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Baerbel82

Bewertungen

Insgesamt 976 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2015
Mann ohne Herz / Siri Bergmann Bd.4
Grebe, Camilla;Träff, Åsa

Mann ohne Herz / Siri Bergmann Bd.4


ausgezeichnet

Sommer in Stockholm

„Mann ohne Herz“ ist bereits der vierte Fall für Therapeutin und Profilerin Siri Bergmann aus der Feder der schwedischen Krimi-Schwestern Camilla Grebe und Åsa Träff. Dennoch handelt es sich um eine eigenständige, in sich abgeschlossene Geschichte, die ohne Vorkenntnisse lesbar ist. Worum geht es?
Als Miguel von einer Reise nach Hause kommt, findet er seinen Lover tot im gemeinsamen Bett. Jussi wurde grausam ermordet und ihm wurde das Herz herausgeschnitten. Von einem Ex-Liebhaber? Handelt es sich um ein Hassverbrechen?
Anschließend gibt es ein Wiedersehen mit der Psychotherapeutin Siri. Sie musste ihre Praxis aufgeben und arbeitet nun als Profilerin für die Polizei. Heute ist ihr erster Tag im neuen Job und sie soll sich gleich um das Täterprofil kümmern.
Kurz darauf wird mit derselben Waffe ein weiterer Mord verübt. Diesmal ist das Opfer ein kleiner Junge. Oder sollte die Kugel seinem Vater gelten? Wo ist die Verbindung? Als ein dritter Mord geschieht, wird klar, dass die Lösung in der Vergangenheit liegen muss.
Zwei Handlungsstränge gilt es zu verfolgen: Die Ermittlungen in der Gegenwart, erzählt in der Ich-Perspektive aus Sicht von Siri, so dass der Leser einen guten Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt bekommt. Rückblenden in die Vergangenheit, beginnend im Jahr 1994, schildern das Schicksal von Jens, betitelt mit „Das traurige Herz“. Diese Rückblicke sind sehr beklemmend. Jens ist homosexuell und psychisch krank. Er kannte die Opfer. Aber ist er deshalb auch ein Mörder?
Dazu nimmt Siris Privatleben wieder einen breiten Raum ein. Sie lebt zusammen mit ihrem Lebensgefährten Markus und dem gemeinsamen Sohn Erik außerhalb von Stockholm in einem Haus am Meer. Mit ihrer besten Freundin Aina hat Siri gebrochen, seitdem sie weiß, dass Aina mit ihrem verstorbenen Mann Stefan ein Verhältnis hatte.
„Mann ohne Herz“ ist ein Roman der leisen Töne. Das Autorenduo erzählt die hochkomplexe, auf zwei Zeitebenen handelnde Geschichte in perfektem Tempo und mit stetig steigender Spannung bis zum überraschenden Ende. Denn nichts ist wie es scheint, bis zum allerletzten Satz. Eine perfekte Mischung aus Kriminalfall und Privatleben. Und so bin ich schon gespannt, auf den nächsten Fall für Siri Bergman.

Fazit: Camilla Grebe und Åsa Träff präsentieren sich wie aus einem Guss. Psychologische Spannung vom Feinsten. Uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.06.2015
Das Kartell / Art Keller Bd.2
Winslow, Don

