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Benutzername: 
Magda
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 238 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2024
Im Nordwind / Nordwind-Saga Bd.1
Georg, Miriam

Im Nordwind / Nordwind-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Auf die neue Dilogie von Miriam Georg habe ich mich schon sehr gefreut, und auch Im Nordwind konnte mich begeistern und fesseln.
Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen, 1896 und 1913. Alice wird von ihrem Mann Henk misshandelt. Er versäuft sowohl seinen als Alice‘ Lohn in der Wirtschaft und zeigt kaum Interesse an der 5jährigen Rosa.
1913: Alice bittet John Reeven um juristischen Beistand, sie möchte sich scheiden lassen. John lebt in einer hochherrschaftlichen Hamburger Villa mit seinem Bruder Julius, den Eltern Theodor und Gesa und Großvater Eugen. John warnt Alice, dass ihre Aussichten, das Sorgerecht für ihre Tochter zu bekommen sehr gering sind. Hinzu kommt, dass ihre Vergangenheit auf eventuelles Fehlverhalten durchleuchtet wird. Letzteres ist ein Problem, da in Alice‘ Vergangenheit einiges vorgefallen ist, was nicht bekannt werden darf. Obwohl John Evelyn heiraten soll, verliebt er sich in Alice.
1896: Im Alter von zwölf Jahren wird Christina von ihren Eltern an die Familie eines Pastors in der Nordmarsch verkauft. Sie soll die schwerkranke Frau des Pastors pflegen, doch bald wird ihr ihre Schönheit zum Verhängnis, sie muss das Haus des Pastors verlassen und nach Hamburg gehen.
Theodor ist schwer krank und nicht mehr in der Lage, sich um seine Geschäfte – eine Bank und eine Brauerei – zu kümmern. Julius ergreift die Gelegenheit, die Geschäfte seines Vaters weiterzuführen, allerdings nicht in dessen Sinne.
Es war so schön, der Ärztin Emma Wilson wieder zu begegnen. Die junge Frau wird von Theodors Tochter Blanche gebeten, Theodor zu untersuchen. Im Gegensatz zum langjährigen Hausarzt der Familie, findet Emma die Ursache seiner Beschwerden heraus und stellt eine verhängnisvolle Diagnose.
Julius‘ Frau Marlies ist heimlich in John verliebt, Blanche führt eine unglückliche Ehe und würde auch gern wie Alice den Mut aufbringen, eine Scheidung in die Wege zu leiten.
Es bleiben viele Fragen offen, Christinas/Alice‘ Geschichte ist nicht auserzählt. Wie gut, dass Band 2 bereits im Oktober erscheint.
In ihrem Roman weist Miriam Georg auf die mangelnden Rechte der Frauen in der von Männern beherrschten Gesellschaft hin. Körperliche Züchtigung in der Ehe war an der Tagesordnung und nicht strafbar. Es war für die miserabel bezahlten Frauen kaum möglich, für sich und ihre Kinder ein Auskommen zu sichern.
Die Autorin hat wieder einen wunderbaren, von der ersten bis zur letzten Seite packenden Roman vorgelegt, der von mir die maximale Anzahl an Sternen und eine große Leseempfehlung bekommt.

