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Betty Literatur

Bewertungen

Insgesamt 83 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


sehr gut

Ayanna Lloyd Banvo hat ihren ersten Roman veröffentlicht, der in ihrer Heimat Trinidad spielt.
Darvin arbeitet als Totengräber in Port Angeles, einer fiktiven Stadt in Trinidad, obwohl seine Religion des Rastafari den Umgang mit Toten verbietet, aber die finanzielle Not ist groß. Er muss auch gegen ein weiteres Gebot verstoßen und seine langen Haare opfern. Er tut sich schwer mit der Atmosphäre auf dem Friedhof und den anderen Totengräbern und er ahnt recht bald, dass auf dem Friedhof merkwürdige Dinge passieren.
Yejide ist von ihrer Großmutter in die alten Mythen ihrer Familie eingeweiht worden und sie soll nach dem Tod der Mutter das Erbe der matriarchalen Reihenfolge fortsetzen. Der Tod hat in ihrer Familie eine besondere Bedeutung. Ebenso die Geschichte um die schwarzen Vögel, die Corbeaux, Aasvögel, die den Tod begleiten. Yejide leidet unter der Last, die ihr als „Erbin“ auferlegt wird. Sie kann die Toten hören und bei den Lebenden den Tod als Schatten sehen.
In einer Vision sehen die beiden Protagonisten sich bereits, bevor sie sich auf dem Friedhof wegen der Beisetzung von Yejides Mutter begegnen. Und sie wissen beide, dass sie zusammengehören. Sie vertrauen einander ihre Geheimnisse an.
Sprachgewaltig und poetisch nimmt uns die Autorin mit in eine fremde, exotische Welt voller Farben und Gerüche, die so gut beschrieben wird, dass man sich die Atmosphäre bildlich vorstellen kann.
Der verschachtelte Erzählstrang aus Sicht der beiden ProtagonistInnen schafft Spannung und lässt in ihre Gedanken blicken.
Der tiefe Glaube, die Mythen der beiden Hauptpersonen sind verwirrend und faszinierend zugleich.
Ich bin dankbar für dieses Buch, das ein ungewöhnliches Thema auf bewegende Art und Weise behandelt und uns Einblick in eine fremde Kultur gewährt.

Bewertung vom 03.05.2023
Kastenbrote
Schell, Valesa

Kastenbrote


ausgezeichnet

Es gibt ein neues Brotbackbuch von Valesa Schell, in dem sie nur Rezepte für Kastenbrote vorstellt. Die Gare findet bereits in der Kastenform statt, so dass man einen Arbeitsschritt, der sonst nötigen Stockgare, überspringen kann.
Die Brote werden entweder mit Hefe, Sauerteig, Lievito Madre hergestellt, es gibt herzhafte, süße und Vollkornbrot-Rezepte.
Valesa Schell erläutert die Grundlagen des Brotbackens, der unterschiedlichen Zutaten sowie der verschiedenen Triebmittel.
Sie beschreibt die Herstellung und Pflege von Sauerteig und Lievito Madre.
Die Rezepte sind abwechslungsreich, die Umsetzung erfordert wegen der Gärzeiten etwas Zeit. Einige Brote benötigen Zutaten, die man vielleicht nicht im Haus hat.
Ansprechende Bilder machen Lust, sofort zu beginnen.
Hinweise auf Bezugsquellen sowie Internetblogs sind für Einsteiger hilfreich.
Ich bin begeistert von dem Buch, habe bereits den Brotbackkurs von Valesa Schell ausführlich getestet.

Bewertung vom 02.05.2023
Gelegenheiten
Schneider, Romy

Gelegenheiten


sehr gut

Eine Frau geht ihren Weg.
Die Protagonistin Karla entschließt sich, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und endlich ihren Traum, ein Buch zu schreiben, zu verfolgen.
Sie mietet ein kleines Haus in der Provence, ihrem Sehnsuchtsort. Zur Begrüßung findet sie eine Flasche Roséwein mit dem vielversprechenden Etikett „Pour toutes les occasions“, für jede Gelegenheit.
In der Nähe befindet sich ein Weingut, wo sie diesen Wein kaufen möchte. Sie lernt dort den Winzer kennen, der die Weinprobe mit ihr als „Occasion“ bezeichnet. Und es finden sich weitere „Gelegenheiten“, an denen die beiden zusammentreffen.
Karla schreibt fleißig an ihrem Buch und genießt die französische Lebensart.
Sie verfolgt sehr konsequent und gradlinig ihren Weg, sie hat verstanden, was wirklich wichtig ist im Leben.

