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Benutzername: 
Blubie
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Schönau

Bewertungen

Insgesamt 195 Bewertungen
Bewertung vom 24.03.2024
Im Schatten zweier Sommer
Koneffke, Jan

Im Schatten zweier Sommer


ausgezeichnet

Ganz viel Liebe für dieses Buch! Das und nichts anderes empfinde ich für das absolut großartige Meisterwerk aus der Feder Jan Koneffkes.
Ein bissl fürchte ich mich ja immer, wenn ich ein Buch lese, das in Wien spielt aber von einem Nichtwiener geschrieben wurde. Da bin ich empfindlich, wenn meine Heimatstadt touristenmäßig beschrieben wird oder ein gequälter Wiener Dialekt rausgehauen wird, wenn's also nicht authentisch ist. Aber diese Angst war absolut unbegründet, Koneffke hat nicht nur eine perfekte Wiener Atmosphäre geschaffen, sondern auch nostalgisch glaubhaft das alte Wien präsentiert - nicht allein durch die fiktive Figur der Fanny Fischler, die in ihren Tagebüchern so wunderbar alte Wiener Begriffe verwendet, die mich wehmütig schmunzeln haben lassen.
Geschickt verwebt der Autor Fakten mit Fiktion und ich habe schnell beim Lesen einfach vergessen, dass die Geschichte um Joseph Roth und Fanny erfunden ist. Genauso hätte es gewesen sein können. Die wichtigsten Eckdaten um Joseph Roth stimmen (ein bisschen gegoogelt hab ich schon) und die Lücken in seiner Biografie füllt Koneffke stimmig und schlüssig auf.
Fanny ist eine tolle Protagonistin, eine gescheite junge Frau, die trotz ihrer manchmal nicht nachvollziehbaren Liebe zu Roth, eine starke Persönlichkeit ist. Sie ist liebenswert gezeichnet, eine absolut lebendige Figur; dass man sie zu Beginn des Buches als alte sehr vitale Frau kennenlernt, rundet das Gesamtbild stimmig ab.
Nachdem ich nun einige Stunden im nostalgischen Wien verweilen konnte, habe ich richtig Lust auf Joseph Roths Bücher bekommen - ist schon wieder zu lange her, dass ich was von ihm gelesen habe.
Von mir gibt es eine hundert prozentige Leseempfehlung, ein Highlight in diesem noch jungen Jahr, vielen Dank dafür Herr Koneffke!

Bewertung vom 22.03.2024
Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
Cho, Nam-joo

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah


sehr gut

Dies war mein erstes Buch vo Cho Nam-Joo und somit kann ich keinerlei Vergleiche zu anderen Büchern von ihr ziehen.
Mani ist über Mitte dreißig, wohnt - partnerlos - immer noch bei ihren Eltern in ärmlichen Verhältnissen in Seoul und ist seit kurzem arbeitslos. Der Vater betreibt einen schlecht gehenden Imbiss, die Mutter ist traditionell Hausfrau (deren Vater hielt sie immer für etwas beschränkt).

Wir erhalten einen Einblick in das gemeinsame Leben, das geprägt ist von Motivationslosigkeit, geplatzten Träumen und einem gefühlskalten Miteinander.
Mani erzählt von ihrem großen Traum Turnerin zu werden wie Nadia Comaneci, den sie als Kind geträumt hatte ohne groß talentiert gewesen zu sein. Schnell ist der Traum ausgeträumt als sie auf eine Privatschule wechselt, die sich die Eltern nur mit Müh und Not leisten können. Mani stellt nicht nur fest, dass sie eigentlich zu wenig Talent hat, sie fühlt sich auch unter den priviligierten Schülerinnen nicht zugehörig. Scham über die ärmlichen Verhältnisse zu Hause, prägen ihre Kindheit, aber auch Mobbing gehört zu ihrem Alltag.
So also ist sie ohne viel Selbstbewußtsein zu einer erwachsenen Frau herangereift, die sich nicht viel zutraut und auch in ihrer Partnerwahl immer wieder daneben greift.
Die Tatenlosigkeit, irgendetwas in ihrem Leben ändern zu wollen oder überhaupt in Angriff zu nehmen schmerzt beim Lesen sehr. Cho Nam-Joo schafft mit diesem Buch eine satirische Gesellschaftskritik Südkoreas, die man gut nachvollziehen kann - vor allem wenn es um Arbeitslosigkeit, bezahlbaren Wohnraum und Spekulationen am Wohnungsmarkt geht.
Der humorvolle und leichte Erzählstil nimmt der Thematik die Schwere ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Man wünscht Mani einfach nur einen guten Weg raus aus der gesamten Situation.
Jan Henrik Dirks hat diesen Roman für uns übersetzt.