Bewertung vom 31.07.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Was für ein tolles Debüt! Obwohl nicht viel passiert, konnte mich der Roman von der ersten bis zur letzten Seite packen.
Linda ist erst 15 und bereits lebensmüde. Sie findet, dass das Leben mit ihrer Mutter nicht viel Schönes bietet. Zu ihrer Mutter hat sie kein gutes Verhältnis, und es wird nicht besser, als diese ihren neuen Freund mit nach Hause bringt. Aufgrund seines Berufes nennt Linda ihn „Der Bestatter“. Ein Lichtblick ist die Aussicht auf einen Urlaub auf Gran Canaria, zu dem der Bestatter auch Linda einladen will. Linda und ihre Mutter waren noch nie am Meer.
Die Tochter ihres demenzkranken Nachbarn Hubert bittet Linda, ihn mittwochs zu besuchen und mit ihm ein paar Stunden zu verbringen. Sie mag den älteren Herren und bemüht sich, ihm Freude zu bereiten, geht im Gespräch auf ihn und seine Erinnerungen ein, spielt ihm Tonbandaufnahmen vom Schwimmbad vor und setzt sogar durch, dass er einen Ausflug an den See macht. Sie findet es furchtbar traurig, dass Hubert, der sein Leben lang als Bademeister an der frischen Luft verbracht hatte, nur noch zu Arztterminen aus dem Haus geht.
Lindas einziger Freund Kevin ist ebenfalls kein fröhlicher junger Mensch. Er glaubt fest daran, dass die Welt auf eine Katastrophe zurast und verbringt seine Tage vor dem Computer. Linda und er sind beide ohne einen Vater aufgewachsen, die beiden sind sich einig: „In der Kindheit passiert viel Dummes. Man sollte erwachsen geboren werden.“ (S. 63).
Huberts polnische Pflegerin Ewa ist für mich der Star der Geschichte. Obwohl sie seit vielen Jahren kranke Menschen bis zu ihrem Tod pflegt und begleitet, hat sie ein sonniges Gemüt. Sie findet Halt im Glauben, und ihr zweitgrößter Wunsch ist eine Wallfahrt nach Tschenstochau zur Schwarzen Madonna. Der größte Wunsch ist es, ihre zweite Hälfte zu finden.
Der Schreibstil der Autorin ist sehr authentisch, ich konnte mich gut in die 15jährige Linda und ihre Gedankenwelt hineinversetzen. Das Ende ist traurig und schön zugleich, ein guter Abschluss dieses wunderbaren Coming of Age-Debütromans. Trotz der schwierigen Themen Demenz und Depressionen hat mich das Buch nicht bedrückt, sondern optimistisch und positiv gestimmt. Von mir eine große Leseempfehlung.

Bewertung vom 31.07.2024
Signum / Stormland Bd.2
Lindqvist, John Ajvide

Signum / Stormland Bd.2


ausgezeichnet

„Signum“ ist der zweite Band der Mittsommer-Reihe um die Schriftstellerin und ehemalige Polizistin Julia Malmros und ihren Liebhaber, den Hacker Kim Ribbing.
Band 1 „Refugium“ habe ich bereits vor einem Jahr gelesen, trotzdem war ich sofort wieder mitten drin im Geschehen. Im Laufe der Handlung kommen einige Hinweise auf die Ereignisse aus dem Vorgängerband, so dass man SIGNUM auch lesen kann, ohne REFUGIUM gelesen zu haben.
Nach dem Tod seiner Eltern und seines Großvaters einige Jahre zuvor wurde Kim Ribbing vom Psychiater Dr. Martin Rudberg behandelt bzw. eher misshandelt. Um seine Beweggründe für die Misshandlungen zu erfahren, beschließt Kim, seinen Peiniger zu entführen und einige Tage gefangen zu halten.
Währenddessen hat Astrid Helander Kims Angebot angenommen, in seinem Haus ein Zimmer zu bewohnen. Astrids und Kims Geschichten zeigen Parallelen auf, beide haben als Jugendliche ihre Eltern durch einen Mordanschlag verloren.
Julia Malmros trifft sich nach wie vor mit Kim, auch wenn sie nicht genau weiß, ob sie eine Beziehung oder nur eine Affäre haben. Sie überlegt, ob sie die rechtsradikale Bewegung der „Wahren Schweden“ in ihrem nächsten Buch thematisieren soll.
Band 2 hat mir sogar noch besser gefallen als der Vorgänger. Ich mag Julia und Kim, aber am sympathischsten und faszinierendsten finde ich die 14jährige Astrid. Ich habe mich über die Tricks, mit denen sie ihre Ziele erreicht hatte, köstlich amüsiert. Als militante Veganerin kämpft sie gegen Massentierhaltung und isst keine tierischen Produkte.
Sehr unterhaltsam fand ich die Treffen von Julia und Irma Ryding. Die 82jährige Irma und Julia sind beste Freundinnen und überlegen, ihr nächstes Buch zusammen zu schreiben. Irma will alles über Julias und Kims Beziehung wissen und kommentiert Julias Erzählungen mit einem herrlich trockenen Humor.
Mit den Polizisten Jonny Munther und Christof Adler hat der Autor zwei wunderbare Nebencharaktere geschaffen, die mich oft zum Schmunzeln gebracht haben. Jonny ist Julias Ex-Mann, er hasst Kim Ridding und bemüht sich nach Kräften, ihn zu überführen.
Ich freue mich schon auf den nächsten Band der Reihe und ein Wiedersehen mit Julia, Kim und Astrid. Von mir eine große Leseempfehlung für alle, die gern skandinavische Krimis und/oder Thriller lesen.

