisen darf.

Von hier an alterniert die Erzählung zwischen den Erfahrungen und Herausforderungen in der neuen Welt, dem schwierigen Aufbau einer Existenz im Westen und den Erinnerungen sowie Erzählungen von Freunden und Familie aus der DDR. Constanze Neumann erzählt so von zwei Welten, die nicht zusammenpassen wollen und sich in der jungen Ich-Erzählerin in einem unauflösbaren Konflikt manifestieren.

Trotz großem Willen, Anstrengungen und nicht weniger Hoffnungen, ist es in der Fremde, die eben nicht die Heimat ist, schwerer als gedacht ein neues Leben aufzubauen. Der sächsische Dialekt entlarvt die Fremden sofort, die wiederum tun sich mit dem Rheinischen schwer. Unterschiede gibt es auch in der Pädagogik, Weltsicht, Unternehmensführung usw., all das macht auch den Alltag und die Verständigung sprachlich und kulturell oft zur Herausforderung. Dabei ist es nicht nur das Neue, was sie vor tägliche Aufgaben stellt, sondern auch die Tatsache, dass es keine Versöhnung mit der Heimat gibt, die sie nicht mehr besuchen dürfen. Was bleibt, ist wehmütige Erinnerung an Straßenzüge, Freunde, Familie, ein ganzes altes Leben, das nicht mehr sein durfte.

Gleichzeitig leben die Emigrant:innen in keiner der Welten wahrhaftig. Es ist eine Zwischenwelt, der sie von nun angehören. Weder sind und werden sie echte Rheinländer:innen sein, zu unterschiedlichen sind die Erfahrungen und Sozialisation. Doch gleichzeitig sind sie auch in der verlassenen, alten Heimat nicht mehr zu Hause, zu viel trennt sie auch hier von den Verbliebenen und ihrer Erfahrung in der DDR - ein Umstand, der sich auch mit dem Mauerfall nicht auflösen, sondern verfestigen wird.

Jedes Familienmitglied reagiert auf seine Art auf dieses Leben im Dazwischen, die Mutter, ohnehin schwer chronisch krank, verfällt in eine Depression, der Vater in einen erzwungenen und erdrückenden Optimismus, die Tochter wechselt zunächst gekonnt zwischen den Welten und zieht sich doch in sich selbst zurück.

Es ist für mich das erste Buch, das sich mit dem Leben nach einer Flucht und dem schwierigen Aufbau einer Existenz in der BRD auseinandersetzt und die Widersprüche dieses Daseins aufdeckt. Constanze Neumann ist dies in einer wunderbar authentischen Sprache gelungen, mit einem feinen Gespür für all die Zwischentöne und Nuancen, das Sowohl-als-Auch, die das Leben so oft zeichnet und in der beschrieben Situation konstitutiv für das Sein werden.

Ein wundervolles und wichtiges Buch, mit einer unbedingten Empfehlung!

Bewertung vom 03.03.2024
Kosakenberg
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


sehr gut

Von der Suche einer jungen Frau nach Selbstverwirklichung und Heimat in der Nachwendezeit

Kosakenberg - ein Dorf im Brandenburgischen ca. 2h mit dem Zug und eine Autostunde von Berlin entfernt. Zu DDR Zeiten eine stabile Region mit Reifenwerk, Konsum, Ärzten und zahlreichen Infrastruktureinrichtungen und damit auch Beschäftungsmöglichkeiten. Hier wird Kathleen Ende der 1970er geboren, einer weitgehend unbeschwerten Kindheit folgt die schwierige Nachwendezeit, Industrieschließungen, Arbeitslosigkeit und damit der große Exit einer ganzen Generation, die gerade die Schule abschließt und mehr will vom Leben, oft sind es die jungen Frauen, wie auch Kathleen, Protagonistin in Rennefanz‘ Roman, die die Region verlassen.

Nach dem Abitur studiert sie Grafikdesign und wird mit zahlreichen Praktika und Jobs zu einer der vielen Nomadinnen ihrer Generation, mit zweitweisem Wohnsitz in verschiedenen westdeutschen Großstädten, weit weg von Kosakenberg, der alten Heimat, die immer mehr zur Erinnerung verkommt, welche bei kurzen, seltenen Besuche aufgefrischt wird. Als Kathleen schließlich mit Mitte 20 einen Job in London annimmt, werden die Besuche noch seltener.