Bewertung vom 21.03.2024
Muna oder Die Hälfte des Lebens
Mora, Terézia

Muna oder Die Hälfte des Lebens


ausgezeichnet

Terezia Mora schildert in diesem Buch das Leben (zumindest die erste Hälfte) von Muna, einer Frau, die in der DDR aufwuchs mit einem viel zu früh verstorbenen Vater und einer alkoholkranken Mutter. Kurz nach ihrem Abitur fällt die Mauer und der Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hat ist spurlos verschwunden. Sie selbst nutzt ihre guten Zensuren und versucht die Welt für sich zu entdecken und trifft einfach schlechte Entscheidungen.
Ein packender und unter die Haut gehender Roman über eine ungesunde Beziehung aus der Sicht der Protagonistin. Ohne Pathos plaudert sie aus ihrem Leben und das läßt mich als Leserin mit Gänsehaut zurück, denn Muna jammert und klagt nicht, sie stellt fest und wird dabei immer kleiner und unbedeutender (aus ihrer Sicht).
Gleich das erste Kapitel schleuderte mich komplett in die Handlung, dramatische Szenen ohne Übertreibung ohne kitschige Schnörksel, sogar mit etwas Sarkasmus. Ich kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen, leide mit Muna mit, möchte sie an die Hand nehmen und ihr sagen:"Nein, das ist nicht gut, gehen wir!" Und so beobachte ich, wie sie sich selbst in dieser Beziehung verliert. Das ist schmerzhaft zu lesen und ich ertappe mich dabei, darüber nachzudenken, warum sie so geworden ist.
Der Schreibstil ist toll und leicht zu lesen, Mora nutzt Stilmittel, die genial sind... aber so leicht es auch zu lesen ist, die Thematik ist es nicht und hinterläßt ein beklemmendes Gefühl. Irgendwie hätte ich jetzt gerne einen Diskussionkreis darüber!
Wer schwere Kost lesen kann, dem sei dieses Buch allerwärmstens empfohlen.

Bewertung vom 19.03.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


ausgezeichnet

Eigentlich dachte ich ja, dass mich lesetechnisch nicht mehr so viel überraschen könnte... aber dann kam "Lichtungen" von Iris Wolff.
Eine intensive unkitschige Geschichte über Freundschaft, Familie und Heimat.

Wir befinden uns in Rumänien und lesen von der Freundschaft zwischen Lev und Kato von Kindheit an... aber hoppla, eigentlich erfahren wir die Geschichte angefangen beim Ende.
Das Buch beginnt bei Kapitel neun und beim Lesen wandern wir mit den Protagonisten, die sich nach Jahren endlich wieder sehen immer tiefer in die Vergangenheit bis zu ihrem Kennenlernen. Dabei erleben wir Levs Familie und erfahren ein wenig von Rumäniens Geschichte. Und all das in wunderschönen Beschreibungen, bunt und intensiv wie Gemälde. Das war ein literarischer Hochgenuss, ein Buch zum tief Hineintauchen und die Welt um sich herum zu vergessen.
Iris Wolffs Schreibstil ist unglaublich schön und detailverliebt, ihre Figuren lebendig und dreidimensional. Mit Wörtern malen zu können ist in der Tat eine tolle Gabe.
Bitte lesen - unbedingt!

Bewertung vom 18.03.2024
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


ausgezeichnet

Vigdis Hjorth erzählt in ihrem beeindruckenden Buch die Geschichte von Bergljot und ihrer Familie, sie ist eines von vier Kindern und wir tauchen in das Buch ein, wen es vermeintlich um Erbschaftsstreiterein geht, denn der Vater ist verstorben.
Wir erfahren gleich zu Beginn, dass Bergljot den Kontakt zur Familie vor über zwanzig Jahren abgebrochen hat. Warum das so ist, entrollt sich von Seite zu Seite.
Und dabei - und das ist für mich das Bemerkenswerteste an diesem Buch - befinden wir uns mitten im Kopf von Bergljot. Ihre im Kreis laufenden Gedanken, die mantrenhaften Wiederholungen, die klare ungeschnörkelte Sprache, das zieht einen mitten in das Geschehen. Es ist der Kopf einer gebrochenen Frau, eine Frau der das schlimmste widerfahren ist, das innerhalb einer Familie passieren kann. Und welche Auswirkungen das auf die gesamte Familie hat bis hin zu den Enkelkindern.

