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Buecherundschokolade

Bewertungen

Insgesamt 135 Bewertungen
Bewertung vom 04.04.2023
Melody
Suter, Martin

Melody


ausgezeichnet

Martin Suter schafft es wie kaum ein zweiter deutschsprachiger Schriftsteller eine Geschichte derart soghaft zu erzählen, dass man sie innerhalb kürzester Zeit gleichsam verschlingen will. Da ist auch sein aktueller Roman Melody keine Ausnahme (es hat bei mir weniger als drei Zugfahrten à 90 Minuten gehalten).

Der etwas verkrachte Jurastudent Tom Elmer muss sich nach dem Tod seines Vaters vom süßen Leben verabschieden. Aus Geldmangel meldet er sich auf eine Chiffre-Anzeige und ergattert eine Stelle beim früheren Nationalrat, Wirtschaftsboss, Multimillionär und Militär Dr. Stotz. Vorgeblich soll er die Dokumente aus 6 Jahrzehnten - den Nachlass - ordnen - und ggf. „gewichten“ (schreddern). Doch nach und nach taucht er in alkoholgeschwängerten Kaminrunden mit Dr. Stotz immer tiefer in die große Liebe des sterbenden Mannes zur schönen Melody ein, die kurz vor der Hochzeit im Jahr 1983 spurlos verschwand…

Martin Suter hat ein intelligentes und unglaublich spannendes Buch geschrieben, das in etwas so fein und süffig ist, wie ein vorzüglicher Armagnac des Jahrgangs 1938. Ein großes Lesevergnügen und wiederum hat nicht enttäuscht, was Martin Suter auf dem Umschlag trägt. Daher einer klare Empfehlung für diesen Roman.

Über eines sollte man sich dabei aber im Klaren sein: dieses Buch verführt geradezu zum übermäßigen Konsum hochwertiger alkoholischer Getränke und herausragender italienischer Delikatessen!

Bewertung vom 02.04.2023
Dalee
Gastmann, Dennis

Dalee


ausgezeichnet

In meiner Kindheit konnte ich mich stundenlang in einen Atlas vertiefen. Am spannendsten waren für mich die fernsten, unbekannten Orte, besonders Inseln: z.B. Diego Garcia, Tristan da Cunha, Kiribati, die Weihnachtsinsel und - die Andamanen. Und genau auf dieser abgelegenen und zu Indien gehörenden Inselgruppe spielt der Roman Dalee von Dennis Gastmann.

Der Junge Bellini (sein Geburtsname ist furchtbar kompliziert) zieht kurz nach der Unabhängigkeit 1949 mit seiner Familie und anderen Glücksuchern vom Subkontinent in ein neugebautes Dorf auf dem Archipel, um für die Firma des reichen Mr Ray Holz zu ernten. Denn sein Vater ist Mahut, also Elefantenführer, und Dalee, so der Name ihres großen Grauen, soll beim Transport der Stämme zum Einsatz kommen.

Die zuvor als koloniale Strafkolonie genutzte Insel ist von Anfang an Paradies und Hölle zu gleich. Die traumhafte Schönheit blühenden Urwalds - voller Duft nach Hibiskus und kletternder Vanille - geht einher mit tödlichen Gefahren, die von Tausenfüßlern und Kobras ausgehen.

Der Roman erzählt eine fantastische Abenteuergeschichte, bei der man tief und kenntnisreich in die Welt der Mahuts und der besonderen Beziehung zu ihren Dickhäutern eintaucht. Das Ganze ist fesselnd geschrieben und die knapp 400 Seiten ziehen wie im Flug am Leser vorbei. Ich konnte mich dabei in eine ganz andere Welt, mitten im tiefsten Indischen Ozean träumen und die schwimmenden Elefanten vor meinen Augen sehen.

Daher eine klare Empfehlung für diesen sehr schönen Roman.

Das Buch basiert teilweise auf echten Ereignissen. Die Nachfahren der zur Arbeit importierten - nunmehr wild lebenden - Elefanten kann man bis heute auf Interview Island antreffen, wo die Waldarbeiten bereits in den 60er Jahren eingestellt wurden.

