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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 167 Bewertungen
Bewertung vom 11.07.2022
Kaltherz
Faber, Henri

Kaltherz


sehr gut

Ein emotionaler Thriller mit vielen Wendungen

Nach „Ausweglos“ ist „Kaltherz“ der zweite Thriller von Henri Faber und spielt (genau wie sein Erstlingswerk) mit der menschlichen Psyche und zwischenmenschlichen Beziehungen. Dabei kann das Buch einerseits durch seine Emotionalität und viele unerwartete Wendungen punkten, verliert sich manchmal aber auch in den Gedankengängen und Gefühlen seiner Figuren.

Die eigentlich aus dem Polizeidienst ausgeschiedene Ermittlerin Kim Lansky bekommt eine letzte Chance, ihre Karriere zu retten – indem sie die kleine Marie wiederfindet, die auf einem Parkplatz aus dem Auto ihrer Mutter entführt wurde. Lanskys unorthodoxe Ermittlungsmethoden und ihr schwieriger Charakter sind Segen und Fluch zugleich, denn sie findet zwar eine vielversprechende Spur, manövriert sich aber durch Alleingänge schnell selbst ins Aus. Zugleich zerbricht die Beziehung von Maries Eltern an dem Verlust ihrer Tochter, und es stellt sich heraus, dass beide Geheimnisse hüten …

Geheimnisse sind ein großes Thema in Henri Fabers Thrillern, und er schafft es meisterhaft, sie anzudeuten, ohne zu früh zu viel zu verraten, sodass ein dauerhaftes Gefühl von „Da steckt noch mehr dahinter!“ mich als Leserin bei der Lektüre begleitet. Die Figuren, durch deren Augen „Kaltherz“ erzählt wird (Maries Eltern, Kim Lansky und das entführte Kind), bekommen jeweils eine ganz eigene Stimme, was sie zu plastischen und nachvollziehbaren Charakteren werden lässt. Leider wird bei dieser Charakterzeichnung hin und wieder auch mal übers Ziel hinausgeschossen. Lange innere Monologe und intensive Gefühlsschilderungen, bei denen sich einiges wiederholt, lassen manche Episoden etwas zäh wirken. Die persönlichen Charakterschwächen der einzelnen Figuren nehmen dabei so viel Raum ein, dass eine Identifizierung mit den erwachsenen Charakteren schwerfällt, da sie allesamt extrem unsympathisch wirken – was ihre Glaubwürdigkeit jedoch zugleich erhöht. Eine schockierende Wendung im letzten Drittel des Buchs kann für einige dieser Kritikpunkte jedoch weitgehend entschädigen.

Insgesamt fühlte ich mich von „Kaltherz“ vor allem aufgrund seiner überraschenden Wendungen gut unterhalten und konnte über die kleinen Schwächen gut hinwegsehen. Ein solider zweiter Thriller von Henri Faber, der Lust auf das nächste Werk des Autors macht.

Bewertung vom 11.07.2022
Die Leiche am Deich / Die Friesenbrauerin ermittelt Bd.1
Jensen, Joost

Die Leiche am Deich / Die Friesenbrauerin ermittelt Bd.1


weniger gut

Mehr Lokal als Lokalkrimi

In „Die Leiche am Deich“ lässt Joost Jensen in einem beschaulichen friesischen Dörfchen ein Mutter-Tochter-Gespann in einem Mordfall ermitteln: die Brauerin Gesine und ihre Tochter Wiebke, ihres Zeichens Polizistin vor Ort. Was als uriger Regionalkrimi mit viel lokalem Flair beginnt, wird jedoch leider schnell ermüdend und eintönig.

Am Sünnumer Strand wird die Leiche der Frau des örtlichen Groß-Milchbauern angespült. Gesine, von ihrer Kundschaft liebevoll „Tüdelbüdel“ genannt, mischt sich ohne großes Zögern in die Ermittlungen ein, die eigentlich ihre Tochter Wiebke führen soll – die ist gar nicht erfreut davon, weist ihre Mutter jedoch auch nicht in ihre Schranken. Der Mordfall selbst ist einigermaßen unspektakulär, und so richtig Interesse an den Ermittlungen will auch nicht aufkommen. Dafür ist man als Leser*in viel zu abgelenkt von der Überdosis Lokalkolorit, wobei „Lokal“ hier im doppelten Wortsinn zu verstehen ist. Denn eine ganze Menge Seiten gehen für das ausschweifende Lob und den Genuss des örtlichen Tüdelbräus drauf. Das mag zu Beginn noch recht urig sein, aber mit sich häufenden Kneipenszenen und untermalendem Geplänkel sorgt diese Form des Humors bald nur noch für Augenrollen.