Der Schreibstil ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber ist man erst einmal drin, dann taucht man nur schwer wieder auf. Man spürt Bergljots Zerrissenheit, die Verzweiflung, den Selbsthass, dieses immer wieder in Frage stellen: die Familile, sich selbst und das was passiert ist.
Ein enorm forderndes Buch, das nichts für Zartbesaitete ist, es zog mich teilweise runter und hat mich extrem wütend gemacht und in vielen Gedankengängen liegt so viel Wahres.

Ein extrem hartes aber großartiges Buch, das perfekt von Gabriele Haefs aus dem Norwegischen übersetzt wurde.

Bewertung vom 17.03.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


ausgezeichnet

Absolut unglaublich, dass dieses Buch ein Debütroman sein soll. Was Mirrianne Mahn mit ihrem Werk präsentiert ist perfekt und mitreissend.

Issa ist gebürtige Kamerunerin und schon als Kind mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen, um da bei ihrem weissen Stiefvater zu leben.
Wir begleiten Issa als junge schwangere, aber unverheiratete, Frau auf der Reise nach Kamerun, zu ihren Omas und den vielen anderen Verwandten. Ihre Reise ist halb freiwillig, sie liebt ihre Omas, doch zu fremd scheint ihr die Kultur... und dennoch seltsam vertraut.
Ihre Mutter besteht darauf, dass sie typische Rituale durchlaufen muss, die in Kamerun üblich sind: alle Rituale im Schnelldurchlauf von Eintritt in die Pubertät bis zum Erwachsenenwerden und schlußendlich Rituale für eine gute Schwangerschaft und glückliche Geburt.
In den Kapiteln über Issa in der Jetztzeit können wir staunen aber auch viel Lachen, denn die Autorin hat einen fabelhaften Humor und läßt so manche Situationskomik vor unserem geistigen Auge entstehen.
In den Kapiteln aus der Vergangenheit, die von Issas Großmüttern (Ur-ur-ur-ur) erzählen bleibt uns allerdings das Lachen in der Kehle stecken über all die Grausamkeit die Männer Kindern und Frauen antun, über die Kolonialzeit, die tiefe Wunden in das Land geschlagen haben, über all das Leid, das Frauen immer schon ertragen mussten.
Ein hartes, aber ganz tolles Buch, das nicht nur von der Tragik, sondern auch von der Kraft der Frauen erzählt.
Diese großartige Geschichte wird noch sehr lange in meiner Erinnerung bleiben.

Bewertung vom 14.03.2024
Die Entflammten
Meier, Simone

Die Entflammten


ausgezeichnet

Bücher über mehr oder weniger berühmte Frauen gibt es derzeit wie Sand am Meer, mal sind sie gut oder toll, mal sind sie sinnlos und/oder schlecht...
Dieses hier ist so anders und so toll! Genau so sollten Romanbiografien sein: leidenschaftlich, gut recherchiert und sprachlich umwerfend.
Simone Meier hat ihren Roman über Jo van Gogh mit viel Liebe geschrieben und es ist ja nicht nur ein Roma über Vincent van Goghs Schwägerin, sondern auch über die Autorin, die dieses Buch schreibt (ob das nun autobiografisch ist oder nicht, erfahren wir Leser:Innen nicht).
Das Buch beschäftigt sich mit der Entwicklung Jos von der jungen Frau bis zur Ehefrau Theo van Goghs und der Geschäftsfrau, die sie nach seinem Tod wid. Es ist das Porträt einer warmherzigen, leidenschaftlichen und starken Frau. Es ist auch das Buch über eine junge Autorin, die sich in der Figur Jo verliert und über sich und ihre Familie nachdenkt.
Und es ist ein Buch voller Kunst und Farben - ich fand es toll, so viele bekannte Bilder van Goghs vor meinem geistigen Auge zu sehen. Ich konnte auch inhaltlich sehr viel mitnehmen, Vieles war mir so nicht bekannt.
Simone Meiers Sprachstil ist mitreissend und genauso kraftvoll und bunt wie ein Gemälde, es war ein Genuss in diesen Seiten abzutauchen.
Ein wunderschönes Buch, das angenehm aus dem Rahmen fällt.
Absolute Leseempfehlung meinerseits.