Bewertung vom 23.07.2024
Die Blütenfreundinnen Bd.1
Martin, Ellen

Die Blütenfreundinnen Bd.1


sehr gut

Es handelt sich um den Auftakt einer Reihe über vier Single-Frauen im Alter zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig.
Kristin ist Innenarchitektin. Ihr Mann Holger, von dem sie seit Jahren getrennt ist, hat ihr einen Auftrag in München vermittelt. In letzter Zeit glaubt sie, mittlerweile zum alten Eisen zu gehören, sie bekommt kaum noch Aufträge, da diese ihrer Meinung nach an jüngere, hippe Kolleg*Innen vergeben werden.
Lena ist Apothekerin und Mutter eines erwachsenen Sohnes. Über eine Dating-Plattform hat sie Benno kennengelernt, in München will sie ihn persönlich kennenlernen.
Nicole ist seit zwei Jahren Witwe, ihre Tochter wohnt mit Mann und den beiden Kindern im Dachgeschoss ihres Hauses. Nicole kümmert sich regelmäßig um ihre beiden Enkel, was jedoch als selbstverständlich hingenommen und ihr nicht gedankt wird.
Die drei Frauen müssen nach Hamburg bzw. in die Lüneburger Heide, und die Bahn streikt, zu dritt leihen sie sich das letzte noch verfügbare Auto. Sie verstehen sich so gut, dass sie beschließen, sich wiederzusehen. Sie verabreden sich zu einem gemeinsamen Kochabend.
Toni ist Altenpflegerin und Nicoles Schwägerin, die Schwester ihres verstorbenen Mannes. Die beiden Frauen wohnen nicht weit voneinander entfernt. Toni erwischt ihren Lebensgefährten beim Seitensprung und erfährt fast zeitgleich von seinem Lottogewinn. Sie sorgt dafür, dass das Geld auf ihr Konto überwiesen wird, und das ganz ohne schlechtes Gewissen, denn schließlich habe er das Lotterielos von ihrem Geld gekauft.
In den Kapiteln steht abwechselnd jeweils eine der vier Frauen im Mittelpunkt. Auch wenn ich Toni am wenigsten sympathisch fand, fand ich ihre Geschichte am interessantesten. Wir erleben sie in ihrem Alltag als Altenpflegerin, wo sie viel Herz zeigt und sich rührend um einen neuen Heimbewohner kümmert, der gegen seinen Willen ins Heim verfrachtet wurde.
Ich bin gespannt, wie es mit den vier Frauen weitergeht, wie Nicole das Problem mit ihrer Familie löst, ob Lena sich neu verliebt und ihre Apotheke retten kann, und am meisten interessiert mich, ob Toni es wirklich schafft, ihrem Ex den Lotteriegewinn vorzuenthalten.
Ich mag die Reihe und werde sie weiterverfolgen. Eine Leseempfehlung spreche ich insbesondere für Frauen im Alter der vier Protagonistinnen aus.

Bewertung vom 21.07.2024
Fräulein Liebe und der Traum vom Leben / Die Rhein-Buchhandlung Bd.2
Esser, Susanne