Da hilft es auch wenig, dass Gesine nicht unbedingt als Sympathieträgerin daherkommt: Sie überschreitet in einem fort Grenzen, stets in der festen Überzeugung, das stehe ihr zu, und ohne Rücksicht darauf, was ihre Alleingänge anrichten können. Sogar ihre eigene Tochter bringt sie mehrfach in arge Bedrängnis, ohne irgendeine Form von Schuldbewusstsein zu zeigen. Dabei erweisen sich ihre Einmischungen durchweg als überflüssig – sie zeigen nur, dass sie ihrer Tochter die Lösung des Falls nicht zutraut. Überhaupt enthält „Die Leiche am Deich“ erstaunlich wenig Krimi-Handlung, sodass sich ein Gefühl von Mitfiebern nicht so recht einstellt. Das Buch schafft es nicht, Spannung zu erzeugen, sondern verharrt eher auf komischen Elementen und dem erwähnten Lokalkolorit.

Wer Friesland und die örtliche Kneipenkultur mag, wird vielleicht in „Die Leiche am Deich“ eine kurzweilige Lektüre für zwischendurch finden. Krimi-Fans wird dieses Buch allerdings vermutlich nicht zu begeistern wissen.

Bewertung vom 11.07.2022
Als das Böse kam
Menger, Ivar Leon

Als das Böse kam


gut

Spannendes Setting mit leider nur mittelmäßiger Handlung

Ivar Leon Mengers Debütroman „Als das Böse kam“ überzeugt auf den ersten Seiten mit einem extrem mysteriösen Setting, das viel Spannung verheißt. Leider wird dieses Versprechen im weiteren Verlauf des Romans nicht eingelöst, sodass es am Ende ein eher durchschnittliches Buch bleibt.

Die 16-jährige Juno, durch deren Augen wir die Geschichte erleben, lebt mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder Boy völlig isoliert auf einer kleinen Insel. Sie verstecken sich vor „Fremdlingen“ aus dem geheimnisvollen „Südland“, die der Familie Böses wollen – so zumindest die Geschichte, die Junos Eltern stets erzählen. Aber dieses Szenario beginnt, Risse aufzuweisen, und Junos Vertrauen in ihre Eltern schwindet allmählich. Also begibt sie sich auf eigene Faust auf die Suche nach der Wahrheit und gerät dabei in schreckliche Gefahr …

„Als das Böse kam“ bietet durch sein Set-up das Potenzial für ein grandioses Verwirrspiel, bei dem Leser*innen immer wieder hinters Licht geführt werden und unklar ist, wem Glauben geschenkt werden darf. Diese Verheißung erfüllt sich jedoch nicht, denn bereits nach einem guten Drittel des Romans ist klar, wie sich die Sachlage wirklich verhält, und daran wird auch nicht mehr gerüttelt. Das Warten auf eine interessante finale Wendung lohnt sich nicht. Nichtsdestotrotz hat der Roman seine Momente: Der knappe, nüchterne Erzählstil sorgt für einen guten Lesefluss und lässt die raue Natur der einsamen Insel und den monotonen Alltag der Familie plastisch vor dem inneren Auge zum Leben erwachen. Während im großen Erzählbogen die Spannung fehlt, wird sie im Kleinen immer wieder hervorragend erzeugt – hier tritt deutlich die Vergangenheit des Autors in der Filmbranche zutage. So bietet das Buch immer wieder Anreize zum Weiterlesen, was das Leseerlebnis selbst spannend macht. Schade ist nur, dass zuletzt nicht viel davon übrig bleibt und zum Schluss eine gewisse Enttäuschung einsetzt.

Kurz gesagt: eine tolle Grundidee, deren Potenzial leider nicht ausgeschöpft wird, dafür aber ein angenehm flüssiger Schreibstil, der durchaus Lesevergnügen aufkommen lässt.