Bewertung vom 31.03.2023
Wo steckt eigentlich Asterix? - Das große Wimmelbuch
Uderzo, Albert;Goscinny, René

Wo steckt eigentlich Asterix? - Das große Wimmelbuch


ausgezeichnet

Wimmelbücher für Kleinkinder gibt es wie Sand am mehr, aber Wo steckt eigentlich Asterix? sticht positiv aus der Masse heraus. Besonders für kleine und große Asterix-und-Obelix-Fans, aber nicht nur für solche, ist es ein großer Suchspaß. Auf 12 großformatigen, zweiseitigen Bildern kann man den berühmtesten Gallier suchen und gleichzeitig in eine vielfältige und farbenfrohe Welt eintauchen. Dabei sind die Illustrationen in dem typischen Asterix-Comic-Stil gehalten und abwechslungsreich gestaltet. Alle
berühmten Figuren treten auf. Wir waren restlos begeistert und auch mein zweijähriger Sohn hat Spaß am Blättern, auf Dinge auf den Bildern zu zeigen und (jedenfalls im Ansatz) nach Asterix suchen. Insgesamt ein gelungenes Kinderbuch, das wir weiterempfehlen können und das Lust auf mehr Suchbilder mit diesem Thema macht.

Bewertung vom 29.03.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Fünf Winter von James Kestrel ist nicht der nächste 08/15 Thriller, sondern ein rasanter Roman von geradezu cineastischer Qualität.
Detective Joe McGrady vom Honolulu Police Department wird eines Abends Ende des Jahres 1941 sein erster Mordfall zugeteilt, er soll einen Doppelmord aufklären an zwei jungen Leuten. Dabei ist er ein Außenseiter in der Polizei, recht frisch bei der Truppe und nicht aus Hawaii. Und der Fall ist gleich hochbrisant, die Opfer sind der Neffe eines hochrangigen US-Militärs und seine japanischstämmige Freundin. McGrady folgt einer Spur nach Hongkong, doch dann geschieht der Angriff auf Pearl Harbor und er gerät in japanische Kriegsgefangenschaft. Ein Diplomat rettet sein Leben und nach fünf Jahren kehrt er nach Hawaii zurück, fest entschlossen den Mord noch aufzuklären. Kestrel gelingt ein sehr spannender Krimi noir, mit einem harten und zynischen Helden ganz in der amerikanischen Tradition eines Chandler. Das Buch hat mir sehr gut gefallen und tolle Lesestunden beschert. Daher eine klare Leseempfehlung

Bewertung vom 26.03.2023
Asterix und Obelix im Reich der Mitte
Gay, Olivier;Tarrin, Fabrice

Asterix und Obelix im Reich der Mitte


sehr gut

Der neue Asterix-Comic kommt untypisch daher: als Comic zum Film, ganze Bildseiten mit einem Text pro Seite, anders als die sonst üblichen Streifen. Inhaltlich fand ich ihn sehr gelungen. Kurz zur Handlung: 50 v. Chr. wird die chinesische Kaiserin gestürzt und eingesperrt. Ihre Tochter entkommt und macht sich gen Westen auf um Hilfe zu suchen. Wo? In einem kleinen unbeugsamen, gallischen Dorf… Asterix und Obelix lassen sich natürlich nicht zweimal bitten und schon geht sie los, die wilde Mission in Fernost. Das ganze ist typisch lustig und schön gezeichnet von Fabrice Tarrin und auch die Texte von Olivier Gay haben mir gefallen. Die ungewöhnliche Darstellung ohne die üblichen Streifen machen es eher zu einem Bilderbuch, aber das hat mich nicht gestört. Daher insgesamt eine klare Empfehlung für dieses Comic-Heft aus dem Hause Egmont.