Fräulein Liebe und der Traum vom Leben / Die Rhein-Buchhandlung Bd.2


ausgezeichnet

Es handelt sich um Band 2 der Rhein-Buchhandlung-Reihe um Eva Liebe. In Band 1 schlägt sich die 18-jährige Eva gegen Ende des Zweiten Weltkrieges aus dem zerbombten Berlin nach Andernach am Rhein durch, wo sie von ihrer Tante Maria aufgenommen wird.
Band 2 spielt zehn Jahre später, im Jahr 1955. Eva ist nunmehr gelernte Buchhändlerin und arbeitet in der Buchhandlung ihrer Tante. Seit vielen Jahren ist sie mit Georg Neumann zusammen. Evas gleichaltrige Freundinnen sind mittlerweile verheiratet und haben Kinder. Doch sowohl Eva als auch Georg zögern mit der Heirat.
Evas Bedenken können aus der Welt geschaffen werden, doch Georgs Problem scheint schier unüberwindbar. Er hat ein großes Geheimnis, von dem niemand wissen darf, und das er auch Eva in ihren zehn gemeinsamen Jahren nicht offenbart hatte. Als es doch ans Licht kommt, ist es so schwerwiegend, dass sich Eva gezwungen sieht, Georg zu verlassen.
Marias Mann August, von dem sie seit Kriegsende nichts mehr gehört hatte, kommt aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück und will die Buchhandlung ohne seine Nichte Eva weiterführen.
August erfährt, dass Maria mit einem anderen Mann zusammen, seine kleine Tochter Gisela im Krieg umgekommen ist, und seine Tochter Ilse die Schule abbrechen und Krankenschwester werden will.
Neben Eva und Georg ist mir Evas Cousine Ilse sehr ans Herz gewachsen. Sie trauert immer noch um ihre kleine Schwester und quält sich mit Schuldgefühlen.
Nachdem es für Eva zunächst so aussieht, als ob in ihrem Leben mittlerweile alles perfekt sei, passiert alles auf einmal: Sie trennt sich von Georg, und sie verliert ihre Arbeit in der Buchhandlung. Marias Glück mit Hans hat ein abruptes Ende, als ihr totgeglaubter Ehemann in der Tür steht.
Wie wunderbar, dass sich das Blatt doch noch für alle zum Guten wendet, auch wenn ich mit Georgs Vorgehensweise und der Lösung seines Problems nicht ganz einverstanden war.
August tat mir leid, die Jahre in der Kriegsgefangenschaft haben ihn zu dem Menschen gemacht haben, der er geworden ist.
Auch aufgrund der Krimielemente und der konstanten Spannung hat mir der Roman sehr gut gefallen, sogar noch besser als der Vorgängerband. Gerne würde ich das Schicksal der Andernacher weiterverfolgen.

Bewertung vom 15.07.2024
Mitternachtsschwimmer
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


ausgezeichnet

Ein wunderschöner Roman über Liebe, Freundschaft, Familie, Verlust und die Bewältigung und Verarbeitung von Trauer.
Grace lebt zurückgezogen in Ballybrady, einem kleinen irischen Küstenort. Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit der Vermietung eines Cottages und der Herstellung von Quilt Decken. Sie geht oft angeln und kehrt gelegentlich im örtlichen Pub ein. Ihre Nichte Abbie kommt regelmäßig zu Besuch, um mit Grace angeln zu gehen und ihr beim Online-Verkauf zu helfen.
Evans Frau Lorna braucht Abstand von ihm, er mietet Grace‘ Cottage, wo er eine Woche verbringen will. Seine und ihre Gedanken werden vom Verlust ihrer kleinen Tochter beherrscht. Statt miteinander zu reden, stürzen sie sich in Arbeit. Kurz vorm Burnout kommt Evan in Ballybrady an.
Lebensmittel kauft er im Dorfladen bei Becky ein, die ihm von dem Virus erzählt, das sich in der Welt ausbreitet. Aufgrund des Lockdowns bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Aufenthalt am Meer zu verlängern. Im Dorfladen und im Pub, wo er drei Stunden täglich das Wlan nutzen darf, freundet er sich mit einigen Dorfbewohnern an.
Ich habe etwas gebraucht, um in das Buch reinzukommen. Die Geschichte nimmt meiner Meinung nach erst richtig Fahrt auf, als Luca ins Spiel kommt, Evans Sohn. Das Vater-Sohn-Verhältnis ist nicht gut, Luca hängt mehr an seiner Mutter und fühlt sich vom Vater nicht akzeptiert. Die ganze Familie quält sich mit Schuldgefühlen.
Grace gegenüber habe ich zwiespältige Gefühle. Ich mochte es nicht, dass sie nur so mit Schimpfwörtern und Flüchen um sich warf. Ihr Hund hat keinen Namen und wird von ihr bzw. der Autorin meist nur als „hässliche Töle“ bezeichnet. Andererseits liebt sie Tiere über alles, hilft einem verletzten Kormoran und hat auch den Hund aus einem Dachsbau befreit und gerettet. In ihrer Jugend hatte sie ein schlimmes Erlebnis, das sie geprägt hatte.
Teil 1 fand ich etwas langatmig, doch Teil 2 und 3 habe ich verschlungen. Abbie und Luka brachten Schwung in die Handlung, mit der Ankunft der beiden überstürzten sich die Ereignisse. Den ruhigen, melancholischen, atmosphärischen und tiefsinnigen Roman über Liebe und Verlust empfehle ich sehr gerne weiter.