Das Kartell / Art Keller Bd.2


ausgezeichnet

Kaputt in Juarez

„Das Kartell“ ist die Geschichte zweier Männer, einst Freunde, jetzt Todfeinde: Arthur Keller ist US-Drogenfahnder, Adán Barrera ein mexikanischer Drogenbaron. Sie beginnt im Jahr 2004 genau dort, wo „Tage der Toten“ aufgehört hatte - Adán sitzt im Knast, Art Keller lebt als Bienenvater in einem Kloster in New Mexico - und endet, nach dem blutigen Einsatz eines US-Tötungskommandos in Guatemala im Jahr 2012, zwei Jahre später in Juarez.
Was dazwischen geschah, von der Eskalation des „War on Drugs“, Terror und Tod, das erzählt Don Winslow in seinem neuen hochspannenden Roman. Zitat: „Al-Qaida hat dreitausend Amerikaner umgebracht. Es mag herzlos klingen, aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was wir (die USA) an Drogenopfern haben, Jahr für Jahr.“ Dabei geht es um die Hintergründe der Drogenkriege in Mexiko und den Zweikampf der beiden Protagonisten.
Adán Barrera soll vom Bundesgefängnis in San Diego, Kalifornien, nach Mexiko verlegt werden. Um an der Beerdigung seiner Tochter teilnehmen zu können, wurde er zum Verräter. Den Rest seiner Strafe will er nun in seiner Heimat absitzen. Im CEFERESO II, einem Luxus-Gefängnis, wird er von einem Cousin freudig begrüßt.
Minutiös schildert der Autor den brutalen Krieg der Kartelle untereinander, um Macht, Moral und Mord. Denn der Drogenhandel zwischen Mexiko und den USA ist ein Milliardengeschäft. Zum besseren Verständnis sind dem Buch eine Landkarte mit den Schauplätzen des Romans sowie eine Aufstellung der vier wichtigsten Player beigefügt: das Juarez-Kartell, das Golf-Kartell, das Tijuana-Kartell und das Sinaloa-Kartell.
Nach seinem spektakulären Ausbruch aus dem Gefängnis will Adán Barrera, dem Teile des Sinaloa und des Tijuana-Kartells gehören, zurück auf den Thron. Zunächst zettelt er daher einen Krieg mit dem Golf-Kartell an. Aber das Golf-Kartell rüstet auf und stellt eine eigene Privatarmee zusammen, die sogenannten Zetas. Zitat: „Vielleicht weil ihr brutale Schlächter seid, Soziopathen und Sadisten. Vielleicht weil ihr alles foltert und tötet, was euch in die Hände fällt. Vielleicht weil ihr mein ungeborenes Kind ermordet habt.“
In einer Nebenhandlung geht es aber auch um das traurige Schicksal des zwölfjährigen Chuy, der durch einen dummen Zufall zum psychopathischen Killer wird und seinen Opfern, quasi als Markenzeichen, die Köpfe abschneidet.
Last but not least geht es um ein tödliches Netz aus Gewalt und Korruption, in das auch der Journalist Pablo Mora verstrickt zu sein scheint. Zitat: „Dies ist kein Krieg gegen die Drogen. Dies ist ein Krieg gegen die Armen und die Ohnmächtigen, Unhörbaren und Unsichtbaren, die ihr von der Straße fegen wollt wie den Dreck, der euch um die Beine weht und eure Stiefel beschmutzt.“
Und so wundert es nicht, dass Don Winslow seinen Roman all jenen Journalisten gewidmet hat, die in den vergangenen zehn Jahren in Mexiko ermordet wurden oder „verschwanden“: eine lange, zwei Seiten umfassende Auflistung von Namen.
Wer ist gut, wer ist böse? Don Winslow lässt die Grenzen verschwimmen. Und so hat der Leser Verständnis für Killer Chuy, den korrupten Journalisten oder auch Art Keller, der das Töten zur Notwendigkeit macht, in seinem Streben nach Rache und Gerechtigkeit.
Ein äußerst erschreckendes, doch realistisches Szenario, das der Autor sich ausgedacht hat und er ist wütend auf die Regierungen, die Geheimdienste, die Armeen, die Polizei und die Politiker. Das große Geschäft mit der Sucht, der Krieg gegen die Drogen, der jeden von ihnen reich macht, sowohl in Mexiko als auch in den USA - und sogar in Europa.
Eine gelungene Mischung aus Fiktion und Fakten. Bestens recherchiert, sprachlich exzellent, packend und gekonnt in Szene gesetzt. Insgesamt ein Buch mit Herzblut, das lange nachhallt.

Fazit: Hart, brutal, real. Ein Jahrhundertwerk!

Bewertung vom 15.06.2015
Heimweh
Raabe, Marc

Heimweh


ausgezeichnet

Du hast sie nicht verdient!