Hier setzt die Erzählung in Kosakenberg von Sabine Rennefanz ein. In Ich-Perspektive von Kathleen erzählt, begleiten wir über knapp 15 Jahre 10 Heimfahrten. Dabei werden wir nicht nur Zeuge des Wandels in Kosakenbergs, sondern auch und das viel wichtiger, einer inneren Transformation Kathleens, in der die Protagonistin sich über viele Jahre versucht selbst zu verorten, in dieser Welt, aber auch ihrem Verhältnis zu ihrer Herkunft.

In Kosakenberg bei den Daheimgebliebenen, selbst ihren Eltern, gibt es wenig Verständnis für Kathleens Lebensweg. Fast schon abwertend wird ihrem Beruf begegnet, in einer Welt in der Arbeit das ist, was man mit den Händen erschafft.

Gekonnt kontrastiert die Autorin das Leben Kathleens, der Fortgegangenen, mit dem ihrer Mutter, aber auch der Kindheitsfreundin Nadine, die jung Mutter geworden, sich eine Existenz in Kosakenberg aufbaut und einen vollkommen anderen Lebensentwurf als Kathleen verfolgt.

An einigen Stellen waren mir Kathleens Gedanken und die Abneigung und Scham gegenüber ihrer Herkunft zu überzeichnet. Dessen ungeachtet, merkt man, dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt, die schwierige Situation und zuweilen befremdliche Atmosphäre in der ostdeutschen Provinz mit allen Brüchen und deren Folgen sind aus meiner Sicht sehr authentisch wiedergegeben.

Für Kathleen gilt die Herausforderung ein Selbst und Lebensmodell zu finden, dass einem nie jemand vorgelebt hat und für das es in der eigenen Sozialisation nur wenige Bezugspunkte gibt, einen neuen, eigenen Ort aufzubauen, der Heimat wird und ist. Es ist ein weiter Weg zu der Erkenntnis, dass sich Vergangenheit nicht abstreifen lässt, sondern nur als Teil von uns selbst zu begreifen ist, aus dem man neben den vielen neuen Erfahrungen ein neues Zuhause entwirft, sowohl in sich selbst als auch an einem Ort seiner Wahl.

Gerade durch die Authentizität der Erzählung ist Kosakenberg zwangsläufig auch eine Geschichte von starken Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich um Haus, Hof, Einkommen und die Kinder kümmern, die Männer oft abwesend oder wenig hilfreich.

Etwas gestört hat mich, dass die Autorin immer wieder vom Haus als der dritten Haut spricht, fast als ob dies ihre Idee ist, wenngleich der Begriff von Hundertwasser geprägt wurde, den sie jedoch nie nennt.

Kosakenberg ist ein sehr gut geschriebener und inhaltlich überzeugender Roman, der am Beispiel einer jungen Frau in der Nachwendezeit einen Aspekt der Geschichte einer ganzen Region und Generation erzählt und dabei Themen wie Identität, Heimat und (Herkunfts-)Scham behandelt.

Bewertung vom 03.03.2024
Das Mörderarchiv Bd.1
Perrin, Kristen

Das Mörderarchiv Bd.1


sehr gut

Kurzweiliger britischer Cosy Crime Krimi zum Miträtseln

Annie Adams, bisher etwas glücklose Krimiautorin staunt nicht schlecht, als sie sich plötzlich mitten in einer echten Mordermittlung befindet. Ihre wohlhabende Großtante Frances hat sie überraschend als Erbin eingesetzt. Doch bevor es zu einem Treffen der beiden kommt, wird Tante Frances tot aufgefunden. Zuvor hat sie eine Anweisung im Testament hinterlassen: wer ihren Mord aufgeklärt, soll Alleinerbe werden.