Bewertung vom 15.07.2024
Die Jukebox meiner Mutter
Peter, Isolde

Die Jukebox meiner Mutter


sehr gut

Die Jukebox meiner Mutter ist an die Familiengeschichte der Autorin angelehnt, die Figuren und die Handlung sind jedoch frei erfunden.
Tosca ist Lehrbeauftragte an einer Berliner Universität. Als sie die Nachricht vom plötzlichen Tod ihrer Mutter bekommt, reist sie in ihre Heimat nach Bayern. Zeitgleich wird ihr Vater ins Krankenhaus eingeliefert und liegt im Koma.
Die Kapitel wechseln sich ab zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Toscas Mutter, Ella Novak, kam in den 1960er aus Polen in einen kleinen bayrischen Ort. Ihr Mann ist bald wieder nach Polen zurückgegangen, er ließ Ella mit den drei gemeinsamen Söhnen zurück.
Ella ließ sich nicht unterkriegen, sie pachtete eine Gastwirtschaft und wurde zur „polnischen Wirtin“. Ade Schierlinger, zehn Jahre jünger als Ella, verliebte sich auf den ersten Blick in sie und heiratete sie trotz großen Widerstand seitens seiner Familie. Ade und Ella bekamen eine Tochter, die sie Tosca nannten – wie Ella auf den Namen gekommen ist, ist umstritten. Die Ehe wurde nach fast zwanzig Jahren geschieden, was für Tosca nicht überraschend war. Sie fand schon immer, dass es keine anderen zwei Menschen gibt, die weniger gut zueinander passten als ihre Eltern.
Als Tosca gemeinsam mit ihrem neuen Freund Ron in dem bayrischen Ort ankommt, kehren sie in der Wirtschaft ein, die Ella früher gehört hatte. Seit einigen Jahren wird sie von Sepp, Ellas ältestem Sohn, geführt. Sepps Brüder Willy und Ted kommen auch zur großen Lagebesprechung. Viel zu erben gibt es nicht, Ellas Schmuck ist unauffindbar, einer ihrer Verflossenen behauptet, dass Ella für ihn einen Batzen Geld aufbewahrt habe. Das Wertvollste, sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht, ist die Jukebox, mit der die Gäste jahrzehntelang in der Wirtschaft unterhalten wurden. In Toscas Fantasie haben sich die Eltern zu den Klängen aus der Jukebox verliebt.
So unterschiedlich Polen und Bayern sind, so unterschiedlich sind Ella Novak und Ade Schierlinger. Zwei Welten prallen aufeinander.
Bei den Gesprächen zwischen Tosca und ihren Brüdern habe ich mich köstlich amüsiert. Die drei Brüder sind sehr speziell und echte Bayern wie aus dem Bilderbuch. Ted, eigentlich Tadeusz, ist Musiker und hat seine neue blutjunge Freundin namens Sophia mitgebracht. Sophia versteht sich bestens mit Ellas Enkel Jan und dessen Freund Malik, die drei haben viel Spaß bei der Wohnungsauflösung, bei der Tosca beim Anblick von vielen Bildern, Kleidern und Haushaltsgegenständen in Erinnerungen an ihre Eltern und ihre Kindheit und Jugend schwelgt.
Ich fand Die Jukebox meiner Mutter sehr unterhaltsam, den Schreibstil angenehm, ich habe viel gelacht und mich gut amüsiert. Es ist ein kurzweiliger, teils komischer, teils tragikomischer Roman. Gerne empfehle ich das Buch weiter, nicht nur an Leser*Innen mit polnischen oder bayerischen Wurzeln.