Um es gleich vorwegzunehmen, das Buch ist echt der Hammer! Worum geht es?
„Heimweh“ startet mit einem krassen Prolog: Als Jesse 13 Jahre alt ist, wird er lebendig begraben. Er überlebt nur knapp, verliert aber sein Gedächtnis - und somit seine Kindheit. Unfall oder Mord?
32 Jahre später: Jesse ist in Berlin als Kinderarzt tätig und lebt getrennt von seiner Frau Sandra. Sie haben eine gemeinsame Tochter, Isabelle. Eines Tages wird Sandra ermordet und Isa entführt. Handelt es sich um einen Racheakt? Denn der Täter hat für Jesse eine geheimnisvolle Nachricht hinterlassen: „Du hast sie nicht verdient!“
Schnell ist klar, dass die Lösung in der Vergangenheit liegen muss und so begibt sich Jesse auf eine gefährliche Suche im Adlershof, einem Kinderheim in Garmisch-Partenkirchen, in dem er und Sandra aufgewachsen sind. Unerwartete Unterstützung bekommt Jesse von Jule, der besten Freundin seiner Frau.
Zur gleichen Zeit, erhält Artur Messner, der frühere Leiter des Heims, ein Paket mit einer menschlichen Hand. Sie gehörte seinem Jugendfreund Wilbert. Was haben beide Handlungsstränge miteinander zu tun?
Kann Jesse seine Tochter rechtzeitig retten? Was ist damals wirklich geschehen? Als auch Artur spurlos verschwindet, muss Jesse erkennen, dass der Täter eigentlich ihn im Visier hat. Eine atemlose Jagd beginnt...
Marc Raabe hat nach seinen Bestsellern „Schnitt“ und „Schock“ mit „Heimweh“ erneut eine sehr komplexe und wirklich spannende Geschichte über die dunkle, abgründige Seite der Menschen geschrieben. Eine Geschichte mit vielen überraschenden Wendungen, denn nichts ist wie es scheint, bis zum furiosen Showdown.
Zwischendrin werden immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit eingestreut. Die in Kursivschrift gehaltenen Kapitel aus den späten 70er und frühen 80er Jahren sind grausam und beklemmend. Gekonnt springt der Autor durch Zeit und Raum. Kurze Kapitel, viele Ortswechsel und schnelle Schnitte, sorgen für Dynamik. Auch wenn der Leser Jesse immer einen Schritt voraus ist, wird dennoch Spannung aufgebaut.
Mich hat „Heimweh“ ein wenig an „Schnitt“ erinnert, denn auch Jesse kämpft gegen die Dämonen seiner Vergangenheit. Das traumatische Erlebnis in seiner Jugend führte zu einer fokalen retrograden Amnesie. Und dennoch ist „Heimweh“ auch wieder ganz anders. Neben einem tollen Setting, so kommt Adlershof wie ein altes, englisches Spukschloss daher, sind die Interaktionen der jugendlichen Heiminsassen und die ganze Atmosphäre, im dicksten Winter bei Eis und Schnee, hervorragend gelungen.
Dass der Autor im Finale nochmal richtig Gas gibt, steigert das Lesevergnügen. Denn einige Überraschungen hält Marc Raabe für seine Leser noch bereit. Erst ganz am Ende schließt sich dann der Kreis, Vergangenheit und Gegenwart laufen zusammen. Die Auflösung ist überraschend und absolut stimmig.

Fazit: Psychologisch raffinierterer Thriller mit einem intensiven Spannungsbogen und einem überraschenden Ende. Starker Stoff. So muss Thriller!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.06.2015
Über Kreuz
Gebert, Anke

Über Kreuz


ausgezeichnet

Eine Seefahrt, die ist lustig

…allerdings nicht für Nina Wagner, denn die Hobby-Detektivin ist beruflich an Bord der Azzuro. Sie soll den Mord an einem Kunstexperten aufdecken. Der Mann war beim Bernsteinsammeln an der Ostsee bei lebendigem Leib verbrannt. Jedenfalls glaubt seine Witwe nicht daran, dass es sich um einen Unfall handelt.
Der beliebte Kunstexperte arbeitete auf einem Kreuzfahrtschiff und als Täter kommen eigentlich nur ein Künstlerehepaar und die Entertainmentmanagerin in Frage. Obwohl Nina diskret ermittelt, gerät sie schon bald in das Visier des Mörders. Währenddessen schmiedet die Witwe ihren ganz persönlichen Racheplan…
„Über Kreuz“ ist bereits der dritte Fall für die sympathische Privatdetektivin Nina Wagner. Dennoch handelt es sich um einen eigenständigen Roman, der auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann. Nina ist eigentlich Übersetzerin und sie ist erst kürzlich mit ihrer Jugendliebe Jan zusammengezogen, der als Anwalt tätig ist. Auch ihre Mutter, zu der sie ein gespanntes Verhältnis hat, lebt in Travemünde.
Viel Lokalkolorit, Kreuzfahrt-Interna, aber auch Interessantes über Bernstein und weißen Phosphor sowie eine Prise Humor, das sind die Zutaten für Anke Geberts neuen Küsten-Krimi. Auch wenn der Kriminalfall weniger spannend daher kommt wie im Vorgänger „Travemünde Tod“, macht das Buch dies durch die prickelnde Atmosphäre auf einem Kreuzfahrtschiff und den Blick hinter die Kulissen mehr als wett.
Schön, dass es auch wieder einen „Soundtrack“ zum Roman gibt - und ein Cocktail-Rezept. Ein Muss für alle, die bereits mit dem Kreuzfahrtvirus infiziert sind oder von einer Kreuzfahrt träumen.