Eine schöne Geschichte über die Selbstfindung einer Frau, gerahmt in der wunderbaren Natur der Provence in den wechselnden Jahreszeiten und eine Liebesgeschichte, die nicht kitschig ist.

Bewertung vom 01.05.2023
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


sehr gut

Die Autorin hinterfragt die Institution der Ehe, da sie in ihren Augen dazu dient, das patriarchalische System zu stützen und Frauen in bestimmte Rollen zu drängen. Sie konzentriert sich in ihren Ausführungen auf die heterosexuelle Ehe. Selbstverständlich ist ihr bewusst, dass es andere sexuelle Orientierungen und Beziehungen gibt.
Die Sehnsucht nach der Ehe wird durch Narrative und Mythen erzeugt, denen wir alle unterliegen. Ein Bespiel sind die typischen Rollenbilder in Märchen, die auch heute noch erfolgreich vermarktet werden, z.B. in Disney-Verfilmungen oder Musicals.
Und die Ehe ist eine mächtige kulturelle Norm. Die Rollen von Mann und Frau sind definiert. Vor allem für Frauen scheint der gesellschaftliche Erwartungsdruck hoch zu sein. Ihr Selbstwertgefühl definiert sich über ihren Beziehungsstatus. Da ist die Ehe quasi die „Krönung“. Ehefrau oder Mutter sind Identifikationsmerkmale auch in Social Media-Portalen von Frauen.
Noch im letzten Jahrhundert war die Ehe vor allem für Frauen eine gesellschaftliche und finanzielle Notwendigkeit, da ging es nicht um die große Liebe.
Heute wird die Liebe nun gedanklich kombiniert mit der Ehe und wird als größte Erfüllung prophezeit. Um diese Erfüllung zu finden, sind Frauen nach wie vor bereit, alles zu tun und mehr Kompromisse einzugehen als ihre Partner.
Für Männer gibt die Ehe die Sicherheit, jemanden zu haben, der sich um ihn kümmert. Die Machtposition des Mannes in der Ehe wird noch verstärkt dadurch, dass er in der Regel den größeren finanziellen Beitrag leistet.
Die Ehe wird in der Regel mit Kinderwunsch assoziiert. Auch hier sind die Denkmuster gesellschaftlich und kulturell vorgegeben.
In den Märchen wird leider verschwiegen, wie die Zeit zwischen der Hochzeit und dem Schluss „…und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ aussieht.
Es gibt Untersuchungen über sogenannte „Post-Hochzeitsdepressionen“, in die viele Frauen verfallen.
Die Idee der romantischen Liebe, monogam, heterosexuell und von Dauer, ist prägend für unsere Vorstellungen eines glücklichen Lebens. Singles sind unvollständig, kurze Beziehungen gelten als gescheitert, Goldene Hochzeiten werden gefeiert.
Viele Paare bleiben aber auch zusammen, wenn die Liebe verloren gegangen ist. Das Single-Leben macht Angst, der soziale Druck ist groß, häufig besteht eine finanzielle Abhängigkeit, der Freundeskreis ist ein Paare-Freundeskreis und man bleibt „wegen der Kinder“ zusammen.
Frauen verwenden ihre gesamte emotionale Energie darauf, dass das Ehekonstrukt hält, Schränken sich und ihre Bedürfnisse ein, kümmern sich um den Partner und seine Bedürfnisse. Sie lesen Beziehungsratgeber und versuchen, Männer zu verstehen. Und sie wollen eine „gute Mutter“ sein. Auch dazu gibt es klare gesellschaftliche Vorstellungen.
Das Idealbild des Paares in der Gesellschaft, der glücklichen Familie, schließt alle Menschen aus, die dem nicht entsprechen. Diejenigen, die dieser Norm nicht entsprechen, sind weniger „wert“.
Auch der Mythos, dass Kinder in der klassischen Kleinfamilie die besten Bedingungen haben, um gesund aufzuwachsen, muss hinterfragt werden. Kindesmissbrauch und Gewalt gegen Frauen finden in der Regel im häuslichen Umfeld statt.
Care-Arbeit, nennt man die tägliche Arbeit, die in einem Haushalt anfällt, in einer Ehe wird sie in der Regel von der Frau erledigt, oft zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit. Care-Arbeit ist unbezahlt und wird aus Liebe geleistet. Und sie ist gesellschaftlich notwendig, damit Männer sich voll und ganz ihrem Beruf widmen können und zum Wirtschaftswachstum beitragen. Dieses Prinzip wird vom Staat durch steuerliche Entlastung belohnt.
Die Autorin vertritt, die These, dass unsere Vorstellung von Sexualität nach wie vor von Männlichkeit und „Penetration“ geprägt ist, Heterosexualität gilt als die „Norm“. Die Frau ist auch sexuell im Besitz des Mannes. Das „sexuelle Kapital“ der Frau, Ihr aussehen, muss gepflegt werden und erhalten werden, damit sie am „Markt“ vermittelbar ist. Es ermöglicht ihr gesellschaftlichen Aufstieg. Das Problem der Schwangerschaftsverhütung ist nach wie vor bei den Frauen und bei der Legalisierung von Abbrüchen sind sie auf das Wohlwollen männlicher politischer Entscheidungen angewiesen.
Es ist nicht leicht, dieses komplexe Buch zusammenzufassen. Es liefert einen großen Überblick über die Rollen von Mann und Frau, es gibt historische Exkurse, zahlreiche AutorInnen werden zitiert, die aktuelle Feminismus-Diskussion findet Berücksichtigung. Der Blick wird erweitert auf LGBTQI+- Community, kulturelle, religiöse, soziale Unterschiede.
Was ist das Fazit?
Hier zeigt die Autorin Möglichkeiten einer Veränderung auf.
Das Buch ist inspirierend, es bestätigt vieles von dem, was ich über die Ehe denke.
Wir brauchen mehr solcher Bücher, vielleicht ein wenig kürzer…..