Bewertung vom 13.03.2024
Lil
Gasser, Markus

Lil


ausgezeichnet

Dieses Buch liest man nicht oberflächlich schnell weg, nein, hier genießt man jeden einzelnen Satz.
Inhaltlich ist es ein Satirefeuerwerk ohne jeglichen Schenkelklopfer - eine Breitseite auf die bessere Gesellschaft Amerikas im Ausgehenden 19. Jahrhundert. Misogynie, Ableismus, Rassismus, Arroganz, Dekadenz, das alles finden wir in den Charakteren bei "Lil" wieder. Die Protagonisten teils real, teils fiktiv aber allesamt herrlich herausgearbeitet von liebenswert bis skurril und hassenswert ist alles dabei.
Lil eine starke Frau, die nach dem Tod ihres Mannes kleingemacht sogar ausgelöscht werden soll - weil es nicht sein kann, dass eine Frau so erfolgreich wie ein Mann ist. Die Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft, das ist ein nie enden wollendes Thema und Markus Gasser hat es zu einem Meisterstück in Buchform verarbeitet.
Sein Schreibstil ist scharfzüngig, pointiert und wunderbar sarkastisch. Das Setting und die Figuren wirken absolut real und man kann kaum aufhören zu lesen.
Dieses Buch ist, auch wenn die Themen manchmal enorm schwer zu verdauen sind, absolut vergnüglich zu lesen.
Ich gebe eine hundert prozentige Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.03.2024
Annas Lied
Koppel, Benjamin

Annas Lied


ausgezeichnet

Was für ein hinreissend schönes Buch habe ich da grade beendet!
Benjamin Koppel hat seiner Großtante ein literarisches Denkmal gesetzt, das einer Liebeserklärung nahe kommt. Und diese hat sie sich redlich verdient!

Wir begleiten Hannah von ihrem achten Lebensjahr an in Dänemark, als junge Frau auf ihrer Flucht mit der Familie vor den Nazis nach Schweden bis hin zu ihrer Verehelichung nach Paris: Fast 100 Jahre Leben.
Aber wir lernen auch ihre Familie kennen, eine liebenswerte jüdische Familie ursprünglich aus Polen kommend, mit all ihren skurrilen Charakteren, mit ihren religiösen Traditionen und mit ihren Erwartungshaltungen an die Kinder.
Koppel schafft es großartig die Leichtigkeit vor dem Krieg einzufangen, die Unschuld der Kindheit, die ersten Kapitel musste ich oft laut lachen über den wunderbaren sarkastischen Humor, mit dem er so manche Situationen und Charaktere beschreibt.
Dann kommen die Kriegsjahre und der Ton im Buch wird deutlich tragischer, weg ist die heimelige lustige Stimmung... aber man kann einfach nicht aufhören zu lesen, will wissen wie es nun mit Hannah und ihrer Familie weiter geht.
Hannahas Leben ist nicht einfach, sie lebt nicht das Leben das sie möchte, muss immer hinter ihren Brüdern zurückstehen, ihre Bedürfnisse wegpacken zugunsten der traditionellen Familie und es zerreisst einem beim Lesen nicht nur einmal das Herz.
Hannah ist eine tolle Protagonistin, die ich liebgewonnen habe wie ein echtes Familienmitglied und Benjamin Koppel ist ein ganz großer Geschichtenerzähler.
Ulrich Sonnenberg hat dieses Lesevergnügen wunderbar übersetzt.
Lest es... un-be-dingt!

Bewertung vom 11.03.2024
Mein Name ist Lilith
Marmery, Nikki

Mein Name ist Lilith


schlecht

Das Buchcover und der Titel haben mich sofort angezogen. Ich mag dieses minimalistische Design, das schon klar macht, worum es geht. Die Figur der Lilith finde ich sowieso interessant und die Leseprobe hat mich fast verzaubert... denn die Autorin versucht sich am erzählerischen Stil der Bibel. Das alles war so stimmig - dazu noch Frauenpower! - also gleich mal gekauft.
Gottseidank als ebook sehr günstig... aber für den Schmarren leider immer noch zu viel.
Ja, der Stil war anfangs tatsächlich stimmig und ich mochte die Idee, der stolzen Lilith, die einfach weiß was sie will und sich von Adam nicht manipulieren lassen will. Auch dass Gott ursprünglich eine Lebensgefährtin hatte und nicht der einzige Gott auf Erden ist und deshalb eifersüchtig über seine Schäflein wacht... alles super (so ein bisschen Blaspehmie ist für eine Agnostikerin) schon völlig in Ordnung.
Aber dann wird's echt blöd... ich will nicht spoilern, falls sich die eine oder andere den Text reinziehen will... aber dass Lilith dann als "starke Frau" einfach mit Luzifer rum macht (so oft, dass man das ganze Ding als Dark-Romance-mit-spicy-Szenen abtun kann) und mit ihm durch die Gegend und die Jahrhunderte fliegt auf der Suche nach der Urgöttin.... och nö. Und dann fliessen im Schreibstil plötzlich auch noch moderne Redewendungen ein.

Nein, kein Wort mehr darüber... isses nicht wert.