Bewertung vom 22.03.2023
Ein Geist in der Kehle
Ní Ghríofa, Doireann

Ein Geist in der Kehle


ausgezeichnet

Ein Geist in der Kehle von Doireaan Ni Ghriofa ist der beste weibliche Text, den ich seit langem gelesen habe. Ja, richtig gelesen: weiblicher Text, so bezeichnet sich das Buch auch selbst. Sonst wird es mit der Einordnung schon schwieriger: Roman, Autofiktion, Poesie, essayistischer Roman? Hier verschwimmen die Genregrenzen. Zum Inhalt will ich nicht zu viel vorweg nehmen, nur so viel, dass hier die Erfahrungswelt einer jungen Mutter sehr authentisch und stilistisch brillant dargestellt wird. Zudem geht es um eine berühmte, vor Jahrhunderten verstorbene, irische Poetin, die die persönliche Heldin der Protagonistin ist. Für alle, die nicht tief in der irischen Geschichte und Literatur stecken, ist hier vieles unbekannt, aber auch sehr interessant zu lesen. Dieses Buch ist inhaltlich und stilistisch sehr ungewöhnlich, was sich auch daran zeigt, dass dieses Buch von zwei unterschiedlichen Übersetzer ins Deutsche übertragen worden ist. Insgesamt eine klare Empfehlung für dieses besondere Buch.

Bewertung vom 18.03.2023
Der weiße Fels
Hope, Anna

Der weiße Fels


ausgezeichnet

Die englische Autorin Anna Hope hatte ihren Durchbruch schon vor einiger Zeit, doch für uns war Der weisse Fels das erste Buch, das wir von ihr gelesen haben. Kunstvoll verwebt die Autorin vier Handlungsstränge, vier Zeitebenen und vier Schicksale miteinander. Verbindendes Element: Der weisse Fels vor der Pazifikküste Mexikos.

Wir begegnen einer Schriftstellerin, die 2020, Corona taucht gerade in den Nachrichten auf, mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann, von welchem die Trennung nur noch eine Frage von Tagen ist, zu dem Felsen aufbricht, um dort Spiritualität zu finden.

Im Jahr 1969 zieht eben jener Fels Jim Morrison an, den Rockstar, der süchtig, ausgebrannt, von der moralisierenden Elite der USA gejagt und mit einem Bein im Gefängnis, dort nach etwas sucht.

Die berührendste und beste Handlung spielt im Jahr 1907. Die mexikanische Regierung befindet sich auf einem brutalen Vernichtungsfeldzug gegen das indigene Volk der Yoeme (Yaqui). Tausende werden versklavt, auf Plantagen zu Tode geschunden oder ermordet. Man schickt sie auf Todesmärsche durch die Berge und Kleinkinder werden zwangsadoptiert und ihrer Kultur beraubt. Vielfach wird das Geschehen heute als Genozid bewertet. Das kleine namenlose Yoeme-Mädchen ist im Roman mit seiner Schwester Maria-Luisa deportiert worden, diese ist schwer verletzt und dem Tode nahe. Am weißen Felsen entscheidet sich das Schicksal der Kinder.

Der vierte Strang führt ins Jahr 1775. Eine spanische Mission soll die Nordwestpassage suchen, doch schon zu Beginn gibt es Probleme, als einer der Schiffskapitäne den Verstand zu verlieren scheint und um sich schiesst. Liegt es am weißen Felsen? Oder trügt der Schein?

Ein tolles Buch oder eigentlich vier tolle Bücher, so reichhaltig sind die einzelnen Teile. Die Lektüre hat mir sehr viel Vergnügen bereitet. Die Autorin rückt die Geschichte der Indigenen Mexikos ins Zentrum und schafft einen spannungsreichen und sprachlich begeisternden Roman.

Bewertung vom 14.03.2023
Das Flüstern im Wald / Andor Junior Bd.3
Baumeister, Jens

Das Flüstern im Wald / Andor Junior Bd.3


ausgezeichnet

Auch der dritte Teil der Andor Junior Reihe, die im Kosmos Verlag erscheint, hat uns wieder vollauf begeistert. Das spannende Fantasy-Abenteuer um Thorn, die Zauberin Eara, Chada und den Zwerg Kram fesselt und ist hier von Michael Menzel kongenial illustriert. Dabei nimmt Autor Jens Baumeister Anleihen bei Fanatsy-Klassikern und bringt dabei ein kindgerechtes 144-Seiten-Werk heraus. Das Ganze beginnt als kleine „Detektivgeschichte“, weil das Quartett die Zerstörung eines Feldes aufklären soll und führt sie sodann in immer irrwitzigere Abenteuer, die ihnen alles abverlangen. Der lesende kann in eine bunte Welt voller Magie eintauchen und den Alltag hinter sich lassen. Dabei ist der Kinderroman durch und durch kindgerecht, ohne langweilig zu werden. Daher eine klare Empfehlung für diesen Fantasy-Jugendroman