Bewertung vom 15.07.2024
Bleib
Dieudonné, Adeline

Bleib


sehr gut

Ein Buch, das polarisiert. Eine Frau, die mehrere Tage mit der Leiche ihres Geliebten verbringt, diese wäscht, zärtlich berührt, im Auto mitnimmt.
Die Leser*Innen erfahren weder den Namen der Ich-Erzählerin noch den des toten Geliebten, sie ist S., er ist M. Der Roman besteht aus zwei langen Briefen, die S. an die Frau ihres Geliebten schreibt. Sie erzählt ihr aus ihrem Leben, von der Beziehung zu M., der Liebe ihres Lebens, aber auch von ihren früheren Beziehungen, auch von der fast erwachsenen Tochter, wenn auch nur am Rande.
Die alleinerziehende S. hat seit acht Jahren ein Verhältnis mit M. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie sich selten sehen und freut sich auf die wenigen Wochenenden, die sie hin und wieder in einem Chalet in den französischen Alpen verbringen, das ihrem Ex-Mann gehört. M. kommt eines Morgens nicht von seinem morgendlichen Schwimmgang zurück, sie findet ihn tot im See. Statt die Polizei zu rufen oder jemanden zu informieren, holt sie ihn raus, wäscht ihn und schläft neben ihm. Am nächsten Tag fährt sie mit ihm im Auto zu einer Heilerin, die seltsame Rituale vollzieht.
Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Obwohl ich S.‘ Verhalten seltsam, ja sogar paranoid fand, konnte ich doch nachvollziehen, dass sie es nicht geschafft hatte, sich von ihrem Geliebten zu trennen. Zu den wenigen anderen Männern in ihrem Leben hatte sie keine so intensive Beziehung wie zu M. Sie war glücklich als die heimliche Geliebte, da sie viel Zeit für sich selbst brauchte und gerne allein war.
Gerne hätte ich erfahren, wie die betrogene Ehefrau auf die Briefe reagiert, wusste sie von dem Verhältnis? Das Ende passte gut zur Geschichte. Eine außergewöhnliche Geschichte, die sicherlich nicht jedem gefällt. Für mich war sie etwas zu makaber, der Ton etwas deprimierend, doch aufgrund des sehr angenehmen Schreibstils und der außergewöhnlichen Geschichte vergebe ich 4 von 5 Punkten und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 10.07.2024
Sommerfarben in der Stadt der Liebe / Paris und die Liebe Bd.2
Martin, Lily