Fazit: Geniale Idee + tolles Setting = perfekte Urlaubslektüre!

Bewertung vom 01.06.2015
Damenopfer
Barz, Helmut

Damenopfer


schlecht

Wie ein Comic-Strip aus der Unterwelt

Die Leseprobe hatte mich begeistert: Ein Krimi mit politischem Hintergrund zum Schmunzeln, was für eine tolle Idee! Leider wurde ich enttäuscht. Worum geht es?
In Frankfurt am Main wird eine neue Sonderermittlungseinheit gegründet. Anlässlich der Eröffnungsfeier schießt sich Justizminister Jan-Ole Vogel in den Kopf. Katharina Klein und Andreas Amendt ermitteln. So weit so gut.
Lauter skurrile, überzeichnete Figuren und Namen, die Helmut Barz sich ausgedacht hat: Bürgermeisterin Walpurga, Bruder Rapunzel und die SEDI-Ritter. Ein supertoller OP, aber kein Besteck. Dr. Amendt ist Arzt, ich bin schwul. Das ist nicht witzig, das ist albern und abgeschmackt.
Lesen ist eine Sache, die jeder für sich individuell erlebt. Nur weil ich das Buch nicht mag, heißt es nicht, dass andere es nicht gut finden dürfen oder dass es an sich schlecht ist. Denn die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.

Fazit: Dieses Buch habe ich nach 90 Seiten abgebrochen. Weder die Figuren noch der Erzählstil konnten bei mir punkten. Nicht mein Humor, schade…

Bewertung vom 01.06.2015
Ex (eBook, ePUB)
Fitzgerald, Helen

Ex (eBook, ePUB)


gut

Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Um es gleich vorwegzunehmen, „Die dunkle Treppe“ von Helen FitzGerald hatte ich mit Begeisterung verschlungen. Doch „Ex“ konnte meine Erwartungen hinsichtlich eines fesselnden, psychologisch raffinierten Thrillers nicht erfüllen. Worum geht es?
»Sie müssen mir nur sagen, ob er es ist«, so beginnt der 1. Satz des Buchs. Catriona Marsden soll ihren Exfreund Achmed anhand seines besten Stücks identifizieren. Ihre Reaktion fällt etwas merkwürdig aus und so wird sie kurz darauf wegen dreifachen Mordes verhaftet. Denn wie Achmed soll Cat auch Johnny und Rory getötet und ihrer Männlichkeit beraubt haben - mit einer Gartenschere. Dabei wollte sie doch nur ein letztes Mal mit ihren Exfreunden ins Bett gehen, bevor sie Joe heiratet, einen italienischen Arzt.
Stewart, der vierte Ex, kommt davon, weil sein Flug nach Edinburgh gestrichen wurde. Eines Tages schleppt Cats Mutter Irene die Journalistin Janet an. Sie soll Cats Biografie schreiben, um sie zu entlasten. Doch ihre Biografin macht sie zur Psychopathin. Erst als Cats Jugendfreundin Anna sie im Gefängnis besucht, kommt so etwas wie Hoffnung auf.
Helen FitzGerald erzählt die Geschichte in der Ich-Perspektive aus Sicht von Cat. Aber es werden auch immer wieder Einträge aus der von Janet geschriebenen Biografie eingestreut. Was ist wahr und was ist nur das Ergebnis unserer Fantasie? Zum Schmunzeln finde ich es jedenfalls nicht, dazu ist die Sprache zu vulgär. Auch den vielgepriesenen rabenschwarzen Humor habe ich vermisst.
Cat kommt ziemlich naiv und direkt rüber. Schon als Kind war sie wohl schwierig. Außerdem hat sie Blackouts und kann sich an vieles nicht erinnern. Auch nicht an die Morde. Aber irgendetwas ist da, ein Zweifel, „ein glänzendes Ding“, die Gartenschere? Die Erinnerung daran notdürftig geflickt mit Tesafilm. Zu guter Letzt leidet sie unter Stimmungsschwankungen, trinkt zu viel Alkohol und konsumiert Drogen. Aber ist sie deshalb eine Mörderin?
„Ex“ erzählt eine Geschichte von Schuld und Sühne, Rache und Selbstjustiz und davon, wie man am Ende immer wieder von der eigenen Vergangenheit eingeholt wird. Eine Geschichte, die für meinen Geschmack etwas spannender hätte sein können. Und wie so oft stellt sich mir auch hier die Grundsatzfrage: Kann ein Verbrechen mit der schwierigen Biografie des Täters entschuldigt werden?
Verdächtige werden so auffällig in den Vordergrund geschoben, dass sie von Natur aus schon nicht in Frage kommen. Erst im letzten Teil kommt so etwas wie Spannung auf, allerdings enttäuscht die Auflösung dann doch. Den Täter dürften routinierte Leser lange herausgefunden haben und so gibt es am Ende nur eine wirkliche Überraschung, den bitterbösen Showdown.