Bewertung vom 13.03.2023
Young Mungo
Stuart, Douglas

Young Mungo


ausgezeichnet

Young Mungo von Douglas Stuart ist ein außergewöhnliches Stück Literatur. Schonungslos, hart und zugleich unglaublich zart erzählt Stuart eine Außenseitergeschichte im prekären Glasgower East End der 1990er Jahre. Mungo ist so ganz anders als seine Altersgenossen, sanft und verträumt, nicht gewalttätig wie Hamish sein Bruder, ein übler Gangleader oder die anderen protestantischen Jungs, die sich mit den Katholiken blutig prügeln. In deren Welt „schwul“ das schlimmste Schimpfwort überhaupt ist. Mungos Mutter Mo Maw ist eine rücksichtslose Alkoholikerin (im Rausch wird sie zur schrecklichen Tattie-Bogle) und hat die Familie mal wieder im Stich gelassen. Mungo und seine 17-jährige Schwester Jodie schlagen sich mehr schlecht als recht mit knurrendem Magen durch. Mungo freut sich auf die Schule, wegen des kostenlosen Schulessens und die Armut quillt der Familie aus allen Poren.

Zugleich ist Mungo eine ständige Provokation für seinen kriminellen und homophoben Bruder, der ihn durch Teilnahme an Straßenschlachten „zum Mann machen will“. Als Mungo auf James trifft und sich in ihn verliebt, scheint alles möglich, doch die beiden befinden sich in großer Gefahr.

Douglas Stuart hat ein sehr intensives und spannendes Leseerlebnis geschaffen, das an einigen Stellen sehr grausam und düster daherkommt. Man leidet mit dem Protagonisten. Sprachlich ist es ähnlich brillant wie sein Debütroman Shuggie Bain, für den er den Booker-Preis gewann. Ein sehr guter Roman und eine klare Empfehlung.

Bewertung vom 06.03.2023
Aus ihrer Sicht
Céspedes, Alba de

Aus ihrer Sicht


ausgezeichnet

Der Roman Aus ihrer Sicht von Alba de Céspedes ist das stärkste Buch, das mir dieses Jahr bisher untergekommen ist.

Die kubanisch-italienische Autorin (1911-1997) zeichnet das Bild einer faszinierenden Frau zu Zeiten des italienischen Faschismus und während des 2. Weltkrieges. Die 10-jährige Alessandra wächst in einem römischen Wohnblock der unteren Mittelschicht auf. Ihre Mutter ist Hausfrau und gleichzeitig eine begabte Pianistin, die ihr Leben lang vom Vater, einem spießbürgerlichen Beamten, kleingehalten und belächelt wird. Als sie den Ausbruch wagt, scheitert sie tragisch. Alessandra wird zur Verwandtschaft in die Abruzzen geschickt, über die die Großmutter als Matriarchin herrscht. Alessandra scheint sich in das Landleben zu fügen, doch schließlich kehrt sie nach Rom zurück um zu studieren. In der kriegsgeplagten Stadt trifft und heiratet sie Francesco, einen antifaschistischen Universitätsdozenten. Doch Alessandra erkennt zu spät, was der Preis der Freiheit ist und begeht ein Verbrechen…

Die rebellische Geschichte einer unkonventionellen Frau hat mich von der 1. bis zur 634. Seite begeistert. Der Roman ist gleichzeitig ein Porträt des durch und durch patriarchalen und faschistischen Italien Mussolinis. Ein großer, wuchtiger Roman einer zu unbekannt gebliebenen Autorin des 20. Jahrhunderts, über die Annie Ernaux sagt: „Alba de Céspedes war für mich wie der Einbruch eines unbekannten Universums: gesellschaftliches Umfeld, Empfindungen, Atmosphäre.“

Eine klare Empfehlung für dieses berückende Stück Weltliteratur.