Sommerfarben in der Stadt der Liebe / Paris und die Liebe Bd.2


ausgezeichnet

Auch der zweite Roman aus Lily Martins Paris-Reihe konnte mich begeistern. Es war eine wunderschöne Reise nach Paris, bei der ich bekannten Figuren aus dem Quartier Latin wiederbegegnet bin.
Dieses wunderbare Zitat von Heinrich Heine ist dem Prolog vorangestellt:
„Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris.“
Während Marie seit einigen Wochen dabei ist, an ihrer Doktorarbeit zum Thema Monets Seerosen zu verzweifeln, verdient sie sich ihren Lebensunterhalt mit Führungen in der Orangerie, einem Museum im Jardin des Tuileries, wo sie den Besuchern geschichtliche Hintergründe und Fakten zu acht großflächigen Seerosen-Bildern von Claude Monet vermittelt. Ihr fällt auf, dass es zu den Frauen in Monets Leben und in seinen Bildern einiges zu sagen gibt und überlegt, ob sie das Thema ihrer Doktorarbeit nicht entsprechend anpasst.
Bei einer Führung lernt sie Jan kennen, einen Lehrer aus Aachen, der seine Klasse auf Klassenfahrt begleitet. Jan spricht fast perfekt Französisch, da er eine Zeitlang in Paris gelebt hatte.
Sowohl Marie als auch Jan sind frisch getrennt. Maries Ex-Freund Antoine ist mit seiner neuen Freundin nach New York gezogen, Marie trauert ihm sehr nach. Auch Jans Ex-Freundin hat eine neue Beziehung und lebt in Hamburg, auch er hat sich noch nicht ganz von seinem Liebeskummer erholt.
Bei einem Ausflug nach Giverny in das Haus, in dem Monet die meisten seiner Bilder gemalt hatte, funkt es zwischen Marie und Jan. Doch dann ist Antoine wieder da und will Marie zurück.
Was für eine schöne Liebesgeschichte! Ich habe sie teils gelesen und teils gehört, einfühlsam eingelesen von der wunderbaren Tanja Fornaro. Ich liebe den Schreibstil der Autorin, sie hat mich nach Paris entführt, wo ich mich sehr über das Wiedersehen mit Lola, Fabien, Madame Simenon, Rose Caron und nicht zuletzt dem Lebkuchenverkäufer Pierre gefreut habe. Auch in deren Leben hat sich im letzten Jahr einiges ereignet und gegen Ende des Buches feiern alle eine Hochzeit im Café Lola.
Die Liebesgeschichte von Marie und Jan kann man gut lesen, ohne den Vorgängerband „Sommertage im Quartier Latin“ zu kennen, ich empfehle jedoch, die Bücher nacheinander zu lesen, um zu erfahren, wie es den liebenswerten Charakteren aus Band 1 in der Zwischenzeit ergangen ist und wünsche euch von Herzen: Bon voyage à Paris!

Bewertung vom 06.07.2024
Die einsame Buchhändlerin von Tokio
Hanada, Nanako

Die einsame Buchhändlerin von Tokio


sehr gut

Nachdem mir „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ sehr gut gefallen hat, habe ich mich darauf gefreut, „Die einsame Buchhändlerin von Tokio“ zu lesen. In beiden Büchern geht es um eine Buchhändlerin bzw. Bibliothekarin, die Bücher empfiehlt. Der Unterschied ist, dass Frau Komachi in den einzelnen Geschichten nur am Rande auftaucht, während die Autorin Nanako im Mittelpunkt ihres Buches steht.
Nanako, Anfang 30, trennt sich von ihrem Mann, in der ersten Zeit nach der Trennung fühlt sie sich einsam und verloren. Sie hat keine Freunde und die Arbeit bei einer großen Buchhandlungskette macht ihr keinen Spaß. Da stößt sie auf die App ThirtyMinutes, keine gewöhnliche Dating-App, sondern eine App, um seinen Bekanntenkreis zu erweitern. Man meldet sich zu einem „Talk“ oder stellt selber einen ein mit Angabe von Ort und Zeitpunkt des Treffens.
Die ersten Männer, die sie kennenlernt, sind eher an einem One Night Stand als an einer neuen Bekanntschaft interessiert. Je mehr Menschen sie trifft, desto mehr Selbstvertrauen gewinnt sie. Bald wird das Empfehlen von Büchern zu ihrem Markenzeichen. Sie bekommt viele gute Rezensionen und steigt in die Top Ten des Rankings in der App auf.
Doch irgendwann reicht es ihr, sie hat viele interessante Menschen kennenlernt, gute und weniger gute Erfahrungen gemacht, sie löscht die App und konzentriert sich darauf, einen neuen Job in der Buchbranche zu finden.
Nanako empfiehlt fast ausschließlich japanische Literatur und nur wenige Werke ausländischer Autoren wie „Bonjour Tristesse“ von Françoise Sagan oder „Unterwegs“ von Jack Kerouac.
Der Großteil des Buches besteht aus den Verabredungen über ThirtyMinutes, die Begegnungen sind amüsant und unterhaltsam beschrieben. Der Einfluss, den Nanakos neue Bekanntschaften, auf ihr Leben und ihr Selbstvertrauen haben, ist bemerkenswert und sicherlich nachahmenswert für alle, die ihr Leben ereignisreicher und spannender gestalten wollen. Die Sprecherin Melanie Fouché hat eine angenehme Vorlesestimme, die ich gerne gehört habe. Der autofiktionale Roman hat mir gut gefallen und ich empfehle ihn gern weiter, vor allem an die, die sich für Japans Kultur und japanische Literatur interessieren.