Fazit: Solider Psychothriller, leider mit vorhersehbarem Ende.

Bewertung vom 26.05.2015
Die stille Kammer
Blackhurst, Jenny

Die stille Kammer


sehr gut

Die Vergangenheit holt einen immer ein

Emma Cartwright alias Susan Webster hat keine Erinnerung daran, was wirklich passiert ist. Sie soll ihren kleinen Sohn im Zustand postpartaler Depression erstickt haben. Jedenfalls wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. All die Jahre hat Susan geglaubt, was ihr Ex-Mann Mark, ihr Arzt, ihre Anwältin und die Polizei ihr erzählten. Kurz nach ihrer Entlassung wird ihr ein Foto zugespielt. Es zeigt einen vierjährigen Jungen, der ihrem Sohn Dylan ähnelt. Könnte es sein, dass Dylan doch noch lebt?
Susan beschließt, die Büchse der Pandora zu öffnen und macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit. Sie stößt auf ungeheuerliche Geheimnisse und eine Intrige, deren tödliches Gift bis heute wirkt. Unerwartete Unterstützung bekommt Susan von ihrer Freundin Cassie und Reporter Nick.
Zwei Handlungsstränge gilt es zu verfolgen, Susans Geschichte in der Gegenwart und Rückblicke in die Vergangenheit: Szenen, die sich vor zwanzig Jahren an einem Elite-College im Norden Englands zwischen den Freunden Jack, Matt, Shakespeare, genannt Billy, Adam und Mike, abgespielt haben. Was haben beide Erzählstränge miteinander zu tun? Gehörte auch Mark zur Clique von damals? Irgendwer treibt ein perfides Spiel mit Susan. Liegt das Motiv in der Vergangenheit?
„Die stille Kammer“ ist der Debütroman von Jenny Blackhurst. Ein fesselnder Psychothriller über die dunklen Abgründe der menschlichen Seele und davon, wie man am Ende immer wieder von der eigenen Vergangenheit eingeholt wird. Spannend, wendungsreich und unvorhersehbar erzählt. Die Figurenzeichnung ist ausgezeichnet gelungen. Susan war mir sofort sympathisch, wie sie ihr Leben meistert, hat mich sehr berührt. Aber auch Cassie und Nick sind liebevoll gezeichnet. Dazu ließ sich die Geschichte flott und flüssig lesen. Gruselig fand ich die Kapitel aus der Perspektive von Jack.
Nichts ist wie es scheint. Niemand ist, wer er zu sein scheint. Ich mag unheimliche Geschichten, die zeigen, wie Liebe, Freundschaft, aber auch Eitelkeiten, Neid, Missgunst und Hass das menschliche Schicksal beeinflussen - mit überraschenden, dramatischen und manchmal auch brutalen Folgen. Was ist wahr und was ist nur das Ergebnis unserer Fantasie? Dass die Autorin im Finale nochmal richtig Gas gibt, steigert das Lesevergnügen. Denn einige Überraschungen gegen Ende des Thrillers hält Jenny Blackhurst für ihre Leser noch bereit. Ein bisschen Herzschmerz ist auch dabei, das hätte ich in einem Thriller allerdings nicht gebraucht.