Bewertung vom 01.05.2023
Elternabend
Fitzek, Sebastian

Elternabend


ausgezeichnet

Sebastian Fitzek hat mal keinen Krimi geschrieben, dafür eine sehr unterhaltsame, wirklich witzige Gesellschaftssatire über einen Elternabend.
Durch einen merkwürdigen Zufall und durch merkwürdige Umstände gelangen ein Mann und eine Frau, die sich vorher nicht kannten, auf einem „Elternabend“ und geben sich als Eltern eines Kindes aus, weil sie beide auf der Flucht vor der Polizei sind.
Zwischendurch bleibt einem das Lachen im Halse stecken, als der Protagonist, der Ich-Erzähler, aus seinem Leben erzählt. Wir werden mit einem schwierigen Thema konfrontiert, das der Autor ernsthaft und sensibel behandelt.
Das Buch ist unglaublich gut konstruiert, der Erzähler verweist darauf, dass er auf bestimmten Seiten bereits Hinweise gegeben habe. Und so ist es irgendwie doch ein „Indizienfall“, den der Erzähler löst. Am Ende jedes Kapitels wird der Leser mit neuen Informationen konfrontiert und plötzlich sieht alles wieder ganz anders aus. Dadurch entsteht große Lust am Weiterlesen. Ich konnte jedenfalls nicht aufhören.
Das Buch ist so beeindruckend bildlich geschrieben, dass bereits beim Lesen ein Film im Kopf abläuft.
Ich habe das Buch auf dem Rückweg von der Leipziger Buchmesse gelesen, die Schlange am Signier-Tisch war leider zu lang.
Sebastian Fitzner ist zu Recht ein vielbeachteter Autor.
Ich kann das Buch unbedingt empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2023
Idefix und die Unbeugsamen - Der Wecker von Lutetia
Uderzo, Albert;Goscinny, René