Bewertung vom 29.06.2022
Schreib oder stirb
Fitzek, Sebastian;Beisenherz, Micky

Schreib oder stirb


gut

Stand-up-Comedy meets Thriller – mit eher mittelmäßigem Ergebnis

Wenn der Name Sebastian Fitzek auf einem Buchcover steht, greift man als Thriller-Fan gern einfach gedankenlos zu. Auf „Schreib oder stirb“ taucht zugleich aber auch der Name des Comedians Micky Beisenherz auf und gibt die Richtung für diesen Comedy-Thriller vor: Es geht nicht ganz ernsthaft zu. Dass das leider nur so mittelprächtig funktioniert, stellt sich vor allem auf den ersten Seiten heraus, in denen das Comedy-Element eindeutig die Oberhand hat.

David Dolla ist erfolgreicher Literaturagent und gerät unversehens mitten in einen Kriminalfall: Der mutmaßliche Entführer eines kleinen Mädchens fordert von ihm einen Verlagsvertrag und die Abfassung einer Biographie im Tausch gegen Informationen über ihren Aufenthaltsort. Als Dolla sich weigert, sich auf den abstrusen Deal einzulassen, gerät er samt seines persönlichen Umfelds unversehens in Gefahr – denn offenkundig hat der in der Psychiatrie sitzende Verdächtige seine Augen und Ohren sowie Helfershelfer überall …

Als Thriller ist „Schreib oder stirb“ ein wenig überzogen, aber durchaus spannend. Eine Reihe unvorhergesehener Wendungen sorgt gegen Ende für Überraschungsmomente und Nervenkitzel. Dort muss man jedoch erst einmal hingelangen. Denn gerade der Anfang verliert sich in einer schier endlosen Aneinanderreihung erzwungener Pointen und Witzchen, die nur lose an den Verlauf der Geschichte angeknüpft sind. Viele dieser Episoden rufen sofort Assoziationen an eine Stand-up-Bühne hervor und fügen sich weder in ihrem Duktus noch inhaltlich organisch in den Text ein. Es wirkt, als habe man das Gerüst eines Thrillers zwanghaft mit humorigen Episoden aufgefüllt. Diese Vorgehensweise verliert sich ab der Mitte etwas, wo es dann hauptsächlich um die Weiterentwicklung der Thrillerhandlung geht und der leicht flapsige Ton und mitunter trockene Formulierungen sich viel besser an die Handlung anpassen. Ab hier gelingt es dem Duo, ihre beiden Stile deutlich besser zu einem organischen Ganzen zu vereinen, bei dem die Thrillerhandlung im Vordergrund steht und von humoristischen Elementen untermalt wird (nicht andersherum wie zu Beginn des Buches).

Hätten Fitzek und Beisenherz diesen Stil von Anfang an durchgehalten, wäre „Schreib oder stirb“ insgesamt ein gut gelungener Comedy-Thriller geworden. So funktioniert das Buch eher mittelprächtig und erfordert gerade beim Einstieg einiges an Durchhaltevermögen, bis man sich durch die Flut an platten Pointen à la „Im Licht von Umkleidekabinen sieht jeder furchtbar aus“ zum spannenden Teil vorgekämpft hat. Der funktioniert dann aber tatsächlich richtig gut und belohnt die Geduld mit einem spannenden Showdown und einem unerwarteten Aha-Erlebnis.

Bewertung vom 12.06.2022
Der Fluch des Hechts
Karila, Juhani

Der Fluch des Hechts


ausgezeichnet

Mystisch, humorvoll, fabelhaft – ein Buch wie ein Fiebertraum

„Der Fluch des Hechts“ von Juhani Karila ist eines dieser Bücher, die man nur einmal im Leben findet. Ein echter Schatz, der im Regal für Lieblingsbücher landen und immer wieder aufs Neue hervorgeholt werden kann, denn dieser phantastische Roman wird wohl nie etwas von seinem Zauber einbüßen.