Eine mysteriöse Jahrmarkts-Weissagung aus Frances Jugend durchzieht die Geschichte. Tante Frances hat daraufhin 60 Jahre in einem eigenen Archiv Akten über zahlreiche Bewohner des Ortes und Familienmitglieder angelegt, um die Weissagung zu entschlüsseln und ihrem eigenen Mörder zuvor zu kommen.

Es kommen zahlreiche Verdächtige ins Bild von denen jede:r ein Motiv zu haben scheint. Klassisch sind die Hinweise und Verwirrungen, so enthält beispielsweise die Weissagung einen Vogel, während zwei Figuren der Geschichte Nachnamen mit Vogelbezug haben.

Genau genommen werden zwei Morde im Roman behandelt. Zum einen der von Tante Frances, zum anderen das 60 Jahre zurückliegende Verschwinden ihrer Freundin Emily. Emily Sparrow, Jugendfreundin von Frances und Rose, als Mädchen-Trio, ist mysteriös verschwunden. Hat der Mord an Frances mit Emilys Verschwinden zu tun?

Die Mordermittlung begleiten wir aus Annies Perspektive, die immer wieder mit Rückblicken in die Zeit um Emilys Verschwinden vor 60 Jahren ergänzt wird. Geschickt verwebt die Autorin die Perspektive Frances‘ in ihrem alten Tagebuch mit der Gegenwart und entwirft so ein kurzweiliges Krimierlebnis zum Miträtseln.

Im Mittelteil verliert sich die Geschichte ein wenig zwischen all den Verdächtigen, nimmt zum Ende jedoch wieder Fahrt auf.

Ich habe diese britische Cosy-Crime-Geschichte sehr genossen, sie hätte nach meinem Geschmack jedoch noch etwas mehr Tempo und Humor haben können.

Bewertung vom 26.02.2024
Die Halbwertszeit von Glück
Pelt, Louise

Die Halbwertszeit von Glück


gut

Glück ist kein Einzelgänger! - ein ambivalentes Leseerlebnis

Die Halbwertszeit beschreibt die Zeitspanne, in der eine im Zeitverlauf abnehmende Größe die Hälfte ihres Ursprungswert erreicht. Trifft das auch auf das Glück zu? Wie vergänglich ist Glück? Und was passiert, wenn es einmal verloren (geglaubt) ist?

Antworten auf diese spannenden Fragen entwickelt Louise Pelt in ihrem Roman die Halbwertszeit von Glück. Mit Johanna, Holly und Mylene begegnen wir drei Frauen in drei Jahrzehnten. Johanna, ehemals Physikerin in der Forschung, lebt 1987 als Einsiedlerin im Wald nahe der innerdeutschen Grenze, die junge Holly träumt 2003 von einer Karriere als Drehbuchautorin in Los Angeles und Mylene, erfolgreiche Start Up Unternehmerin in Paris steht 2019 kurz vor ihrer Hochzeit. Alle drei Frauen sind völlig verschieden, doch was sie eint, ist, dass sie völliges Glück kennen und empfinden können und - dies vielleicht als unvermeidliche Kehrseite dessen - auch absolute Verzweiflung und großes Leid. Doch ist dies wirklich alles was sie eint?

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der drei Frauen erzählt. Die Handlungsstränge verlaufen lange scheinbar unabhängig voneinander, was bei mir auch dazu geführt hat, dass mir die drei Frauen lange seltsam fremd blieben. Umso gewaltiger war für mich jedoch letztlich die Verbindung in den Geschichten, die sich nach und nach offenbart.

Auffallend positiv ist der flüssige und unglaublich eingängige Erzählstil der Autorin, die Seiten fließen nur so dahin und es kommt auch eine gewisse Spannung auf - ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichten sich entwickeln und welche Verbindung zwischen diesen Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten besteht.