Idefix und die Unbeugsamen - Der Wecker von Lutetia


sehr gut

Idefix und die Unbeugsamen
Der Wecker von Lutetia

„Wir befinden uns im Jahre 52 vor Christus. Ganz Lutetia ist von den Römern besetzt. Ganz Lutetia? Nein! Eine kleine Schar unbeugsamer Tiere, unter der Führung von Idefix, leistet dem Eindringling Widerstand…“

Dieses Mal wird die uns bekannte Asterix-Geschichte aus der Sicht der Tiere erzählt, denn sie spielen eine wichtige Rolle und werden oft zu wenig beachtet bei der Betrachtung historischer Ereignisse.
Idefix und seine Freunde Dertunix (eine Bulldogge aus Toulouse), Turbine, Sardine (eine Katze), Astmatix (eine alte Taube), Weissnix (ein Uhu) müssen in einem schwierigen Fall ermitteln.
Sinfonix, der Hahn, der normalerweise die schlafende Stadt weckt und auch ehrlich gesagt, einige Tiere nervt, ist plötzlich verstummt.
Monalisa, die verwöhnte Katze, wohnt im römischen Palast, sie ist der Liebling des Generals und sie hasst das Gekrähe von Sinfonix. Also wünscht sie sich von ihrem Herrn „Hähnchen mit Datteln“. Die Soldaten machen sich auf den Weg und erwischen Sinfonix.
Idefix und seine Freunde schicken Weissnix zum Spionierflug über den Palast und er entdeckt den Hahn in der Küche mit Monalisa, die ihn zubereiten will.
Mit vielen Tricks und gemeinsamer Unterstützung gelingt es den Freunden in letzter Sekunde Sinfonix zu befreien.
Das Buch ist ein „Erstlesebuch“ für Kinder ab 6 Jahren, kann aber bestimmt auch vorgelesen werden. Es orientiert sich inhaltlich an der TV-Serie „Idefix und die Unbeugsamen“.
Mir hat es gut gefallen, die Charaktere der Tiere sind ausgesprochen phantasievoll und lustig, ebenso die Dialoge.

Bewertung vom 25.04.2023
Strandgeflüster in St. Peter-Ording
Deckner, Anni

Strandgeflüster in St. Peter-Ording


weniger gut

Leider habe ich mich bei der Auswahl des Romans von meiner Liebe zur Nordsee verleiten lassen.

Bettina, Schriftstellerin von Liebesromanen, eilt nach St Peter Ording, weil Ihre Mutter, die sich dort aufhält, anscheinend Hilfe benötigt. Sie lernt den Ostfriesen Noah kennen, der sie bei der Suche nach der Mutter unterstützt, und die beiden verlieben sich schnell ineinander.
Nun kommt der Vater noch nachgereist, er vermisst seine Frau, die ohne Worte verschwunden ist. Der Vater, obwohl Akademiker, ist eine lächerliche Person im Versorgungsnotstand.
Nach einigem Hin- und Her wird dann alles gut.
Es gibt ordentlich Lokalkolorit: Die Landschaft, die Natur, die Örtlichkeiten werden ausführlich beschrieben.
Das Thema, dass eine Ü30-Frauauf der Suche nach dem richtigen Mann ist, ist nicht neu. Und dass die Frau so naiv ist auch nicht.
Ebensowenig der locker-leichte Plauderton und der übertriebene Umgang mit sprachlichen Bildern.
Auch inhaltlich ist das Buch enttäuschend. Die Charaktere sind wenig überzeugend, klischeehaft überzeichnet, fast schon lächerlich.
Mir hat das Buch gar nicht gefallen. Ich sollte wohl die Finger von „Liebesgeschichten“ lassen.