Schon die Frage, wovon der Debütroman des Finnen Juhani Karila handelt, lässt sich gar nicht so leicht beantworten: von der Einöde Lapplands und ihren kuriosen Charakteren und Wesenheiten, würden vielleicht die einen sagen. Von einer getriebenen Frau, die auf der Suche nach dem Sinn ist, würden vielleicht die anderen behaupten. Fakt ist einzig, dass dieses Stück Literatur aus dem Bereich magischer Realismus etwas ganz Einzigartiges ist. Ein Roman, der auf nonchalante und stets augenzwinkernde Art und Weise Mystisches mit Realem verbindet, Tragisches mit Humorvollem, Wahrheit mit Fiktion.

Magie gehört in dem kleinen Dorf in Ostlappland, in dem die Geschichte an wenigen Sommertagen spielt, so selbstverständlich zum Leben wie die Naturwesen, die sich mit schöner Regelmäßigkeit aus den Wäldern und Sümpfen in die Wohnstätten der Menschen wagen. Niemand ist mehr so recht verwundert von dem Näck, der zum Kartenspiel mit hohem Einsatz einlädt, oder dem Pejooni, der Schabernack treiben möchte. Aber für Elina Ylijaako sind es nicht nur diese Fabelgestalten, die ihr die Rückkehr in ihr Heimatdorf und die Erfüllung ihrer Aufgabe erschweren. Es ist ihre Vergangenheit und die Menschen darin. Verbissen macht Elina sich daran, einen Hecht aus einem Teich zu angeln – eine Aufgabe, die alles für sie bedeutet. Daran hindern sie nicht nur einige mannigfaltige Wesen, sondern auch ihre Weigerung, sich ihrer Vergangenheit und ihren eigenen Taten zu stellen.

Der Zauber von „Der Fluch des Hechts“ besteht darin, dass alles ganz selbstverständlich geschieht. Das Wundersame kommt in alltäglicher Gestalt daher und vermag niemanden so recht zu verwundern. Auf unaufgeregte Weise erzählt Juhani Karila ein absolut phantastisches Hirngespinst und vermag seine Leserschaft so direkt und unmittelbar in ein mystisches Lappland zu versetzen. Ein Wahnsinnsbuch!

Bewertung vom 12.06.2022
Freunde. Für immer.
McCreight, Kimberly

Freunde. Für immer.


sehr gut

Ein perspektivreicher, intensiver Kriminalroman

„Freunde. Für immer“ von Kimberly McCreight spielt sich an nur einem Wochenende unter einer kleinen Freundesgruppe ab, birgt aber durch seine häufigen Perspektivwechsel, Zeitsprünge und den Blick in die Vergangenheit der Figuren einiges an Spannung und Rätselpotenzial. Mit vielen klassischen Krimi-Elementen schafft es das Buch, seine Leserschaft ordentlich zum Grübeln zu bringen.

Jonathan, Derrick, Keith, Stephanie und Maeve sind alte College-Bekannte und hüten ein gemeinsames Geheimnis. Das ist jedoch nicht der Grund für ihren Wochenend-Trip in die abgelegene Region der Catskill Mountains, sondern eine Intervention für Keith, dessen Drogenproblem außer Kontrolle geraten ist. Unglücklicherweise bleibt die kleine Gruppe nicht unter sich, sondern wird von anhänglichen Partnern, Affären und missgestimmten Bauunternehmern gestört. Das Verschwinden von Keith und Derrick ruft schließlich Detective Julia Scutt auf den Plan, die ihrerseits gerne einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit ziehen würde …

Das Besondere an „Freunde. Für immer“ ist zweifelsohne seine außergewöhnliche Erzählweise: Neben den Perspektiven der fünf Hauptcharaktere kommen auch Julia Scutt sowie eine mysteriöse weitere Person und eine Person aus der Vergangenheit der Gruppe zu Wort. Dazu wird der Roman nicht chronologisch erzählt, sondern es werden nach und nach Puzzlestücke aus mehreren Zeitebenen zusammengesetzt: Julias Ermittlungen, das Wochenende unter Freunden und ihre gemeinsame Vergangenheit fügen sich erst nach und nach zu einem kohärenten Bild zusammen. Das verlangt mir als Leserin doch einiges an Konzentration ab, und das Buch tänzelt immer mal auf dem schmalen Grat zwischen Brillanz und Chaos. Nichtsdestotrotz schafft Kimberly McCreight es jedoch, dadurch auch einen starken Sog aufzubauen, denn ihre Figuren geben nur zögerlich Informationen über sich preis und schüren so allesamt Verdachtsmomente. Vorenthaltene Informationen sind ein großes Thema im Buch selbst, aber auch in der Erzählweise, was dafür sorgt, dass ich als Leserin mir ständig neue Fragen stelle, Theorien aufbaue und wieder verwerfe und am Schluss doch überrascht bin.