Fazit: Gelungener Debütroman mit einem intensiven Spannungsbogen und einem überraschenden Ende. Eine echte Entdeckung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2015
Frettchenland / Martin Nettelbeck Bd.3
Wittkamp, Rainer

Frettchenland / Martin Nettelbeck Bd.3


ausgezeichnet

Zeit für Veränderung

„Kalter Hund“, soeben ausgezeichnet mit dem Krimi-Blitz 2014 national, hatte ich mit Begeisterung verschlungen. Daher war ich sehr gespannt auf Rainer Wittkamps neuen Kriminalroman „Frettchenland“ und ich wurde nicht enttäuscht. Worum geht es?
Schauplatz Berlin: Personenschützerin Lotte überlebt es nicht, den PC des Bundestagsabgeordneten Nils Janssen ausspioniert zu haben. Janssen ist Vorsitzender des Ausschusses zur Klärung der Kosten für den Atomausstieg. Aber der Mörder spielt falsch und lässt den USB-Stick mit brisanten Daten einfach verschwinden. Lottes Großmutter Luise, eine ehemalige Sportschützin, will ihre Enkelin rächen und schreckt auch vor Selbstjustiz nicht zurück.
Kommissar Martin Nettelbeck und sein Kollege Wilbert Täubner vom LKA Berlin ermitteln…
In einem weiteren Handlungsstrang geht es um den parlamentarischen Staatssekretär Norbert Fütig und seine sexuellen Perversionen. Aber Praktikantin Annika und sein persönlicher Referent Max lassen sich nix gefallen, das macht sie sympathisch.
Es geht um ein tödliches Netz aus Bestechung und Korruption, in das auch die Polizei verstrickt zu sein scheint. Unterlegt ist die Krimihandlung mit bestens recherchierten Einblicken in politische Machenschaften und Lobbyismus. Was ist Fiktion, was ist Realität?
Auch das Privatleben der Ermittler kommt nicht zu kurz. Die Zeiten stehen auf Wandel: Nettelbecks Freundin Philomena und deren Kinder sind bei ihm eingezogen, Täubners Freundin Irina will sich beruflich verändern und Kriminalrätin Jutta Koschke bangt um ihren Mann Günther.
Das Buch hat einen durchgehend hohen Spannungsbogen, nachdem sich die Geschichte komplett entwickelt hat, mag man es kaum noch aus der Hand legen. Die Geschichte lebt - neben der Spannung - auch von Wortwitz und pfiffigen Dialogen. Diese Elemente heben den Krimi heraus aus dem üblichen Tätersuche-Genre.
Schön, dass es auch wieder einen „Soundtrack“ zum Roman gibt.

Fazit: Ein mörderisch guter Krimi mit skurrilen Figuren, witzigen Dialogen und einem durchgängigen Spannungsbogen bis zum überraschenden Ende. Ein Volltreffer!

Bewertung vom 16.05.2015
Golanhöhen
Bischoff, Marc-Oliver

Golanhöhen


sehr gut

Tatort Frankfurt am Main

„Golanhöhen“ ist bereits der dritte Fall für Kriminalkommissar Gideon Richter und seine Frau, Polizeipsychologin Nora Winter, seit Kurzem Eltern des kleinen Jan-Hendrik. Dennoch handelt es sich um einen eigenständigen Roman, der auch ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann. Das Buch gliedert sich in vier Teile: Tod, Leben, Lüge und Wahrheit. Worum geht es?
Zwei ungeklärte Todesfälle gilt er aufzuklären: ein totes Baby, das im Müll entsorgt wurde und der scheinbare Suizid von Jennifer Baur. Schnell ist klar, dass es sich bei Jenni um die Mutter des toten Babys handelt. Auch entpuppt sich der Selbstmord bald als Mord. Doch wo liegt das Motiv?
Gideon leidet unter Blackouts und hat Albträume. Liegt es am Schlafmangel oder steckt mehr dahinter? Jedenfalls macht Gideon Fehler. Als auch noch eine Frau aus seiner Vergangenheit auftaucht, trifft er eine falsche Entscheidung zu viel…
„Golanhöhen“, ein sozialer Brennpunkt im Norden Frankfurts, ist der Titel des dritten Teils der Frankfurt-Trilogie von Marc-Oliver Bischoff. Ein brandheißes Thema, bestens recherchiert und mit viel Lokalkolorit hochspannend verpackt: überforderte Jugendämter, Kinder ohne Zukunft.
Neben den privaten Problemen der Ermittler wird vor allem deren Ermittlungsarbeit detailliert aufgezeigt. Wer sich für Polizeiarbeit interessiert, sollte hier zugreifen. Nur mit Gideon bin ich nicht wirklich warm geworden: Er kann Berufliches nicht von Privatem trennen, ist unprofessionell im Job, lügt und betrügt, ist aggressiv und zynisch.

Fazit: Gute, solide und unterhaltsame Krimikost, packend in Szene gesetzt. Sehr zu empfehlen!