Bewertung vom 23.04.2023
Sieben Männer später
Vine, Lucy

Sieben Männer später


gut

Sieben Männer später
Esther geht auf die 30 zu und hat kein Glück mit Männern, ihre Dates verlaufen frustrierend.
Gemeinsam mit ihren Freundinnen entdeckt sie in einer Frauenzeitschrift einen Artikel, in dem die Theorie verbreitet wird, dass eine Frau in der Regel 7 verschiedene Männer kennen lernt: die erste Liebe, die Arbeitsaffäre, der Seitensprung, Freundschaft plus, die verpasste Chance, das Arschloch, die ernsthafte Beziehung.
Sie befürchtet, ihre Chance verpasst zu haben und beschließt, ihre ehemaligen Partner wiederzusehen, um herauszufinden welcher der „Eine“ war.
Esther trifft also ihre früheren Beziehungen, letztlich anscheinend äußerst attraktive Männer, die immer den ersten Schritt auf sie zugegangen sind. Sie selber zweifelt an sich und ihrem Wert, ist in der Begegnung mit Männern bereit, sich einzufügen, unterzuordnen und schlecht behandeln zu lassen.
Am Ende hat sie zumindest etwas aus diesen Begegnungen gelernt.
Die Protagonistinnen wirken sehr unreif, können anscheinend nur Spaß haben, wenn sie betrunken sind. Esthers Fixierung auf eine Männerbeziehung bestimmt ihr Leben und ihre Gespräche, beruflich wirken die Freundinnen eher unmotiviert.
Viele ihrer Gedanken klingen pubertär, als hätten sie Angst, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen.
Mir ist das Buch zu oberflächlich, die Rollen von Mann und Frau sind sehr klischeehaft gezeichnet. Es besitzt jedoch einen gewissen Unterhaltungswert, einige Stellen sind recht witzig, wenn man sich drauf einlässt.

Bewertung vom 19.04.2023
Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
Matthiessen, Susanne

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn


ausgezeichnet

Ein sehr lesenswertes Buch. Für Sylt-Fans sowieso



Susanne Matthiessens zweiter Roman beginnt mitten in der Corona-Zeit im Lockdown.
Die Autorin ist auf „ihre“ Insel zurückgekehrt, sie darf das, denn sie ist dort geboren, ihre Eltern haben das berühmteste Pelzgeschäft der Insel geführt, über das sie in ihrem ersten Roman „Ozelot und Friesennerz“ erzählt.

Allen Urlaubern, Zweitwohnungsbesitzer*innen bleibt der Zutritt verwehrt.

„Es gibt ganz neue Kategorien. Man unterscheidet jetzt zwischen „echten Syltern“, die auf der Insel geboren sind und „waschechten Syltern“, die bereits seit mehreren Genrationen hier ansässig sind. Und ihren Kindern, die plötzlich so wie ich wieder häufiger auf Sylt sind. Die ganze Zeit eigentlich. Es gibt die „Zugezogenen“ mit Sylter Meldeadresse, die „Auswärtigen“, die lediglich einen Zweitwohnsitz auf der Insel haben, und die „Gäste“ oder „Touris“, die ganz profan für Urlaubszwecke vorbeikommen.“

Die Autorin erlebt die nun plötzlich leergefegte Insel mit den leerstehenden Wohnungen und Häusern, den geschlossenen Geschäften und Restaurants noch einmal neu. Die Natur steht wieder im Mittelpunkt, die Nordsee mit all ihrer Magie, aber auch Zerstörungskraft.
„Ich fürchte, die Nordsee wird sich rächen. Irgendwann. Und über uns herfallen. Wenn man so allein an diesem unendlich weiten Strand steht, ist vollkommen klar: Wenn die Nordsee kommt, sind wir geliefert.“

Aber nicht nur die Nordsee gefährdet die Insel. Der unablässig sich steigernde Bauboom, die inflationären Immobilienpreise auf der Insel, „Es ist das Geld, das hier alles flutet und die Insulaner verschlingt“, tragen ebenso dazu bei.

In den Begegnungen mit alten Freund*innen leben die Erinnerungen an die 80er Jahre wieder auf.