Die Protagonistinnen sind für mich allerdings durchaus unterschiedlich gut ausgearbeitet. Während Johannas Schicksal auf der persönlichen Ebene nachvollziehbar und stimmig porträtiert wird, waren für mich einige Handlungen und Wendungen in Hollys und Mylenes Handlungsstrang und Charakter nur begrenzt nachvollziehbar und authentisch. Die Ankündigung im Einband von der Geschichte drei starker Frauen ist für mich daher nur bedingt treffend gewählt. Gerade Holly und Mylene habe ich über weite Teile als nicht besonders resilient wahrgenommen und letztlich auch nicht als sonderlich sympathisch.
Getrübt wird das Leseerlebnis zudem durch einige Logikfehler, sowohl in der Konsistenz der Handlung, aber auch was die Darstellung des Lebens in der DDR betrifft, die historisch nicht immer korrekt ist. Dies finde ich über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sehr schade, denn offensichtlich war es unzumutbar entsprechende Recherchen für die Geschichte zu unternehmen oder eine DDR-sozialisierte Person den Roman gegenlesen zu lassen. Hier hätte ich mir auch im Lektorat mehr Sorgfalt gewünscht.
Insgesamt im Ansatz ein schöner, kurzweiliger, zeitweise spannender und gut zu lesender Roman über die Vergänglichkeit von Glück und das Schicksal dreier Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten und gesellschaftlichen Kontexten. Für mich jedoch mit deutlichen Schwächen in der Umsetzung und Ausarbeitung, die dazu führen, dass der Roman sein Potential nicht ausschöpfen kann und wenig nachhallt.

Bewertung vom 23.02.2024
Eine halbe Ewigkeit
Kürthy, Ildikó von

Eine halbe Ewigkeit


sehr gut

25 Jahre nach Mondscheintarif

Cora Hübsch, die Kinder aus dem Haus, ihr Mann begleitet gerade den Jüngsten zum Start eines Collegejahres nach Großbritannien, entdeckt beim Entrümpeln und Entsorgen von Altpapier ihr altes Tagebuch - Mondscheintarif - 25 Jahre sind seitdem vergangen. Die Verzweiflung darüber, wie sie ohne Kinder im Haus ihr Leben gestalten soll, weicht beim Anblick der Zeilen, aus einem scheinbar anderen Leben schnell weiteren grundsätzlicheren Fragen und auch schmerzhaften Erinnerungen. Wie hat sich ihr Leben entwickelt? Hat sie das Leben gelebt, dass sie immer wollte? Hat sie womöglich das bessere Leben verpasst? Wo ist sie selbst geblieben, jenseits der Mutterrolle für ihre drei Kinder, die sie in über zwei Jahrzehnten vollkommen beansprucht hat?

Wie es der Zufall will, begegnet sie am übervollen Altpapiercontainer einer alten Kollegin und landet durch diese kurzerhand in einer Hochzeitsvorbereitung und -Gesellschaft und einem Wochenende, das viele unerwartete Erkenntnisse, Begegnungen und Wendungen in ihr Leben bringen wird.

Auf diesem turbulenten inneren Weg und ereignisreichen Wochenende begegnen uns viele Lebensweisheiten übers Muttersein, Partnerschaft, die Vergeblichkeit von Neuanfängen, aber auch Freundschaft und das Wunder der Wahlfamilie.

Phasenweise fehlte mir jedoch etwas Tiefe in der Erzählung, zu klischeehaft werden weibliche Rollenbilder reproduziert, das Bild einer Frau in der Menopause gewollt komisch ausbuchstabiert und Cora in ihrem Selbstmitleid porträtiert. Im letzten Drittel entwickelt sich der Roman jedoch noch einmal, was auch an einer weiteren Ebene der Geschichte liegt, die hier an Bedeutung gewinnt. Zwischen den Zeilen, den Menopausenproblemen, weiblichen Komplexen und wehmütigen Gedanken an ihre alte Liebe Daniel schwebt immer wieder die Erinnerung an Johanna, Coras beste Freundin seit der Grundschule. Was mit ihr passiert ist, löst sich erst nach und nach auf. Dieser Teil ist für mich der stärkste der Geschichte und hat mich zuletzt sogar ein paar Tränen gekostet.

Wirklich toll ist der kurzweilige und eingängige Schreibstil, ich habe die 300 Seiten in einem Rutsch gelesen.

Ein herzerwärmender, manchmal komischer Roman über eine Frau Mitte 50 und die alltäglichen wie auch weniger alltäglichen Herausforderungen des Lebens.

Bewertung vom 21.02.2024
Die Perlenjägerin
Beck, Miya T.