Ein spannender Kriminalroman, der trotz bzw. gerade wegen seiner leicht chaotischen Erzählstruktur in seinen Bann zu ziehen vermag.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2022
Schwarzlicht / Dabiri Walder Bd.1
Läckberg, Camilla;Fexeus, Henrik

Schwarzlicht / Dabiri Walder Bd.1


ausgezeichnet

Atemlos spannend und brillant konstruiert

„Schwarzlicht“ ist der Auftakt einer vielversprechenden neuen Reihe und ein Kooperationsprojekt der ganz besonderen Art: Wenn eine Krimiautorin und ein Mentalist ihre Kräfte bündeln, kann offenbar ein echtes Meisterwerk von einem Kriminalroman dabei herauskommen. Camilla Läckberg und Henrik Fexeus stellen in „Schwarzlicht“ ein verschroben-sympathisches Ermittler-Duo vor, das sich einem Fall widmet, der zu fesseln vermag wie kein zweiter, und sich dabei den eigenen Abgründen stellen muss.

Mina Dabiri ist eine begnadete Polizistin, eckt aber mit ihrer verschlossenen Art, hinter der eine ausgeprägte Keimphobie steckt, häufig an. Sie findet sich deshalb in einer Spezialeinheit der Stockholmer Kriminalpolizei wieder, deren erster Fall gleich äußerst brisant ist: ein Mordopfer, das in einer Zaubertrickbox ums Leben gekommen ist. Als sich keine Ermittlungserfolge einstellen wollen, greift Mina zu drastischen Mitteln und holt den schwedenweit berühmten Mentalisten Vincent Walder ins Boot, der ihr dabei helfen soll, die Psyche des Mörders zu verstehen. Auch er verbirgt menschliche Schwächen hinter der Fassade eines selbstbewussten Entertainers, und so fühlen sich die beiden auf Anhieb miteinander verbunden – was anfangs nicht für Minas Team gilt, sodass zwischenmenschliche Unstimmigkeiten die Ermittlungen weiter erschweren.

„Schwarzlicht“ ist ein ungewöhnlich langer Krimi, wird aber keine Sekunde langweilig. Die über 600 Seiten nutzt das Autor*innen-Duo hervorragend aus, um nicht nur den Fall detailliert und in stimmigem Tempo zu entwickeln, sondern auch seinen Figuren deutlich mehr Leben einzuhauchen, als das bei anderen Vertretern des Genres meist der Fall ist. Nicht nur Mina und Vincent sind dreidimensionale, ausgereifte Charaktere, sondern auch viele der Nebenfiguren, was dem Roman eine ungewohnt lebensnahe, emotionale und mitreißende Dynamik verleiht. Zu diesen durchdachten Charakteren kommt ein brillant konstruierter Kriminalfall, der genau das richtige Maß an Spannung, Geheimnis und wie zufällig hingeworfenen Hinweisen enthält. Als Leserin kann ich stetig mitermitteln, Theorien aufstellen und wieder verwerfen und werde am Ende mit einem echten Aha-Erlebnis belohnt, das sich in genau dem richtigen Maße ankündigt. Die spezielle Konstellation eines Mentalisten als Ermittler gibt dem Buch zusätzlich einen besonderen Touch, denn Vincent kann teils verblüffende Hinweise geben, die dennoch immer fest in der Realität verankert sind. Allein das sorgt für viele kleine Überraschungsmomente auf der Strecke.

Camilla Läckberg und Henrik Fexeus haben hier einen Krimi der Extraklasse vorgelegt, der große Lust auf die kommenden Bände der Reihe macht. Eine frische Idee, gepaart mit einer herausragenden Fallkonstruktion und überzeugenden Charakteren machen diesen Roman zu einem echten Lesegenuss.