Die Sturmflut von 1981, das dramatische Seehundsterben vor der Sylter Küste 1988, die „Punkerinvasion“ und das legendäre Konzert der „Ärzte“, Drogenprobleme und der Besuch von Helmut Kohl während seiner Wahlkampftour.
Susanne Matthiessen lässt uns an den Erinnerungen ihrer „wilden Jugend teilhaben, gewürzt mit allerlei Anekdoten aus der berühmten „Pelz-Familie“ sowie ein wenig Klatsch und Tratsch über Promis oder Sylter „Urgesteine“.

Sie erinnert aber auch an die alten Sylter Traditionen, die Sagen und Mythen, die bei einigen noch präsent sind.

Nicht zuletzt kritisiert sie schonungslos die Verharmlosung der „heilen“ Sylter Welt. Viel zu spät erkennt sie die tragische Geschichte ihrer Freundin, der sie nicht helfen konnte.

Ein sehr lesenswertes Buch, das Erinnerungen weckt und nachdenklich stimmt.
Für Sylt-Fans sowieso.

Bewertung vom 18.04.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Lichte Tage
„Und wenn alles zusammenkommt, das Licht, die Farbe, die Hingabe, dann ist es Leben.“

Ich habe wirklich überlegt, ob ich dieses Buch rezensieren kann und ob ich damit dem Buch gerecht werde. Ich bin tief beeindruckt und berührt und kann das große Lob über diesen Roman verstehen.

Ein Bild verändert alles. Die Reproduktion von 15 Sonnenblumen, eines der berühmten Van-Gogh-Gemälde bringt Licht in den düsteren Alltag von Ellis Mutter.

Ellis, arbeitet als Schlosser am Fließband einer Autofabrik, seine Tage sind düster, er steckt im Leben fest und in seinen Erinnerungen, die Leer um ihn herum nimmt ihm fast „den Atem“.

In einer sehr detaillierten, verwobenen Erzählstruktur werden Erinnerungen wach und wir lernen Ellis besser kennen.
Das Bild mit den Sonnenblumen lernt Ellis über seine Mutter kennen, da ist Michel schon dabei.
Wir erfahren von seiner tiefen Freundschaft zu Michel, beide sind künstlerisch interessiert, Ellis möchte Maler werden, Michel Schriftsteller, beide verlieren früh ihre Mütter, erleben Lieblosigkeit und Gewalt der Väter, finden Halt aneinander, wachsen zusammen auf und entdecken ihre Liebe zueinander. Während eines gemeinsamen Aufenthalt in Frankreich erleben sie die Intensität ihre Beziehung in vollen Zügen, im Alltag in Oxford ist es vor allem für Ellis nicht möglich, sich offen zu bekennen.
Ellis erlebt seine Liebe zu Annie, Michel teilt sein Glück mit ihm, muss jedoch auch einen eigenen Weg gehen.
Durch die Erzählperspektive des Er-Erzählers bleibt eine gewisse Distanz zu Michel, seine inneren Beweggründe und Gefühle bleiben bisweilen unklar, vielleicht weil er sich dessen auch nicht bewusst ist. Und weil er zu der Zeit nicht dazu stehen kann. (Es waren die 70er Jahre.)

Michels Erinnerungen in Ich-Perspektive sind unglaublich intensiv, auch sprachlich
„Ich frage mich, wie es wohl klingt, wenn ein Herz bricht.“ Er nimmt den Leser mit in seine Welt, der verloren einzigen Liebe seines Lebens sowie seinen exzessiven, schmerzhaften Bemühungen, sich davon zu befreien.

Die Landschaft der Provence wird in poetischer, sinnlicher Weise beschrieben, die Natur, das Licht, die gelben Sonnenblumen wecken Erinnerungen an Freiheit und Liebe. Vielleicht auch an die Freiheit, so zu lieben, wie jeder Mensch möchte.
Ein ganz wunderbares Buch!


Übersetzt von Elina Baumbach, die den Titel in meinen Augen noch passender als im Original „tin man“ (ein spezialisierter Schlosser am Fließband) gewählt hat.