Die Perlenjägerin


ausgezeichnet

Ein besonderes Märchen inspiriert von der japanischen Mythologie mit einer unabhängigen, mutigen, jungen Heldin

Kai und Kishi sind Zwillinge und wachsen in einem kleinen Dorf im Kaiserreich Heiwadai in einer Familie von Perlentaucherinnen auf. Auch wenn im Reich zu dem der Ort gehört immer wieder Kriege herrschen, leben die beiden davon weitgehend unbehelligt mit ihren Eltern im Einklang mit Meer und Natur. Eine große Rolle im Leben der Schwestern und Perlentaucherinnen spielt jedoch die japanische Mythologie, die ihnen von ihrer mittlerweile verstorbenen Tante Hamako immer wieder in Erzählungen näher gebracht wurde.

In einem Wettstreit mit Kai beim Muscheltauchen wird Kishi vom Geisterwal angefallen und getötet. Um sie zu retten geht Kai einen folgenschweren Handel mit der Meeresgöttin Benzaiten ein, der sie auf eine abenteuerliche Reise durch das Land und viele Gefahren zum Himmelsberg führt, um eine mächtige Perle zu erbeuten. Wird sie es schaffen mit ihrem Mut die Aufgabe zu erfüllen und ihre Zwillingsschwester zu retten?

Mich begeisterte das Eintauchen in die japanische Mythologie sehr, auch wenn ich mich erst an die Begriffe und Namen der Götter gewöhnen musste, um sie dann jeweils wieder richtig zuordnen zu können. Hilfreich hierbei ist jedoch auch das wunderbare Glossar mit allen Namen und Erklärungen am Ende des Buchs.

Wirklich gut gefällt mit der emanzipative Anspruch des Romans, vermittelt zum einen über Tante Hamako. Kai und Kishi (und damit auch jungen Leser:innen) wird durch sie näher gebracht, dass sie alles sein können, was sie möchten und vollkommen unabhängig sind in ihrer Lebensgestaltung und der Wahl ihrer Lebensumstände. Zum anderen leben die Perlentaucherinnen in einer Art Matriarchat, in der (Ehe)Männer zwar zum Rudern gebraucht werden, die Frauen jedoch vollkommen selbständig, unabhängig und anerkannt sind, aufgrund ihrer Fähigkeiten, und damit zwar eine Liebesheirat eingehen können, jedoch nicht auf eine Ehe angewiesen sind.

Mit ihren Zeilen zeichnet die Autorin eine mystische Welt inspiriert von der japanischen Mythologie, mit mutigen Mädchen, die alles werden können, was sie wollen. Eine magische und lehrreiche Geschichte für kleine und große Leser:innen ab ca. 12 Jahren.

Bewertung vom 18.02.2024
Von Lampenfieber, leckeren Rezepten und meinem Lieblingssong / Ist doch Isy! Bd.2
Neubauer, Annette

Von Lampenfieber, leckeren Rezepten und meinem Lieblingssong / Ist doch Isy! Bd.2


ausgezeichnet

Ein tolles Mitmach- und Lesebuch

In Ist doch Isy, erzählt die 12-jährige Isy aus ihrem Alltag, der mit den recht typischen, deshalb jedoch nicht weniger unterhaltsamen Herausforderungen in diesem Alter gepflastert ist. Im Mittelpunkt steht ein Schulfest, für das die kreative Isy natürlich direkt gefühlte 1000 Ideen hat. Und ein paar davon teilt sie natürlich nicht nur mit ihren Klassenkamerad:innen, sondern auch gern Schritt für Schritt mit ihren Leser:innen.

Hier liegt für mich auch direkt die eigentliche Stärke des Buchs. Die vielen Bastel- und Koch- bzw. Backanleitungen sind super geeignet, um den Alltag oder auch Feiern mit Ideen zu bereichern und für kurzweilige Bastelzeit- und Backzeit zu sorgen. Batik-Shirt, Wimpelkette, Glücksbringer aus Korken, verschiedene Karten, aber auch leckere Rezepte wie ein Brotaufstrich aus getrockneten Tomaten, Bananenkuchen, Humus oder Erdnusskekse finden sich in der vielfältigen Auswahl des Buchs und sind jeweils in Isys Geschichte integriert.