Bewertung vom 05.04.2022
Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2


gut

Solide, aber nicht besonders mitreißend

„Der 13. Mann“ ist ein Justizkrimi aus prominenter Feder: Niemand Geringeres als Bestseller-Autoren Michael Tsokos und Florian Schwieker haben für diesen Roman zusammengearbeitet. Es ist der zweite Band in der Reihe um das ungewöhnliche Ermittler-Duo aus Rechtsanwalt Rocco Eberhardt und Rechtsmediziner Justus Jarmer. Die fachliche Expertise der Verfasser tritt zweifelsohne deutlich zutage, jedoch kann der Roman nicht so recht Spannung aufbauen.

Dabei ist der Fall, den die beiden bearbeiten, durchaus brisant: Ein Mann wird ermordet, der Jahrzehnte zuvor Opfer strukturellen sexuellen Missbrauchs wurde und kurz davor stand, ein Interview dazu zu geben. Schnell ist der Verdacht geweckt, dass ein aussichtsreicher Politiker damals in die Sache verstrickt war und heute um seinen Wahlsieg bangt. Eberhardt und Jarmer stoßen auf der Suche nach der Wahrheit auf ein schockierendes Behördenversagen und müssen zu ungewohnten Mitteln greifen, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Zweifelsohne bringen Tsokos und Schwieker beide geballte fachliche Expertise in ihren jeweiligen Bereichen mit, wobei die juristische Dimension in „Der 13. Mann“ deutlich stärker im Fokus steht als die gerichtsmedizinische. Insider-Einblicke in Handlungsmöglichkeiten und Alltag eines Rechtsanwalts sind durchaus interessant und sorgen für Glaubwürdigkeit. Die eher lasche Spannungskurve macht das allerdings nicht ganz wett – ein Stück weit ist dies den deutlich im Vordergrund stehenden persönlichen Befindlichkeiten von Rocco geschuldet. Trotz des prinzipiell spannend konstruierten Kriminalfalls will sich nicht so recht ein Gefühl des Mitfieberns einstellen. Dass der Roman sich nicht auf rasante Action zurückzieht, ist dabei allerdings positiv zu bewerten, ebenso wie der Fokus auf den rechtlichen Prozessen. Es geht nicht bloß um die Lösung eines Rätsels, sondern auch um das, was viele Krimis ausblenden: das, was nach der Verhaftung passiert. Der extrem nüchterne Stil, in Kombination mit einem relativ geradlinigen Verlauf der Aufklärung, ist da ein viel größere Hindernis für den Spannungsaufbau und sorgt für eine dauerhafte Distanz zu mir als Leserin.

Trotz dieser Schwächen ist „Der 13. Mann“ durchaus ein lohnenswerter Roman, insbesondere für Fans der Autoren und Menschen, die sich für Justiz und Rechtliches interessieren. Die Einblicke in dieses Metier sind ein starkes Argument für das Buch – wer sich einen spannungsgeladenen Krimi wünscht, ist allerdings tendenziell an der falschen Adresse.

Bewertung vom 02.04.2022
Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1


ausgezeichnet

Wohlfühl-Krimi mit Augenzwinkern – Agatha Christie im 21. Jahrhundert

Robert Thorogood, der geniale Schöpfer der Cosy-Crime-Serie „Death in Paradise“, ist zurück – und im Gepäck hat er einen herrlich schrulligen neuen Roman. „Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ brilliert mit einer kauzigen Ermittlerin und einer spektakulären Mordserie, die das beschauliche englische Landleben aufwirbelt.

Judith Potts, Kreuzworträtselautorin, Whisky-Connaisseuse und Nacktbade-Enthusiastin, wird beinahe Zeugin eines Mordes an ihrem kunstaffinen Nachbarn. Zumindest hört sie einen Schuss. Leider will der rüstigen über 70-Jährigen zunächst niemand Glauben schenken, und so macht sie sich auf eigene Faust ans Ermitteln, bald tatkräftig unterstützt von Hundesitterin Suzie und der perfektionistischen Pfarrersfrau Becks. Neben einer Reihe unsympathischer Gestalten im örtlichen Kunstbusiness wird der Mordclub zunächst nicht fündig, als jedoch eine weitere Leiche auftaucht, muss die Polizei einsehen, dass Judiths Riecher nicht ganz daneben lag …

„Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ ist ein durch und durch britischer Roman voll schwarzem Humor, exzentrischen Charakteren und schier unlösbaren Rätseln. Robert Thorogood führt uns Lesende meisterhaft an der Nase herum und wirft uns immer gerade genügend Informationshäppchen zu, um eine Theorie zu bilden – die zwei Seiten später unweigerlich über den Haufen geworfen wird. Seine Figuren sind auf eine sympathische Art verschroben, aber keine Heldinnen. Sie alle haben ihre Schwächen und ihre Geheimnisse, und was schiefgehen kann, geht schief. Beinahe jede Seite entlockt mir als Leserin ein Schmunzeln, und die Spannung ist dauerhaft hoch, obwohl die Umgebung so beschaulich und der Action-Faktor eher niedrig ist. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bände um Judith und den Mordclub in der Mache sind!

Ein großartig schwarzhumoriges Lesevergnügen für Fans von britischen Krimis, die gerne mit den Füßen unter einer Wolldecke und einer schönen Tasse Tee einen spannenden Kriminalfall lösen möchten. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.04.2022
Braves Kind (Thriller)
Schwarz, Gunnar

Braves Kind (Thriller)


gut

Spannend konstruierter Roman mit Sexismusproblem

„Braves Kind“ ist ein blutiger Thriller, der sich mit dem überaus ernsten Thema Kindesmissbrauch auseinandersetzt. Bei einem so sensiblen Feld ist Feingefühl gefragt – was leider nicht immer gelingt. Trotzdem kann das Buch durch eine solide Thriller-Handlung ein Stück weit überzeugen.

Kommissarin Sina Claasen ermittelt in einem besonders brutalen Mord: Ein bekannter Hamburger Politiker wurde grausam zu Tode gefoltert. Als gleichzeitig ein Video im Netz auftaucht, das ein kleines Mädchen mit einer Puppe zeigt und mit Rache droht, drängt sich schnell der Verdacht eines Kinderpornorings auf. Die Ermittlungen werden für Sina und ihren Kollegen Eric jedoch durch unflexible Vorgesetzte und das öffentliche Aufsehen, das der Fall erregt, erschwert. Und dann muss Sina sich auch noch um ihre außer Kontrolle geratene Schwester kümmern, die sich mit einem Drogenboss eingelassen hat …

„Braves Kind“ ist vor allem etwas für Fans blutiger Thriller: Gewaltdarstellungen kommen nicht zu kurz, und das Erzähltempo ist rasant. Das sorgt für meist hohe Spannung und einen gewissen Sog-Faktor. Der Stil holpert allerdings bisweilen etwas (da verschanzen sich Leute beispielsweise in ihren Armbeugen), und leider kommen manche Entwicklungen ein wenig plump daher, wodurch vermeintlich überraschende Wendungen später im Buch ungewollt angekündigt werden.

Mit dem Thema sexualisierte Gewalt wird im Roman durchweg sehr leichthin umgegangen. Das schlägt sich ganz besonders in der Figur Maya, Sinas Schwester, nieder, deren Leben von Sex und Drogen bestimmt wird. Viele sexuelle Übergriffe an ihr werden nebenher abgehandelt und scheinen sie nicht weiter zu tangieren. Zugleich lässt sich auch eine starke Sexualisierung sämtlicher auftretender Frauen beobachten. Sina, die Romanheldin (und der Inbegriff des Klischees der toughen Polizistin), ist davon ausgenommen, bewertet aber nonstop die Frauen um sich herum. Man kommt nicht umhin, hinter solchen Schilderungen den männlichen Blick des Autors zu vermuten, der leider nicht gerade durch Fingerspitzengefühl bei der Schilderung von Emotionen glänzt. Bei einem so sensiblen Thema wie Missbrauch wäre das aber essenziell.

Fans von blutigen Thrillern kommen in „Braves Kind“ sicher auf ihre Kosten. Wer sich etwas mehr Tiefe und Fingerspitzengefühl im Umgang mit sensiblen Themen erhofft, ist aber wohl tendenziell weniger gut beraten mit diesem Buch.