Die Geschichte als solches ist altersgerecht erzählt, allerdings im recht stereotypen Stil und Inhalt. BFFs, Schulprobleme und die Herausforderungen in der Deutung von Textnachrichten, verlegte Sachen, Aufregung vor Auftritten sind die wenig originellen, jedoch nicht untypischen Herausforderungen in der Altersklasse. Was ich ein bisschen vermisse sind tatsächlich substanziellere Themen, die gerade in der neu heranwachsenden Generation Alpha und der auslaufenden Generation Z, an die sich das Buch altersmäßig adressiert, relevanter werden. Positiv ist in dem Kontext allerdings, dass fast alle DIYs nachhaltig sind und vorhandene Ressourcen schonend weiterverwenden.

Geeignet ist das Buch aus meiner Sicht insgesamt weniger für echte Leseratten, sondern eher als kreatives DIY Buch mit einer kurzweiligen Story drumherum. Die Mischung aus Rezepten und DIYs mit einer Geschichte um Isy ist genau richtig für die oft kurze Aufmerksamkeitsspanne in den frühen und verfrühten Teenagerjahren (ca. 10 bis 13 Jahre) und um Phasen von Langeweile mit produktiven Ideen zu füllen.

Bewertung vom 17.02.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


gut

Emotionale Kälte in malerischer Landschaft

Die Geschwister Jirka und Malene wachsen auf einem alten Gutshof auf. Früh haben sie die Mutter verloren. Als ob der Verlust nicht schlimm genug ist, wird das Andenken an die Mutter aufgrund des Selbstmords, der in der katholischen Enge als Frevel gilt und die Mutter damit als zu schwach fürs Leben, von Großmutter, Vater und der Dorfgemeinschaft belastet. Der Vater ist gewalttätig, auch dem jungen Jirka gegenüber, demütigt ihn, sperrt ihn sogar mehrfach in die Hundezwinger ein. Jirka wird schließlich auf ein Internat geschickt, eine Befreiung aus den Zwängen seiner Herkunft.

Gegangen als Heranwachsender vor dem Stimmbruch, kehrt er als junger Erwachsener zurück. Was ihm begegnet, ist auch nach all der Zeit die emotionale Kälte, Bedrückung und Sprachlosigkeit, die er verlassen hat. In der Erzählung, die mit der Rückkehr Jirkas einsetzt, vermischen sich Erinnerungen an seine Kindheit und die Herausforderungen der Gegenwart auf dem völlig vernachlässigten Hof. Sensibel thematisiert wird dabei auch der Umgang mit Homosexualität in diesem Milieu, das jede Abweichung der aus Tradition und Glaube definierten Norm sanktioniert.

Deutlich wird im Verlauf, dass die Bitterkeit und Kälte der Familie nicht erst mit dem gewalttätigen Vater begonnen hat, es sind vererbte Traumata einer lieblosen Kindheit die Generationen prägen, auch ihn und seine Schwester und ihre Beziehung zueinander.

Eine bedrückende Atmosphäre erzeugt die Autorin mit ihren Zeilen und lässt uns in Krummes Holz so eintauchen in ein Leben und Aufwachsen in einer lieblosen Familienkonstellation auf dem Land, geprägt durch Glaube, Gewalt, wenig Emotion, Stärke zeigen, Durchhalten. Die landschaftliche Idylle steht dabei im Gegensatz zur erlebten emotionalen Enge. Diese Dualität der Motive durchzieht die Erzählung indem der familialen Kälte eine poetische Sprache und malerische Landschaft gegenübergestellt wird.

Sprachlich konnte mich der Roman allerdings nicht völlig überzeugen, viele Formulierungen waren mir zu „ungelenk“, erzeugte Bilder nicht so, dass sie sich vor dem Auge gut zusammensetzen, weil Bezugspunkte fehlen oder nicht eingängig sind.

Krummes Holz ist ein langsamer, bedrückender Roman über eine lieblose Kindheit und ein Geschwisterpaar, das seinen Weg im Leben und zueinander sucht.